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Fast klandestin verlängerte der Bundesrat die Amtszeit von Nationalbank-Chef Thomas Jordan bis 2027 – aller Kritik zum Trotz.
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Die Nachricht kam früh, und kaum jemand bemerkte sie: «Der Bundesrat hat das Direktorium der SNB für die nächste Amtsperiode wiedergewählt», lautete der Titel der Medienmitteilung, die die Landesregierung am 25. November verschickte. Sechs Jahre zuvor, bei der letzten Bestätigung, mussten Nationalbank-Vorsteher Thomas Jordan und seine Crew noch bis eine Woche vor Heiligabend warten, um die Wiederwahl bescheinigt zu bekommen. Dieses Mal ging es schneller – und lautloser: Im grossen Corona-Strom ging die Meldung praktisch unter. Thomas Jordan? Eine neue Amtszeit? Klar doch.
Für den mächtigsten Mann der Schweizer Wirtschaft dürfte die Wiederwahl dennoch eine Genugtuung gewesen sein. «Big Thomas» Jordan, seit acht Jahren an der Nationalbankspitze, darf jetzt, so er denn will, bis Juni 2027 im Amt bleiben. Dann wäre er mit 64 Jahren fast im Pensionsalter – sein Vorvorgänger Jean-Pierre Roth trat drei Monate vor seinem 64. Geburtstag ab. Mit dann 15 Amtsjahren wäre Jordan zudem in den Annalen der Währungsbastion der dienstälteste der bislang 14 Direktoriums-Präsidenten – er hätte den bisherigen Rekordhalter Gottlieb Bachmann, im Amt von 1925 bis 1939, um eineinhalb Jahre distanziert. Und das in einer extrem herausfordernden Zeit: Die gängigen Ökonomie-Weisheiten sind seit der Finanzkrise ausser Kraft gesetzt, Corona verschärfte den Ausnahmezustand noch. Da ist die Erfahrung des standfesten Ökonomieprofessors ein entscheidender Trumpf. Eine «Ära Jordan»? Zweifellos.
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Eine überraschende Wende angesichts der heftigen Gegenwehr, die Jordan vor Corona entgegenströmte. Die Banken gingen ungewöhnlich scharf auf die Institution los, besonders auf die Negativzinsen: Bankiervereinigung-Präsident Herbert Scheidt warnte im September 2019 vor «massiven strukturellen Schäden» und forderte «Gegensteuer». Wortstarke Ökonomen wie Klaus Wellershoff, Daniel Kalt (UBS) oder Martin Neff (Raiffeisen) schossen ebenfalls gegen die Minuszinsen, die das rechte Ökonomenlager um den früheren SNB-Chefökonomen Kurt Schiltknecht zuvor schon lange bekämpft hatte.
Auch die Politik stimmte ein – von beiden Seiten: «Ich war immer skeptisch gegenüber Negativzinsen», sagte etwa SVP-Übervater Christoph Blocher noch im Februar in der BILANZ und drängte auf den Ausstieg. Und der damalige SP-Präsident Christian Levrat bezichtigte die SNB der Kommunikationsverweigerung und forderte eine aktivere Verwendung der Überschüsse – wie heute auch sein Co-Nachfolger Cédric Wermuth.
Immer lauter schwoll auch die Kritik an der Aufblähung der SNB-Bilanz an. Sie sei «an der Grenze des Erträglichen» befand Finanzminister Ueli Maurer im Sommer 2018, notabene der administrative Dienstherr Jordans. Und der damalige UBS-Chef Sergio Ermotti schoss ebenfalls gegen die Institution, die immerhin sein Aufseher war: «Können wir wirklich nochmals die Bilanz der Nationalbank erhöhen? Ich glaube nicht.»
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Der Finanzminister Ueli Maurer störte sich an der Grösse der SNB-Bilanz.
KeystoneHerbert Scheidt, Präsident der Bankiervereinigung, schoss gegen die Negativzinsen.
Anja WurmSP-Co-Chef Cédric Wermuth fordert eine aktivere Verwendung der SNB-Überschüsse.
