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Thomas Gottstein muss ausmisten: Der CS-Chef steht vor einer Herkulesaufgabe

Er wollte eigentlich nie Chef werden. Jetzt muss er um seinen Job kämpfen. Schafft es Thomas Gottstein, sich und die Bank wieder aufzurichten?

Erik Nolmans

Thomas Gottstein Illustration BILANZ

Thomas Gottstein, CEO der Credit Suisse, hier illustriert als angeschlagener Kämpfer, musste wegen der Skandale um Greensill und Archegos heftige Schläge einstecken.

CMAC

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Einen Termin hat Thomas Gottstein schon vor Längerem dick in seiner Agenda eingetragen – Mittwoch, 23.  Juni, nachmittags bis Freitag, 25.  Juni, frühmorgens: Strategiemeeting. Ort: Grand Hotel Quellenhof, Bad Ragaz. Im noblen Resort von Zementbaron Thomas Schmidheiny, vor vielen Jahren selber einmal im Board der Credit Suisse, treffen sich die Konzernleitung und der Verwaltungsrat jeweils zur jährlichen Retraite in Sachen Strategie.

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So war es auch dieses Mal. Es ist auch ein Schaulaufen für den jeweiligen CEO, denn man wird in langen Sitzungen gefordert. Und Gottstein steht schon seit Längerem unter verschärfter Beobachtung. Mit António Horta-Osório ist Ende April ein neuer Präsident angetreten, der als äussert fordernder Chef gilt. Gottstein muss nicht nur strategische Perspektiven präsentieren, er muss dem Verwaltungsrat auch das Gefühl vermitteln, dass man mit ihm in die Zukunft gehen kann.

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Milliardenabschreiber

Die Zahlen sprechen nicht für ihn. Verlust beim Hedgefonds Archegos: 5,4 Milliarden. Ausfallrisiko bei den Lieferkettenfonds von Lex Greensill: bis zu 2,3 Milliarden. Aktienkurs seit Anfang Jahr: minus 17 Prozent. Die Aktie der CS ist gar die einzige aller grossen Schweizer Unternehmen, die dieses Jahr überhaupt im Minus ist (Stand 22. Juni).

Gestiegen ist nur die Zahl der negativen Presseberichte, von den Schweizer Medien über die Londoner «Financial Times» bis hin zu «Le Figaro Économie» in Paris («Credit Suisse, nouvel enfant terrible de la Banque européenne»). «Wenn sogar die Franzosen den Schweizern zu erzählen beginnen, wie Banking eigentlich funktionieren sollte, sind wir wirklich ganz unten angelangt», schnödet ein hoher CS-Kadermann. Und in der Zürcher Bankenszene stellt man sich die grundsätztliche Frage: Kann ein CEO mit sieben Milliarden Verlust überleben?

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«1,7 Milliarden Franken: So viel frisches Kapital mussten die Aktionäre jüngst einschiessen. »

Thomas Gottstein ist zur entscheidenden Runde in seiner Karriere angetreten. In einem Kampf, der lange vielversprechend für ihn lief. Als er am 14.  Februar 2020 als CEO antrat, waren viele froh, dass nach den Zeiten von Vorgänger Tidjane Thiam, geprägt durch interne Machtkämpfe und den Beschattungsskandal um das Konzernleitungsmitglied Iqbal Khan, ein Neuaufbruch stattfand.

Gottstein, seit über zwanzig Jahren bei der Bank, Schweizer, nahbar und unkompliziert, sollte nach den Tagen des dünkelhaften Thiam den Kulturwandel einläuten. Als er dann in der Corona-Krise tatsächlich auftrumpfte, etwa indem er massgeblich am Konzept für die Notkredite beteiligt war, sahen sich viele bestätigt. Im Juli 2020 trat der Banker gar in der volkstümlichen Sendung «Donnschtig-Jass» auf. Erstmals seit vielen Jahren legten die Grossbankenchefs in Image-Umfragen wieder zu.

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Was er nicht wusste: Tief im Innern seines Konzerns begannen sich gefährliche Entwicklungen zu manifestieren. Wie bei einem Kernkraftwerk, bei dem sich die Brennstäbe in der Reaktorkammer langsam zu erhitzen beginnen. Nun leuchten in einem solchen Fall allerlei rote Warnlämpchen auf dem Steuerungspult auf. Und so war es eigentlich auch bei der Credit Suisse. Nur dass bei der Bank die roten Lichter ignoriert wurden. Diesen Frühling brannten die Stäbe durch: Die Milliardenskandale um Greensill und Archegos poppten innerhalb weniger Wochen auf.

