Guten Tag,
Der Chairman des Logistikkonzerns Kühne+Nagel über den USA-China-Konflikt, den Aufstieg in den SMI – und seine Fähigkeit, Menschen zu lesen.
Dirk Ruschmann
Jörg Wolle galt in seiner Zeit als CEO der DKSH als Vielarbeiter. Wochenlang reiste er durch Asien.
Paolo Dutto für BILANZWerbung
Neu in den SMI aufgestiegen, dunkle Wolken über dem Freihandel infolge zunehmender Spannungen zwischen USA und China, dazu der Ukraine-Krieg: Jörg Wolle hat als Chairman des Logistikmultis Kühne+Nagel jede Menge Themen auf dem Pult. Man merkt es ihm nicht an: Entspannt erscheint er zum Interview im Zürcher Medienpark, wo BILANZ sitzt, wie immer sitzen Hemd und Anzug perfekt.
Ich bin eigentlich sehr zufrieden mit unseren Ergebnissen. Wir hatten eine zweieinhalb Jahre dauernde Sonderkonjunktur infolge Covid, zuvorderst die Reedereien. Wenn wir uns nun vergleichen mit 2019, dem letzten Jahr vor Covid: Da hatten wir eine Milliarde Franken operativen Gewinn, das haben wir nun bereits im ersten Halbjahr übertroffen.
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Wir haben nicht nur Lösungen für die Pandemiezeit entwickelt, sondern auch intern viele Hausaufgaben gemacht. Wir sind effizienter geworden und haben zugleich weiter investiert. In Know-how, in IT, in Menschen, in weiteren Auf- und Ausbau.
Absolut. Ein Beispiel, vom Verwaltungsrat strategisch initiiert, ist die Weiterentwicklung der Kontraktlogistik. Wir setzen heute speziell auf hochmargige, passgenaue Zusatzdienstleistungen, hauptsächlich für E-Commerce und Healthcare. Viele einfache Geschäfte, die andere auch erledigen können, haben wir aufgegeben. Das hat uns zwei Jahre gekostet, aber heute ist das eine sehr ansehnliche Sparte. Wir setzen auf Profitabilität durch anspruchsvolle Gesamtlösungen. Das Gleiche gilt für Seefracht und Luftfracht.
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Jörg Wolle gilt als einer der internationalsten Manager der Schweiz. Der 66-Jährige, 1988 aus der DDR geflüchtet, machte ab 1991 das Handelshaus DKSH gross und führte es an die Börse, 2019 schied er als Chairman aus. Seit 2016 präsidiert er den Verwaltungsrat beim Logistiker Kühne+Nagel. Daneben ist er VRP beim Maschinenbauer Klingelnberg. Er sass zudem in den VRs von UBS und Louis-Dreyfus. Der promovierte Ingenieur besuchte Executive-Programme in Stanford und am IMD Lausanne.
Eher eine strategische Entscheidung aus unternehmerischer Sicht. Während der Pandemie ging es darum, dass Waren überhaupt den Kunden erreichen. Heute gilt: Wir wollen der Servicepartner sein, der am nächsten beim Kunden ist, ihn am besten versteht. Denn den interessiert heute nicht mehr in erster Linie der Preis der Logistik-Dienstleistung, sondern dass er eine nachhaltige Lieferkette hat, die nicht reissen kann und die auch komplexe Anforderungen bewältigt. Deshalb entwickeln wir uns von einem reinen Outsourcing-Business – also bring mir ein Produkt von A nach B – zum strategischen Begleiter. Wir werden heute frühzeitig in Expansionsüberlegungen unserer Kunden einbezogen, teilen unsere Erfahrungen mit ihnen und helfen, zum Beispiel neben China weitere Lieferanten aufzubauen, sei es in Vietnam, Thailand oder Mexico.
