Guten Tag,
Der französische Juwelier jongliert meisterhaft mit «L’art pour l’art» und profitablem Geschäft.
Diese Halskette aus Weiss- und Gelbgold mit 12 Smaragden mit ingesamt 30,11 Karat und 14 weissen Naturperlen und Diamanten trägt den schönen Namen «Perla di Angelo».
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Die Inszenierung war atemberaubend: Im lauschigen Garten der Villa Medici in Rom – dem Sitz der Französischen Akademie – führten elfenhafte Models die 70 Schmuckstücke der diesjährigen High-Jewelry-Kollektion von Van Cleef & Arpels spazieren. Hier die Brosche «Dea Eterna» am Kleid eines Models, das aussah wie die Mensch gewordene Göttin Hebe, die im Schmuckstück inmitten eines kunstvollen Steingartens auf einem Lapislazuli-Felsen steht und mit einer anmutigen Bewegung den Götternektar Ambrosia einschenkt. Die Ohrringe «Lucendi», die von ihrer Form her an Kronleuchter aus dem 18. Jahrhundert erinnern, bringen die Schöne, die als Nächste kommt, zum Leuchten, lassen an Hofdamen von damals denken. Ein Bracelet am zarten Handgelenk eines anderen Models entlockt dem einen und anderen Zuschauer einen Seufzer: Auf dem Bandeaux-Armband stellen filigrane Einsätze aus Gold Wahrzeichen Roms dar. Sie sind umgeben von Natur aus Edelsteinen – angeordnet im Stil antiker Mikromosaike.
L’École ist dazu da, jeder und jedem mit Interesse einen Zugang zur Welt des Schmucks und der Schmuckherstellung zu verschaffen – konkret, theoretisch, mit thematisch kuratierten Ausstellungen.
ZVGL’École ist dazu da, jeder und jedem mit Interesse einen Zugang zur Welt des Schmucks und der Schmuckherstellung zu verschaffen – konkret, theoretisch, mit thematisch kuratierten Ausstellungen.
ZVGDie Eindrücke sind fast erdrückend, dominieren die Gespräche beim anschliessenden Dinner an blumenübersäten Tischen. Was für eine Kreativität. Was für eine Opulenz. Was für eine Handwerkskunst. Und erst die Geschichte dahinter! Ihr Titel: «Le Grand Tour».
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«Le Grand Tour» ist die Reise, die bei jungen Aristokraten im England des 18. und 19. Jahrhunderts trendig war: Zwecks Horizonterweiterung und Charakterbildung begaben sich die Männer für zwei bis drei Jahre auf eine Expedition quer durch Europa. Zwei Passagen waren bei diesem Unterfangen obligatorisch: Paris und Aufenthalte in den wichtigsten Städten Italiens, Florenz, Venedig, Rom und Neapel. Bei Van Cleef & Arpels ist man tief in diese Geschichte eingetaucht, hat recherchiert und sich inspirieren lassen. «Wir haben uns von Schmuckstücken aus der Römerzeit, der Etruskerzeit, dem Mittelalter oder der Renaissance inspirieren lassen und sie mit unserem eigenen Erbe, unserem Stil und unserer Handwerkskunst vereint», sagt Nicolas Bos.
Er führt die französische Schmuckmarke seit 2013 als Präsident, CEO und Kreativchef in Personalunion. Das ist ziemlich viel Macht und Einfluss im heutigen Ideal guter Unternehmensführung, aber nicht für Bos: «Es war in dieser Industrie, die lange Zeit von Familienfirmen dominiert war, üblich, dass derjenige, der die Entwicklung des Unternehmens bestimmte, auch die Kreation verantwortete», sagt er. Dass Van Cleef & Arpels seit der Jahrtausendwende der börsenkotieren Richemont-Gruppe gehört, ändert für ihn, seit 1992 im Konzern und seit 2000 bei Van Cleef & Arpels, daran nichts. Seine Logik: «Ich könnte nie eine Entscheidung mittragen, die vielleicht für das Business gut ist, aber nicht für die Identität der Marke.» Ein wenig später im Gespräch gesteht er zudem ein: «Ich wäre frustriert, wäre ich nur in einer künstlerischen Rolle, und ich wäre auch frustriert, hätte ich nur eine Businessrolle.»
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Nicolas Bos ist seit zehn Jahren Präsident und CEO von Van Cleef & Arpels und zudem Creative Director. Er schwingt das Zepter mit Erfolg: Der Marke geht es so gut wie nie zuvor.
© Van Cleef & Arpels SANicolas Bos ist seit zehn Jahren Präsident und CEO von Van Cleef & Arpels und zudem Creative Director. Er schwingt das Zepter mit Erfolg: Der Marke geht es so gut wie nie zuvor.
© Van Cleef & Arpels SADie High-Jewelry-Kollektion ist nicht sein wichtigstes Business. Die Frage, ob es im klassischen Aufwand-Ertrags-Denken überhaupt eines ist, hat nicht oberste Priorität. Diese Geschmeide erfüllen für Bos erst einmal einen immateriellen Zweck: «Wir vergrössern damit das Erbe und können es immer weiterentwickeln.»
