Guten Tag,
Corona lastet brutal auf Restaurants und Hotellerie. Doch das Eldorado im Engadin spielt gerade in diesen Zeiten seine Trümpfe aus.
Dirk Ruschmann
Auch der Nobelort im Engadin leidet unter Corona, doch die Immobilien in St. Moritz sind so beliebt wie lange nicht mehr.
Joseph Khakshouri für BILANZ/Keystone/NZZWerbung
Ein trüber Abend in der Vorsaison Anfang Dezember, man sitzt im «La Scarpetta» in der Fussgängerzone von St. Moritz und dreht sich die hausgemachten Nudeln auf die Gabel. Da tritt der deutsche Star-Architekt Christoph Ingenhoven ein, blickt sich um, beugt sich dann über den Tisch, an dem Gemeindepräsident Christian Jenny mit einer Beraterin und einem Bankpräsidenten speist – und Ingenhoven, dem das Abendland den Entwurf zum Bahnhofs-Monsterprojekt «Stuttgart 21» verdankt, raunt Jenny strahlend zu, er sei nun «auch ein Einwohner».
Ein solcher ist Rauschebart Adolf Haeberli schon seit 86 Jahren, und trotzdem stürzt er sich immer noch die Cresta-Eisbahn hinab. Sein Haus oberhalb der Polizeistation, nach einem Bergrutsch von Rissen gezeichnet, hat er mit Metallklammern gesichert, was ihm den Beinamen «Villa Hebdifescht» einbrachte, das Dorf-Original war Haeberli zuvor schon. Mit einem Dauerfeuer an Beschwerdebriefen treibt er die Gemeinde vor sich her – womöglich ist Jenny gerade deshalb mit ihm befreundet. Bei seinen allwöchentlichen Besuchen lässt er Haeberli stets den ausgelesenen «Spiegel» da.
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Wenn es um Anekdötchen geht, darf die Geschichte vom legendären Kurdirektor Hans Peter Danuser nicht fehlen, wie er 1997 zu seinem Gourmet-Festival Roger Moore einfliegen liess. Paul Newman wäre ihm lieber gewesen, zumal der gut kochen konnte, aber Moore war nun mal in Crans-Montana und liess sich in die Hotel-Ikone Badrutt’s Palace locken. Weil der Wind aber unterwegs den Helikopter vaterlandsmässig durchschüttelte, erinnert sich Danuser grinsend, «stieg kein kerniger 007 aus dem Heli, sondern ein leichenblasser, zittriger Brite am Arm seiner Freundin Kristina Tholstrup».
Champagner zum Kaviar in der Skihütte El Paradiso, Polo, Pelze, Porsche, Powershopping: Die «Extravaganz im Sehnsuchtstal», von Danuser jahrzehntelang auf weltweiten Werbetouren mit dem Alphorn vermarktet, ist bis heute das herrschende Klischee über St. Moritz. Die Wirklichkeit ist längst viel differenzierter, wenn auch das hauptsächliche Verkaufsargument unzerstörbar bleibt – das weite, schneesichere Hochtal mit 322 Sonnentagen im Jahr, wo selbst an wolkenverhangenen Tagen immer wieder Licht durch das Grau blinzelt. Und abends, wenn in den Gassen der Altstadt schon Dunkelheit die Schatten schluckt, glänzen oben noch Sonnenreflexionen auf den gezuckerten Berggipfeln.
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Wenn schon Philosoph Friedrich Nietzsche schrieb, ihm sei hier, «als wäre ich im Lande der Verheissung», oder der zu Depressionen neigende Thomas Mann staunte, «ich glaube beinahe, ich bin glücklich hier» – dann muss was dran sein an diesem Ort, der für seine 5000 Einwohner, davon 2500 Stimmberechtigte, über die Jahreswende eine Kläranlage mit Kapazitäten für 50'000 vorhalten muss.
