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Vor fünf Jahren stand Oettinger Davidoff vor dem Abgrund. Jetzt ist der Basler Zigarrenhersteller wieder on fire.
Hauenstein beim Schmauchen auf der Dachterrasse des Hauptsitzes.
Paolo Dutto für BILANZWerbung
Sein Erweckungserlebnis hatte Beat Hauenstein vor genau einem Vierteljahrhundert: Bei Coop war er damals verantwortlich für die Informatikstrategie, musste sein Budget von 24 Millionen Franken vor den 30 wichtigsten Managern verteidigen. «Was sind diese 120 000 Franken für Middleware?», brummte Konzernchef Hans-Ueli Loosli, als er die Posten durchging. Hauenstein erklärte es ihm und fügte hinzu: «Aber das sind ja nur 120 000 Franken.» Ein schwerer Fehler: «In diesem Moment entwich der gesamte Sauerstoff aus dem Raum, alle schauten mich entsetzt an, ich wollte im Boden versinken», erinnert sich Hauenstein. Loosli, als Rappenspalter bekannt, erwiderte mit schneidender Stimme: «Hauenstein, wissen Sie, wie viel Joghurt Sie verkaufen müssen, bis Sie die wieder reinholen?» Als der IT-Chef 14 Tage später ins HR-Büro gerufen wurde, rechnete er mit seiner Entlassung. Stattdessen wurde er ins Kernteam für die Neuorganisation des Detailhändlers berufen. «Das war meine unternehmerische Zündung», sagt er. «Seither liefere ich nicht nur die Daten, sondern ziehe auch die betriebswirtschaftlichen Schlüsse daraus.»
Offensichtlich mit Erfolg. Heute ist der 56-Jährige CEO eines Konzerns mit 3300 Mitarbeitern, aktiv in 139 Ländern, und einer halben Milliarde Umsatz: Oettinger Davidoff mit Sitz in Basel, Weltmarktführer im Bereich der handgerollten Premiumzigarren (die Preisspanne reicht von 3.50 bis 500 Franken). «Wir verzeichnen unser bestes Ergebnis seit der Firmengründung 1875», freut sich Hauenstein. Seit er die Führung des Tabakkonzerns vor sechs Jahren übernommen hat, ist der Vorsteuergewinn jährlich zweistellig gewachsen und liegt heute irgendwo im Bereich von 60 bis 80 Millionen Franken (genaue Zahlen gibt die Firma im Privatbesitz der Basler Familien Ryhiner und Schaffner nicht heraus). «Ohne die Pandemie stünden wir noch besser da», sagt Beat Hauenstein.
Dabei hatte der gebürtige Basler den Chefsessel in einer turbulenten Phase erklommen. Sein Vorgänger Hans-Kristian Hoejsgaard hatte 2011 eine forsche Expansionspolitik ausgerufen: Er vervielfachte die Anzahl der Flagshipstores, baute die Präsenz in den USA stark aus, lancierte ein Feuerwerk von Produktneuheiten. Um diese Investitionen überhaupt stemmen zu können, trennte sich die Firma vom Zigarettengeschäft, vom Grosshandel sowie von anderen Nebenaktivitäten. Die Folge: Der Umsatz halbierte sich auf 600 Millionen Franken. Und Oettinger Davidoff schrieb ab 2012 kontinuierlich rote Zahlen. 2017 dann der grosse Knall: Sowohl Hoejsgaard als auch VR-Präsident und Minderheitsaktionär Andreas Schmid verliessen die Firma gleichzeitig und per sofort. Ein sehr ungewöhnlicher Fall in einem Grossunternehmen und ein Beleg miserabler Nachfolgeplanung. Als gesichert kann gelten: Andreas Schmid hatte sich mit Vizepräsident Tobias Müller überworfen, einem der beiden Vertreter der Eignerfamilien im VR. Über alles weitere kursieren zwei Varianten: Die eine besagt, der Streit habe von dem mangelnden Erfolg der Expansionsstrategie gerührt, weshalb die Eigentümer die Geduld verloren und Schmid wie auch Hoejsgaard vom Hof gejagt hätten. Die andere besagt, dass Hoejsgaard nicht mit dem neuen Präsidenten Domenico Scala zusammenarbeiten und sich – auch angesichts seines nahenden 60. Geburtstags – noch einmal neu habe orientieren wollen.
