Guten Tag,
Lobbygruppe, Firma, dazu eingetragener Verein: Der TCS ist mehr als ein Verband. Zu dieser bunten Mischung passt CEO Jürg Wittwer ziemlich perfekt.
Dirk Ruschmann
Der Chef: Jürg Wittwer ist Generaldirektor des TCS-Zentralclubs. Daneben gibt es die regionalen Sektionen. Mitglieder treten formal jeweils beiden Vereinen bei.
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Jürg Wittwer dreht am Lenkrad und blickt in den Himmel. Sein Jeep erklimmt einen Hügel mit 100 Prozent Steigung, also satten 45 Grad. Oben krallen sich die Stollenreifen direkt wieder eine steile Betontreppe hinab. Sicher im Tal angelangt, biegt Wittwer auf eine aus Baumstämmen gezimmerte Brücke ein. Ganz offensichtlich kennt der Mann Getriebe-Untersetzung und Achsensperre nicht nur aus Lehrbüchern.
Das Offroad-Gelände im Fahrzentrum Betzholz bei Rapperswil, dem grössten von schweizweit acht des TCS, haben die Mitarbeiter im Frühjahr 2019 eigenhändig angelegt. Aber die TCS-Truppe kann mehr: 220 Patrouilleure leisten im Jahr rund 360 000 Panneneinsätze, in vier von fünf Fällen kann das Fahrzeug weiterfahren. Acht Rechtsschutz-Zentren bearbeiten 40 000 Rechtsfragen, 21 technische Zentren nehmen 143 000 Fahrzeugchecks vor, in 55 000 Fällen springt die Reiseversicherung ein, fast 6000 Abklärungen und 1300 Patiententransporte stehen in den Protokollen des medizinischen Personals. 29 Campings weisen 2020 bis Ende September 720 000 Logiernächte aus – ein Rekordwert, der neuen Lust an Heimatferien in Zeiten von Corona geschuldet. Und 80 000 Erstklässler sind neu im Besitz einer Leuchtweste für ihren Schulweg.
Der TCS ist ein schweizweit einzigartiges Gebilde: Verband und Interessengruppe, eingetragener Verein und zugleich als Unternehmen tätig, Massenorganisation mit Zentralverwaltung und 24 Regionalsektionen: Wie führt man so etwas?
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Gar nicht so anders wie eine börsenkotierte Firma, sagt Jürg Wittwer, der sich Generaldirektor des TCS nennen darf, was sich kurz mit CEO übersetzen lässt. Man habe eben eine längere Perspektive, aber das sei ja durchaus gesund – ähnlich den genossenschaftlich strukturierten Firmen.
Bei der Frage nach dem Geschäftszweck des TCS wird Wittwer zwar etwas wolkig («eine Organisation, die ihren Mitgliedern in Fragen der Mobilität zur Seite steht und sich um mehr Verkehrssicherheit in der Schweiz bemüht»), aber ansonsten gehe es um Business wie bei den Börsenkotierten.
Seine Aktionäre, sagt Wittwer, seien «die Mitglieder – und auch die haben ein Recht darauf, dass ihr TCS effizient geführt ist». Unterschiede gebe es vor allem «in der Verwendung des Gewinns». Selbiger wird reinvestiert, etwa um die Beitragssätze im Zaum zu halten, in die zwei jährlichen Plakatkampagnen zur Mitgliedergewinnung oder in Aktionen zugunsten der Verkehrssicherheit gesteckt – es lebe die Leuchtweste.
Unter Kontrolle: Jürg Wittwer hat keine Mühe, den Offroad-Parcours im Fahrzentrum Betzholz zu bewältigen. Der TCS-Chef hat im Geländewagen bereits halb Afrika durchquert.
Christian Grau / TCSUnter Kontrolle: Jürg Wittwer hat keine Mühe, den Offroad-Parcours im Fahrzentrum Betzholz zu bewältigen. Der TCS-Chef hat im Geländewagen bereits halb Afrika durchquert.