Sonnenlage mir Skilift: Viele Villen am Suvretta-Hang sind via «Ski-in, Ski-out» erreichbar. Der Suvretta-Lift bringt Sportler bergwärts.
fotoswiss.com/cattaneoChesa Futura mit Spitzname: Das «Ei» liess Milliardär Urs E. Schwarzenbach von Norman Foster bauen. Letzterer zog gleich selbst ein – ganz oben.
Filip ZuanKleiner Hügel mit grossen Häusern: Wie hineingetupft liegen die Anwesen auf dem teuersten Hügel der Schweiz. Nachbarn sieht nur der, wer möchte.
fotoswiss.com/cattaneoZufahrtsstrasse mit Verbotsschild: Krethi und Plethi sollen nicht zum Sightseeing durch die Strassen des Hügels cruisen. Hier gilt: Berechtigte only.
fotoswiss.com/cattaneoChristian Jenny: Der Gemeindepräsident hat meistens Freude an seinem Job, sagt er. Seine «Can do»-Haltung schätzen viele Einwohner.
KeystoneChristian Jenny, Bühnenkünstler, Gründer des Festival da Jazz in St. Moritz und Gemeindepräsident mit 80-Prozent-Pensum, sieht sich als «Hobby-Touristiker». Hauptamtlichen Gastronomen oder Hoteliers sind Trübsinn oder gar Wehklagen bei Strafe verboten. Dabei hätten sie Gründe im Überfluss, gerade jetzt, wo der Zufluss an Gästen so spärlich rinnt. Zwar öffnen die grossen Hotels ohnehin nur saisonal, das «Palace» wartete sogar bis Mitte Dezember, als die dritte Adventskerze schon brannte – doch wegen der Reisebeschränkungen werden die Einbussen beträchtlich sein. «Palace»-Direktor Richard Leuenberger beziffert den Buchungsstand auf «unter 40 Prozent des Vorjahres».
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Sein Counterpart im Hotel Kulm, Heinz E. Hunkeler, dürfte ähnliche Zahlen haben, und klar, was bleibe ihm übrig, als «verhalten positiv nach vorne zu schauen». Leuenberger plant statt der üblichen 540 Mitarbeiter mit rund hundert weniger. Hunkeler bleibt vorerst bei seinen 360 Leuten, aber die müssen voraussichtlich erstmals ihre Überzeiten während der Saison kompensieren, statt sie sich per Paycheck auszahlen zu lassen.
Petra Bonetti, die im Ortsteil Bad mit ihrer Schwester Maja das Dreisternehaus Sonne führt, liegt punkto Buchungsstand sogar bei weniger als einem Drittel. Bei ihr wohnen im Schnitt 70 Prozent Schweizer Gäste; das «Palace» zählt nur 12 Prozent Einheimische, das «Kulm» 15 Prozent. Ihre Stammgäste, sagt Bonetti, «rufen zahlreich an und wünschen uns Glück, aber Buchungen kommen derzeit extrem kurzfristig». Wie ihr kürzlich verstorbener Vater Franco, der das Haus Jahrzehnte leitete, sieht sie ihre 40-Personen-Truppe als Familie, «da hängen Existenzen dran». Sie deutet auf die 49-jährige Mitarbeiterin, die mit 18 zum Team stiess. Bonetti hofft, dass sie ohne Entlassungen durch die Krise kommt.
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Betriebe wie ihrer litten Anfang Dezember gleich doppelt. Ihr Restaurant mit Pizza-Holzofen ist bei Arbeitern wie Zweitwohnungsbesitzern beliebt, mit Lunchs und Dinners spielt es die Hälfte des Umsatzes ein – die ein Lockdown schlagartig vernichtet, Take-away ist kein Ersatz. Und im Restaurant Lapin Bleu, das zu Daniela Märkys Viersternehotel Steffani am Anfang der Fussgängerzone gehört, sitzen Damen, die mit Privatfliegern angereist sind, neben Monteuren und Elektrikern beim Mittagstisch für 15 Franken. Schon Märkys Grossvater, sie selbst repräsentiert die vierte Generation, wollte nicht nur Touristen verköstigen. Also gibt es den Stammtisch, den Jägertisch und donnerstagmorgens eine Runde älterer Damen – nur im Lockdown eben nicht. Immerhin war das Hotel gleich am ersten Saison-Wochenende ausgebucht. Doch Märky wird diesen Winter wohl nicht alle drei Restaurants öffnen können.
