Guten Tag,
Um Kliniken wie die Kusnacht Practice ranken sich Gerüchte und Geheimnisse. Wir konnten zwar nicht alle lüften, aber hinter die Kulissen blicken.
Zwischen Villa und Klinik der Kusnacht Practice verkehren die reichen, anonymen Klienten mit dem eigenen Limousinenservice.
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Am Telefon begrüsst der Herr Professor, den ich aber Georg nennen darf – und soll. Man spricht sich mit Vornamen an. Georg Schulthess ist der medizinische Leiter der Kusnacht Practice, davor Chefarzt am Spital Männedorf und ausgestattet mit jahrzehntelanger Erfahrung als Arzt in diversen Fachgebieten. Der Verzicht auf Familiennamen schützt die Privatsphäre von Milliardären und Superstars, in ganz heiklen Fällen wird auch noch mit Kürzeln hantiert – mit Pseudonymen allerdings nicht, denn dann würde es medizinrechtlich schwierig.
Georg macht mit mir, der weder Ruhm noch Reichtum hat, zu Demonstrationszwecken den üblichen «Assessment Call». Fragt erste Grunddaten ab wie Grösse, Gewicht, bisherige Erkrankungen oder wie es mit Sport- und Essgewohnheiten, Schlafstörungen, körperlichen Gebrechen, Alkohol und Suchtverhalten steht. Suchtkranke stehen immer noch für gut die Hälfte der Patienten, die sich in der Kusnacht Practice behandeln lassen – eine der exklusivsten Kliniken dieser Art weltweit, nach eigener Ansicht: die exklusivste. Zur Spitzengruppe gehören Einrichtungen wie «Passages» oder «Promises» in Kalifornien oder «Paracelsus» in Zürich, die Betty-Ford-Kliniken dagegen nicht. In der Kusnacht Practice kostet eine Woche Aufenthalt rund 100'000 Franken, Sonderwünsche gehen extra. Die meisten Patienten bleiben vier Wochen oder länger.
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Für jede und jeden beginnt die Behandlung mit diesem Telefongespräch. Ein zweites nennt sich «Hospitality Call», dabei findet das Team etwas mehr über den bisherigen Tagesablauf heraus sowie über die wohntechnischen Vorlieben, Bedürfnisse und Ausstattungswünsche – feste oder weiche Kissen? Schlafzimmertemperatur? Braucht es Drucker und Schredder für heikle Businessunterlagen? Auf dieser Basis entsteht ein kleiner Report, wird die Ankunft der Patientin vorbereitet und die folgende Eingangsuntersuchung mit Blutbild, Abtasten, Messungen zu Körperfettanteil und weiteren Parametern – ein «Medical Report» fasst die Erkenntnisse zusammen. Ein erster Report von vielen weiteren, meiner ist ein Mini-Ausschnitt des gesamten Programms für Patienten, und schon dieser fällt so ausführlich aus, wie ich keinen zuvor gesehen habe. Das übliche Prozedere sieht allerdings bis zu 25 Röhrchen Blutabnahme vor.
Die Häuser sind exquisit eingerichtet.
Johann SautyEin Pool darf in der Kusnacht Practice für die reichen Patienten nicht fehlen.
Johann SautyWährend der Behandlungszeit leben die Patienten in Einzelbelegung.
Johann SautyDass die Kusnacht Practice in Wahrheit in Zollikon residiert, ist womöglich Teil des gelungenen Versteckspiels. Bekannt ist nur die Adresse des Hauptsitzes, und auch der wirbt nicht um Laufkundschaft: kein Schild an der Strasse, keins am Geländer, nichts an den Briefkästen. Nur wer zum verschämten Klingelknopf vordringt, findet den Namen. Wem Einlass gewährt wird, erlebt perfektionierte Diskretion – man gelangt von einem Zimmer in ein anderes oder zurück zum Ausgang nur dann, wenn ein Mitarbeiter zuvor gecheckt hat, dass Räume und Flure menschenleer sind; Spontansichtungen prominenter Mitpatientinnen ausgeschlossen.
