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Female Quotient-CEO

«Wir brauchen einen obligatorischen Elternurlaub»

Die US-Unternehmerin Shelley Zalis will die Kluft zwischen den Geschlechtern am Arbeitsplatz schliessen. Davon können sie auch halbherzige Einladungen nicht abhalten.

sdf

kl

Shelley Zalis bringt die Equality Lounge an die SXSW Conference in Austin, das Cannes Lions Festival, ans WEF in Davos und an jede grosse Konferenz der Welt.

PD

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Nicht weit vom Kongresszentrum entfernt, auf halbem Weg zwischen Davos-Dorf und Davos-Platz, befindet sich an der Promenade die Equality Lounge. Seit sieben Jahren lädt die US-Unternehmerin und CEO von The Female Quotient, Shelley Zalis, während des Weltwirtschaftsforums (WEF) hierher ein. Auf dem Podium wird über die Förderung der Gleichstellung am Arbeitsplatz, die stärkere wirtschaftliche Befähigung von Frauen und die Zukunft der Arbeitswelt diskutiert, auf der Terrasse mit Blick auf die Alpen werden Kontakte geknüpft. Es ist ein einladender Raum, in dem jeder willkommen ist. Zalis’ zierliche Erscheinung täuscht nicht über ihre Energie und ihren starken Willen hinweg. Den Spitznamen «Chief Trouble Maker» trägt die 60-Jährige voller Stolz.

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Laut dem US-Portal «Politico» ist die Equality Lounge hier am WEF der Hotspot Nummer eins. Wie fing alles an?

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Vor sieben Jahren wurden wir zum ersten Mal ans WEF eingeladen, mit den Worten: «Wir würden uns freuen, wenn Sie kommen, aber Sie werden sich vielleicht nicht willkommen fühlen.» Mein Kopf sagte: Warum sollte ich zu einem Anlass gehen, an dem ich vielleicht nicht willkommen bin? Mein Herz sagte: Du musst gehen, um die Situation für die Frauen am WEF zu ändern.

Sie haben auf Ihr Herz gehört.

Das tue ich immer! Ich rief meine Freundin Jacki Kelley an, damals COO von Bloomberg, und fragte sie, ob sie mich nach Davos begleiten würde. Sie stimmte zu, und wir traten unter dem Namen «Girls’ Lounge» auf. Wir hängten ein kleines Schild an die Wand und einen Kronleuchter ins Fenster. Vor allem brachten wir aber viele Experten als Redner nach Davos, um über Gleichberechtigung und deren Bedeutung zu sprechen, darüber, warum mehr Frauen in Führungspositionen und mehr Frauen am WEF sein sollten. Am Ende des Forums war unsere Lounge brechend voll.

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Schöne neue Arbeitswelt

Shelley Zalis (60) ist Gründerin und CEO von The Female Quotient. Sie arbeitet mit Unternehmen zusammen, um die Gleichstellung am Arbeitsplatz zu fördern. Zudem veranstaltet sie die Equality Lounge, Pop-up-Events an grossen Konferenzen mit Panels rund um das Thema Gleichstellung in der Arbeitswelt. Zalis gründete die Online-Forschungsfirma OTX und war die erste weibliche Führungskraft, die zu den Top 25 der Forschungsbranche zählte.

Das hat Sie motiviert, im kommenden Jahr erneut anzutreten?

Im darauffolgenden Jahr verdoppelten wir unsere Räume. Im dritten Jahr war Jamie Dimon, CEO von J.P. Morgan, hier und sprach auf unserem Podium. Das war einer der wertvollsten Momente. Inzwischen haben wir uns auf zwei Stockwerken ausgebreitet. Wir sind die Anlaufstelle für Gleichstellung beim WEF geworden, zu dem Ort, an dem sich verantwortungsbewusste Führungskräfte treffen.

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Welches sind denn die derzeit grössten Baustellen für Frauen in der Arbeitswelt?

Die Pandemie hat zu einer grossen Kündigungswelle bei Frauen geführt. Viel mehr Frauen als Männer haben seit Ausbruch von Covid ihren Job aufgegeben, weil sie ausgebrannt sind. Die Betreuung von Kindern oder älteren Verwandten war schon immer eine Herausforderung, aber während der Pandemie haben zu viele Frauen in der Arbeitswelt einen Schritt zurück gemacht, um sich um die Familie zu kümmern.

Das klingt wie ein Dilemma, das sich kaum lösen lässt.