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Für Variante eins spricht Hauensteins Schilderung, was er bei Amtsübernahme in der Kasse vorfand: kein Cash, die Kreditlinien ausgereizt, ein Liquiditätsengpass. Kurz: «Die Situation war prekär», erinnert er sich. Wie prekär, darüber schuf Hauenstein intern nur teilweise Transparenz. «Aber die Mitarbeiter sind ja intelligent und schätzten die Zahlensituation relativ klar ein.» Weil die Eigner kein Geld nachschiessen wollten, drosselte Hauenstein die Produktion und baute Lagerbestände ab, um Liquidität zu generieren. Neue Produkte wurden nur auf Basis bereits eingelagerter Tabakblätter entwickelt und lanciert. Die forsche Expansion wurde massiv eingebremst: «Nicht Umsatz ist wichtig, sondern rentabler Umsatz», sagt Hauenstein: «Da hatte die Firma in den Jahren 2012 bis 2017 die Orientierung verloren.»
Er setzte ein striktes Kostensparprogramm um und baute 23 Prozent der Stellen ab. Noch radikaler ging er bei der Konzernleitung vor: Die 14 Mitglieder konnten sich eine neue Stelle suchen, das Nachfolgegremium besteht seither nur noch aus fünf Personen plus Hauenstein, allesamt Männer. War das Managementteam vorher sehr international, stammen nun vier der sechs aus der Schweiz, Sitzungssprache ist Deutsch – nicht unproblematisch für eine Firma, die 85 Prozent ihres Umsatzes im Ausland erwirtschaftet. «Aber so ist das Team keine Bedrohung für Hauenstein», konstatiert ein Beobachter.
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Zusammen mit der neuen Konzernleitung und VR-Präsident Domenico Scala, aber ohne Berater entwickelte Hauenstein ein Turnaround-Programm namens «Way Forward». Über 50 Einzelprojekte sollten Liquidität, Umsatz und Gewinn steigern sowie die Firmenkultur verändern. Besonderen Wert legte Hauenstein auf die Verbesserung der Absatzplanung, um die Verfügbarkeit der Zigarren in den jeweiligen Märkten zu garantieren und gleichzeitig Lagerhaltungskosten und Abschreiber zu minimieren. Er stärkte die Direktkommunikation mit den Kunden im Netz und musste dabei feststellen, dass Eigen- und Fremdwahrnehmung auseinanderklafften. Er investierte dort, wo Oettinger Davidoff sich von der Konkurrenz unterscheiden kann – Qualität, Produktion, Logistik –, und optimierte bei allem anderen die Kosten. Und er fuhr die Anzahl der Limited Editions zurück. Sie machen heute noch zehn Prozent des Umsatzes aus. Zu viel Innovation, so Hauenstein, überfordere den Konsumenten: «Eine Limited Edition sollte wirklich limitiert sein und nicht wie bei den Mitbewerbern oder bei uns früher inflationär.» Auf fünf Jahre war «Way Forward» angelegt, konnte aber bereits nach vier Jahren abgeschlossen werden. Seit 2019 ist die Firma wieder profitabel, seit 2021 schuldenfrei. «Jetzt liegt wieder ein dreistelliger Millionenbetrag in den Kassen», sagt Hauenstein.
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Dabei hatte seine Berufung auf den Chefsessel intern durchaus für Verwunderung gesorgt. US-Chef James Young galt als einer der Nachfolgefavoriten, auch Hoejsgaards rechte Hand Alex Lejeune, zuständig für Finanzen, Corporate Development und HR, hätte man es zugetraut. Vielleicht sogar schon Tom Ryhiner, einem Vertreter der Eignerfamilien, der intern langfristig als Nachfolger aufgebaut wird: Er leitet die Oettinger-Davidoff-Tochter Cruspi, die Süsswaren wie Haribo, PEZ und Maoam in der Schweiz vertreibt sowie Kassensysteme bewirtschaftet und damit zehn Prozent des Konzernumsatzes erwirtschaftet.
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Dass es ein Informatikleiter wie Hauenstein bei einer Nicht-IT-Firma ganz nach oben schafft, kommt äusserst selten vor. «Es ist ein Vorteil, wenn man wirklich weiss, wie die Firma end-to-end funktioniert», sagt Hauenstein: «Und als Informatiker haben Sie nur Erfolg, wenn am Schluss wirklich das rauskommt, was auch beabsichtigt ist.» So konnte Hauenstein mit Hilfe seiner Datenanalysen Logistik und Produktion optimieren, weshalb er 2014 zum COO ernannt wurde. Und er machte einen guten Job bei der Restrukturierung der Vertriebsgesellschaft Contadis, bevor sie 2016 verkauft wurde. «Er ist sehr prozessgetrieben und liebt Excel-Tabellen», nennt es jemand aus der Firma.