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Chefarzt Georg Schulthess, sein Ärzteteam und die Pfleger arbeiten auf einer eigenen Etage – das fördert den fachlichen Austausch. Und anders als früher, als er, etwa auf der Notfallstation des Zürcher Universitätsspitals, täglich 30 oder mehr Patienten zu betreuen hatte, sind es heute gerade noch zwei bis maximal fünf. Und hier kommt der Chef auch zum Patienten, wie bei einem Hausbesuch: in deren Unterkünfte, die nicht umsonst als «Villen» bezeichnet werden. Zwölf solcher Häuser betreibt das Unternehmen, neun rund um das Zürcher Seebecken, drei weitere am Genfersee. Die Auslastung liege «bei 80 bis 90 Prozent», sagt die Chief Operating Officer der Gruppe, Geraldine Matthews, eine Villa bleibe immer frei, für, Achtung: «zeitsensitive Fälle».
Foto: Johann Sauty
Etwa für Stars wie Modedesigner John Galliano oder Wham-Star George Michael? Oder wie Fürstin Charlène von Monaco? Mal heisst es, sie sei zur Behandlung in einer ebenfalls edlen Einrichtung namens «Les Alpes» nahe Montreux gewesen, mal wird die Kusnacht Practice genannt – die am Genfersee eine Dependance betreibt. Namen verschweigen alle beharrlich, auch CEO Eduardo Greghi lässt keine raus. Greghi wäre das beste Modell für seine Klinik: Anfang vierzig, schlank, sieht gut aus und zieht sich noch besser an, mit einer illustren Tellerwäscherkarriere, die auf einem brasilianischen Bauernhof beginnt und mit einer italienischen Staatsbürgerschaft und als Chef der Kusnacht Practice ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Punkto Schweigsamkeit ist Greghi konsequent: Er firmiert zwar als Eigentümer, aber klar ist, dass im Hintergrund solvente stille Teilhaber stehen, die er ebenfalls nicht identifiziert. Eins erfährt man immerhin über den Kundenkreis: Echte Superstars betreue man «ganz wenige», es seien eher Reiche und Superreiche, die hauptsächlich aus Grossbritannien und den USA kommen, aber auch aus dem Rest des Globus anreisen – weniger aus Asien allerdings, die dortige Klientel ist mehr an Verjüngungskuren interessiert.
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Die Kusnacht Practice sieht sich hingegen klar als medizinische Einrichtung. Gestartet als Anlaufstelle vor allem für Alkohol- und Suchtkranke sowie Patienten mit psychischen Störungen, was oft Hand in Hand geht, waren die ärztlichen Kompetenzen von Anfang an vorhanden. Auch für Notfälle ist man gerüstet, in Männedorf steht ein rund um die Uhr überwachtes Klinikbett bereit. Sucht kann neben Alkohol und Drogen auch Shopping, Sex, Glücksspiele, Onlinetrading betreffen, gern flankiert von Schlafmittel- oder Schmerztablettenabhängigkeit. Heute sind verstärkt auch Themen wie Burn-out oder Überforderung vertreten – auch, aber nicht mehr nur klassische Managerkrankheiten. Ein Programm namens «Continuing Care» sorgt für dauerhafte Stabilisierung, sprich Erhalt der Leistungsfähigkeit der Patientinnen und ermöglicht, wo notwendig, schnelles Eingreifen. Die Mediziner arbeiten streng wissenschaftlich, verfolgen auch die relevanten Innovationen in der Medizinwissenschaft, sagt Schulthess. Harvard und Stanford grüssen aus Kusnacht.
Die Villen der Kusnacht Practice liegen rund um den Zürichsee.
Johann SautyDie Villen der Kusnacht Practice liegen rund um den Zürichsee.
