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Luftfahrt

Swiss-Chef Dieter Vranckx ist doppelt gefordert: mehr Rendite, mehr fürs Personal

Streit um den Mietflieger Air Baltic, die neuen Finanzziele und den Piloten-GAV: Wie es bei der Swiss nun weitergeht.

Dirk Ruschmann

Dirk Ruschmann

Swiss International Air Lines CEO Dieter Vranckx arrives to a press conference announcing the airlines's 2021 full year results in Zurich Kloten, Switzerland, on Thursday. March 3, 2022. (KEYSTONE/Michael Buholzer)

WIEDER IM HÖHENFLUG Die Swiss um CEO Dieter Vranckx hat im ersten Halbjahr Gewinne erzielt, eine Ausnahme im Airlinegeschäft.

Keystone

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Die Lage ist ernst. Zwei Entwürfe für einen neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Swiss-Piloten lagen bereits vor: Den ersten lehnte das Management der Airline im Februar ab, den zweiten im Juli das Pilotenkorps, nachdem deren Gewerkschaft Aeropers das Verhandlungsergebnis mit «unter ungebührend hohem Druck abgepressten Zugeständnissen» erfolglos hatte nachbessern wollen. Seit April arbeiten die Piloten ohne gültigen Vertrag, nach den bisherigen Konditionen.

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Am 5. August übergab Aeropers einen «Letter to the CEO» an Swiss-Chef Dieter Vranckx – auf ihn setzen die Piloten ihre Hoffnung. Er gilt ihnen als lösungsorientiert und offen für ihre Anliegen, wenn sie ihn persönlich ansprechen. Vranckx sitzt jedoch nicht in der Verhandlungsdelegation – Weggefährten des CEO vermuten, dass er sich bewusst zurückhalte und sich gar nicht erst in GAV-Details vertiefe. Ihre direkten Gesprächspartner verorten die Piloten dagegen eher in der Hardliner-Fraktion, über direkte Drähte mit den Topmanagern der Konzernmutter Lufthansa verbunden. Dort haben sich der Chef der Tochterfluglinien, Harry Hohmeister, und Oberboss Carsten Spohr zu Lieblings feinden der deutschen Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit hochgearbeitet, deren ziemlich schusssicheren Kranich-GAV sie mit günstigeren Tochterairlines auszuhöhlen trachten.

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Immerhin: So schlecht wie in Frankfurt, wo der Tarifstreit bisweilen ins Gehässige abdriftet und Piloten ihre Fluggäste mit «Warnstreiks» belästigen, ist die Stimmung in Kloten nicht. Im Brief an Vranckx, von 955 der 1150 Piloten unterzeichnet, der BILANZ im Wortlaut vorliegt, heisst es unter Hinweis auf «über zwei Jahre belastender Unsicherheit» zwar: Es könne «nicht weiter angehen, dass unter dem Deckmantel von Krisen die Perspektiven des Pilotenkorps übertriebenen Profitvorstellungen zum Opfer fallen». Doch deshalb den Flugbetrieb lahmlegen? Pilot und Aeropers-Vorstand Thomas Steffen droht zwar, die Swiss müsse «endlich die Zeichen der Zeit erkennen», ansonsten müssten die Piloten eben «der Geschäftsleitung noch deutlicher zeigen, wie unzufrieden sie sind». Aber «wir wollen nicht, dass die Passagiere von dem internen Konflikt beeinträchtigt werden», beteuert Steffen: «Wir wollen nicht streiken.»

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Die geringe Eskalationsneigung der Parteien darf aber nicht über die grundsätzliche Bedeutung dieser GAV-Gespräche hinwegtäuschen: Hier läuft keine der üblichen Tarifverhandlungen, sondern ein Richtungsstreit. Die Swiss will nun die Weichen langfristig stellen für die Post-Covid-Zeit: Die Reiselust ist zurück, die Businessklassen sind voll, die Billigflieger längst wieder in Position. «Ich denke, das Management braucht grundsätzlich eine wettbewerbs fähige Kostenstruktur», sagt der Luftfahrtberater Björn Maul von Elevate Advisory, «und Personalkosten machen im Airlinegeschäft nun einmal einen signifikanten Anteil der Kosten aus»; im Normalbetrieb ein Fünftel bis ein Drittel. Ähnlich programmatisch, jedoch mit anderem Schwerpunkt klingt es bei Gewerkschafter Steffen: Die Gesellschaft habe sich weiterentwickelt, etwa punkto Zeitbudget für Kinderbetreuung, also «muss der neue GAV ein Zukunfts-GAV sein».

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Swiss-CEO Dieter Vranckx, sein Operationschef Oliver Buchhofer und Thomas Steffen, Airbus-Pilot und Gewerkschafter

DIE GAV-STREITHÄHNE Swiss-CEO Dieter Vranckx, sein Operationschef Oliver Buchhofer und Thomas Steffen, Airbus-Pilot und Gewerkschafter (v.l.).