Marcel Nöcker / SINun ja: Seit Maurers Kritik ist die Bilanz um weitere 130 Milliarden gewachsen, heute ist sie mit 970 Milliarden Franken proportional zur Wirtschaftsleistung die grösste der Welt. «Die Grenze zum Unerträglichen wäre somit wohl überschritten», befindet die Schwyzer Kantonalbank – um dann gleich zu relativieren. Die schiere Grösse der Notenbankbilanzen sei unmittelbar kein Problem: «Da passiert zunächst nichts.» Sich bloss nicht mit dem grossen Thomas anlegen.
Das passt ins Bild: Die Kritiker sind fast alle verstummt. Jordan steht wie eine Eiche, an der sich alle einmal «abgerieben» haben – und die dadurch eher an Kraft gewonnen hat. Mit seinem permanenten Krisenmodus, der in der Vor-Corona-Normalität immer schräger in der Wirtschaftslandschaft stand, liegt er plötzlich wieder richtig. Die Zinssenkungen der grossen Notenbanken in Washington und Frankfurt lassen den extrem konservativen Notenbankchef plötzlich gar als Pionier dastehen: Seht her, ich bin schon da.
«Er macht derzeit alles richtig», befindet auch der Ökonom Adriel Jost von der Beratungsfirma WPuls, früher auch kritisch in Bezug auf die Dosis der Jordan’schen Negativmedizin. «Besonders gefällt mir, dass er nicht in Aktivismus verfällt und etwa die Negativzinsen noch weiter erhöht. Da hat die Nationalbank wohl eingesehen, dass das nichts bringen würde.» Und auch aus der Politik gibt es Sukkurs. Die Mitteparteien wollten ohnehin nie einen Angriff auf die Traditionsinstitution, und auch von der SVP ist kein wirklicher Widerstand zu erwarten. «Im Innersten wissen wir alle, dass die Nationalbank angesichts der sehr schwierigen Lage einen sehr guten Job macht», betont der SVP-Nationalrat und Finanzexperte Thomas Matter. Der Sturm auf die Nationalbank? Abgeblasen.
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Das musste auch Ueli Maurer einsehen. Zwar wird dem Finanzminister ein eher unharmonisches Verhältnis zu Jordan nachgesagt, doch das liegt wohl primär im Atmosphärischen begründet. Das Grummeln über den starrköpfigen Nationalbank-Chef ist in der Bundesverwaltung ein Dauerthema. Dass der hoch dekorierte Ökonomieprofessor den einstigen Zürcher Bauernpräsidenten und Nicht-Akademiker mit seinen Fachexkursen eher nicht begeistert, darf als gesichert gelten.
Notenbanker-Karrieren (von links): Jean-Pierre Roth (ex SNB) Axel Weber (ex Bundesbank), Christine Lagarde (EZB).
EPA/Keystone/CashNotenbanker-Karrieren (von links): Jean-Pierre Roth (ex SNB) Axel Weber (ex Bundesbank), Christine Lagarde (EZB).
EPA/Keystone/CashDie Kritik Maurers am Bilanzwachstum soll Jordan wiederum durchaus persönlich genommen haben. Doch an «Big Thomas» zu rütteln, war selbst für den Finanzminister – und den gesamten Bundesrat – ein Tabu. Einen veritablen Kurswechsel hätte nur ein Externer gebracht, da das dreiköpfige Direktorium als Kollegialleitung agiert. In der Geschichte der ehrwürdigen Institution ist es erst zwei Mal vorgekommen, dass jemand von aussen auf den Präsidentensessel berufen wurde – das letzte Mal ein gewisser Edwin Stopper im fernen Jahr 1966. Schon deutlich schwächere Präsidenten wurden im Amt bestätigt. Und Jordan ist der wohl mächtigste Präsident der jüngeren Geschichte.
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Der Mann aus Biel dominiert die Behörde unangefochten – mit 23 Jahren ist er zehn Jahre länger dabei als die beiden anderen Direktoriumsmitglieder Fritz Zurbrügg und Andréa Maechler zusammen. Er ist Professor der Makroökonomie – die anderen verfügen «nur» über ein Doktorat. Vor allem: Die zentralen Entscheide bei den Schlüsselthemen Negativzins und Bilanzausweitung fallen im erstem Departement – und das führt Präsident Jordan.