Die Stücke sind hochkomplex, betörend schön und kostbar. Preisschilder haben sie keine. Geld wird erst bei ernsthaftem Interesse zum Thema, ist aber kein Knackpunkt – da hat Bos die Zeit auf seiner Seite: Die Unikate aus den Ateliers in Paris gehören bei Sammlern zu den begehrtesten der Welt, und wer sich aus der High-Jewelry-Kollektion etwas auswählt, denkt weniger an den Kaufpreis als an den Wert und die Wertsteigerung – wie im Kunstmarkt. Bos hat kein Problem, die Preziosen mit oft grossen und raren Edelsteinen zu versilbern. «Gewisse Stücke verkaufen wir innert Minuten, bei anderen dauert es manchmal ein paar Monate», sagt Bos und fügt an: «Einzelne Stücke stellen wir auch nur für uns her.»
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Ein solches ist im Pariser Atelier, wo die Preziosen hergestellt werden, gerade am Entstehen: eine Pferdebrosche, etwa vier Zentimeter gross, über und über mit Rubinen bedeckt. Sie ist nicht in 2-D, das Tier ist nicht stilisiert: Anatomie und Proportionen des Pferdchens, das gerade zum Sprung ansetzt, sind naturgetreu nachgebildet.
Das, was dieses Kleinod zum Œuvre macht, sind indes nicht die maximal ein halbes Reiskorn grossen Rubine, sondern dass nicht auszumachen ist, wie die Steinchen festgemacht sind. «Sertissage mystérieuse» heisst die Technik – erfunden und patentiert von Van Cleef & Arpels 1933. Dieses Patent war 70 Jahre gültig. Um es nicht zu verlieren, wurde das mysteriöse Verfahren laufend weiterentwickelt, für andere Juwelen, andere Schliffe. Jede Neuerung erneuert das Patent. Doppelt gut: Die Technik bleibt geschützt, und die Kunsthandwerker – bei Van Cleef & Arpels heissen sie «Mains d’Or», goldene Hände – sind angespornt, ihre Fertigkeiten laufend weiterzuentwickeln und nicht auf den Errungenschaften aus der Vergangenheit auszuruhen.
Die «Sertissage mystérieuse» ist heillos komplex. Ein – handgefertigtes – Gerüstchen aus Gold ist die Basis. Wie eine Matrix enthält es My-genaue Auslassungen für jeden Rubin, den der Sertisseur schliesslich so lange feinschleift, bis er ganz genau und in der richtigen Ausrichtung hineinpasst – und hält. Das ist eine Sisyphusarbeit sondergleichen: «Ich brauche rund vier Stunden pro Stein», sagt der Kunsthandwerker, der die Brosche herstellt. Er gilt mit seinen frühstückstellergrossen Händen bei Van Cleef & Arpels als der Beste für die diffizile und virtuose Technik. Ist die Brosche fertig, wird er sieben Monate daran gearbeitet und 240 Stunden lang Rubine eingepasst haben. Mit Durchhängern? Er schaut verdutzt und sagt fast beleidigt: «Mais non, Madame!»
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Könner wie er sind Könige bei Van Cleef & Arpels – und in der Branche. Sie zu fotografieren, ist verboten, ihren Namen darf man erfahren, aber nicht bekannt machen. «C’est comme ça», zuckt der Sertisseur die Schulter, «so ist es.» Ihm ists gleich, er will nirgends anders hin. «Was ich hier machen kann, kann ich sonst nirgends machen», sagt er. Für ihn, den grandiosen Sertisseur, ist Van Cleef & Arpels die beste aller Welten.
Das gilt so wohl auch für Big Boss Bos. So wie er im Unternehmen aufgestellt ist, dirigiert er alles von Relevanz nach seiner Façon. Er stellt das Bewusstsein darüber, wer und was man ist, über den Zeitgeist – mindestens was das Sortiment betrifft, und er glänzt damit. Es heisst, das Unternehmen habe nie besser dagestanden. Wahr? «Ja, wir haben das Glück, dass wir Erfolg haben.»
Der kommerzielle Erfolg gründet auf Schmuck, der massentauglicher ist als die High-Jewelry-Geschmeide. Umsatzbringer schlechthin ist die «Alhambra»-Kollektion. Sie wurde 1968 eingeführt, gehört zu den Ikonen des Hauses, und mit ihr zeigt Bos, was er unter «sich treu und trotzdem relevant bleiben» versteht: Die vom gleichnamigen Palast in Granada, Spanien, inspirierte Kleeblattform ziert heute Halsketten, Ohrringe, Ringe, Armbänder in zahlreichen Grössen, Varianten, Preisklassen. «Die ‹Alhambra›-Kollektion ist für uns ein echter Segen», sagt Bos und argumentiert auch hier mit mehr als Geld, «sie spricht auf der ganzen Welt alle Arten von Menschen an, diese Vielfalt finde ich besonders wichtig.»
