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Übernahme von Vodafone Italia

Warum die Swisscom endlich privatisiert gehört

Beinahe unbemerkt schloss der Konzern den Milliardendeal ab. Mit dem Kauf verschärft sich jedoch das ordnungspolitische Problem der Swisscom.

Marc Kowalsky

Swisscom

Der Bär muss los: Mit der Übernahme von Vodafone Italia wird der Ruf nach Privatisierung nochmals dringlicher.

Melk Thalmann für BILANZ

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Besser kann man eine Milliardenübernahme nicht verstecken. Dass die italienischen Kartellbehörden ihr die Übernahme von Vodafone Italien endlich genehmigt hatten, kommunizierte die Swisscom an einem Freitagabend – ad hoc, weil börsenrelevant, auch wenn die Börsen für die nächsten zweieinhalb Tage geschlossen blieben. Es war der Abend des 20. Dezember, als sich Corporate Switzerland bereits auf dem Weg in die Weihnachtsferien befand – und an dem andere Themen dominierten: die Veröffentlichung des PUK-Berichtes zum Untergang der Credit Suisse und der Abschluss der bilateralen Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU. Dass die Transaktion mit Vodafone vollzogen wurde, kommunizierte die Swisscom dann am Morgen des 2. Januar – ad hoc, weil börsenrelevant, auch wenn die Zürcher Börse an diesem Tag wegen eines Feiertages geschlossen blieb. Das logische Ergebnis der klandestinen Operationen: Dass die Swisscom – früher als erwartet – den grössten Deal ihrer Firmengeschichte (acht Milliarden Euro) abgeschlossen hatte, nahmen Medien und Öffentlichkeit so gut wie nicht zur Kenntnis. «Man hat mit Sicherheit das Datum genau deshalb so gewählt, weil man wusste, das geht komplett unter», sagt SVP-Nationalrat Franz Grüter: «Das ist eigentlich schon fast schelmisch.»

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Mit dem Kauf des italienischen Mobilfunkanbieters wächst der Umsatz der Swisscom von rund 11 auf knapp 16 Milliarden Franken. Zu den 20'000 Mitarbeitern kommen weitere 5000 hinzu. Nach der Integration von Vodafone Italia in die Konzerntochter Fastweb ist die Swisscom Eigentümerin des zweitgrössten Telekom-Anbieters Italiens mit einem Umsatz von rund sieben Milliarden Euro. Vor allem aber wird die Firma, die zu 50,95 Prozent im Besitz des Schweizer Staates ist, dann fast die Hälfte ihrer Erträge im Ausland erzielen. Eigentlich ein Grund zur Aufregung.

Drei Zahlen zur Swisscom

  • 8 Milliarden Euro

lässt sich Swisscom den Kauf von Vodafone Italia kosten.

  • 45 Prozent

des Umsatzes erwirtschaftet Swisscom nun im Ausland.

  • 24 Milliarden Franken

hat die Swisscom insgesamt an Dividenden an den Staat abgeführt – so viel, wie die Neat gekostet hat.

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Doch schon letzten Februar, als die Übernahmepläne durchsickerten, blieb es relativ ruhig in der Öffentlichkeit. Lediglich aufseiten der SVP, der alles Ausländische ein Greuel ist, waren Vorbehalte zu vernehmen. Jetzt hört man gar nichts mehr. Auch Fritz Zurbrügg, Vertreter des Bundes im Verwaltungsrat der Swisscom, segnete den Deal ab. Wie anders war das noch, als die Swisscom 2005 die irische Eircom übernehmen wollte für 4,6 Milliarden Franken, also für deutlich weniger Geld: Die Diskussion ging wochenlang durch Politik und Medien, schliesslich griff der Bundesrat unter Federführung des eigentlich nicht zuständigen Justizministers Christoph Blocher ein und verbot die Akquisition. Konzernchef Jens Alder trat daraufhin zurück.