Bis dahin war Gottsteins Weg von Pannen verschont geblieben. Seit 1999 bei der CS, hatte er im Investmentbanking Karriere gemacht. Er konnte es gut mit Kunden und gelangte früh auf die Liste von High Potentials. Doch er lehnte immer wieder hochkarätige Aufstiegschancen ab. Etwa 2008, als die CS einen Chef für das Firmengeschäft suchte. Viele schüttelten den Kopf: Scheute er die Verantwortung? War ihm, dem Golfcrack, die Zeit auf dem Green wichtiger? Wollte er nicht weg vom Frontgeschäft? Er hatte den Ruf, dem grossen Karrieresprung aus dem Weg zu gehen.

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Thomas Gottstein beim Golfen

Thomas Gottstein gehört mit einem Handicap von 1.1 zu den besten Golfspielern der Schweiz.

Andreas Meier
Thomas Gottstein beim Golfen

Thomas Gottstein gehört mit einem Handicap von 1.1 zu den besten Golfspielern der Schweiz.

Andreas Meier

Das ging so bis 2015. Dann kam der Ivorer Thiam an die Spitze. Diesmal liess er sich doch überreden: Thiam machte ihn zum Chef der Schweizer Universalbank. Damit stand der Mann, der bisher jeweils nur eine Handvoll Personen geführt hatte, an der Spitze einer Organisation mit 16'000 Mitarbeitern. Für Gottstein war der neue Job mit der Erfahrung verbunden, dass die Übernahme von Verantwortung gar nicht so problematisch sein muss: Als Schweiz-Chef legte er eine solide Leistung hin.

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2020 folgte die Krönung, als ihn der damalige Präsident Urs Rohner als Ersatz für Thiam nominierte. Intern erzählte er einmal, dass er mit seiner Frau über den Entscheid gesprochen habe. Er werde mehr reisen müssen, viel weg sein, dessen müsse sie sich bewusst sein. Und er erinnerte sie auch daran, dass seine Vorgänger am Schluss gehen mussten. Damals gab es eigentlich keinen Grund zur Besorgnis. Und nun doch: Gottstein ist auf dem Tiefpunkt, die Presse prügelt heftig auf ihn ein.

Schwierige Monate

Wie geht er persönlich mit der jetzigen Krise um? «In meiner 30-jährigen Karriere waren die letzten drei Monate wahrscheinlich die schwierigsten», sagt er. Besonders getroffen hätten ihn die Rückschläge, weil vieles ja auch sehr gut laufe, sagt er und verweist auf die Underlying Numbers, die zugrunde liegenden Kennzahlen zur Performance im Geschäft: «Es ist auch viel gemacht worden in den vergangenen zwölf Monaten, worauf ich sehr stolz bin.» So zeige das adjustierte Ergebnis im ersten Quartal vor Steuern das zweithöchste in der 165-jährigen Geschichte der Bank und das höchste seit der Finanzkrise.

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Das eigentliche Geschäft läuft ja rund, so die Botschaft dahinter, Greensill und Archegos sind Unglücksfälle. Gute Freunde von Gottstein schildern denn auch einen Mann, der derzeit zwar sehr nachdenklich, aber nicht eigentlich zerknirscht wirke. Ein langjähriger Kollege, der ihn kürzlich im privaten Umfeld getroffen hat, glaubt, dass Gottstein den Kopf in den Sand steckt: «Ich habe den Eindruck, er verdrängt die Sache weitgehend.»

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Schon bald nach Bekanntwerden des Riesenverlustes bei Archegos wurden in der Presse Rufe nach einem Rücktritt laut. Er habe gute Gespräche sowohl mit Urs Rohner als auch mit António Horta-Osório gehabt und viel Support gespürt. «Ich habe mich dazu entschieden, ein Teil der Lösung zu sein.»

Man lerne in solchen Phasen viel, sagt er und verweist auf Reinhold Messner, über den er viel gelesen habe. Der Bergsteiger sei bekannt für die 8000er, die er bestiegen habe, aber er habe am meisten dort gelernt, wo er frühzeitig umkehren musste.