Thomas Meier, ZVG
Swiss-CEO Dieter Vranckx, sein Operationschef Oliver Buchhofer und Thomas Steffen, Airbus-Pilot und Gewerkschafter

DIE GAV-STREITHÄHNE Swiss-CEO Dieter Vranckx, sein Operationschef Oliver Buchhofer und Thomas Steffen, Airbus-Pilot und Gewerkschafter (v.l.).

Thomas Meier, ZVG

Noch ein gutes Zeichen: Anders als die Kabinencrew scheinen die Piloten bisher keine «MHP» erkoren zu haben. Die Flugbegleiter, erzählt einer, hätten in einem Anfall von Galgenhumor zwei «most hated persons» ernannt, die sie für Betriebsstörungen und mangelnde Wertschätzung verantwortlich halten (Spoiler: Es ist keine in diesem Text genannte Person). Die Kabine ächzt unter Personalmangel, ausgelöst durch Frühpensionierungen und 330 Entlassungen, alle getrieben durch den Corona-Stillstand, als sich die Personalkosten auf 70 bis 80 Prozent türmten.

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Den Flugbegleitern stösst zudem sauer auf, dass ihre Pendants bei Air Baltic, die bald im Auftrag der Swiss verkehren wird, mit rund 900 Euro in den Job einsteigen; bei Swiss sind es (auch nicht üppige) 3400 Franken. Hier steht, wie bei den Piloten, der Vorwurf «Lohndumping» im Raum: Steigt man bei der Swiss mit rund 6500 Franken Basissalär als Co-Pilot ein, sind es bei Air Baltic 1650 Euro, und ein junger Kapitän verdient dort kaum mehr als eine frischgebackene Flugbegleiterin der Swiss.

Billige Balten

Air Baltic brach durch den Ukraine-Krieg ein wichtiger Markt weg, die Leasingraten für Swiss dürften rekordtief ausfallen. Dass man die Balten als boshaften Fingerzeig in Richtung eigenes Personal engagiert habe, wie günstig Fliegerei zu betreiben ist, halten aber selbst Swiss-Mitarbeiter für unwahrscheinlich – sie sehen als Ursache vielmehr Planungsmängel und den daraus folgenden Zwang, schnell Löcher zu stopfen. Selbst Helvetic Airways, die mit sechs Maschinen für Swiss unterwegs ist, sieht sich nicht bedrängt: CEO Tobias Pogorevc betont, seine Embraer-Flieger bedienten mit ihrer geringeren Zahl an Sitzen ein anderes Segment, «insofern ist da keine direkte Konkurrenz».

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Die billigen Balten helfen Vranckx, sein neues Hauptziel zu erreichen: zwölf Prozent durchschnittliche Rendite auf Stufe Ebit, nachdem seit 2011 acht Prozent die Messlatte waren. Damit will Swiss dauerhaft ihre Handlungsfreiheit im Konzern behalten, stets neuestes Fluggerät beschaffen und ihre neuen Umweltprojekte, etwa synthetischen Sprit, finanzieren. Zum Entsetzen der Piloten sollen mit dem höheren Margenziel auch ihre Bonusschwellen steigen; ein Ziel, das sie für kaum erreichbar halten, die Swiss-Bosse aber sehr wohl. Von hohen Renditen, die Wachstum finanzieren, heisst es, hätten schliesslich auch die Piloten etwas. In der Tat kann ein Swiss-Pilot in elf bis zwölf Jahren den vierten Streifen eines Flugkapitäns erreichen, vor der Pandemie waren es teilweise sogar weniger als zehn; diese Beförderungen gehen mit massiven Lohnsprüngen einher. Bei Schwester Lufthansa Passage dauert es nahezu doppelt so lange.

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Air-Baltic-CEO Martin Gauss

EIN MANN IN DER KABINE Air-Baltic-CEO Martin Gauss kann mit dem Swiss-Deal seine unterbeschäftigte Flotte auslasten.

Iveta Gabaliņa für Bilanz
Air-Baltic-CEO Martin Gauss

EIN MANN IN DER KABINE Air-Baltic-CEO Martin Gauss kann mit dem Swiss-Deal seine unterbeschäftigte Flotte auslasten.

Iveta Gabaliņa für Bilanz

Die Unterstellung, Hohmeister würde die GAV-Gespräche aus Frankfurt fernsteuern, erklären Insider für «Quatsch»: Das Zwölf-Prozent-Ziel stamme explizit von Vranckx, und bei GAV-Themen, sagt ein Swiss-Verhandler, habe Frankfurt «keine Mitsprache». Natürlich würden Strategien und Grossprojekte mit der Zentrale abgestimmt, aber solange Vranckx liefert, ist die Leine länger als lang, und diese Freiheiten will er behalten: Wenn British-Airways-Mutter IAG, Ryanair oder diverse US-Airlines vor der Pandemie verlässlich zwölf Prozent schafften, müsse der Swiss das auch gelingen – zumal man nicht nur an Kosten schrauben, sondern auch auf der Einnahmenseite Potenzial heben wolle. «Zwölf ist die neue Acht»; den Slogan können Swiss-Kader heute im Schlaf singen.

