Guten Tag,
Timing und Tücken der Nachlass- und Nachfolgeplanung in Familienunternehmen.
MIMI UND ERNST MOLLERUS: Die Tochter übernahm 2011 die Führung der Luxustaschenfirma – im zweiten Anlauf. Zwölf Jahre zuvor sollte sie bereits das Zürcher Büro leiten, die Zusammenarbeit scheiterte, und Mimi Mollerus verliess das Unternehmen 2004 wieder. Heute gibt es einen Nachfolgeplan und eine Teilung von Aufgaben und Verantwortung, die für Vater und Tochter stimmt.
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Ernst Mollerus steht im Hof seiner Firmenzentrale in Erlenbach ZH. Vor ihm warten drei Lastwagen auf die Abfahrt, bepackt mit 20 000 Luxushandtaschen und -accessoires. «Hier fährt kein Lastwagen raus!», ruft der 70-Jährige aufgebracht. Die Handtaschen sollen in das neue Logistikzentrum nach Deutschland transportiert werden.
Eine strategische Entscheidung seiner Tochter Mimi, die vier Jahre zuvor die Geschäftsführung des Familienunternehmens übernommen hat. «Papa, du weisst, es muss sein. Fahrt bitte um meinen Vater herum», weist die grosse, resolute Frau die Fahrer an. Für Vater und Tochter ist es ein emotionaler Augenblick, die Taschen nicht mehr in direkter Nähe zu wissen. Noch sechs Jahre später steigen Mimi Mollerus die Tränen in die Augen, als sie davon erzählt.
Loslassen ist nicht leicht. Den Platz für die nächste Generation zu räumen, das Lebenswerk weiterzugeben – vielen Familienoberhäuptern fällt das schwer. Wer bis zum bitteren Ende an Verantwortung und Vermögen festhält und seine Nachkommen bei der Testamentsverlesung mit dem letzten Willen überrascht, wird nichts als Unverständnis und Unfrieden säen.
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Wer hingegen den Nachlass langfristig plant, das Vermögen oder die Firma mit warmen Händen weitergibt, der kann noch miterleben, wie sein Lebenswerk erhalten bleibt oder sogar wächst, kann notfalls eingreifen, wenn die jüngere Generation zu scheitern droht. Bei der Familie Mollerus war es 2018 so weit: Mit Unterstützung durch Gabrielle Nater-Bass von der Wirtschaftskanzlei Homburger wurde ein offizieller Nachfolgeplan erarbeitet – ein dynamischer Prozess, der für Vater und Tochter stimmt.
Den richtigen Zeitpunkt für die Vermögensübergabe zu finden, ist wichtig. Wenn die Eltern über 80 Jahre alt sind, wird es schwierig, diesen Prozess noch ideal zu gestalten. Jorge Frey, der beim Marcuard Family Office in Zürich schon viele Familien bei diesem emotionalen Prozess begleitet hat, kennt die Situation nur zu gut. Wenn die Erblasser bereits ein hohes Alter erreicht haben, muss es oft schnell gehen. «Es bleibt dann kaum Zeit, diesen Vorgang über zwei bis drei Jahre zu gestalten. Auch Verfassung und Geduld der älteren Generation sind dann nicht immer ausreichend vorhanden, um mehrere Stunden über familiäre Themen zu sprechen.»
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GRAFIK VERERBEN
Frey empfiehlt daher, spätestens im Alter zwischen 60 und 70 Jahren als bestimmende Generation zurückzutreten. «Die Zeiten ändern sich rasch, die Abfolge neuer Ereignisse ist eng getaktet, viele kommen da nicht mehr mit», sagt Frey, Co-Autor des Buchs «Von Geld und Werten». Eine Vorzeigelösung fand die Familie Loeb. Schon im Alter von 32 Jahren beginnt Tochter Nicole Loeb als Leiterin im Bereich Textilien im Warenhaus-Unternehmen.
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Sechs Jahre später übernimmt sie die operative Führung und 2013 die Mehrheit der Stimmrechte. Ein dynamischer Prozess, der in jeder Phase die Übertragung von mehr Verantwortung vorsieht, lässt Raum für nötige Anpassungen und für beide Generationen Zeit, neue Rollen zu übernehmen. Spätestens ab dem Alter von 20 Jahren sollten Eltern ihre Kinder in Vermögensfragen einbeziehen. Über Geld sprechen kann man allerdings schon mit sehr kleinen Kindern – es gibt für jede Phase Themen, die Eltern mit den Sprösslingen erörtern sollten (siehe «Von Generation zu Generation» auf Seite 100).