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«Es wird für viele brutal hart werden», fürchtet Hans Peter Danuser. Glücklicherweise gebe es kaum neue Betriebe; die geraten als Erste in Lebensgefahr. Also bleibt das Prinzip Hoffnung, dass sich viele noch spontan für Ferien im Engadin entscheiden, dass man an den guten Sommer anschliessen kann – für diverse Betriebe war die Corona-Sommersaison die beste seit Menschengedenken. Und ändern lässt sich ja ohnehin nichts. «Wir haben Sonne und gute Luft, wo könnte man besser die Antikörper stärken?», fragt Petra Bonetti, rhetorisch natürlich.
Daniela Märky hofft auf die Überzeugungskraft des breiten Sportangebots (selbst wenn der Zugang zu den Skipisten rationiert werden sollte), der Winterwanderwege, der Schneeschuh-Trails, der gut 200 Kilometer Loipen, von Schlitteln, Eislaufen, Snowkiten oder von den «Amusements on the Lake», die diesen Winter die Cüpli-Treffpunkte White Turf und Snow Polo ersetzen sollen. Viele Jahre stieg eine Dame im «Steffani» ab, die noch mit 92 jedes Jahr Delta fliegen ging. Solche Gäste buchen sich womöglich noch kürzestfristig ein.
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Daniela Märky führt das Viersternehotel Steffani in der vierten Generation. Zimmer und Spa hat sie stilvoll modernisiert.
Filip ZuanEwige Legende: Das «Badrutt’s Palace» ist nicht weniger als die Ikone der St. Moritzer Hotellerie. Der Tannenbaum passt zum Ruf.
fotoswiss.com/cattaneoErstes Haus am Platz: Mit dem Kulm Hotel, noch älter als das «Palace», etablierte Johannes Badrutt St. Moritz als Wintersportort.
fotoswiss.com/cattaneoHeinz E. Hunkeler: Der Chef des «Kulm» setzt auf erstklassige Kulinarik und Angebote für die Familie. Schon sein Vater war hier Direktor.
Filip ZuanEine neue Hoffnung: Kunst und Kultur sollen der Lockstoff der Zukunft werden. Grösster Star ist derzeit die Galerie Hauser & Wirth.
Katharina LütscherRichard Leuenberger: Der junge Direktor des «Palace» bringt Schwung in sein Haus. Zugleich kultiviert er die klassischen Gastgeber-Tugenden.
Filip ZuanOlympia-Stadion: Ich bin auch ein Wohnhaus: Hier lebt Rolf Sachs, wie sein Vater Gunter Sachs ein Gravitationspunkt in St. Moritz.
fotoswiss.com/cattaneoAuf dem Milliardärshügel Suvretta hat Corona Gegenteiliges ausgelöst. Viele Chalets fuhren den Winterbetrieb früher hoch, allein der Flugplatz zählte zwanzig ankommende Jets im November – das Doppelte des Üblichen. Die oft zweistelligen Mannschaften an Bediensteten drehten Heizungen auf, füllten Kühlschränke, applizierten die Weihnachtsbeleuchtung, bezogen Betten und suchten die Go-to-Nahversorger auf. Fisch holt man standesgemäss bei Comestibles Geronimi, Fleisch bei Heuberger oder Hatecke, Süsses bei Hanselmann und Brot in der optisch unspektakulären Bäckerei Bad, wo die einheimischen Nachteulen traditionell nach der Party ihr erstes Gipfeli an der Backstube kauften. Ein Anwohner sagt: Viele hier nutzen das Ferienhaus neu als Homeoffice, weil man sich freier, beweglicher fühle als im Stadtdomizil. Auch näher an der Natur.