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«Alhambra», 1968 eingeführt, gehört zum Unverkennbaren von Van Cleef & Arpels. Das vierblättrige Kleeblatt gibt es in allen möglichen Schmuckvarianten, hier als Goldring mit Malachit. 4250 Fr.
ZVG«Alhambra», 1968 eingeführt, gehört zum Unverkennbaren von Van Cleef & Arpels. Das vierblättrige Kleeblatt gibt es in allen möglichen Schmuckvarianten, hier als Goldring mit Malachit. 4250 Fr.
ZVG«Alhambra» ist eine tragende Säule des Hauses: 2022 steuerte sie rund 30 Prozent zum Umsatz bei. Wie hoch dieser ist, schlüsselt die Richemont-Gruppe nicht auf, geschätzt wird er für 2022 auf 3,5 Milliarden Franken.
Die andere Schmucklinie, die Connaisseurs von Weitem als Van Cleef & Arpels erkennen, ist «Perlée». Auch das von Perlenschnüren inspirierte, 2008 eingeführte Design fliesst in Dutzende Designs ein, inklusive einer inzwischen grossen Palette an schmucken Damenuhren mit schlichten Quarzwerken.
«Alhambra» und Co. werden mit viel händischer Arbeit in Produktionsstätten in Frankreich und Italien hergestellt, die komplizierten mechanischen Uhren, die Bos mit der gleichen Verve kuratiert wie die High Jewelry, in der Schweiz. Bos hat da Ambitionen, die Gedanken sind frei, die Ideen mitunter etwas crazy wie etwa die, auf einem Zifferblatt mit der Zeit ein paar Planeten in wirklichkeitsgetreuer Geschwindigkeit auf ihrer Umlaufbahn reisen zu lassen.
Die besten Märkte für Bos’ Ideen sind jene, wo Van Cleef & Arpels die längste Geschichte hat: Europa, wo 1906 alles begann, die USA, wo 1934 die erste Boutique eröffnet wurde, und seit den siebziger Jahren Japan, von wo aus der asiatische Markt entwickelt wurde. Und zwar stoisch: «Wir haben noch nie einen Markt aufgegeben», sagt Bos, «wenn wir eine Präsenz aufbauen, bleiben wir auch.» Auch diesbezüglich hat er das Heft in der Hand: Van Cleef & Arpels gibt es nur in Boutiquen von Van Cleef & Arpels. Davon gibt es rund 150 in 26 Ländern. Die Welt ist also noch gross für Bos.
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Sie ist etwas, worauf Nicolas Bos ganz besonders stolz ist. Erstens, weil es die Erste ihrer Art ist, zweitens, weil es seine Idee war, und drittens, weil sie ein voller Erfolg ist: L’École, School of Jewelry Arts, an der Place Vendôme. Sie ist ein Ort, der dazu gedacht ist, der breiten Öffentlichkeit – auf Französisch und Englisch – Zugang zur Welt des Schmucks zu verschaffen.
An der Van-Cleef-Schule gibt es Theorie über Edelsteine, Workshops in Emaillierkunst und Vorträge zur Geschichte des Schmucks – alles stets geleitet von Top-Experten in der jeweiligen Disziplin.
Es gibt eine Bibliothek mit Hunderten Büchern über Schmuck, Goldschmiedekunst, Steine und Geschichte. Und eine zweimal im Jahr wechselnde Ausstellung, die das Thema Schmuck von immer neuen Angelpunkten her aufrollt. Das Team von L’École besteht aus 30 Ausbildnern, die alle Experten auf ihrem Gebiet sind: Gemmologen, Schmuckkunsthistoriker, Juweliermeister, Steinfasser, Designer, Modellbauer, Lackhandwerker und Emaillierspezialisten. In Live-Konferenzen via Zoom – während Covid initialisiert – lässt sich zudem regelmässig Wissen von Spezialisten aus verschiedenen Disziplinen anzapfen; bis zu 3000 Menschen aus aller Welt hören jeweils zu. Die Zoom-Meetings sind wie die jeweilige Ausstellung und die Benutzung der Bibliothek gratis. Die geführten Kurse in Kleingruppen und vor Ort kosten je nach Dauer 100 bis 200 Euro. Den Rest finanziert Bos aus der Firmenkasse. Und richtet das Ganze gerade neu an: L’École zieht demnächst um an den Boulevard Montmartre in ein prächtiges Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert.
Um die Angebote zu nutzen, sind weder Vorwissen noch Fähigkeiten nötig – Neugier reicht. Bos’ Idee stösst auf viel Gegenliebe, was er mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht quittiert. Was ihn hingegen durchaus erstaunt, ist, dass die Leute, die das Angebot nutzen, in keine Schublade passen. Über 30 000 Personen haben bislang an den Kursen in Paris teilgenommen, aus 40 Ländern und quer durch alle Altersstufen. L’École hat er in Hongkong, Shanghai und Dubai bereits vervielfältigt.
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