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Mit seinen 1,5 Millionen Mitgliedern ist der TCS auch auf politischem Parkett ein Schwergewicht. Jürg Röthlisberger, Direktor des Strassen-Bundesamtes Astra, sieht im TCS einen «wichtigen Multiplikator für Fachinformationen, beispielsweise bei neuen Verkehrsregeln, bei Sensibilisierungskampagnen oder der Förderung der Elektromobilität» – schliesslich deckt der TCS jedes Verkehrsbedürfnis vom Wanderer bis zum Wohnmobilisten ab.
Aktuelle Beispiele gefällig? «Wo sollen E-Trottinetts, Stehroller oder Hoverboards fahren dürfen? Hier hat der TCS durch seine Produktetests viel Wissen, welches wir gerne abholen und nutzen.» Oder auch «die Kommunikation mit den Verkehrsteilnehmenden, aktuell namentlich der Autobahnknigge».
An solchen Projekten wirken zahlreiche Verkehrsorganisationen mit, seien es etwa die Chauffeurgewerkschaft oder der Fahrlehrerverband, aber bei Diskussionen zu einem generellen Tempolimit bei 100 km/h oder zum Rechts-Vorbeifahren fungiert der TCS schlicht als breitester Resonanzboden der Schweiz. «Mit denen kann man auch mal Argumente-Pingpong spielen», sagt ein Verkehrspolitiker.
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Wobei Wittwer die politische Landschaftspflege Peter Goetschi überlässt. Der firmiert seit bald zehn Jahren als TCS-Zentralpräsident, war zuvor Leiter der TCS-Sektion Freiburg und dortselbst als Rechtsanwalt und bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG tätig.
Goetschi leitet qua Amt die Delegiertenversammlung, das höchste Organ des TCS, sowie den Verwaltungsrat, dem ganz wie in der Wirtschaft die Definition der Strategie obliegt sowie das Überwachen, ob diese auch wunschgemäss von den Operativen umgesetzt wird. Also von Wittwer, der dezidiert selber «nicht politisch in Erscheinung treten will – ich betrachte mich als Manager».
««Ich will keine Politik machen. Ich betrachte mich als Manager.»»
Jürg Wittwer
Zu managen hat er beim TCS so einiges. Der Zentralclub beschäftigt 1700 Mitarbeiter, setzt 365 Millionen Franken um und erarbeitet auf operativer Stufe ein gutes Prozent Gewinnmarge. Drei Viertel des Umsatzes stammen aus dem Geschäft mit Mitgliedern, wie etwa den Schutzbriefen, den Rest spielen das B2B-Geschäft mit Autoherstellern, die Campingplätze und die Fahrsicherheitszentren ein.
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Die Struktur mit Regionalsektionen, die wiederum Verwaltungsrat und Delegiertenversammlung bestücken, erinnert fatal an den Corporate-Governance-Albtraum Migros – aber Wittwer beteuert, er fühle sich nicht eingeschränkt in seinen Einflussmöglichkeiten, und lobt, dass im Vergleich zu vielen Unternehmen beim TCS erfreulich wenig Innenpolitik stattfinde. Wenn er «einen Vergleich wählen würde, dann ist der TCS am ehesten wie die Schweiz mit ihren Kantonen». Also eine Art Willensnation.
Das Rüstzeug holte sich Wittwer ganz klassisch an der HSG St. Gallen, erwarb sogar einen Doktortitel mit einer Arbeit über IT und Management, «im Kern geht es um die Frage, wie man als General Manager einen Bereich führt, den man nicht intuitiv oder fachlich komplett versteht», wie eben Datenverarbeitung – ein unverändert aktuelles Thema. Nüchtern sagt Wittwer, die HSG sei zwar «ein gutes Sprungbrett, aber meine Erfahrungen, Erfolge und Misserfolge im Berufsleben sind prägender für den Führungsstil als die Hochschulausbildung».
