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Der Höschenlupf des neuen Calida-CEOs Schmidt-Eisenhart

Timo Schmidt-Eisenhart, der neue CEO der Calida Group, hat gigantische ­Ambitionen und weitreichende Pläne.

Iris Kuhn Spogat

Timo Schmidt Eisenhart, CEO der Calida Gruppe

Der Markenprofi Mit Timo Schmidt-Eisenhart hat die Calida Group nun einen CEO mit 20 Jahren Erfahrung in Sachen Markenaufbau und -führung.

Herbert Zimmermann

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Das Areal ist gross, Ecken und Kanten des Gebäudekomplexes sind signalgelb eingefärbt, und riesige Schwarz-Weiss-Plakate konkretisieren, was sich hinter den fensterlosen Fassaden verbirgt: Calida.

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Calida – für ältere Semster ein Synonym für unkaputtbare und bequeme Unterwäsche und Pyjamas, für jüngere Generationen ein Fremdwort.

CEO Timo Schmidt-Eisenhart ist vor gut einem Jahr angetreten, Letzteres zu ändern. Unter anderem.

Als Einstieg in seine Welt schlägt er einen Rundgang durch Calida vor: Damit hat hier 1941 schliesslich alles angefangen, darauf baut alles auf, was ist und noch werden soll. Die Führung durch den Betrieb überlässt Schmidt-Eisenhart seiner Assistentin und verspricht nicht zu viel, als er sagt, «sie ist seit über 30 Jahren hier und weiss alles».

Viel hat sich hier augenscheinlich nicht verändert in der Zeit: Das Mobiliar wirkt bescheiden, die Infrastruktur zweckmässig. Nach wie vor geschieht alles bei Calida hier vor Ort, ausser die Herstellung von Unterhose und Co. an sich: Genäht werden die Teile in Ungarn. Das Fazit zur Tour durch die Anlage mit Showroom, Designabteilung, Administration, Marketing, Bestellwesen, Arbeitsvorbereitung, Konfektionierung, Logistik, Lager und Spedition: spektakulär unspektakulär.

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Die Calida-Betriebsbesichtung

 Calida: Logistik
Calida Design & Entwicklung
Calida Design & Entwicklung
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Calida Design & Entwicklung
 Calida: Design & Entwicklung
 Calida: Logistik
Timo Schmidt Eisenhart, CEO der Calida Gruppe
Calida Design & Entwicklung
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Zentrale Bestellwesen, Lager, Logistik und Versand – computergesteuerte Fliessbandarbeit mit vielen Handgriffen.

Herbert Zimmermann

Gute Ausgangslage

Die Beschreibung passt auch für den Ort von Programmpunkt 2: CEO-Interview. Schmidt-Eisenhart führt es, flankiert von seinem PR-Berater, in einem grossen Sitzungszimmer mit Fensterfront auf Wiesen und Felder. Der Raum befindet sich auf der C-Level-Etage der Calida Holding. «Das ist keine grosse Struktur», sagt Schmidt-Eisenhart, «hier laufen einfach alle Fäden zusammen.» Gemeint sind die Fäden der fünf Töchter der Calida Group: Das sind Calida, Aubade, Erlich, Cosabella und Lafuma Mobilier, knapp 300 Millionen Franken Umsatz und rund 2400 Mitarbeitende. 

Geboren ist der Deutsche Schmidt-Eisenhart, den Doppelnamen hat er übrigens von seinem Vater, nicht von seiner Frau, mit der seit über 20 Jahren verheiratet ist, in Basel, aufgewachsen in Bottighofen TG am Bodensee. Er ist Segler geworden und als solcher Schweizer Meister. Den Sport habe er wegen des Studiums schliesslich aufgegeben, sagt er, und sich seither nie mehr in ein Segelboot gesetzt, «ganz oder gar nicht». Mit diesem Geist steuert er auch durch seine Karriere.

Die hat er nach dem Master an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg in amerikanischen Firmen absolviert, erst 7  Jahre bei Nike, dann 13 Jahre beim Markenmulti VF Corporation, wo er 2007 bei The North Face einstieg, 2013 Präsident von Timberland wurde und schliesslich – im Ruf, ein «Reorg Guy» zu sein – Präsident von Napapijri.