Es gibt gute Gründe, der jüngeren Generation schon zu Lebzeiten einen Teil des Vermögens, Firmenanteile oder Immobilien zu übertragen. «Wenn Eltern vermögend sind und über genügend Liquidität verfügen, dann unterstützen sie ihre Kinder gerne finanziell bereits zu Lebzeiten», sagt Sandra Spirig, Fachanwältin Erbrecht und Partnerin bei Thouvenin Rechtsanwälte.
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Nicht selten gehe die Initiative dazu von den Eltern aus, die angesichts tiefer und teilweise negativer Zinsen froh sind, einen Teil ihres Vermögens für den Kauf einer Immobilie oder eine Firmengründung an die Kinder abgeben zu können. Eltern sollten sich aber sicher sein, dass sie das verschenkte Vermögen nicht mehr benötigen, betont Sandra Spirig, oder die Zuwendung mindestens als Darlehen ausgestalten, das sie zurückfordern können.
Sollten die Eltern später beispielsweise wegen hoher Pflegekosten in einen finanziellen Engpass geraten, dann führt eine Schenkung dazu, dass sie keine oder geringere Ergänzungsleistungen vom Staat erhalten.
Bevor der Family-Governance-Prozess gestartet wird, sollten die Erblasser formulieren, wer alles zur Familie zählt und mit am Tisch sitzen darf. Eine wichtige Frage: Zählen angeheiratete Partner auch dazu? Nicht alle Kinder möchten am Prozess der Vermögensübergabe aktiv teilnehmen. Grundsätzlich sollte es jedem freigestellt sein, sich einzubringen oder nicht. Trotzdem kann Familienmitgliedern, die nicht bei allen Sitzungen dabei sind, ein Protokoll der Gespräche zugestellt werden, damit sie wissen, was besprochen wurde.
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Familie LOEB
FAMILIE LOEB: Seit 2005 leitet Nicole Loeb das gleichnamige Warenhaus in Bern. Die Übergabe des Chefpostens an die Tochter war der erste Schritt der detailliert geplanten Nachfolge. Loeb ist heute Miteigentümerin und VR-Delegierte. Ihr Vater François führte das 1881 gegründete Warenhaus von 1975 bis 2005.
Raffel Waldner, Urs Baumann / TamediaFAMILIE LOEB: Seit 2005 leitet Nicole Loeb das gleichnamige Warenhaus in Bern. Die Übergabe des Chefpostens an die Tochter war der erste Schritt der detailliert geplanten Nachfolge. Loeb ist heute Miteigentümerin und VR-Delegierte. Ihr Vater François führte das 1881 gegründete Warenhaus von 1975 bis 2005.
Raffel Waldner, Urs Baumann / TamediaVielleicht werden sie sich dann zu einem späteren Zeitpunkt dazu entschliessen, doch mitzumachen. Zudem muss geklärt werden, ob ein externer Berater hinzugezogen wird. Abhängig von der Familien- und Vermögensstruktur, ist juristisches und betriebswirtschaftliches Fachwissen nötig. In emotional schwierigen Situationen kann ein Moderator, der nicht zum Familienkreis zählt, schlichten. Auch mit der Auswahl der Berater und Anwälte sollten alle Beteiligten einverstanden sein und diese als Ansprechpartner akzeptieren.
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Mimi Mollerus hat keine Geschwister – im Fall des Generationswechsels ein klarer Vorteil. Ein häufiger Stolperstein bei der Nachfolge- und Nachlassplanung sind Streitigkeiten zwischen Geschwistern. Ungleichbehandlungen zu vermeiden oder angemessen zu kompensieren, ist daher entscheidend für die reibungslose Vermögensübergabe. Dafür ist eine Planung nötig, die alle Beteiligen einbezieht.
Ein abschreckendes Beispiel ist jenes der Hamburger Familie Herz. Die Kinder des Gründers der Kaffeedynastie Tchibo, Max Herz, wurden bei der Testamentseröffnung von den Worten überrascht: «Zwei meiner befähigsten Jungen sollen das Unternehmen übernehmen.» Hierauf folgte ein emotionaler Machtkampf.
«Die grösste Ungleichbehandlung ist es, Informationen vorzuenthalten», sagt Frey. Die schlechteste Variante ist wohl, wenn der Patron mit einem Kind ausmacht, dass es zum Beispiel das Familienunternehmen übernimmt, und die übrigen Nachkommen vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Streit zwischen den Geschwistern ist dann programmiert. Natürlich gibt es gute Gründe, dass die Firma der Familie in den Händen nur eines Nachfolgers bleibt.