Und Erfahrungen hat Wittwer ausserhalb der üblichen Manager-Durchlauferhitzungsschulen mehr gesammelt als die meisten seiner Artgenossen: Aufgewachsen in Burkina Faso, wo die Eltern als Entwicklungshelfer wirkten, kam er zum Besuch des Gymnasiums in die Schweiz zurück.
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Das Studium musste er sich selbst finanzieren, und so betreute er beim Sulzer-Konzern eine firmeneigene IT-Zeitschrift und verdingte sich als freier Mitarbeiter des «St. Galler Tagblatts». «Da sucht man ständig nach Möglichkeiten, das Honorar zu optimieren», also knipste er auch die Bilder für die Zeitung selber – und gab später sein neu erworbenes Wissen in Form eines Buches über Fotojournalismus weiter. Er arbeitete sich in der Versicherungsbranche hoch, lebte in Spanien und den USA. Noch heute hat die Familie eine Bleibe in Barcelona, die der 53-Jährige in Nicht-Corona-Zeiten etwa einmal pro Monat bewohnt.
Ein Mann im Jeep: Man könnte den Eindruck bekommen, Wittwer habe Spass an seinem Beruf. Und genau so ist es wohl auch.
Christian Grau / TCSEin Mann im Jeep: Man könnte den Eindruck bekommen, Wittwer habe Spass an seinem Beruf. Und genau so ist es wohl auch.
Christian Grau / TCSAfrika liess ihn dennoch nicht los. 2008 fuhr er mit einem Toyota Land Cruiser von Zürich nach Accra, begleitet von Thomas Gutzwiller, HSG-Professor und Präsident der St. Galler Kantonalbank, der in Ghana aufgewachsen ist. 2010 gingen sie wieder auf Tour, wieder wurden es nahezu 10 000 Kilometer, dieses Mal von Mombasa aus, um die grossen afrikanischen Seen herum, nach Kapstadt. Wieder ohne Konvoi, nur sie beide. Nach einem schweren Reitunfall musste Wittwer die Schütteltouren durchs Gelände aufgeben. Monatelang konnte er nur liegend arbeiten, trägt heute noch Metall im Körper. Auch Motocross fährt er nicht mehr.
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Aber «das Erkunden fremder Länder per Auto nehme ich wieder auf», grinst Wittwer. Er habe sich allerdings «ein ‹Warmduscher›-Fahrzeug gekauft, die Kollegen werden lachen, wenn sie das lesen, denn die wissen das noch nicht». Soll heissen: einen zum Camper umgebauten Kleintransporter «mit Bad und Bett», nicht geländegängig, aber dank Allrad und Getriebeuntersetzung immerhin pistentauglich. Die Land-Cruiser-Fraktion, neben Gutzwiller auch Boyden-Headhunter Armin Meier, findet ihre sanitären Einrichtungen hingegen nicht im Fahrzeug, sondern im Fluss oder hinter den Büschen.
Ende 2021 soll Wittwers Neuer ausgeliefert werden, dann steht zunächst eine leichte Erprobungstour in Spaniens dünn besiedelter Extremadura an, später wird es ihn in die Schluchten des Balkans ziehen, und als langfristiges Projekt reizt ihn eine Tour durch die Aussenposten der christlichen Kirche: Klöster, die oft seit dem Mittelalter in Betrieb sind, vom Norden Russlands über Länder wie Armenien, Aserbaidschan, Syrien und Jordanien.
Viele dieser privaten Interessen, wie das Reisen oder dank dem verbandseigenen «Touring-Magazin» den Journalismus, findet Wittwer beim TCS wieder. Und auch seine Erfahrungen in der Versicherungswirtschaft kann er hier ausspielen; der Club bietet eine breite Palette von Assekuranz-Produkten an, weit über die simple Autohaftpflicht hinaus.