Die aktuelle Situation ist vor allem eine Chance für Veränderungen, eine Gelegenheit, die Regeln in der Berufswelt neu zu schreiben. Regeln, die vor über hundert Jahren von Männern geschrieben wurden, als es noch keine Frauen am Arbeitsplatz gab. Damals waren sie nicht falsch, heute schon.

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Was schlagen Sie konkret vor?

Die Flexibilität, im Homeoffice zu arbeiten – nicht als Wahlmöglichkeit, sondern als Standard –, ist für berufstätige Mütter eine grosse Chance. Die Arbeitswelt soll an die Lebensphasen angepasst werden. Wir sprechen uns zudem für eine 40-Stunden-Woche aus, in der es Zeitfenster gibt, die nicht verhandelbar sind. Beispielsweise für wertvolle Teamzeit, denn die soziale Interaktion am Arbeitsplatz ist von grösster Bedeutung.

««Viel mehr Frauen als Männer haben seit Ausbruch von Covid ihren Job aufgegeben, weil sie ausgebrannt sind.»»

Für wie wichtig erachten Sie die Option eines Vaterschaftsurlaubs?

Das Thema Betreuung muss völlig neu bewertet werden. Ein freiwilliger Vaterschaftsurlaub ist aber nicht die Lösung, denn Männer neigen dazu, ihn nicht in Anspruch zu nehmen. Wir brauchen also nicht Mutterschafts- oder Vaterschaftsurlaub, sondern einen obligatorischen Elternurlaub. Zudem sollen Arbeitgeber alle Mitarbeiter dazu ermutigen, ihn in Anspruch zu nehmen. So kann eine vorurteilsbehaftete Ungleichbehandlung beseitigt werden.

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Ungelöst ist auch der Missstand ungleicher Löhne zwischen Männern und Frauen.

Lohngleichheit ist ein grosses Thema. Frauen in den USA verdienen 80 Cent pro Dollar, den ein Mann verdient. Farbige Frauen 72 Cent und Südamerikanerinnen 64 Cent – das sind Fakten. Ich verstehe einfach nicht, was daran kompliziert sein soll. Es regt mich auf, dass immer von unbewusster Voreingenommenheit gesprochen wird. Sobald man es ausspricht, ist man sich der Vorurteile doch bewusst. Wenn man also ganz bewusst Lohnungleichheit erkennt, wenn man sieht, dass Frauen im mittleren Management verloren gehen, wenn man merkt, dass es keine Kultur der Zugehörigkeit gibt, dann hat man die Wahl: Man tut etwas, oder man tut nichts. Wenn ein Vorgesetzter also weiss, dass er Frauen weniger Lohn zahlt als Männern, dann soll er diese Lücke gefälligst schliessen.

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Viele Unternehmen käme dieser Schritt teuer zu stehen.

Ja, das stimmt natürlich. Marc Benioff, CEO von Salesforce, dem Pionier für Kundenmanagement-Software, hat alle Löhne angepasst. Das hat drei Millionen Dollar pro Jahr gekostet. Bei jeder neuen Firma, die er gekauft hat, musste er natürlich auch Lohngleichheit einführen. Aber es ist die richtige Entscheidung. Wir haben einen Rechner für Lohngleichheit entwickelt, den Advancing Equality Calculator, der unter anderem zeigt, welchen positiven Einfluss Lohngleichheit auf das BIP hätte.

Oft hört man das Argument: Wir hätten gerne mehr Frauen für Kaderpositionen oder den Verwaltungsrat, wir finden aber keine.

Schaut mal bei der Equality Lounge vorbei. Allein in den vergangenen Tagen hatten wir mehr als 70 Top-Expertinnen auf dem Podium. Hier finden Sie zu jedem Thema eine Expertin: Finanzen, Marketing, Medien, Architektur, Forschung, Technologie, Sport, und sogar eine Astronautin war hier. Also rufen Sie uns an, wir helfen Ihnen gerne.

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Mit Rich Lesser, Global Chair der Boston Consulting Group, gab es am WEF trotz ernster Themen auch viel zu lachen.

Amanda Nikolic
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Mit Rich Lesser, Global Chair der Boston Consulting Group, gab es am WEF trotz ernster Themen auch viel zu lachen.

Amanda Nikolic

Was steckt also hinter dieser Argumentation?

Es ist eine billige Ausrede. Jeder, der so argumentiert, sollte die gesamte Personalabteilung feuern. Es wird einfach nicht richtig gesucht, nämlich nur in einem winzigen Umkreis – meist dem eigenen. Hört also auf, nach Titeln zu suchen, sondern sucht nach Expertise. Wer weibliche Führungskräfte nur unter Konzernchefs sucht, wird nicht fündig – wir kennen all diese Zahlen.