Bei dem Daueraufreger Negativzinsen müsste die Gegenwehr am ehesten von Zurbrügg kommen. Als Leiter des zweiten Departements ist er für die Finanzstabilität verantwortlich, und die Negativzinsen befeuern einen Immobilienboom, der genau diese Stabilität bedroht. Doch der Ex-Chef der Eidgenössischen Finanzkontrolle, durchaus ein eigener Kopf, fügt sich dem Kollegialprinzip. Und auch bei den Deviseninterventionen kommen die Anträge aus Jordans Departement: Es legt die Interventionsstrategie fest. Maechlers drittem Departement bleibt nur die Umsetzung.
Zusätzlich spielt auch die Altersthematik für Jordan. Sein Stellvertreter Zurbrügg ist drei Jähre älter, der 60-Jährige erreicht die Pensionsgrenze vor dem Ablauf der neuen Amtszeit. Die ehernen Rituale besagen, dass automatisch die bisherige Leiterin des dritten Departments auf den Vize-Posten nachrückt und die Leitung des Berner Sitzes übernimmt. Dass der Nationalbank unlängst von dem Onlineportal «Republik» Frauendiskriminierung vorgeworfen wurde, stärkt Maechlers Stellung eher. Zwar parierte Jordan die Vorwürfe elegant: Systemische Frauendiskriminierung gebe es nicht, konnte er glaubwürdig versichern – zu vage blieben dann auch die Vorwürfe.
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Die Bündner SVP-Politikerin Barbara Janom Steiner ist Präsidentin des Bankrats.
KeystoneVania Alleva vertritt die Gewerkschaftsanliegen im Bankrat.
keystone-sda.chDer Genfer Professor Cédric Tille diskutiert noch am ehesten mit Jordan.
ZVGAber immerhin gab das Direktorium eine externe Analyse in Auftrag, und der Bankrat als oberstes Kontrollgremium bildete unter der Leitung der Präsidentin Barbara Janom Steiner einen eigenen Ausschuss. Maechler das Vizepräsidium zu verweigern, wäre in dieser Stimmungslage kaum denkbar – und dann wäre die heute 51-Jährige auch als Jordan-Nachfolgerin gesetzt. Eine Revolution wäre das nicht. Mit Janet Yellen wurde die US-Notenbank bereits von einer Frau kompetent geführt, bei der Europäischen Zentralbank steht seit mehr als einem Jahr Christine Lagarde am Steuer.
Allerdings: Die Zweifel an Maechlers Fähigkeiten, die aus der dritten Reihe des IMF zur Nationalbank stiess, sind in Finanzkreisen weit verbreitet. Aber es gilt eben auch: In dem übergrossen Schatten Jordans gedeiht wenig. «Wenn Andréa die Chance bekäme, würde sie aufblühen», sagt ein ehemaliges Direktoriumsmitglied. Unbestritten bleibt aber, dass sie vom Erfahrungsschatz Jordans weit entfernt ist. Das stärkt seine Stellung in diesen angespannten Zeiten weiter.
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Gegenwehr kommt auch vom eigenen Aufsichtsgremium nicht. Der Bankrat der Nationalbank müsste eigentlich agieren wie ein Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft – als Kontrollorgan und Strategie-Taktgeber. Formal hat sich das oberste Gremium in den letzten Jahren durchaus in diese Richtung bewegt: Die Mitgliederzahl wurde auf elf Personen verkleinert, die Ausschüsse suggerieren normale VR-Arbeit, auch Nachfolgethemen werden turnusmässig diskutiert.
Der grosse Unterschied ist jedoch: Beim Kernthema, der Geldpolitik, darf sich der Bankrat explizit nicht einmischen. Das ist, als ob sich der Roche-Verwaltungsrat nicht um das Medikamentengeschäft oder der Nestlé-Verwaltungsrat nicht um die Lebensmittelstrategie kümmern dürfte. Nicht einmal öffentlich äussern darf sich der Bankrat dazu – der jüngst ausgeschiedene SGB-Chefökonom Daniel Lampart musste sich mehrfach tadeln lassen, dass er öffentlich Stellung nahm.