Zu reorganisieren gibts bei der Calida Group nichts. Vorgänger Reiner Pichler hat die Gruppe mit einem guten Riecher bereits neu positioniert: 2017 akquirierte er mit der Übernahme des Digitalspezialisten Reich Online Solutions (ROS) in München matchentscheidendes Know-how. ROS mit 200 Mitarbeitern betreibt und entwickelt die Onlineshops der Gruppe und zudem die Plattform Onmyskin.de.

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In der Ära Pichler wuchs das Onlinegeschäft von 4 auf 23 Prozent des Umsatzes an. Und die in den nuller Jahren lancierte Diversifikation wurde zurückbuchstabiert: 2020 wurden zwei Underperformer im Portefeuille, der Skibekleider Eider und die Surfermarke Oxbow, abgestossen und Unterwäsche/Lingerie zum Fokus erklärt.

Grosse Ziele

Für Timo Schmidt-Eisenhart stimmt die Richtung offenbar, die Ambitionen sind ihm aber zu gemütlich. «Mein Vorgänger hat eine gute Grundlage gelegt», sagt er, «nun werden wir das Unternehmen auf das nächste Level heben.» Die Route dahin hat er in seiner «Strategie 2026» aufgezeichnet und im November einen Investorentag veranstaltet, «den ersten der Calida Group seit 15 Jahren».

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Seine Wegmarken: Fokussierung auf Unterwäsche und Lingerie, organisches Wachstum von vier bis sechs Prozent im Jahr, «das ist doppelt so viel wie bisher, aber der Markt gibt das her» (Schmidt-Eisenhart), die operative Marge soll hoch von acht auf zehn Prozent. Zudem Zukäufe – «die Industrie ist global gesehen extrem fragmentiert und voller Möglichkeiten für Akquisitionen». Plus Digitalisierung. Plus Internationalisierung. Last but not least verspricht er den Aktionären eine stetig steigende Dividende, mindestens die Hälfte des freien Cashflows will er künftig ausschütten.

Seinen Plan hat er überschrieben mit «Accelerate». Endziel: «Die Calida Group soll zur führenden Anbieterin von Premium-‹On your skin›-Produkten werden, von der kleinen Schweizer zu einer globalen Gruppe, die die den Unterwäschemarkt konsolidiert.» Mutig, das alles offenzulegen. Schmidt-Eisenhart wird daran gemessen werden.

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Der 50-Jährige verspricht viel – und traut es sich auch zu. Seine grösste Stärke? «Ich kann Visionen vermitteln, inspirieren, motivieren und Raum schaffen, damit die Leute ihren Job machen können», sagt er, «und ich kann Teams zusammenstellen.» Bei den grossen Resets innerhalb der VF Corporation habe er «Hunderte, wenn nicht Tausende Interviews geführt» und offenbar eine gute Hand gehabt bei der Selektion, «die Marken haben jedenfalls alle eine gute Entwicklung gemacht».

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Sein Denken kreist – wie könnte es auch anders sein nach über 20 Jahren im US-Stahlbad – um die Shareholder. Ein Drittel der Calida Group gehört nach wie vor der Gründerfamilie Kellenberger. Veraison besitzt 10,7, Vontobel 6,5, Swisscanto 4,99 Prozent, der Rest ist im Publikum verteilt. Für sie alle soll die Calida Group nun also eine Edelwäsche-Grossmacht werden. Der Startpunkt heisst Produkt. «Zufriedene Konsumenten machen zufriedene Aktionäre», sagt der Neo-CEO und lässt keinen Zweifel daran, dass er weiss, worauf es in der Markenwelt ankommt, «die Prinzipien der Markenführung sind universell anwendbar».

Dazu jongliert er mit Begriffen wie «Brand Building Framework», «Customer Centricity», «Matrix» und «Brand Heat». Im Kern geht es einfach darum, die richtigen Bälle in der Luft zu halten. «Daran arbeiten wir seit April 2021», sagt er. Ermutigung gabs postwendend: 2021 ist das beste Geschäftsjahr aller Zeiten.

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Taten auf Worte

Bei Analysten und Investoren hat Schmidt-Eisenhart schon schön gepunktet, vor allem auch weil er keine Zeit hat verstreichen lassen, um seinen Worten Taten folgen zu lassen. Die beiden Outdoor- und Alpinsport-Marken Lafuma und Millet hat er bereits verkauft und mit dem Geld das Unterwäsche-Portfolio erweitert: Im Februar übernahm er für 14,2 Millionen Franken Erlich Textil und im Mai für 80 Millionen Dollar Cosabella.