Deal auf Kredit

Die jetzige Ruhe liegt natürlich nicht nur am Timing der Kommunikation. Sie liegt auch daran, dass der Vodafone-Deal deutlich besser ist als jener mit Eircom: Der irische Staatskonzern war zwar profitabel, aber gewerkschaftlich straff durchorganisiert und stark verschuldet. Sechs Jahre nach den Swisscom-Avancen ging er in Gläubigerschutz (heute gehört die Firma zu einem Drittel Salt-Eigentümer Xavier Niel und ist wieder erfolgreich). Auch wenn der italienische Markt wegen seiner tiefen Preise als schwierig gilt, sind die Vorzeichen bei der Übernahme der privaten Vodafone Italia heute ganz andere: «Die industrielle Logik ist eigentlich glasklar», sagt Swisscom-Chef Christoph Aeschlimann: «Wir führen seit 17 Jahren in Italien mit Fastweb eine Firma, die profitabel ist. Jetzt kaufen wir mit Vodafone Italia eine komplementäre Firma hinzu, die ebenfalls profitabel ist. Hinzu kommen Kosteneinsparungen durch Synergien in Höhe von jährlich 600 Millionen Euro. Das erhöht den Gewinn noch einmal.» Finanziert hat die Swisscom den Deal durch Kredite. Bereits nächstes Jahr soll der Nettoeffekt der Übernahme positiv sein.

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Mailand-PendlerSwisscom-CEO Christoph Aeschlimann wendet ein Drittel seiner Zeit für das Italien-Geschäft auf.

Mailand-Pendler: Swisscom-CEO Christoph Aeschlimann wendet ein Drittel seiner Zeit für das Italien-Geschäft auf.

Keystone
Mailand-PendlerSwisscom-CEO Christoph Aeschlimann wendet ein Drittel seiner Zeit für das Italien-Geschäft auf.

Mailand-Pendler: Swisscom-CEO Christoph Aeschlimann wendet ein Drittel seiner Zeit für das Italien-Geschäft auf.

Keystone

Doch das ordnungspolitische Problem, an dem der Eircom-Deal gescheitert war, bleibt bestehen: Warum soll ein Schweizer Staatsbetrieb in einem anderen Land Telekom-Dienste erbringen? «Die Swisscom geht damit unnötige unternehmerische Risiken ein», sagt Grüter: «Läuft das schief, zahlt der Bund und damit der Steuerzahler.» Zumal die Swisscom mit der internationalen Expansion bisher mehrheitlich schlechte Erfahrungen gemacht hat. Grüter hat deshalb eine Motion eingereicht, die den Staatsunternehmen verbieten soll, ausländische Firmen zu kaufen. Werde dennoch eine Firmenübernahme im Ausland geplant, müsse der Bundesrat vorgängig das Parlament um Genehmigung bitten. Die Motion dürfte dieses oder nächstes Jahr behandelt werden und käme im Erfolgsfall zu spät für Vodafone Italia. «Hier geht es nicht um einen spezifischen Deal, sondern um grundsätzliche Fragen für alle Staatsfirmen», sagt Grüter.

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Milliarden verlocht

Die Liste der gescheiterten Auslandsabenteuer ist lang – und geht zurück bis in die PTT-Zeit.

  • Unisource

Die Gemeinschaftsfirma mit der schwedischen Telia und der holländischen KPN war 1993 der erste Schritt ins Ausland und sollte Grosskunden bedienen. Die Allianz war wacklig, Partner kamen und gingen. 2004 war Schluss, nach 400 Millionen Abschreibungen.

  • Jasztel

Zusammen mit KPN übernahm man 1995 den kleinen ungarischen Anbieter Jasztel. Es war der zweite Streich des PTT-Generaldirektors Felix Rosenberg (Bild). Nachfolger Tony Reis räumte 1998 wieder auf. Das Ergebnis war ein zweistelliger Millionenverlust.

Felix Rosenberg
Keystone
Felix Rosenberg
Keystone
  • Cesky Telecom

Mit KPN kaufte die PTT 1995 27  Prozent des tschechischen Carriers und zahlte dafür 750 Millionen. 250 Millionen davon waren futsch, als man den Anteil 2003 verkaufte. Ein Jahr darauf wollte der damalige Swisscom-Chef Jens Alder (Bild) noch einmal die Mehrheit übernehmen, kam aber nicht zum Zuge.