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Ich hoffe sehr, dass unsere Kunden das so sehen. Damals haben wir genau solche Dinge gestaltet – mit dem strategischen Ziel, vom Outsourcing-Partner zum unverzichtbaren Bestandteil der Wertschöpfungskette zu werden. Das sieht auch unsere neue Roadmap bei Kühne+Nagel so vor: Wir wollen der Logistiker sein, der das meiste Vertrauen geniesst, der als Berater und strategischer Begleiter fungiert.
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Den «Spiegel» lese ich sonst selten, aber dieses Interview habe ich komplett gelesen. Insgesamt, vor allem in deutschen Medien, liest man derzeit ständig, China stehe am Abgrund. Es ist jetzt 35 Jahre her, dass ich das erste Mal geschäftlich in China war. In dieser Zeit habe ich dutzendfach von harten, weichen oder gar keinen Landungen gelesen.
Fakt ist: Auch dieses Jahr wird China nach konservativen Schätzungen wachsen, um rund fünf Prozent. Fünf Prozent Wachstum auf dieser enormen Basis bedeuten, dass in einem Jahr das Äquivalent des gesamten Schweizer Bruttoinlandprodukts hinzukommt. Also, China ist von einer Krise weit entfernt. Es gibt Lärm um das chinesisch-amerikanische Verhältnis, ja. Aber ich setze Dinge gerne in Relationen und bilde mir meine Meinung auf Basis von Fakten.
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2020 haben die USA Waren aus China im Wert von 432 Milliarden Dollar importiert. 2021, als das Getöse lauter wurde, 505 Milliarden und 2022 537 Milliarden. Das ist ein gewaltiges Wachstum. Wo ist hier das Indiz für einen Handelskrieg? Für mich heisst das: Vieles ist heisse Luft, und die Fakten sprechen eine andere Sprache.
Jörg Wolle gilt als einer der bestgekleideten Manager. Den Realitätscheck besteht er problemlos.
Paolo Dutto für BILANZJörg Wolle gilt als einer der bestgekleideten Manager. Den Realitätscheck besteht er problemlos.
Paolo Dutto für BILANZKlar, China hat eine veritable Immobilienkrise, aber eine solche haben die USA auch alle paar Jahre, die wurden immer überwunden. Ich bin ganz klar der Meinung, dass man den weltweit zweitgrössten Markt weder verdammen sollte noch davon fernbleiben kann.
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Also: Wir haben bis heute keine Anzeichen, dass ausländische Firmen China verlassen. Aber für Fälle, in denen es zum Beispiel aus geopolitischen Gründen, wegen einer Pandemie oder Naturkatastrophen erforderlich wird, bauen eben unsere Kunden einen zweiten oder dritten Lieferanten auf. Das ist nachvollziehbar und klug. Für uns ist das gut – da haben wir nicht nur einen Handelsweg zu betreuen, sondern zwei oder drei.
Gerne stehen wir beim Aufbau solcher Beziehungen mit Rat und Tat zur Seite. Kühne+Nagel als innovativer Logistiker lebt von Komplexität. Je komplexer eine Lage ist und je mehr wir zur Lösung beitragen können, desto besser für uns.
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Erstens: Nein. Und zweitens: Darüber wird mehr geredet, als wirklich passiert. Wir glauben nicht, dass der amerikanische Konsument für ein T-Shirt, das ihn heute drei Dollar kostet, in Zukunft 25 Dollar zahlt, nur weil es zu Hause hergestellt wurde. Einige Produzenten mit geostrategischer Relevanz wie jene von Halbleitern, klar, die will man näher bei sich haben. Aber die werden nicht umgesiedelt, sondern bei uns neu aufgebaut. Wir sehen grundsätzlich weniger Re-Shoring, sondern eher Second Sourcing oder Sure Sourcing: den Aufbau einer zweiten Quelle, falls die erste ausfällt. Wir sind nicht besorgt.
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Wir sind sofort aus Russland ausgestiegen, das war nur eine kurze Abstimmung in unserem Unternehmen. Allerdings umfasste das auch nur rund ein Prozent des Umsatzes, denn wo Russland stark ist, bei Rohstoffen, sind wir nicht vertreten. In der Ukraine sind wir nach wie vor aktiv.