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Wie haben Sie selbst die Arbeitswelt erlebt?

In der Unternehmenswelt war ich immer die einzige Frau, die einzige weibliche CEO in den Top 25 der Forschungsbranche oder in Verwaltungsräten. Ich hatte auch nie Frauen, die mich gefördert oder unterstützt hätten. Es gab keine Netzwerke und keine Vorbilder. Ich denke anders als Männer, ich folge meinem Herzen. Unternehmen habe ich mit nichtunternehmerischen Regeln geführt. Wahrscheinlich habe ich alle Regeln gebrochen, die man aus der Unternehmenswelt kennt. Im Jahr 2000 gründete ich OTX (Online Testing Exchange), die schon bald eine der grössten und am schnellsten wachsenden Online-Researchfirmen der Welt wurde. 2010 verkaufte ich OTX an Ipsos. Damals hatte ich 250 Angestellte und wegen unserer ganz besonderen Firmenkultur fast keine Fluktuation.

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Was war so speziell an der Firmenkultur bei OTX?

Ich sagte jedem Mitarbeiter: Verpass nicht den Geburtstag deines Kindes, verpass nicht den Hochzeitstag deiner Eltern, geh an ein Date – denn du wirst nicht heiraten, wenn du pensioniert bist. Verpass nicht die wichtigen Dinge in deinem Leben. Und bring diese Leidenschaft mit in den Job. Genau darum ging es immer bei mir, und ich hatte sehr zufriedene Mitarbeiter. Das Ergebnis war, dass sie geblieben sind.

Wie ging es nach dem Verkauf von OTX an Ipsos weiter?

Ich war dann eine der wenigen Frauen im Verwaltungsrat dieser börsenkotierten Firma. Eines Tages wurde an einer VR-Sitzung über meine Mitarbeiter wie über Schachfiguren gesprochen, woraufhin ich mitten in der Sitzung anfing zu weinen. Später wurde ich zur Seite genommen und ermahnt, dass dies kein Ort für Emotionen sei. Nun hatte ich zwei Möglichkeiten: dem zuzustimmen oder das zu tun, was ich am nächsten Tag tat. Ich hielt eine Rede vor Tausenden Zuschauern mit dem Titel «Mehr Emotionen in der Vorstandsetage!».

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An diesem Tag war dann auch die Idee für The Female Quotient geboren?

Fünf Jahre später beschloss ich, das zu etablieren, was ich mir selber während meiner Karriere gewünscht hätte, und gründete die Girls’ Lounge, um andere Frauen zu fördern, zu unterstützen und ihnen ein Netzwerk zur Verfügung zu stellen. Aus der Girls’ Lounge wurde die Equality Lounge unter den Fittichen von The Female Quotient. Wir sind heute die grösste Gemeinschaft von Frauen in der Arbeitswelt mit mehr als 600 000 berufstätigen Frauen aus fast allen Branchen auf der ganzen Welt.

Was treibt Sie trotz all der Hürden jeden Tag an?

Schauen Sie sich doch um. Wenn Frauen zu mir kommen und sagen, dass unser Engagement ihr Leben verändert habe, treibt mich das in jedem Moment an, und ich werde niemals aufhören. Unsere Lounge wird immer grösser. Es kommen immer mehr Gäste und Unternehmen zu uns, um uns zu unterstützen. Ich meine damit nicht nur die finanzielle Unterstützung, sondern Auftritte auf dem Podium, das Teilen von Ansichten und Perspektiven. Ich ziehe mehr Wert daraus, hier zu sein, als ich es mir jemals hätte vorstellen können.

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Was sind Ihre nächsten Schritte?

Jede Equality Lounge, die wir live durchführen, wird neu auch im Metaverse abgehalten. Wir sind auch der offizielle Gleichstellungspartner von Decentraland, der 3-D-Plattform für virtuelle Realität. So wollen wir sicherstellen, dass unsere Community auch im Web 3 gut ausgebildet ist, dass Frauen bei diesem wichtigen Zukunftsthema Pionierinnen sind und sich dort wohlfühlen. Gleichzeitig wollen wir ganz vorne dabei sein, wenn die Regeln für das Web 3 geschrieben werden. Wir müssen verhindern, dass dies der nächste Boys’ Club wird.

Über die Autoren
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Anne-Barbara Luft

Anne-Barbara Luft

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