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Tatsächlich müssen sich Skifahrer mit Grundbesitz am Suvretta kaum unter Menschen mischen. Fast alle Häuser gelten als «ski-in, ski-out» dank hügeleigenem Skilift, das mächtig im Hang thronende Fünfsternehotel Suvretta House hat zudem eine Skischule im Repertoire. Die Strassen sind gesperrt für Unbefugte, aber Mitarbeiter, Lieferanten und Handwerker dürfen ihre Dienste natürlich nach oben tragen. Und oben gibt es viel zu putzen und zu pflegen – diverse Anwohner haben gleich mehrere Häuser.
Die Liste ist so lang wie Geld-adelig: Angefangen mit der griechischen Reedereifamilie Niarchos, die sich, sagt ein St. Moritzer, «inzwischen wie Einheimische fühlt», und nicht nur das «Kulm» und den «Kronenhof» in Pontresina besitzt, sondern auch die Skigebiete Corvatsch, Lagalp, Diavolezza und Futschellas betreibt; rund 1000 Arbeitsplätze im Tal dürften auf ihr Konto gehen. Dann natürlich die Fiat-Familie Agnelli, die zur Christmette traditionell die Speerspitze der Superreichen in der Kapelle Regina Pacis bildet. Bier-Mogulin Charlene de Carvalho-Heineken, deren Clan laut einem Anwohner «drei plus ein Haus» belegt, die süssen Perfettis von Perfetti Van Melle (Mentos, Vivident) mit fünf Häusern, auch die Porzellandynastie von Boch hat nicht nur eines.
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Klar: «Bei einem Haus mit acht Schlafzimmern braucht allein die Familie schon vier – aber die laden ja immer Leute ein», sagt Maura Wasescha, die sich nach einer Tellerwäscherkarriere mit ihrer kleinen, aber umso feineren Immobilienvermittlung aufs oberste Segment spezialisiert hat. Dort trifft sie weiss Gott mehr als die halbe italienische Industriellenszene: Ein Lieferant nennt unter anderem Perfettis Konkurrenten Ferrero (Nutella), Sonnenbrillenkaiser Leonardo Del Vecchio (Luxottica), die Traktorenkönige Carozza (Same Deutz-Fahr), Hildburg Vallarino Gancia aus der nämlichen Weindynastie, und in der ehemaligen Villa des Schahs von Persien, die dann durch mehrere Hände ging, etwa jene von «Dolder»-Milliardär Urs E. Schwarzenbach und den griechischen Reederei-Gebrüdern Martinos, könnte Gerüchten zufolge heute die Schwiegermutter von Italo-Legende Silvio Berlusconi leben.
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Ausserdem ist neben Pier Luigi Loro Piana in einem seiner schmeichelweichen Pullover und Moncler-Grossaktionär Remo Ruffini ein grosser Teil der Mode-Italianità vor Ort. Alessandra und Allegra Gucci etwa, die mit ihrem Ehemann Enrico Barbieri im Ort sogar zwei Edelbeizen betreibt, «Balthazar» und «Balthazar Downtown», und Strick-Spezialistin Margherita Missoni, die gern bei Ebneter & Biel klassisch-alpin bestickte Serviettchen shoppt.
Aber auch die deutschsprachige Fraktion ist stark: Dirigenten-Witwe Eliette von Karajan, Skipionier Willy Bogner, Pharma-Erbin Julia Engelhorn, die Bleistift-Barone Faber-Castell, Architekt Christoph Ingenhoven, Privatbanker und Philanthrop Udo van Meeteren oder der im Sommer verstorbene Boss-Gründer Jochen Holy. Das Schweizer Kreuz halten Privatjet-Kapitän Thomas Flohr (VistaJet), die St. Galler Schönheitschirurgen Jan und Christine Poëll oder der Basler Grossadvokat Peter Böckli hoch. Etwas am Rand des Hügels lebt der russische Düngemittelmilliardär Andrey Melnichenko. Auch Indiens Stahlmagnat Lakshmi Mittal soll hier ein Bett stehen haben.