Bewährungsprobe

Die jetzigen Wochen sind die Bewährungsprobe als CEO, er darf sich keinen weiteren Fehler erlauben, sonst ist er weg. Ermutigen dürfte ihn, dass ihm Horta-Osório bei dessen Antrittsrede an der Generalversammlung demonstrativ den Rücken stärkte: «Thomas Gottstein hat das Vertrauen des Verwaltungsrats, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit ihm.»

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Entscheidend wird sein, was in den Untersuchungen zu den Fällen herauskommt. Nebst der CS hat auch die Finanzmarktaufsicht (Finma) Untersuchungen gestartet. Mit der bereits laufenden Untersuchung wegen der Beschattungsaffäre und neu mit Greensill und Archegos sind es derzeit drei Verfahren, die parallel laufen – eine aussergewöhnliche Konstellation. Finden die Regulatoren eine problematische E-Mail oder gar Hinweise, er sei seiner Gewährspflicht als CEO nicht nachgekommen, wird es eng für ihn. Auch die internen Untersuchungen dürften diesmal bissiger sein.

Als bei der Beschattungsaffäre die beauftragte Kanzlei im internen Bericht nicht mal merkte, dass mit Peter Goerke ein weiterer CS-Topmann beschattet wurde, sah das Ganze wie ein Gefälligkeitszeugnis aus. Die jetzt mandatierten Kanzleien dürften auf der Hut sein. Der Archegos-Bericht soll voraussichtlich um Mitte Juli herum vorliegen, der Greensill-Bericht laut Insidern wohl erst nach der Sommerpause. Doch auch ohne die Berichte lässt sich ein Bild des Debakels ausmachen. Und Gottstein muss sich die Frage stellen, ob er wirklich in jeder Phase «up to the job» war.

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Als er als CEO loslegte, arbeitete er zunächst das Pflichtenheft ab, das ein neuer Chef hat. Er lässt alle Direktuntergebenen antraben, fragt den Zustand der Divisionen ab, den Stand der Dinge in den Bereichen Legal und Finance und erkundigt sich dabei routinemässig auch nach möglichen Risiken. Es mag hie und da ein paar Issues geben, aber im Grossen und Ganzen sind sie gut unterwegs, so das Bild, das sich ihm zeigt. Männiglich fragt sich heute, ob er wohl genug hartnäckig nachgehakt habe.

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Aber es gibt natürlich auch eine Holschuld, und in Risikofragen ist sie besonders gross. Das gilt auch fürs Management. Mal unter diesem oder jenem Stein nachsehen wäre kaum unangebracht gewesen. Denn es hatte Vorboten gegeben. 2018 verlor die CS 60 Millionen Dollar bei einem riskanten Deal mit der Bekleidungsfirma Canada Goose, rund ein Jahr später waren es bereits 200 Millionen, die bachab gingen, diesmal mit dem Hedgefonds-Kunden Malachite Capital.

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Zur Risikochefin der Bank war im Frühling 2019 die gebürtige Australierin Lara Warner erkoren worden. Sie war ein Liebkind von Thiam, der sie 2015 zur Leiterin der Compliance-Abteilung gemacht hatte. Der Posten des Risikochefs ist eine der zentralen Funktionen bei einer Bank. Dass Warner, die ihre Karriere als Aktienanalystin bei Lehman Brothers startete, bei der CS 2002 einstieg und später Finanzchefin der Sparte Investmentbanking war, von der Aufgabe überfordert war, sollte sich erst später zeigen.

CS: Aktienkurs und Vertrauen
Bilanz
CS: Aktienkurs und Vertrauen
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Im Sommer 2020 fällte Gottstein einen Entscheid, der für Kopfschütteln sorgte: Er wertete Warner noch weiter auf. Er kombinierte die vorher getrennt agierenden Kontrollorgane Risk und Compliance und stellte sie unter die Führung von Warner. Grund sollen vor allem Kostenerwägungen gewesen sein, schliesslich verursachen die rückwärtigen Abteilungen Kosten von rund 500 Millionen im Jahr.

Parallel dazu war bei der CS in den letzten Jahren viel Know-how verloren gegangen, vor allem im Investmentbanking. Der Amerikaner Brady Dougan, der die CS von 2007 bis 2015 führte, war ein Investmentbanker durch und durch und hatte in New York eine verschworene Truppe von Cracks aufgebaut. Das geballte Know-how war mit ein Grund, dass die CS besser als andere durch die Finanzkrise von 2008/09 kam.