Jens Alder
Salvatore Vinci / 13 Photo
Jens Alder
Salvatore Vinci / 13 Photo
  • Mutiara

1996 zog es die PTT nach Malaysia: Für 375 Millionen kaufte man 30 Prozent an Mutiara. Das Timing war denkbar schlecht: Ein Jahr später kam die Asienkrise. Bereits 1999 stieg man wieder aus.

  • Aircell Digilink

Ebenfalls 1996 gab die PTT eine Viertelmilliarde aus für ein Drittel des indischen Carriers Aircell Digilink. Doch auch hier machte die Asienkrise dem Abenteuer 1999 ein schnelles Ende: Zusammen mit Malaysia beliefen sich die Abschreiber auf 519 Millionen.

  • Debitel

Nachdem der damalige Swisscom-Chef Tony Reis die Auslandsscherben aufgewischt hatte, schlug er selber zu und kaufte 1999 und 2001 für 4,3 Milliarden den damals drittgrössten deutschen Mobilprovider Debitel. Es wurde sein Waterloo: Fünf Jahre später stiess man Debitel wieder ab – mit 3,3  Milliarden Franken Verlust.

  • Fastweb

Auch die Akquisition von Fastweb im Jahr 2007 für 6,9  Milliarden Franken stand anfangs unter keinem guten Stern: In den ersten Jahren erwirtschaftete die italienische Beteiligung Verluste, hinzu kamen Vorwürfe der Steuerhinterziehung und Geldwäsche. 2011 musste die Swisscom 1,6  Milliarden Franken auf das Italien-Geschäft abschreiben. Erst danach entwickelte sich Fastweb zur Einnahmequelle.

Auch aus anderer Perspektive ist die Swisscom-Mehrheit der Eidgenossenschaft problematisch: Der Staat tritt als Marktteilnehmer, aber auch als Regulator eben dieses Marktes auf. Von einem «enormen Interessenkonflikt» spricht FDP-Präsident und Nationalrat Thierry Burkart: «Bei der Anpassung des Fernmeldegesetzes musste man sehr stark Rücksicht nehmen darauf, dass die Swisscom ein staatliches Unternehmen ist und gewisse Privilegien hat.» So ist die Schweiz das einzige Land in Europa, das den Zugang zu Glasfaser kaum reguliert hat – damit die Position der Swisscom nicht geschwächt wird. «Viele der von Staatsbetrieben beeinflussten Regularien haben Wettbewerbsverzerrungen teilweise erheblicher Art zur Folge», sagt auch Nationalrat Jürg Grossen, Parteichef der Grünliberalen und ehemaliges Mitglied der Fernmeldekommission. Die Wettbewerbskommission musste mehrmals bis vors Bundesgericht ziehen, um die Ungleichgewichte zu beseitigen. «Die Politik hat in diesen Fragen leider oft versagt», so Grossen. Doch noch immer ist die Swisscom mit grossem Abstand der dominante Player auf dem Schweizer Markt. Weltweit haben nur die norwegische Telenor, die griechische OTE und die australische Telstra – alle drei sind ebenfalls Ex-Monopolisten – vergleichbare Marktanteile. Auch renditemässig steht die Swisscom im Vergleich mit anderen Incumbents, wie Ex-Monopolisten auch genannt werden, sehr gut da.