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Und Antoinette Sarasin leitet die Abteilung Bio-R, die die biochemischen Prozesse im Körper durchleuchtet und Parameter zu Regenerationsfähigkeit und Vitalität herausfiltert – selbst die Schnellanalyse für mich, den Reporter, ergab einen Elf-Seiten-Katalog mit einer dreistelligen Zahl an Einzelauswertungen. Ohne in persönliche Details zu gehen: Insbesondere die Cortisolmessungen, also die Stressanzeiger, lagen eher im Krisenbereich (erstaunlicherweise waren dafür die Leberwerte hervorragend). Alles bekommt man haarklein und in aller Ruhe und inklusive Schlussfolgerungen und Handlungsanleitungen erklärt.
Die nichtkörperlichen Aspekte, gerade bei Süchten sind oft psychologische Themen die Ursachen im Hintergrund, deckt ein Team von Psychiatern und Psychotherapeuten ab, geleitet von László Ürögi, der viel Erfahrung aus der Suchtmedizin mitbringt. «Die meisten Patienten sind Polymorbide», sagt er, und in einem anderen Gespräch fällt dann ein Vergleich zur TV-Kultserie «Dr House» – jenem Klinikarzt, der unerklärbare Krankheitsbilder wie ein Detektiv bearbeitet, bis er zur richtigen Diagnose gelangt. Schulthess, der die Serie nach eigenen Angaben nicht kennt, kann tatsächlich von Fällen berichten, wo erst umfangreiche Detailarbeit zur richtigen Diagnose und damit Therapie geführt hat. Etwa bei einer 30-Jährigen, die «praktisch invalid war, als sie zu uns kam», weil sie zuvor falsch behandelt worden war. Oft beugt sich das komplette Ärzteteam über einen Fall, beleuchtet und diskutiert eine Krankheitsgeschichte von allen Seiten und wiederholt diese Sitzungen wöchentlich.
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Georg Schulthess: Chefarzt mit sehr viel Ruhe und Erfahrung.
PDEduardo Greghi: Inhaber der Klinik. Jung, polyglott, Italiener.
PDAntoinette Sarasin: Leitet die gesamte Bio-R-Abteilung.
PDLászló Ürögi: Facharzt und Leiter der Psychotherapie.
PDDiese Vernetzung von Generalisten und Spezialisten sieht der Chefarzt als Erfolgsrezept, der Patient wolle auch «als Ganzes wahrgenommen werden», und bisweilen gelange man nur so zum Kern des Problems. Gerade Defekte im Immunsystem oder im Stoffwechsel gelten als schwer erkennbar. Oft berichteten Patienten, dass sie zu Hause Ärzte hätten, «die sich untereinander nicht auszutauschen wüssten», sagt Georg Schulthess. Damit der medizinische Effort nicht verpufft, «machen wir auch viel Edukatives», sagt COO Matthews. Manche Kunden nutzen die Klinik als ihre persönliche Medizinbetreuerin, kommen jedes Jahr für eine Woche zum «Aufladen der Batterien» vorbei. In Fällen mit Rückfallgefahren reist auch schon mal ein Betreuer mit zum Wohnort und sieht sich dort das Umfeld an. László Ürögi hilft, die Motivation zu erhalten, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Wir erarbeiten «Skills, Tools und Notfallpläne», sagt er.
In der Zwischenzeit sind die Tage am Zürichsee schwer bepackt mit Treatments, dies aber in exquisiter Umgebung. Therapiegespräche, aber auch viele Behandlungen oder Massagen finden direkt hier in den Unterkünften der Patienten statt. Die Auffahrt zur Villa The Mansion liegt mitten in Küsnacht, gesichert durch ein ferngesteuertes Einfahrtstor und natürlich ohne Briefkasten, zur Practice verkehrt die hauseigene Limousine. Panoramafenster bieten aus drei Etagen unverbaubaren Seeblick, innen viele originale Art-déco-Möbelstücke, Fitnessraum, Sauna, Dampfbad, einen Bechstein-Flügel, an den Wänden Werke Schweizer Künstlerinnen, alles elegant möbliert, im Keller gibt es gar ein Billardzimmer. In der Garage finden locker mehr als zehn Autos Platz. Es ist die grösste Villa der Kusnacht Practice.