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Aber man kann ja auch woanders wohnen, selbst wenn der Hang nicht ganz so exakt südwärts ausgerichtet sein mag. Als 1a-Lage gelten auch die Via Somplaz und ein Teil der Via del Bagn, wo der See am schönsten glitzert. Vor allem aber die Via Tinus, an deren oberem Ende Jürg Marquard etwas erstanden hat; den berühmten Turm des «Palace» mietet er aber immer noch. Die ähnlich beleumundete Via Brattas verliert seit einigen Jahren an Anziehungskraft – der Hang rutscht. Immerhin hat er so ein neues Wahrzeichen geschaffen: den «schiefen Turm von St. Moritz» der Kirche Sankt Mauritius. Direkt unterhalb baut Sika-Erbe Fritz Burkard ein neues Kino. Und 50 Meter weiter südlich beginnt am alten Eispavillon, der vom ortsansässigen Architekten Norman Foster als «Kulm Country Club» aus dem Dämmerschlaf geweckt wurde, die Via Johannes Badrutt – ebenfalls eine der ersten Adressen. Hier hat sich Bahnboss Peter Spuhler niedergelassen.
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Und hinten, im roten Olympiahaus, lebt Tausendsassa Rolf Sachs; offenbar konnte er das Gebäude kürzlich der Gemeinde abkaufen. Am Rand des Sees, an der malerischen Via Dimlej, residiert etwa «Jet Set»-Gründer Kurt Ulmer. Dann folgt auch bald die Gemeindegrenze zu Celerina, das im Volksmund «Piccolo Milano» genannt wird und wo etwa Verleger Michael Ringier lebt. Weitere Wirtschaftsgrössen im Tal sind Rohstoffhändler Ivan Glasenberg, die Investoren Peter Friedli und Michael Pieper, der mit Spuhler das Restaurant Talvo besitzt, Spuhlers Vertrauter und Aebi-Schmidt-CEO Barend Fruithof, die Bank-Granden Lukas Mühlemann und Sergio Ermotti, Baumeister Walo Bertschinger, Multi-Verwaltungsrat Andreas Schmid oder Kühne+Nagel-Präsident Jörg Wolle – die halbe Zürichsee-Wirtschaftselite. Mehr Deals als in St. Moritz lassen sich nur am WEF abwickeln.
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Geld ist also immer noch da, und die Nachfrage nach Wohnraum hat «seit etwa einem Jahr kräftig zugenommen», sagt Sascha Ginesta, der für die Edel-Familienmakler vom Zürichsee den Standort St. Moritz führt. Die Mondpreise nach der Jahrtausendwende sind zwar passé, und auch als nach der Zweitwohnungsinitiative 2012 der Markt zum Erliegen kam, blieb die grosse Preiserholung aus, weil durch den einsetzenden Generationenwechsel viele Immobilien auf den Markt geworfen wurden.
Aber «die Kombination aus unsicherer Lage am Aktienmarkt, niedrigem Zinsniveau, dem aktuell deutlich sinkenden Angebot – und dem durch Corona neu entfachten Wunsch, ein Feriendomizil im eigenen Land zu haben», bilanziert Barbara Derksen, Partnerin bei Engel & Völkers in St. Moritz, «gibt den Preisen wieder Auftrieb». Im obersten Segment allerdings waren sie immer «stabil bis steigend», sagt Maura Wasescha, «da wechseln keine fünf Immobilien pro Jahr die Hand». Und «hier lag St. Moritz immer 10 bis 25 Prozent über dem Niveau von Gstaad». Auch Wasescha beobachtet eine Wanderungsbewegung: «In Florida oder auf den Balearen steht viel zum Verkauf, als Ersatz suchen die Leute bei uns etwas.»