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Die Neat als Dividende

Andere Länder haben viel mutiger privatisiert. In Europa halten sonst nur noch die Kleinstaaten Luxemburg, Slowenien, Serbien, Norwegen und Belgien eine Staatsmehrheit am Incumbent. Gerade die grossen Märkte wie Grossbritannien, Spanien oder Polen sind komplett in privater Hand, in Deutschland, Frankreich und Italien begnügt sich der Staat mit einem Minderheitsanteil. Doch die Schweiz tut sich schwer mit dem Gedanken: Sämtliche Vorstösse für einen Abbau der Staatsmehrheit bei der Swisscom sind im Parlament bisher gescheitert, auch bei einer Volksabstimmung wären die Chancen klein. Privatisierungen haben es hierzulande generell schwer, im jetzigen Nationalismustrend erst recht. «Die Schweizer sind sehr loyal zu staatlichen Firmen, auch weil sie in der Regel sehr gut funktionieren», sagt Grüter. Die Pleite der Swissair, die Intervention des Staates bei der UBS in der Finanzkrise und jüngst der Niedergang der CS spielen ebenfalls eine Rolle: «Das hat das Vertrauen in die Privatwirtschaft geschwächt. Man macht sich vor, dass staatliche Firmen sicherer seien», so Burkart. «Es ist eine Art falsch verstandener Heimatschutz», nennt es Grossen. Zudem spült die Swisscom jedes Jahr ordentlich Dividenden in die Staatskasse: Insgesamt hat sie im letzten Vierteljahrhundert 24 Milliarden an den Bund ausgeschüttet, so viel, wie die Neat gekostet hat. 580 Millionen waren es letztes Jahr, ab 2026 sollen es dank der Vodafone-Erträge 685 Millionen sein, Tendenz danach weiter steigend – Geld, auf das gerade die politische Linke nicht verzichten will, erst recht nicht in diesen finanziell klammen Zeiten.

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Und so wird sich vorerst nichts ändern: Gerade erst hat der Bundesrat seine neue Eignerstrategie kommuniziert – wie es der Zufall will, ebenfalls an jenem vorweihnachtlichen Freitag, an dem Politik und Öffentlichkeit nur auf PUK und EU schauten. Diese neue Strategie ist ganz die alte: An der Staatsmehrheit wird nicht gerüttelt. Überraschend war das nicht, sondern die einfachste Lösung: Für einen Abbau der Beteiligung hätte der Bundesrat politische Mehrheiten suchen müssen, die Linke hätte das Referendum ergriffen. Überraschend ist hingegen das Argument, das die Regierung anführt: Die Grundversorgung war kein Thema, sie wird inzwischen ausgeschrieben und gilt als sichergestellt. Von einem Marktversagen kann sowieso keine Rede sein, wie die hohe Zahl an Anbietern zeigt: 519 Player sind derzeit beim Bundesamt für Kommunikation (Bakom) registriert, so viele wie noch nie.

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Widerspruch

Stattdessen müssen nun «sicherheitspolitische Interessen und der Schutz einer kritischen Infrastruktur» als Grund herhalten, warum die Swisscom in Staatsbesitz bleiben soll. «Eine schlechte Begründung», findet Grüter. Denn kritische Infrastrukturen betreibt nicht nur die Swisscom, sondern auch alle anderen grossen Carrier des Landes – die sich in Privatbesitz befinden. Die sicherheitspolitischen Interessen wiederum kann man auch anders sicherstellen: indem der Staat bei relevanten Entscheidungen auf diesem Gebiet eingreifen kann, etwa durch eine «Golden Share». Italien, Tschechien und die Niederlande haben eine solche Regelung. Und der Bundesrat begibt sich in einen argumentativen Widerspruch: «Die Swisscom will er aus sicherheitspolitischen Gründen behalten, das Raumfahrtunternehmen Beyond Gravity, das mindestens genauso sicherheitsrelevant ist, will er verkaufen», stellt Burkart fest. Und selbst wenn die Argumente valabel wären, könnte der Bund die Konzernmutter in die Freiheit entlassen und sich auf eine Mehrheit bei der Tochtergesellschaft Swisscom Schweiz beschränken, die für Geschäft und Infrastruktur hierzulande zuständig ist.

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Für die Konsumenten ist der Staat als Mehrheitsaktionär generell kein Vorteil: «Staatsbesitz bedeutet üblicherweise weniger risikobehaftete Investitionen und einen konservativen Kapitaleinsatz, um die Dividende zu maximieren», sagt Martin Wrulich, Senior Partner und Telekom-Experte bei der Unternehmensberatung McKinsey: «Das schränkt das Investitionsspektrum ein, die Innovationen leiden darunter und damit die Kunden.» Aber auch für die Aktionäre ist der Staatsbesitz negativ: «Wenn man die Aktienkursentwicklung anschaut, sind privatisierte Unternehmen in der Regel erfolgreicher», hat Wrulich festgestellt.