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Ausserdem eingebaut sind weitere Wohnungen. Patienten sollen auch ihre Familie mitbringen können – die vertrauten Gesichter um sich zu haben, kann helfen bei der Gesundung. Zudem lebt mit jeder Patientin, jedem Patienten ein «Live-in Counsellor» in der Zeit des Aufenthalts im Haus; diese Person fungiert als ständiger Ansprechpartner, der oder die auf Bergtouren, Wanderungen oder ins Kino mitkommt. Wöchentlich meldet sich ausserdem das «Concierge Department», fragt Aktivitätswünsche ab und plant sie anschliessend. Ein Counsellor greift gern für eine Partie Billard zum Queue oder nimmt sich Zeit für tiefgehende Gespräche, hat aber auch den Tagesplan für die Behandlungen im Griff – und zieht sich diskret zurück, falls die Patientin lieber Ruhe haben möchte. Die Counsellors rekrutieren sich aus einem wachsenden Pool von derzeit gut 50 Personen und werden, gemeinsam mit den Kunden, sorgfältig ausgewählt. Sie stammen aus ganz unterschiedlichen Teilen der Erde mit genauso diversem Hintergrund. Manche kommen aus der Schweiz, manche aus den USA, andere werden aus Thailand eingeflogen. Jede Villa ist ausserdem mit einer Top-Küche ausgerüstet, in der ein professioneller Privatkoch, selbstverständlich mit zertifizierter Bio-R-Ausbildung, individuelle Menüs köchelt – nach persönlichem Geschmack, aber im Rahmen des massgeschneiderten Patienten-Speiseplans. Zudem fungiert der Koch als eine Art Butler des Hauses und sorgt nebenbei für eine wohnliche Atmosphäre.
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Der Privatkoch ist gleichzeitig auch Butler.
Johann SautyDer Privatkoch ist gleichzeitig auch Butler.
Johann SautyZu den Behandlungen, die Krankenschwester JoJo Abellanosa in der Villa anbieten kann, gehört Body Reshape: man zieht einen Anzug an, der Stromimpulse an die Muskulatur sendet und sie damit zum Wachsen anregt, was zugleich die Fettverbrennung beschleunigt. Es erinnert an das von Tram-Werbetafeln her bekannte EMS, lässt dieses im Vergleich aber aussehen wie ein Kindergeburtstag – bei EMS muss man nebenbei Cardio-Übungen ausführen, bei Body Reshape ist das unmöglich. Man liegt flach und hat, jedenfalls als Anfänger, bei Stufe zehn schon alle Mühe, den Impulsen mit Muskelanspannung entgegenzuarbeiten. JoJo berichtet, dass es bisher genau ein Patient zur Höchststufe 40 geschafft hat. Eine andere Ertüchtigung ist das IHHT, eine Art Höhentraining mit Sauerstoff, das die sogenannten Kraftwerke menschlicher Körperzellen, die Mitochondrien, anregt. Es sei «wie in 45 Minuten vier Mal das Matterhorn besteigen», sagt JoJo – nur dass ich dafür lediglich eine Maske tragen muss und bequem im Sessel sitzen kann.
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Abends, sagt JoJo, hänge sie nicht bis zur Schlafenszeit vor dem TV, sondern schaltet Bildschirm und Mobile frühzeitig aus, setzt sich auf den Balkon und macht sich positive Erlebnisse des Tages bewusst – Achtsamkeit, ganz praktisch. Womöglich wirkt sie auch deshalb so ungemein entspannt. Den schönsten Satz aber sagt Professor Georg zum Abschied, nachdem er mir ein Fläschchen mit Vitamin D in die Hand gedrückt hat, das meine diesbezügliche Mangellage korrigieren wird: Von einigen Zivilisationskrankheiten abgesehen, seien meine Werte ja im grünen Bereich, also «fühl dich gesund!». Mit diesem Mindset würde ich gern jedes Mal Arztgespräche verlassen.
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