Beide Labels öffnen neue Türen: die mit Fokus Nachhaltigkeit gegründete Kölner Online-only-Marke Erlich zur jungen «Weniger ist mehr»-Generation und Cosabella in den US-Markt. Von zwei Italienern in Miami gegründet, ist die Made-in-Italy-Dessous-Marke dort beliebt und bekannt – und zudem für Calida und Aubade angedacht als Sprungbrett über den grossen Teich.

Den Verkauf der beiden Sportlabels Millet und Lafuma Outdoor begründete Schmidt-Eisenhart mit «Es gibt bessere Eigentümer für sie, da wir uns auf unser Kernsegment Unterwäsche und Lingerie fokussieren möchten». An Lafuma Mobilier hält er indes vorderhand fest. Er tut es mit dem gleichen Pragmatismus, mit dem auch ZKB-Analyst Gian Marco Werro den Schönheitsfehler im stringenten Strategiepapier wegpudert: «Die Outdoor-Möbelmarke ist eine Cashcow.»

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Für den Ausbau des Markenportfolios hat Schmidt-Eisenhart die Qual der Wahl. ZKB-Analyst Werro hat allein in den Kernmärkten DACH, Westeuropa und USA 80 potenzielle Übernahmeziele für ihn ausgemacht. «Unterwäsche ist ein lokales Geschäft und der Markt effektiv sehr fragmentiert», sagt Schmidt-Eisenhart, «da kann man konsolidieren.» In Bezug auf Zukäufe hat er eine klare Linie: Die Marken-DNA ist heilig, integriert wird im Hintergrund, beim Einkauf, bei der Logistik, bei der IT.

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Eines seiner Lieblingswörter im Zusammenhang mit Markenstrategie ist «Brand Heat». Social Media sind für ihn da ein Gradmesser, und die aktuelle Temperatur ist höchstens lauwarm: Auf Instagram hat Calida 20'000 Followers, Aubade 144'000, Erlich 119'000. Zum Vergleich: Rivale Under Armour hat 8,4 Millionen und Calzedonia 4,1 Millionen. «Wir werden das mit einem höheren Marketingbudget stimulieren», sagt Schmidt-Eisenhart und fügt an, «kreatives Marken-Know-how ist am Ende auch knallharte Mathematik.»

Und knallhart geht er die mitunter sehr hübsche Sache auch an: Auf die Frage, welche Art Unterwäsche er persönlich vorzieht – sportlich oder sexy –, schiesst es aus ihm heraus: «Das spielt doch keine Rolle, es wäre der grösste Fehler, die persönliche Meinung einzubringen.» Lieber verlässt er sich auf Befragungen, Datenanalysen und Kundenfeedbacks aus seinem E-Commerce-Hub in München. Die Leitung dort hat er jüngst Norbert Dengel überantwortet, zwar erst 39, aber in Sachen E-Commerce ein alter Hase. Er war beim Reiseveranstalter FTI Group für den E-Commerce zuständig und davor beim Onlinehändler Mytheresa.

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Neue Chefposition

Auf C-Level gibt es ab 2023 Verstärkung mit der Funktion des «Chief Information & Digital Officer», kurz CIDO. Als Erstbesetzung wird die Deutsche Hanna Huber (40) den Job übernehmen. Ihr Auftrag lautet, «die digitale Transformation der Gruppe weiter konsequent voranzutreiben», sagt Schmidt-Eisenhart und malt das Szenario mit Schlagworten wie Synergien, Skaleneffekten und Schlagkraft aus.

Noch ist Huber bei der deutschen Otto Group in Hamburg unter Vertrag. Der Versandhändler mit den Plattformen About You, Lascana und Otto, einem Umsatz von 16 Milliarden Euro und über 43'000 Mitarbeitern ist ein Gigant, verglichen mit der Calida Group. Womit er die Frau vom weltoffenen Hamburg in das provinzielle Sursee hat locken können? «Es ist die Aufgabe», sagt Schmidt-Eisenhart, «wie bei mir.»

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Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Iris Kuhn-Spogat

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