Mit ihrer faktischen Staatsgarantie kann sich die Swisscom günstiger finanzieren als private Mitbewerber – von «Wettbewerbsverzerrung» spricht Grossen. So kann sie Technologie günstig einkaufen wie 2007 das TV-Know-how von Fastweb, das zuvor gefehlt hatte. Die Übernahme machte die Swisscom im Heimmarkt noch stärker. Bei der Konkurrenz tröstet man sich momentan damit, dass durch die Integration von Vodafone Italia für die nächsten Jahre viel Managementkapazität gebunden wird. Denn die Swisscom hat kaum Erfahrung mit Grossakquisitionen und deren Integration. «Wir sind nicht traurig, dass der Konzern jetzt erst mal mit sich selbst beschäftigt sein wird», bringt es ein Mitbewerber auf den Punkt. CEO Aeschlimann verbrachte bisher pro Monat einige Tage in Mailand wegen Fastweb. «Jetzt wird es sicher ein Drittel meiner Zeit sein», sagt er.

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IntegrationsarbeitAm Swisscom-Hauptsitz in Bern-Worblaufen dürften die Lichter derzeit abends länger leuchten.

Integrationsarbeit: Am Swisscom-Hauptsitz in Bern-Worblaufen dürften die Lichter derzeit abends länger leuchten.

Keystone
IntegrationsarbeitAm Swisscom-Hauptsitz in Bern-Worblaufen dürften die Lichter derzeit abends länger leuchten.

Integrationsarbeit: Am Swisscom-Hauptsitz in Bern-Worblaufen dürften die Lichter derzeit abends länger leuchten.

Keystone

So muss er das Festnetz von Fastweb mit dem Mobilfunknetz von Vodafone zusammenlegen und Doppelspurigkeiten bei den zusammen rund 7000 Mitarbeitern abbauen. Ähnlich sieht es bei den zusammen rund 15'000 Vertriebsstellen aus, der Grossteil davon unabhängig und Multibrand: «Natürlich gibt es Standorte, wo wir in der gleichen Strasse innerhalb von 100 Metern zwei Shops haben. Das werden wir sicher bereinigen», so Aeschlimann. Auch die verschiedenen IT-Systeme müssen zusammengeführt werden. Wie die Marke heissen wird, wird noch entschieden – voraussichtlich Fastweb, denn die Rechte an Vodafone Italia darf Swisscom nur noch fünf Jahre nutzen.

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Und dann müssen noch die verschiedenen Kulturen zusammenfinden: Fastweb ist unternehmerischer unterwegs als Vodafone, die ist dafür strukturierter und stärker auf der Prozessseite. «Es wird Jahre brauchen, bis das Unternehmen zusammenwächst und die Leute nicht mehr sagen, ich bin rot oder gelb», ahnt Aeschlimann. Bei der Integration helfen sollen ihm die Unternehmensberater von Bain & Company. Daneben muss er die Konzernleitung der Swisscom umbauen: Bisher ist dort nur das Schweizer Geschäft repräsentiert. Aber nun wird Italien 45 Prozent des Umsatzes ausmachen: «Es liegt auf der Hand, dass man gewisse Anpassungen machen muss», so Aeschlimann. Welche genau, wird noch diskutiert, aber alles andere als eine Berufung von Walter Renna, Chef des Italien-Geschäftes, ins Führungsgremium wäre eine grosse Überraschung.