Nein. Ich bin realistisch-optimistisch.
★ Massanzüge oder von der Stange? Bei meiner Grösse kann ich nichts von der Stange kaufen. Da bleibt leider keine Wahl.
★ «Barbie» oder «Oppenheimer»? Beide nicht. Zuletzt habe ich «The Gentlemen» von Guy Ritchie gesehen. Der war gut.
★ «James Bond» oder «Mission Impossible»? Bond.
★ «Star Wars» oder «Star Trek»? Kenne ich beide nicht. Da bleibe ich lieber bei 007.
★ Hardrock oder Klassik? Klassische Musik.
★ Dann Beethoven oder Brahms? Beethoven.
★ Business oder First Class? Privat First, fürs Business meist Business.
★ Dollar oder Euro? Schweizer Franken.
★ Scholz oder Merkel? Niemanden von beiden. Wenn Politiker, dann die Führungsspitze von Singapur.
★ Herrliberg oder Schindellegi? Beide. Auch als Wohnort.
★ Rolex oder Patek? Dazu kann ich nichts sagen. Ich habe hier eine Audemars am Handgelenk.
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Bei Hapag-Lloyd war es ja so, dass Herr Kühne ein Konsortium geschmiedet hat, um die Reederei in Hamburg zu halten und einen Verkauf ins Ausland zu verhindern; da hat ihm seine Heimatstadt einiges zu verdanken. Hapag-Lloyd hatte einige schwierige Jahre – das war nicht immer eine Freude, aber nun steht das Unternehmen blendend da. Wir arbeiten gerne mit Hapag-Lloyd zusammen, aber auch mit allen anderen.
Herr Kühne ist sehr Logistik-affin, wir haben in der Kühne Holding dazu verschiedene Investments getätigt – weil er persönlich sehr eng in die Sachen involviert ist und unternehmerische Investments entwickeln möchte, keine schlichten Geldanlagen. Das gilt auch für die Lufthansa.
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Nein. Sondern um Investments in einem Bereich, den man selbst schon gut kennt. Und es ist ja für ihn auch eine erfolgreiche und sympathische Investition.
Wir haben uns gefreut, aber das wird von uns auch nicht überbewertet. Es ist sicher eine schöne Auszeichnung für Kühne+ Nagel. Wir sind ja seit einigen Jahren Teil der Fortune Global 500, und wir sind die Nummer 45 der weltweit grössten Familienunternehmen. Bei uns in der Schweiz gibt es davon nur noch zwei andere: Roche und Richemont. Sicher sind unsere Mitarbeiter auch stolz auf die SMI-Mitgliedschaft. Für mich ist aber vor allem wichtig, dass damit die Logistik in der Schweiz stärkere Beachtung findet. Logistik ist heute systemrelevant. Kommen die Lebensmittel nicht mehr in die Läden, die Arzneimittel nicht ins Spital oder die Chips nicht zum Maschinenbauer, wird es kritisch. Wir erleben heute, wie sich deshalb viele talentierte junge Leute für die Logistik begeistern.
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Absolut. DSV macht das bisher sehr gut, Chapeau! Aber das ist nicht unsere Kultur. Wir sind auf organisches Wachsen fokussiert. Und wir haben auch keine Verschuldung, DSV ist ja hoch geleveraged, damit muss man schlafen können. Unser Weg ist ein anderer – und er ist erfolgreich.
Wir stellen uns die Frage: Wo müssen wir stärken wachsen, als wir es aus eigener Kraft können? Und dann müssen der Preis und der strategische Fit stimmen. Asien war so ein Thema.
In gewisser Weise, ja. Wir haben gesagt: Dort müssen wir unsere Marktrelevanz erhöhen, nicht nur bei den Exporten in andere Weltregionen, sondern vor allem im innerasiatischen Warenverkehr, das war eine Schwachstelle. Dann bot sich die Chance, eine geeignete Firma mit einem Partner zu übernehmen. Und kürzlich die Firma Morgan Cargo in Südafrika. Damit sind wir nun auch in der Luftfracht klar die Nummer eins. Das an sich ist kein Selbstzweck. Aber als Marktführer hat man oft die beste Verhandlungsposition.