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Einigermassen kuriose Begleiterscheinung der GAV-Gespräche: Beide Seiten betonen, es gehe ihnen vor allem um Arbeitszeit- und Einsatzmodelle und weniger ums Geld – alle erkennbaren Streitpunkte betreffen jedoch Saläre und Boni.

Umfangreiche Pakete

Aus der Swiss heisst es, die Basis-Salärtabelle sei nicht per se das Problem. Ein Blick ins Vertragswerk zeigt, dass Piloten der höchsten Stufe bereits ohne lukrative Zusatzämter wie etwa Flottenchef ein Basisgehalt von rund 211'000 Franken beziehen. Inklusive variabler Lohnbestandteile, des umstrittenen, Ebit-abhängigen Bonus und der kompletten Finanzierung der Pensionskasse durch die Firma, die fast ein Drittel des Basissalärs ausmacht, kann das Paket in halbwegs guten Jahren 300'000 Franken umfassen – etwa im Alter von 50 lässt sich diese Stufe erreichen. Nicht umsonst sollen unter den 100 bestverdienenden Swiss-Mitarbeitern 85 Piloten sein.

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Doch Oliver Buchhofer, Leiter des Flugbetriebs der Swiss, setzt andere Schwerpunkte: «Was wir brauchen, ist mehr unternehmerische Flexibilität»; gemeint sei die Chance, schnell auf «Opportunitäten» reagieren zu können. Worum es bei dieser recht nebulösen Forderung geht, lässt sich zumindest teilweise an der Ausschöpfung der Arbeitskraft illustrieren: 900 Stunden pro Jahr darf ein Swiss-Pilot fliegen, erreicht aber auf der Langstreckenflotte im Schnitt nicht mehr als 650 Stunden, auf der Kurzstrecke sogar nur 590 – auch eine Folge des komplexen Drehkreuz-Netzwerks der Swiss, also selbst verursacht. Dennoch liegt hier viel Produktivität des teuren Humankapitals brach. Und Aeropers-Mann Steffen fordert, die Piloten wollten endlich mehr Planbarkeit für ihr Privatleben, etwa dass Dienstpläne auch nach Krankheitstagen stabil bleiben: «Es kann nicht sein, dass die Swiss weiterhin die ganze Flexibilität für sich beansprucht.»

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Lufthansa-Gruppen-CEO Carsten Spohr (l.) und sein Chef der Konzernairlines, Harry Hohmeister.

DIE ZWEI VON DER ZENTRALE Lufthansa-Gruppen-CEO Carsten Spohr (l.) und sein Chef der Konzernairlines, Harry Hohmeister.

imago/Sven Simon / picture alliance/dpa
Lufthansa-Gruppen-CEO Carsten Spohr (l.) und sein Chef der Konzernairlines, Harry Hohmeister.

DIE ZWEI VON DER ZENTRALE Lufthansa-Gruppen-CEO Carsten Spohr (l.) und sein Chef der Konzernairlines, Harry Hohmeister.

imago/Sven Simon / picture alliance/dpa

Über dem Ganzen schwebt eine Grundsatzfrage: Wie viel sind der Airline ihre Piloten wert, die auf lebenslange und dank stetiger Salärzuwächse lukrative Treue zum Arbeitgeber setzen – und sich damit von dessen finanzieller (Im-)Potenz abhängig machen? Was Aeropers und Swiss letztlich aushandeln, könnte punkto Arbeitsmodellen zukunftsweisend für den Konzern werden – und wird ein Gradmesser für die Glaubwürdigkeit der Aussagen, wonach Geld eine untergeordnete Rolle spiele.

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Dass jedenfalls die Perspektiven stimmen, sei auch Vranckx und seinen unpopulären Entscheiden bis hin zu Entlassungen zu verdanken: «Die Swiss hat früh und einschneidend auf die Krise reagiert, deshalb kommt sie nun auch gut aus der Krise heraus», bilanziert Berater Maul – im Gegensatz zu ihren Lufthansa-Schwestern hat Swiss als einzige im ersten Halbjahr Gewinn erzielt, steht auch im Konkurrenzvergleich bestens da. Das schafft Spielräume.

Ein Beobachter geht davon aus, dass die Tarifparteien noch eine Runde drehen und sich dann einigen. Aeropers-Pilot Steffen spricht von einem «ausgewogenen» Abschluss, den man «zügig» erreichen wolle, Swiss-Mann Buchhofer von einem «gutschweizerischen sozialpartnerschaftlichen Kompromiss», den die Airline anstrebe. Die nächste Gesprächsrunde steht im September an. Die Lage ist also ernst, aber nicht hoffnungslos. Denn Geld spielt ja hoffentlich nur eine Nebenrolle.

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