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Gut möglich, dass Renna aus Italien ein paar Geschäftsideen in die Schweiz mitbringt. Denn dort treten die Telcos – auch Fastweb – auch als Stromhändler auf. In anderen Ländern wie Spanien kümmern sie sich zudem um Heimüberwachung, in Singapur vertreibt Singtel sogar Onlinemedien und Musik. Auch die Swisscom expandiert zunehmend in Gebiete, die mit Telekom nichts zu tun haben. Denn sie steckt in einem Dilemma: Der Bund als Haupteigner erwartet eine Rendite, die vergleichbar ist mit anderen Telekom-Anbietern, die Privatanleger wollen ebenfalls Dividenden sehen. Aber der Kernmarkt in der Schweiz ist rückläufig, das ist politisch so gewollt seit der Telekom-Liberalisierung Anfang der Neunzigerjahre. Die Konsequenz: Entweder wächst die Swisscom mit dem Kerngeschäft im Ausland wie in Italien, oder sie wächst in der Schweiz über das Kerngeschäft hinaus. Die Expansion in angrenzende Gebiete war nur mässig erfolgreich, der Bezahldienst Tapit, der digitale Dokumentenspeicher Docsafe oder der Versuch, mit iO einen WhatsApp-Klon aufzubauen, scheiterten. Jetzt versucht man es mit Drohnenüberwachung.

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Gemischtwarenladen

Zudem bietet die Swisscom seit einiger Zeit auch Versicherungen an, für Geräte und Cybersicherheit, aber auch Freizeit-, Hausrat-, Mietkautions- und Haftpflichtversicherungen. «Unternehmerisch kann ich das nachvollziehen», sagt Burkart: «Aber im Hinblick auf die Staatsbeteiligung ist das höchst kritisch und ordnungspolitisch falsch.» Aeschlimann verweist darauf, dass die Swisscom die Policen nur vermittelt: «Wir sind keine Konkurrenz zu Versicherungsfirmen, sondern wir helfen ihnen, an Kunden zu kommen, die sie sonst nicht mehr erreichen.» Schliesslich hat die Swisscom aufgrund ihrer früheren Monopolstellung noch immer einen riesigen Kundenstamm. Markus Lehmann, Präsident der Swiss Insurance Brokers Association (SIBA), ist wenig begeistert: «Ein Unternehmen mit faktischer Staatsgarantie hat hier einen Konkurrenzvorteil.» Er erwartet aber nicht, dass die Swisscom «den Markt grossartig aufmischen wird».

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Auch zwölf Multiplex-Kinos betreibt die Swisscom, inklusiv Gastronomie und Bowlingbahnen. Zwar ist das Geschäft profitabel, aber auch hier stellt sich die Frage: «Wieso soll der Steuerzahler Kinos besitzen und betreiben? Das ist keine staatliche Grundinfrastruktur, und der Wettbewerb funktioniert», so Grossen. Für Wirbel sorgt auch die Swisscom-eigene Modelinie. Unter dem Label «079» verkauft man Foulards, Hoodies, Hosen, Tanktops, Blusen oder Socken. «Das ist kein Geschäftsfeld, sondern ein Werbemittel ähnlich wie eine Plakatkampagne», wehrt Aeschlimann ab. Die Aktion sei auf zwei bis drei Jahre beschränkt, die Investition beschränke sich auf einen einstelligen Millionenbetrag: «Das hat den Umfang einer normalen Werbekampagne.»

Die Swisscom als Gemischtwarenladen – eine Strategie, die auch die Post verfolgt und die in der Politik zunehmend auf Widerstand stösst. «Von einem staatsnahen Betrieb erwarte ich, dass er sich auf seine Kernkompetenzen fokussiert: attraktive Telekom-Angebote für die Kundschaft», sagt Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz. «Es kann nicht Aufgabe eines Staatsbetriebes sein, mit Steuergeldern Privatunternehmen zu konkurrenzieren», sagt Franz Grüter. Nur: Auch hier ist die Swisscom in einem freien Markt unterwegs. «Deshalb würde ich es für falsch halten, dass man sie regulatorisch beschneidet», so Grossen: «Viel sinnvoller wäre es, die Mehrheitsbeteiligung des Staates abzubauen.» Und auch Grüter ist sich sicher: «Die Privatisierung der Swisscom wird ein Thema bleiben.» Konzernleitung und VR haben immer wieder klargemacht, dass sie mit der bisherigen Konstellation gut leben können – aber auch gut mit einer privaten Eigentümerschaft.

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Dann könnte der Konzern tun und lassen, was er will. Und er müsste eine erfolgreiche Grossakquisition auch nicht mehr klandestin unter den Teppich kehren.

Über die Autoren
Marc Kowalsky

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