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Wie sagt Gemeindepräsident Christian Jenny so schön offenherzig: «St. Moritz lebt hauptsächlich von Handänderungssteuern, Grundstücksgewinnsteuern und Pauschalbesteuerten.» Der Suvretta-Hang spielt dabei mit seinen knapp hundert Einheiten eine zentrale Rolle. Die letzten Transaktionen sollen bei 40 bis 45 Millionen gelegen haben, der 180-Millionen-Schneepalast The Lonsdaleite des verstorbenen polnischen Rohstoffhändlers Jan Kulczyk wartet noch auf einen Käufer. Seine Witwe hat sich eine stillgelegte Brauerei und einige Häuser Umschwung in Susch im Unterengadin zugelegt – und mit einem Museumsbau dem sterbenden Dorf als Kunst-Destination neues Leben eingehaucht.
Hier schlafen die reichen Leute in St. Moritz.
BilanzHier schlafen die reichen Leute in St. Moritz.
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Und St. Moritz? Der neue Trend zur Einkehr in die eigenen vier Ferienhauswände korrespondiert mit einem zeitweiligen Abbröckeln der Übernachtungszahlen in der Hotellerie. Zugleich schwindet der alte Glamour. Zwar galoppieren noch in Nicht-Corona-Jahren beim White Turf und Snow Polo die Pferde über den zugefrorenen See, entstehen flankierend die bekannten Cüpli-Fotos. Aber Gunter Sachs und der Schah feiern nicht mehr, «zuletzt musste man nicht mal mehr in der Hochsaison vor Nachtclubs anstehen», sagt eine Einheimische, und einer Dame, die seit Jahrzehnten ins Engadin kommt, fällt zu St. Moritz «eine in die Jahre gekommene Geliebte ein, die realisiert, dass ihre Verführungskünste nicht mehr ziehen». Heute gebe es kaum noch Champagner-Sausen, «weil jeder an seinem Gemüse-Smoothie mümmelt». Und Nachhaltigkeits-getrieben wissen will, welcher Hahn die Henne bewacht, die das Frühstücksei gelegt hat.
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Die Diagnose ist drastisch, aber nicht falsch. «Kulm»-Chef Hunkeler bestätigt: «Früher starteten viele den Abend um acht an der Bar, heute sind da alle noch im Wellness» – und mehrfach Bepelzte, die in den nuller Jahren die Boutiquen leerkauften, lassen sich heute nur noch in Ausnahmefällen blicken. «Inzwischen kommen viel mehr Familien, auch aus Russland», beobachtet Richard Leuenberger.
Geshoppt wird ja trotzdem. Einige Markenstores hatten einen «amazing summer», sagt Anne-Sophie Bonnisseau, die Hauseigentümer mit Luxusmarken zusammenbringt. Frisch eingezogen sind Dior und Isaia, die Bekleidungsmarke für extrovertierte Herren. Findige Marketender verkaufen hier oben gern «tailor-made» an Kleinanlässen, auch privat. Schlangen vor der Tür kennt nicht mal Louis Vuitton. Als Nächstes würde Bonnisseau gern Chanel und Brioni holen.
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Denn nach wie vor kommen CEOs, Unternehmer, Fussballstars, «die Qualität der Gäste hat nicht abgenommen», sagt Heinz E. Hunkeler. Nur suchten viele eine andere Art Glamour. Hunkeler setzt auf Familienangebote, hat drei Nannys engagiert und spendiert Kindern die Skischule, und auf Kulinarik: mit Gastköchen wie den Sternträgern Tim Raue oder Mauro Colagreco. Richard Leuenberger hat den Starköchen Nobu Matsuhisa und Andreas Caminada gleich eigene Restaurants im «Palace» eingebaut. Beide Häuser haben zudem je ein weiteres Standbein: Zum «Palace» gehören zahlreiche Läden in der Via Serlas, wo sich Edelmarken eingemietet haben.
Das «Kulm» betreibt neben dem Hotel rund 30 Residenzen und Ferienwohnungen und ist nach der Gemeinde der grösste Grundbesitzer am Standort; Bobbahn oder Cresta-Run, alles auf «Kulm»-Land. Dank den Eignern, im Fall «Kulm» die Familie Niarchos, beim «Palace» Hansjürg Badrutts Erbe Hans Wiedemann oder im Fall des diskret-konservativen «Suvretta House» die Gastro-Clique Candrian, auch bei den Bonettis und Märkys, können Gewinne zurück in die Betriebe fliessen. Millionensummen, oft im Jahresrhythmus, investieren die Hoteliers in Zimmer, Restaurants oder die Spas, «wir sind längst keine verstaubten Häuser mehr, wo Kellner mit Arbeitsallergie herumlaufen», sagt Hunkeler.