Auf die aktuellen Umwälzungen der Mobilität wie Elektrifizierung, autonomes Fahren oder Aufschwung des Verkehrsmittels Velo muss der TCS reagieren – der sich schon lange nicht mehr als Autofahrerpartei begreift. Der Club ist schweizweit grösster Vermieter von Cargovelos, bietet auch Velo-Pannenhilfe an und fördert die Wende zur E-Mobilität, weil sie nun mal keine lokalen Emissionen verursacht. Mit Studien begleitet der TCS den Einmarsch der Stromer in den Markt und versammelt die verfügbaren Modelle zu «E-Mobility Days», damit Interessierte Probe fahren und vergleichen können. Und er verkauft E-Ladesäulen, die Patrouilleure dann beim Kunden zu Hause montieren.
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«Es gibt zwei Arten neuer Technologien», sagt Wittwer, «jene, die man schnell wieder vergisst, und jene, die viel schneller kommen, als man erwartet hatte.» In zehn Jahren werde man zurückblicken und sich wundern, wie breit die Batterieantriebe schon den Alltag erobert haben.
Drohnenpilot: Jürg Wittwers TCS bietet auch Profi-Kurse für Lenker von Drohnen an. Der Markt wächst jährlich um 20 Prozent.
Christian Grau / TCSDrohnenpilot: Jürg Wittwers TCS bietet auch Profi-Kurse für Lenker von Drohnen an. Der Markt wächst jährlich um 20 Prozent.
Christian Grau / TCSLängst angebrochen ist beim TCS das App-Zeitalter. Ausgehend vom Grundgedanken als Notfallhilfe-Organisation, enthält die zentrale TCS-App ein Modul namens «Travel Safety», das Mitglieder warnt, wenn Gefahren, etwa Naturkatastrophen oder Gewaltausbrüche, nahe ihrem Aufenthaltsort lauern – diesen kennt das System näherungsweise und schreibt den Nutzer an. Schaltet dieser dann in den Notfallmodus, bekommt er Hilfe.
Für die wachsende Zahl der Drohnenpiloten, die der TCS in Profi-Kursen ausbildet, betreibt er eine eigene App, die mit Daten des Bundesamtes für Zivilluftfahrt für den genauen Standort anzeigen, was hier erlaubt ist – und was nicht. Und in der Westschweiz laufen Tests einer «Pannenhilfe für zu Hause»: ein Pikettdienst, für den lokale Handwerksbetriebe zu klein sind, der in Notfällen bei Herd und Heizung hilft.
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««Punkto Mitgliedern möchte ich unsere Nachbarclubs einholen.»»
Jürg Wittwer
«Grosse Pläne» hat Jürg Wittwer für das Jahr 2021, wenn die 125-Jahr-Feier des Clubs ansteht. Details will er noch nicht verraten, es soll aber in der ganzen Schweiz Aktionen geben. So wolkig wie staatstragend liest sich sein Ziel, dass der TCS «auch die nächsten 125 Jahre so erfolgreich ist wie in den ersten 125 Jahren».
Konkret will er zudem punkto Mitgliederzahl «die Marktdurchdringung unserer Nachbarclubs einholen». Denn die Kollegen vom deutschen ADAC und von Österreichs ÖAMTC wachsen schneller und nachhaltiger, zählen rechnerisch jeden vierten Einwohner zu ihren Mitgliedern. Dass der TCS etwas hinterherhinkt, erklärt sich Wittwer mit dem gut ausgeba
Ganz praktische Pläne hat Wittwer mit Tochter Naomi, 22 Jahre alt, die in St. Gallen Wirtschaft studiert, und Sohn Joel (20), der gerade bei der besten Armee der Welt dient. Beide fahren noch nicht Auto, wollen es aber «möglichst bald lernen», also hat Vater Jürg bereits einige private Lektionen erteilt. So sieht Einsatzfreude bei der Mitglieder-Akquise aus.
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