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Ja, mit grossem Abstand. Nun sind wir auch in der Luft vorne. Noch etwas zum Thema Kultur.
Wir übernehmen nur Firmen, die wirklich zu uns passen. Meistens sind das, wie Morgan Cargo, privat gehaltene Unternehmen, die ein Nachfolgethema haben oder an die Grenzen des Wachstums kommen, das sie finanzieren können. Und dann studieren wir ganz genau, ob die Firma punkto Kultur zu uns passt. Denn was man übernimmt, sind Netzwerke und das Know-how von Menschen. Wenn die nicht bleiben, ist die Akquisition nicht viel wert.
Tatsächlich? Also, wir duzen uns schon lange, das kann ich bestätigen. Er ist mir ein grosses unternehmerisches Vorbild.
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Mich haben immer Menschen interessiert. Auf die bin ich wahnsinnig neugierig. Wenn Sie erfolgreich sein wollen als Führungskraft, müssen Sie nicht blind vertrauen, aber prinzipiell Menschen mögen. Was mich auch immer interessiert hat, ist: Unternehmenswerte entdecken. Ich denke, ich konnte in Firmen Werte entdecken, die andere so nicht gesehen haben. Und dann eine Truppe von Gleichgesinnten zusammengestellt, um diese Werte zu heben. Ich wäre vermutlich kein guter Start-up-Unternehmer, ich arbeite lieber mit etwas Vorhandenem und realisiere dessen Potenziale oder entwickle neue. Es hilft zu wissen, was man kann und was man nicht kann. Und wenn Sie nach einem Erfolgsrezept fragen …
Ich habe mein Geschäft immer sehr ernst genommen und hart gearbeitet. Mich selber nehme ich dafür nicht ganz so ernst (lacht). Das kreiert, denke ich, eine gute Basis für Zusammenarbeit. Und ganz wichtig ist das Thema «Stay hungry, even when the fridge is full».
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Jörg Wolle galt in seiner Zeit als CEO der DKSH als Vielarbeiter. Wochenlang reiste er durch Asien.
Paolo Dutto für BILANZJörg Wolle galt in seiner Zeit als CEO der DKSH als Vielarbeiter. Wochenlang reiste er durch Asien.
Paolo Dutto für BILANZGenau. Aber man muss es später auch bleiben! Der grösste Feind des Unternehmers ist Selbstzufriedenheit, Complacency. Das ist etwas Furchtbares, und das muss man seinen Teams auch vorleben. Dass man reist, sich um Mitarbeiter kümmert, selbst viel arbeitet. Aber das hat mir auch immer Spass gemacht.
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Schon dieses hier: das Business sehr ernst nehmen, aber sich selber nicht zu sehr. Das hat immer gut funktioniert. Ein grosser Vorteil für mich war, dass ich Leute gut lesen kann. Wir sind in der DDR so aufgewachsen, dass man genau wusste: Wenn man einen Fehler in der Einschätzung des Gegenübers macht, könnte man in einem Staatssicherheitsgefängnis aufwachen. Und das schärft natürlich die Wahrnehmung.
Nein. Ich habe mit drei Familien gearbeitet, die Fussballfans waren. Bei DKSH, den Kellers, waren es die Grasshoppers, bei Louis Dreyfus war es Olympique Marseille und bei Klaus-Michael Kühne der HSV. Während andere in einem solchen Umfeld immer gern betonten, wie viel sie von Fussball verstehen, habe ich immer gesagt, dass ich keine Ahnung habe. Damit konnte ich alle Diskussionen vermeiden, wer nun wem einen Freistoss schuldig wäre. Ich war mein Leben lang in keinem Fussballstadion. Das werde ich auch nicht mehr ändern.
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