Thiam trat an, das in seinen Augen risikoreiche Investmentbanking zu redimensionieren, und trieb damit die besten Leute in die Flucht. So schlecht soll das Verhältnis zu den Investmentbankern gewesen sein, dass es der Ivorer mitunter vorgezogen haben soll, Gespräche im Hotel durchzuführen, weil er sich nicht in die New Yorker Zentrale traute. So agierte bald die B-Liga im Investmentbanking. Auch Spartenchef Brian Chin, der nach dem Archegos-Skandal gehen musste, galt in der Branche nie als Topmann.

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Naiv ins Messer gelaufen

Wie relevant derlei sein kann, zeigt sich im Fall von Archegos: Brachten amerikanische Banken wie Morgan Stanley unmittelbar nach dem Platzen des Skandals ihre Schäflein ins Trockene, agierte die CS lahm und naiv und blieb am Schluss mit dem Grossteil der Rechnung am Tisch sitzen. Auch hätte man gewarnt sein können:

Der Gründer des Hedgefonds, Bill Hwang aus Südkorea, war wegen Insidervergehen vorbestraft. Dennoch pumpte die CS ihn mit Kapital voll, um seine Aktiengeschäfte mit US-Aktien zu finanzieren. Zeitweise war die CS mit bis zu 20 Milliarden im Risiko.

Die drei Problemzonen der Credit Suisse

CEO Greensill Capital, London, UK - 15 May 2019
Lara Warner, Group Chief Risk Officer of Credit Suisse, speaks during the Milken Institute's 22nd annual Global Conference in Beverly Hills, California, U.S., April 29, 2019.  REUTERS/Mike Blake - RC1427988910
Antonio Horta-Osorio, chief executive officer of Lloyds Banking Group Plc, gestures while speaking during a Bloomberg Television interview in London, U.K., on Wednesday, May 8, 2019. Since taking over as Lloyds chief executive in 2011, Horta-Osorio has accumulated millions of pounds of the bank's shares. Photographer: Jason Alden/Bloomberg
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Problemzone 1: Die Milliardenverluste aufräumen

10,1 Milliarden an Kundengeldern hat die CS in die Lieferkettenfonds von Lex Greensill (im Bild) investiert. Die CS versucht, möglichst viel Geld zurückzubekommen, neu auch mit juristischen Forderungen an die involvierte Versicherung Tokio Marine und Investor Softbank. 5,4 Milliarden hat die CS beim Hedgefonds Archegos von Bill Hwang verloren. Dieses Geld muss endgültig abgeschrieben werden.

 

Dukas

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Ein Problem dabei war, dass die CS in Sachen Risikotools erstaunlicherweise nicht up to date war. Die CS agierte mit einem statischen statt einem dynamischen Modell, was beinhaltet, dass schnelle Veränderungen in der Marktsituation nicht unmittelbar in die Beurteilung des Risikos einfliessen.

In Sub-Komitees der CS waren die Probleme besprochen worden, doch man hatte die Situation unterschätzt. Die mit dem Geschäft betrauten Leute im Bereich Prime Brokerage hatten beschlossen, weiterzumachen und erst später auf das dynamische Modell umzusteigen. Am 29. März platzte der Skandal.

Zu verhindern gewesen wäre auch das Greensill-Debakel, das Ende Februar ans Licht kam. Der Skandal entwickelte sich im Bereich Asset Management. Die CS bot ihren Kunden Fonds an, deren Grundlage die Finanzierung von Lieferketten ist, basierend auf einem Konzept des australisch-britischen Bankers Lex Greensill.

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Doch die Assets im Fondskorb basierten zu einem grossen Teil auf ungesicherte Forderungen. Von den 10,1 Milliarden Dollar stehen derzeit 2,3 Milliarden auf der Kippe: 1,2 Milliarden basierend auf Forderungen an den britisch-indischen Stahlunternehmer Sanjeev Gupta, 700 Millionen an die Minengesellschaft Bluestone, 400 Millionen an den angeschlagenen Baudisruptor Katerra.

Thomas Gottstein mit Ehefrau Nadine

Thomas Gottstein (im Bild mit Gattin Nadine) gilt als nahbar und unkompliziert.