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Maura Wasescha: Wer im Luxussegment in St. Moritz eine Immobilie sucht, findet Hilfe bei ihr. Auch als Vermieterin ist sie tätig.
Filip ZuanSt. Moritz Dorf: Die etwas karge, aber durchaus malerische Fussgängerzone. Hier die Via Maistra, rechts die Confiserie Hanselmann.
fotoswiss.com/cattaneoDimi Kefalas und Fabian Roth: Ein Facility Manager und ein Bauzeichner betreiben die äusserst lässige Beiz La Scarpetta.
Filip ZuanSt. Moritz Via Serlas: This is where the dollars flow. In dieser Strasse liegt nicht nur das «Palace», sondern auch die teuersten Boutiquen.
fotoswiss.com/cattaneoMario Wechselmann: Sein saisonaler Concept Store «Super Mountain Market» bringt jungen, frischen Drive in den Ortsteil Bad.
ERG MediaDie Marschrichtung der Touristiker lautet: back to the roots, «zum Markenkern», sagt Marijana Jakic, die selbst hier aufgewachsen und nach Jahren im angelsächsischen Raum zu den Wurzeln zurückgekehrt ist: als Brand Managerin St. Moritz. Mit «roots» sind Haltungen gemeint wie «make it possible» oder «crazyness» – wie im Gründungsmythos des Wintersportorts St. Moritz, als erstmals britische Sommergäste winters anreisten und ihnen Hotelier Johannes Badrutt zur maskulinen Zerstreuung bald die Cresta-Bahn bauen liess. Hier oben entstand der erste Golfplatz der Schweiz, spielt man Polo auf Eis, die ersten Motorflüge im Alpenraum hoben 1910 vom gefrorenen St. Moritzer See ab. «Oft crazy, aber man hats einfach gemacht», sagt Christian Jenny, der gerade mit dem Luftfahrtamt BAZL schaut, ob da wieder was ginge. Gemeint ist auch: die Urbanität von St. Moritz betonen, die weder das Retortendorf Courchevel noch Kitzbühel, Lech/Zürs oder Zermatt bieten können.
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Und schliesslich: wieder mehr Sommer, wieder mehr Kurheilbad statt Winterspektakel. Star-Architekt Matteo Thun, der in Celerina lebt, würde sogar «kostenfrei die Seepromenade reaktivieren, mit Leuchten und Sitzplätzen», St. Moritz wünscht er sich «autofrei und den zentralen Schulhausplatz wieder als Dorfmittelpunkt». Der ist jetzt ein Verkehrskreisel. Auch die «Kunstschnee-Carving-Autobahnen» sind ihm ein Greuel. Er hofft eigentlich auf Christian Jenny.
Doch da gibt es auch die einflussreichen einheimischen Familien. Einer aus dem weit verzweigten Testa-Clan sagt: Wer nicht ganzjährig in St. Moritz wohne, habe eben andere Prioritäten. Den Schulhausplatz etwa benötige man schon allein, um den geräumten Schnee zwischenzulagern. Schnee ist auch so ein Reibungspunkt: Das Gastgewerbe klagt gern über einen Renovierungsstau bei den Bergbahnen. Deren CEO Markus Meili kontert: Die Schneesicherheit am Berg, also das wichtigste Winter-Werbemittel der Touristiker, finanzierten allein die Skifahrer mit ihrem Ticket, deshalb brauche er «eine Grundauslastung». Doch «wenn wie vor 20, 30 Jahren in den besten Skiwochen dann Gäste mit Pferderennen, Curling oder Langlaufmarathon angelockt werden, fehlen uns die Skifahrer in den Hotelbetten». Meili zuckt mit den Schultern: «Man braucht unsere Leistung als Verkaufsargument, aber das Geld wird mit Real Estate verdient.»