Computer hatten Hauenstein schon als Kind gereizt. Dass er aus der IT-Welt stammt, merkt man ihm bisweilen noch heute an: «Beat hat etwas Nerdiges», konstatiert ein Mitarbeiter, «er ist eigentlich schüchtern und fühlt sich nicht wohl, Kunden zu treffen.» Bei Geschäftsreisen, so eine Vertrauensperson, nehme er zwar tagsüber pflichtschuldig alle Meetings wahr: «Aber abends, wenn die Social Events stattfinden, bleibt er lieber im Hotelzimmer.» Diesbezüglich unterscheidet sich Hauenstein diametral von seinem Vorgänger. Wohl auch deshalb schenkte ihm zum 50. Geburtstag die Marketingabteilung ein T-Shirt mit der Aufschrift «I love the machine deck». Immerhin hat Hauenstein diese Schwäche erkannt und für den Kundenaustausch einen Chief Commercial Officer berufen.
Hauensteins Führungsstil bezeichnen gleich mehrere Weggefährten als «altmodisch»: Hierarchisch, bisweilen autoritär, «das ist ab und zu problematisch, besonders gegenüber der jungen Generation». Gar von einer «Angstkultur» ist die Rede, weil Hauenstein «perfektionistische Ansprüche» habe. Er selber nennt es «Klartext», er habe keine Lust und Zeit, Hidden Agendas zu bedienen: «Klare und inhaltlich vollständige Kommunikation ist nicht für alle einfach. Aber wenn es funktioniert, funktioniert es hervorragend.» Auch als Chef des Arbeitnehmerverbandes Basel-Stadt gibt sich Hauenstein konservativ. In der dezidiert links-grünen Stadt kämpft er vehement gegen Mindestlohn, Reduzierung der Wochenarbeitszeit, Wohlstandssättigung: «Wir leben heute von dem, was unsere Eltern und Grosseltern erarbeitet haben», sagte er kürzlich in einem Interview.
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So gilt er in der Firma als jemand, der sehr aufs Geld schaut. Privat ist er ganz anders: ein Genussmensch, Gourmet, Bordeaux-Weinliebhaber, Zigarrenfan sowieso, Uhrensammler, Autofan, Hobbyjäger, Angler, früher sogar Fallschirmspringer. «Der alte Davidoff-Slogan ‹The good life› ist wie für ihn gemacht», sagt jemand, der ihn gut kennt. Und er ist ein Basler, wie er im Buche steht: Als Fasnächtler lange Jahre bei der Clique Striggede, FC-Basel-Fan, zeit seines Lebens nur bei Firmen am Rheinknie tätig – Baloise, Coop, Helvetia Versicherung –, «weil hier so viele internationale Unternehmen sind». Welch ein Unterschied zu seinem Vorgänger, der auf drei verschiedenen Kontinenten gearbeitet hat. Vor allem aber ist Hauenstein ein Familienmensch, umso mehr, seit 1993 einer seiner Zwillinge im Kindesalter starb. «Das war definitiv die härteste Lebensschule», sagt er und führt seine Kämpfernatur auch auf dieses Ereignis zurück: «Heute darf ich mich über vier unfassbar tolle Kinder freuen.»
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Beat Hauenstein: «Wir sind für viele eine geächtete Industrie.»
Paolo Dutto für BILANZDemnächst müssen Ursprung und Versand von Tabak minutiös protokolliert werden.
Paolo Dutto für BILANZ2600 Tonnen Tabakblätter hat Davidoff auf Lager, teils 15 Jahre und älter.
KeystoneBeat Hauenstein: «Ohne die Pandemie stünden wir noch besser da».