Joseph Khakshouri
Thomas Gottstein mit Ehefrau Nadine

Thomas Gottstein (im Bild mit Gattin Nadine) gilt als nahbar und unkompliziert.

Joseph Khakshouri

Auch hier leuchteten Warnsignale grell auf. Doch die Konzernleitung unter Gottstein reagierte nicht. Im Juni 2020 soll die Rohstoffhandelsfirma Trafigura laut «Financial Times» die CS explizit vor Greensill beziehungsweise dem Risiko mit Gupta gewarnt haben, aufgrund von eigenen schlechten Erfahrungen. Auch an anderen Stellen des Greensill-Reiches war Feuer und damit auch Rauch. So hatte die deutsche Bankenaufsicht 2020 bei der Greensill Bank in Bremen eine Untersuchung gestartet.

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Die CS aber hätschelte ihren Kunden weiter, umso mehr, als dieser auch seinen geplanten Börsengang mit der CS machen wollte. Immer wieder für Greensill ins Zeug legte sich auch Helman Sitohang, Asienchef und immer noch in der Konzernleitung, der sich wohl als «Senior Sponsor» verstand, als eine Art geschäftlicher Götti des Kunden. Im Herbst 2020 beglückte die CS Lex Greensill sogar noch mit einem Kredit von 140 Millionen Dollar. Die Risikomanager der CS in London hatten den Kredit abgelehnt, doch waren sie im Nachhinein von Chefin Lara Warner überstimmt worden. Anfang April wurde Warner geschasst, Sitohang aber ist immer noch da.

Geldgier vor Vorsicht

Gottstein muss sich weitere unangenehme Fragen gefallen lassen. Die Fonds stammen zwar aus der Zeit vor ihm als CEO, wuchsen unter ihm aber massiv weiter. So waren die Gelder von 9,1 Milliarden im Februar 2020 auf 7,5 Milliarden im Mai 2020 geschrumpft, doch die Asset Manager der CS gaben nach dem Corona-Dämpfer nochmals richtig Gas und pumpten weitere 2,6 Milliarden an Kundengeldern in die Fonds.

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Gewarnt hätte Gottstein auch in grundsätzlicher Hinsicht sein können. Schon seit Jahren besteht der Eindruck, die CS huldige einer Kultur, in der Geldgier vor Vorsicht geht. Das zeigte sich schon beim Fall Lescaudron 2015, als ein betrügerischer Anlagemanager der CS schaltete und waltete, wie er wollte.

Bestätigt wurde dieses Bild auch vom Bericht, den die Finma im Rahmen des Beschattungsskandals erstellen liess. Laut Insidern mit Kenntnis dieses Reports stehen bei der CS drei grundsätzliche Mängel im Vordergrund. Erstens: eine Firmenkultur, in der Erfolg vor Compliance kommt. Zweitens: ein Verwaltungsrat mit mangelhaften Checks and Balances und mangelnder Führungsstärke (ein Vorwurf vor allem an Urs Rohner, Präsident von 2011 bis 2021). Drittens: Bei der Bestimmung des Managements wird den eigentlich erforderlichen Fähigkeiten zu wenig Beachtung geschenkt.

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Rohner und Thiam, beide keine Banker (Rohner ist Anwalt, Thiam Versicherungsmann), seien von der Vorstellung ausgegangen, dass man jeden in jedem Job platzieren könne, «solange er einigermassen clever» sei, zitierte die «Financial Times» einen CS-Manager. Bei Lara Warner war das definitiv ein Fehler, aber vielleicht ist auch der Rucksack von Gottstein etwas leicht für die anspruchsvolle Aufgabe eines Grossbankenchefs.

Nicht nur, dass Gottstein für den Grossteil seiner Karriere nur eine Handvoll Leute geführt hat, er hat auch in strategischen Fragen wenig Erfahrung. Mit welchen Vorstellungen Thomas Gottstein an die Strategie-Retraite nach Bad Ragaz gereist ist, will er nicht verraten. Man gehe grundsätzlich offen ans Thema heran, alle Geschäftsfelder und Regionen stünden zur Disposition: «Wir halten uns alle Optionen offen.»