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Jenny steht zwischen den Fronten. Doch zugleich richten sich grosse Hoffnungen auf ihn, den Machertypen, der mit dem Jazz Festival viele Sommergäste ins Engadin geholt hat. Die Schnoddrigkeit des jugendlichen Bühnenkünstlers hat er teilweise eingebüsst, vielleicht im Nahkampf mit den anderen Gemeindepräsidenten im Engadin; ganze zwölf für nur 18'000 Einwohner der Region Maloja, «ein Wahnsinn, man hätte die Gemeinden längst zusammenlegen müssen».
Eugenie Niarchos gehört zu dem griechischen Reederei-Clan, der in St. Moritz längst agiert wie wohlmeinende einheimische Patrons.
Getty ImagesAllegra Gucci – mit Gemahl Enrico Gucci — betreibt zwei Restaurants ...
fotoswiss.com/cattaneo... Peter Spuhler, hier mit Gattin Daniela, hingegen besitzt nur ein Restauran, dafür mit schönem Seeblick.
Markus SennSommer St-Tropez, Winter St. Moritz: Gunter Sachs lebte, etwa mit Brigitte Bardot, den Industriellenerben-Traum.
Getty ImagesSupermodel Karlie Kloss vorm Niarchos-Hotel Kulm im Januar 2019, angereist zur Hochzeit von Stavros Niarchos.
DukasHollywoodstar Kate Hudson (o.) hat Ausgang, auch sie besuchte die Niarchos-Hochzeit.
DukasLapo Elkann aus dem Agnelli-Clan (Fiat) bringt immer gern Farbe auf seine Spielfelder.
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Er repräsentiert das neue St. Moritz: junge Leute, die hier ein Business aufziehen, teils dafür zurück in die Heimat zügelten. Wie Silvano Vitalini mit seiner Schneiderei, wie Daniela Märky, die nach acht Jahren in New York das «Steffani» übernahm. Wie die Seiteneinsteiger Dimi Kefalos und Fabian Roth mit ihrem «La Scarpetta», oder Mario Weichselmann, der am Ursprung des Orts, dem Forum Paracelsus mit seinen Heilquellen, den «Super Mountain Market» ins Leben gerufen hat, einen saisonalen Concept Store. Sie und andere schaffen eine neue Urbanität im Dorf, einen jüngeren, frischen Drive. Und «für mehrere Winterwochen ist St. Moritz nicht nur die schönste, sondern auch eine weltweite einzigartige Networking-Plattform», sagt Weichselmann, der für Rolf Sachs als Geschäftsführer den «Dracula Club» führt. Und entsprechend viel gesehen hat.
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Solche Projekte unterstützt Jenny, wo er nur kann. Und wenn es nach ihm geht, ist in spätestens zehn Jahren die Sommersaison gleich stark wie der Winter. Denn «Kunst und Kultur sind der Schnee von morgen», dichtet Jenny. Schon rund 40 Galerien versammeln sich im Tal, darunter grosse Namen wie Andrea Caratsch, Karsten Greve, Künstlerspross Vito Schnabel und die Weltmarke Hauser & Wirth, aber auch die junge Einheimische Henriette Lefort mit ihren Allegra Projects.
Während Gstaad eher auf die Kontinuität der Diskretion setzt und Zermatt das skifahrerische Angebot betont, sucht St. Moritz den Übergang von der schwindenden Pelz-Epoche in eine neue Zeit, vom Maserati-Shop zur Tesla-Steckdose. Schampus kann gern weiter fliessen, steinreiche Inder Märchenhochzeiten feiern; wo sonst, wenn nicht hier? Aber altes Geld und junge Kunstaficionados – darin soll die Zukunft liegen. Etwa so, wie Gerhard Walter, der lässige Österreicher und ehemalige Cheftouristiker, «im El Paradiso statt Champagner lieber einen Franciacorta» trinkt. Jetzt muss sich nur noch das Virus verziehen.
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