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Fragen an die Nachkommen zur Vorbereitung auf die Vermögensübergabe.
Erste Phase
0–10 Jahre Was sind unsere Werte?
Was bedeutet Vermögen für uns?
Wie geben wir Geld aus?
Was macht man mit dem Sackgeld?
Was geht zurück an die Gesellschaft?
Zweite Phase
11–20 Jahre Wie wird Geld verdient?
Was machen wir mit dem verdienten Geld?
Was ist ein Budget?
Wie werden Schulden zurückbezahlt?
Wie teilen wir mit sozial schlechtergestellten Klassen?
Dritte Phase
21–30 Jahre Was ist die Struktur unseres Familienvermögens?
Wie kann ich selbst Geld verdienen?
Wie gestalte ich mein Budget?
Wie organisiere ich meine Mobilität und Wohnsituation?
Was und wie trage ich zum Gemeinwohl bei?
Vierte Phase
31–40 Jahre Möchte ich eine Familie gründen? Kann ich meinen Lebensunterhalt selbst bestreiten?
Habe ich den Beruf gewählt, der meinen Eignungen entspricht? Setze ich mich dort ein, wo ich mich identifizieren kann?
Wie gebe ich meine Werte weiter?
Quelle: «Von Geld und Werten», Jorge Frey, Eugen Stamm
Gewisse Ungleichbehandlungen lassen sich in der Phase des Generationswechsels daher nicht vermeiden. Die Gründe dafür sollten aber mit der ganzen Familie besprochen werden und alle Beteiligten Gelegenheit haben, sich dazu zu äussern. Wie soll der Ausgleich für diese Ungleichbehandlung aussehen? Wie kann eine Lösung innerhalb der Familie organisiert werden, wenn beispielsweise eines der Kinder die Stimmrechtsmehrheit behält?
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Wenn diese wichtigen Fragen gemeinsam erarbeitet werden, vermeidet man in der Regel Streit. «Die anderen Kinder nach ihrer Meinung zu fragen, ist auch eine Form der Anerkennung und des Respekts, selbst wenn sie sich gemäss dem Patron nicht dafür eignen, die Firma zu übernehmen», sagt Frey. Das gilt nicht nur für Familienunternehmen, sondern generell für die Weitergabe von Vermögenswerten – seien es liquide oder illiquide.
Am 1. Januar 2023 tritt das revidierte Erbrecht in Kraft. Mit einem Testament oder einem Erbvertrag können Eltern freier über ihr Vermögen verfügen, da die Pflichtteile für Kinde kleiner werden. «Die Möglichkeiten einer Ungleichbehandlung werden dadurch grösser. Das ist nicht in jedem Fall nur eine kluge Regelung des Gesetzgebers», sagt Erbrechtsanwältin Sandra Spirig.
Das Ziel der Revision war es, die in der Schweiz relativ hohen Pflichtteile der Kinder zu reduzieren. Das Thema Gleichbehandlung stand bei der Anpassung des Gesetzes nicht im Vordergrund. Ungleichbehandlungen beim Vererben werden unter Geschwistern als grosse Kränkung empfunden und führen oft zu Erbstreitigkeiten. Spirig, die solche Situationen oft erlebt, rät daher, alle Kinder wenn möglich gleich zu berücksichtigen. Das bedeute nicht, dass schon zu Lebzeiten alle gleich viel erhalten müssen.
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Hilfe mit Rat und Tat
HILFE MIT RAT UND TAT: Jorge Frey, Leiter Family Governance beim Marcuard Family Office, Sandra Spirig, Fachanwältin Erbrecht bei Thouvenin Rechtsanwälte.
ZVGHILFE MIT RAT UND TAT: Jorge Frey, Leiter Family Governance beim Marcuard Family Office, Sandra Spirig, Fachanwältin Erbrecht bei Thouvenin Rechtsanwälte.
ZVGWenn etwa der Älteste eine Familie gegründet hat und eine Immobilie kaufen möchte, aber dafür das Eigenkapital nicht hat, dann ist es sinnvoll, diesem Kind Kapital zur Verfügung zu stellen und eine kluge Ausgleichungsregelung zu treffen, damit die Kinder beim Ableben der Eltern gleichgestellt sind. Dasjenige Kind, das bereits zu Lebzeiten beschenkt wurde, muss diese Schenkung gegenüber seinen Geschwistern ausgleichen. Die Eltern könnten in einem Erbvertrag aber festhalten, dass der Beschenkte diese Summe nicht ausgleichen muss.