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In Analystenkreisen werden die Forderungen lauter, die CS müsse endlich den grossen Schritt wagen, das Investmentbanking über Board werfen, ja gar zurück zu den alten Tagen der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) gehen, zur Privatkunden– und Firmenbank wie einst. «Das Ausmass und die Akkumulation der Ereignisse könnten signifikante strategische Änderungen auslösen», so die UBS in einem Report.

«3,6 Milliarden Franken Gewinn statt 750 Millionen Verlust hätte das Ergebnis im 1. Quartal ohne die jüngsten Milliardenabschreiber betragen. »

Mahnend geben andere zu bedenken, das Kerngeschäft Private Banking könnte leiden, weil Kunden durch die Ereignisse bei Greensill und Archegos abgeschreckt werden. Doch aus dem Umfeld von Gottstein ist zu vernehmen, dass es wohl einmal mehr nur Retuschen sind, die angebracht werden sollen, etwa die Schrumpfung des Bereichs Prime Brokerage, in dem sich der Archegos-Skandal entwickelte, oder der Verkauf oder die Fusionierung des Asset Managements.

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Geprägt ist das vom Grundgedanken, den Gottstein gerne betont: Die Underlying Numbers zeigten ja, dass das Geschäftsmodell im Grunde funktioniert. Ob dies Horta-Osório, der von der britischen Lloyds kam, die er grundsätzlich neu (und erfolgreich) aufgestellt hat, auch so sieht, bleibt abzuwarten.

Mehr Risiko-Awareness

Was beide teilen, ist die Einschätzung, dass die Risikokultur der CS geändert werden muss. «Die wichtigste Botschaft ist: Jeder Mitarbeiter ist ein Risikomanager. Jeder Mitarbeiter der CS muss seine Entscheide so fällen, dass die Interessen nicht nur des Kunden, sondern auch der Bank richtig berücksichtigt werden», sagt Gottstein. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, dass alle Leute das verinnerlichten.

Risiko-Awareness sei etwas, das man jetzt noch speziell betonen müsse, nicht nur in der Konzernleitung, sondern auch in den Townhalls und in den Treffen mit den Leuten. «Wir müssen eine Kultur fördern, die die Bedeutung des Risikomanagements stärkt, die richtigen Anreize setzt, auch bei der Vergütung», so Horta-Osório in seiner Antrittsrede.

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Gottsteins Lohn wurde bereits von 8,5 Millionen auf den fixen Anteil von 2,9 Millionen gekürzt. Arbeit hat er deutlich mehr. Vor allem juristisch wird verstärkt gekämpft. Aus seinem Umfeld verlautet, bei Greensill könnte der Verlust vielleicht noch reduziert werden, im Zusammenhang mit Forderungen gegenüber der involvierten Versicherungsgesellschaft Tokio Marine, die mit der Kündigung des Versicherungsschutzes das ganze Greensill-Gebäude erst zum Einsturz gebracht hatte. Den involvierten japanischen Investor Softbank wiederum will man bei der Risikoposition Katerra in die Verantwortung nehmen. Bestenfalls würden als Ausfall dann noch 1 bis 1,5  Milliarden bleiben.

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Gottstein hofft, bald auch wieder mit positiven Meldungen aufwarten zu können. Wohl auch, um so etwas Druck von sich wegzunehmen. Die Zeit drängt: Die Investoren wollen dringend sehen, wohin die Reise geht, und Horta-Osório ist sich, anders als Rohner, auch des Supports der wichtigsten Grossaktionäre sicher.

David Herro von Harris Associates etwa ist auch Grossaktionär bei Lloyds und soll massgeblich dazu beigetragen haben, dass Horta-Osório bei der Credit Suisse zum Handkuss kam. Das gibt dem Neuen den Rückhalt, auch unangenehme Schnitte vorzunehmen. Dies sei auch nötig, denn die CS sei immer noch zu selbstgefällig, urteilen Bankenkenner – wer über Jahre mit schöner Regelmässigkeit einen Skandal nach dem anderen produziere, könne doch nicht einfach weitermachen wie bisher.

Der ungeduldige Horta-Osório dürfte seinem CEO tüchtig Feuer unter dem Hintern machen und glaubwürdige Lösungen fordern – gut möglich, dass Gottstein noch einmal seinen weniger machtvollen, dafür doch deutlich ruhigeren Tagen in den unteren Chargen der Bank nachtrauern wird.

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Erik Nolmans

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