Jordan diskutiert mehrmals im Jahr mit dem Gremium, doch wirkliche Macht hat es kaum. Die Kritik aus den Bundesratsparteien und den Banken erreicht den Bankrat nur stark gedimmt – das hat sich auch unter der neuen Präsidentin, der Bündner SVP-Politikerin Janom Steiner, nicht geändert. Am ehesten wagen noch die Gewerkschaftler Vania Alleva und der Genfer Ökonomieprofessor Cédric Tille kritische Voten. Doch den grossen Geldpolitiker Thomas Jordan in den grossen Fragen umzustimmen, bleibt chancenlos. «Abnickerrunde», urteilt dann auch ein ehemaliges Mitglied.
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Allerdings: Den Bankratsmitgliedern ist wie so manchem Politiker auch aufgefallen, dass Jordan teilweise sehr dünnhäutig auf Kritik reagiert. Er erwartet, dass man ihm folgt – und nicht, dass man ihn hinterfragt. «Da hat er nur wenig Gespür für politische Machtdynamiken», heisst es aus dem Bankrat. Seine Haltung: Er steuert die Schweizer Wirtschaft durch die schwersten Stürme – und erwartet dafür Zustimmung und nicht Kritik.
So bleibt die Frage: Was ist, wenn Jordan selbst keine Lust mehr hat? Das prestigeträchtige August-Treffen der Notenbanker in Jackson Hole im US-Bundesstaat Wyoming, für seinen weltläufigen Vorgänger Philipp Hildebrand ein Highlight im Jahreskalender, schwänzte er schon vor Corona mal – er schickte lieber seinen Vize in die fernen Rocky Mountains. Und wie schön auch ein Leben nach dem SNB-Präsidium sein kann, demonstrierte sein Vorvorgänger Roth: Er sicherte sich gerade drei Monate nach seinem Austritt VR-Mandate bei Nestlé, Swatch und Swiss Re, trat nach nur sechs Monaten als Präsident der Genfer Kantonalbank an – seine Honorare lagen deutlich über dem Präsidentensalär von mehr als einer Million Franken. Und wird nicht ein prestigeträchtiger Job bald frei? UBS-Präsident Axel Weber hat seinen Abschied für 2022 angekündigt, er braucht dringend einen Schweizer, und der weltweit bestens beleumundete Jordan wäre sicherlich ein valabler Kandidat. Allerdings beträgt die Karenzfrist für eine systemrelevante Bank ein Jahr.
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Andererseits: Jordan war immer mehr der theoriegetriebene Ökonomieprofessor als der charismatische Truppenführer. Und das Salär – sechs Millionen bei der UBS – ist für ihn kein wirklicher Treiber. «Schwer vorstellbar, dass den Thomas das UBS-Präsidium interessiert», urteilt ein langjähriger Weggefährte. Da hat er eben ein wirkliches Ethos: Er ist der uneitle Staatsdiener par excellence, und die SNB durch diese stürmischen Zeiten zu führen, gebietet ihm auch sein Pflichtbewusstsein. Aber etwas mehr Dankbarkeit hätte er schon gern.
*Amtszeit bestätigt bis 2027
Doch sie wird auch im neuen Jahr kaum kommen. Corona erhöht allein den zu tilgenden Schuldenstand der Eidgenossenschaft um mindestens 30 Milliarden Franken, und das weckt die Begehrlichkeiten gegenüber der Nationalbank massiv: Niemand verspricht so einfach schnelles Geld. Parteivorstösse von allen Seiten sind im Parlament hängig.
Jordan hat die Ausschüttung an Bund und Kantone zu Jahresbeginn bereits von zwei auf vier Milliarden Franken erhöht. Doch jetzt werden die Forderungen massiver werden – mindestens zehn Milliarden sollten es schon sein, fordern selbst bürgerliche Kreise. Dazu braucht es jedoch eine neue Vereinbarung, und man muss kein Prophet sein, um Thomas Jordan wieder in seiner Rolle als grosser Bremser zu sehen – ein Fels im Ansturm der Schwachgeldpolitiker.
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Stürzen kann ihn jetzt niemand mehr. Und auch den Luxus eines wahrhaft erfolgreichen Chefs gönnt er sich: Seinen Abschied bestimmt er selbst.
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