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Solange die Pflichtteile nicht verletzt werden, können die Geschwister nichts daran ändern. Bei Schenkungen von Vermögenswerten wie Immobilien oder Aktien ist es empfehlenswert, den Ausgleichswert festzulegen. Das kann entweder der Wert beim Zeitpunkt der Übertragung oder derjenige beim Tod der Eltern sein. Wird nichts geregelt, ist der Wert der Schenkung beim Ableben auszugleichen.
So partizipieren auch die Geschwister an der Wertsteigerung. Für den Erben, der zu Lebzeiten ein Haus geschenkt bekommen hat, kann es angesichts stark steigender Immobilienpreise sehr teuer werden, seine Geschwister auszuzahlen.
Oft argumentieren die Geschwister, dass das mit einer Immobilie beschenkte Kind viele Jahre günstig wohnen konnte, während sie selber hohe Mieten zahlen mussten.
Nicht selten wird deshalb in der Erbteilung verlangt, dass diese Kosteneinsparungen auszugleichen sind. Das Gesetz sieht dies aber nicht vor. Die gleiche Konstellation kann sich auch ergeben, wenn die Eltern einzelnen Kindern Barmittel zum Erwerb eines Eigenheims schenken. «Streben Eltern eine absolute Gleichbehandlung der Kinder an, müssen sie auch an diese Einsparungen und eine entsprechende Ausgleichungsregelung denken», rät Spirig.
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Max HERZ
KRYPTISCHES TESTAMENT: Die Gründerlegende Max Herz starb 1965 im Alter von 59 Jahren überraschend an einem Herzinfarkt. Für die Nachfolge im Tchibo-Imperium gab es keine klare Regelung. In seinem Testament schrieb der Patriarch: «Zwei meiner befähigsten Kinder sollen die Firma übernehmen.» Der folgende Streit war programmiert.
ZVGKRYPTISCHES TESTAMENT: Die Gründerlegende Max Herz starb 1965 im Alter von 59 Jahren überraschend an einem Herzinfarkt. Für die Nachfolge im Tchibo-Imperium gab es keine klare Regelung. In seinem Testament schrieb der Patriarch: «Zwei meiner befähigsten Kinder sollen die Firma übernehmen.» Der folgende Streit war programmiert.
ZVGEine besondere Situation ist die Übertragung des Familienbetriebs oder der Aktienmehrheit. Wenn eines der Kinder als Mehrheitsaktionär und Leiter des operativen Geschäfts viele Jahre und mit grossem Erfolg den Wert der Anteile steigern konnte, kann es zu Recht argumentieren, dass diese Wertsteigerung auf seine Leistung zurückzuführen sei. Die Rechtsanwältin Sandra Spirig empfiehlt daher, bei Erbvorbezügen im Falle von Firmen oder Aktienmehrheiten den Wert zum Übertragungszeitpunkt als Ausgleichswert festzulegen.
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Die Chancen und Risiken des künftigen unternehmerischen Tuns liegen damit beim Kind, das bereits zu Lebzeiten als Anteilseigner im Familienbetrieb eingestiegen ist.
Die Weitergabe von Vermögen ist mit der Weitergabe von Werten eng verknüpft. Bei der Familie Mollerus lauten diese: Herzblut für das Unternehmen zu haben, sich stets einzubringen und anzupacken – wenn es sein muss, auch mal mehrere tausend Taschen zu verpacken und zu etikettieren. «Auf das Erbe aufzupassen, es wertzuschätzen, zu hegen und zu pflegen, in meinem Fall die Firma, die mein Vater vor fast vierzig Jahren gegründet hat: Das hat mein Vater mir beigebracht, und das möchte ich auch meinen Kindern weitergeben», sagt Mimi Mollerus.
Das neue Lager für die Mollerus-Taschen in Süddeutschland erwies sich rückblickend als eine der wichtigsten und besten Entscheidungen für den Unternehmenserfolg. «Heute behauptet mein Vater, das Ganze sei seine Idee gewesen», lacht Mimi Mollerus. Ernst Mollerus feiert bald seinen 80. Geburtstag. Er ist weiter VR-Präsident des Familienunternehmens, auch sein Büro am Hauptsitz in Erlenbach hat er noch. Jedes Mal, wenn er seine Tochter anruft, fragt er zuerst: «Wie geht es dir, wo bist du?» Wenn sie antwortet: «Im Geschäft», dann ist der Vater beruhigt. Er weiss sein Lebenswerk in guten Händen.
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