Paolo Dutto für BILANZKampfgeist wird Hauenstein auch brauchen, wenn er die Firma weiter voranbringen will. Der Markt für Zigarren stagniert weltweit. Momentan aber hilft die Konkurrenzsituation: Die Kubaner leiden seit jeher unter Qualitätsproblemen. Derzeit können sie kaum liefern, weil ihre Tabakfelder schlecht gemanagt werden und als Folge die Produktion der Zigarren enorm zurückgegangen ist. Gleichzeitig wurden die Preise der Havanas weltweit auf das Niveau des bisher teuersten Marktes, Hongkong, erhöht. Das erlaubte auch Davidoff Preisanpassungen: Die meistverkaufte Zigarre im Portfolio etwa kostet inzwischen 16 Prozent mehr als vor der Pandemie. Trotzdem wächst die Produktionsmenge (siehe «Viel Handarbeit» auf Seite 45). Die Manufaktur in der Dominikanischen Republik, neben Honduras der zweite Produktionsstandort, erweitert Davidoff deshalb nun um 30 Prozent. Kein Thema ist hingegen Wachstum durch Übernahmen. Zwar ist der Markt der handgerollten Premiumzigarren (er umfasst weltweit rund 525 Millionen Stück) sehr zersplittert, Davidoff als grösster Player hat etwa acht Prozent Anteil. Aber Hauenstein sagt: «Ich glaube, wir haben genug attraktive Marken» – acht sind es, plus diverse Partnerbrands. Eine börsenkotierte Aktie als Akquisitionswährung würde eh fehlen. Andererseits ist auch Oettinger Davidoff vor Übernahmeversuchen der grossen Tabakmultis sicher: Ein Verkauf, so heisst es, sei für die Nachkommen des langjährigen Patriarchen Ernst Schneider (1921–2009) kein Thema. Zumal Hauenstein ihre Dividendenerwartungen ja erfüllt.
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Ebenfalls im Besitz der Familie, ebenfalls mit Sitz in Basel, aber juristisch und organisatorisch klar getrennt ist die Firma Zino Davidoff: Sie vertreibt Parfum (Cool Water), Cognac, Brillen, Leder- und Schreibwaren unter der Marke Davidoff. Eine Zusammenarbeit mit dem Zigarrenhersteller gibt es aus regulatorischen Gründen nicht, man distanziert sich auf der Homepage sogar von ihm, das Logo darf nicht einmal die gleiche Schrift haben – ein Beispiel für die zunehmend schwierigeren rechtlichen Rahmenbedingungen für Tabakproduzenten. So darf Hauenstein auch nicht mehr das Tennisturnier Basel Open sponsern oder die Konzertreihe AVO Session. Der Zigarrenkonsum verlagert sich ohnehin zunehmend ins Private, weil das Rauchen auch im Freien immer stärker eingeschränkt wird – Schweden etwa wird dieses Jahr offiziell rauchfrei werden, auch in der Romandie gibt es entsprechende Bestrebungen. Und demnächst gilt für Tabakwaren die Pflicht des Track and Trace, das heisst, Ursprung und Transport müssen wie bei Medikamenten minutiös dokumentiert werden. «Das hat null Wert für den Konsumenten», schimpft Hauenstein. Bereits jetzt kann er seine Produkte nicht zwischen den Märkten hin und her schieben, um die Nachfrage auszugleichen, wegen der national unterschiedlichen Tabaksteuern und der Gesundheitswarnungen auf der Packung.
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Das Kalkül der Gesetzgeber laut Hauenstein: die Komplexität der Geschäftsprozesse kontinuierlich zu erhöhen, sodass die Marge schrumpft und die Branche für Investoren nicht mehr attraktiv ist. «Wir sind für viele eine geächtete Industrie, da die Politik keinen Unterschied macht zum Zweckrauchen, also den Zigaretten. Da kann man sich als Politiker nur profilieren, wenn man bei den Regularien die Schraube noch ein bisschen mehr anzieht», nennt er es. Einziger Vorteil dieser Entwicklung: Die Mitbewerber suchen je länger, je mehr die Zusammenarbeit mit Oettinger Davidoff. «Sie möchten auf unsere Compliant Supply Chain aufspringen, damit sie zu einigen Märkten überhaupt noch Zugang haben.» So kann Oettinger Davidoff die Gross- und Einzelhandelsmarge einstreichen und kontrollieren, wer wo ist im Markt.
Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen hat Hauenstein Grosses vor. Er hat für die Firma ein neues Programm aufgelegt: Aspire 727. Was wie der Künstlername eines deutschen Ghetto-Rappers klingt, bedeutet tatsächlich: 700 Millionen Umsatz bis spätestens 2027. «Das ist dann noch mal ein Riesenschritt», sagt Hauenstein: «Mehr als sportlich, aber wir versuchen, das zu schaffen.»
Unternehmerisch erweckt werden muss er dafür zumindest nicht mehr.
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