Guten Tag,
Jahrzehntelang bewundert und jetzt das: Wie der Wahlschweizer Jorge Lemann im grössten Bilanzskandal Brasiliens um sein Image kämpfen muss.
Die Ladenkette Lojas Americanas, wo Jorge Lemann Grossaktionär ist, muss gerettet werden.
kornel.ch für BILANZWerbung
Anderen war weniger zum Lachen zumute: «Und was ist mit dem Loch bei Americanas?», schrieb ein aufgebrachter Instagram-User als Kommentar zum Foto, das einen lächelnden Jorge Lemann nach einem Tennismatch im Royal Palm Tennis Club in Miami zeigt, wie er seine Trainerin Isabela Miró umarmt. «Special guest today», hatte diese an jenem Samstag Mitte Februar gepostet. Als das Foto bei den Gläubigern der brasilianischen Ladenkette Lojas Americanas die Runde machte, wo Lemann Grossaktionär ist und die nach einem Schuldenloch von vier Milliarden Dollar unter Konkursverwaltung steht, löschte Lemanns Tennispartnerin ihren Eintrag wieder.
Es brodelt derzeit in Brasilien, der gigantische Bilanzfälschungsskandal um Americanas hält das Land seit Wochen in Atem, die 40'000 Mitarbeiter der Detailhandelskette bangen um ihre Jobs. Über Jahre sind Schulden versteckt worden, der neue CEO Sergio Rial, der die Sache entdeckte, warf umgehend das Handtuch, sein langjähriger Vorgänger auf dem Chefposten ist spurlos verschwunden (zumindest bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe am 21. Februar). Noch immer sind die Umstände unklar und Gegenstand intensiver Abklärungen, intern wie extern wird untersucht, und auch die Regulatoren sind tätig geworden.
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Auf dem falschen Fuss erwischt wurden die Hauptaktionäre von Americanas um den brasilianisch-schweizerischen Doppelbürger Jorge Lemann, Milliardär mit Wohnsitz nahe Rapperswil am oberen Zürichsee. Der 83-Jährige hält zusammen mit seinen beiden langjährigen Businesspartnern Carlos Sicupira (74) und Marcel Telles (72) 31 Prozent an Americanas. Die Ladenkette ist nur ein Teil im gigantischen Firmenkonglomerat, das die drei Freunde in den letzten Jahrzehnten vor allem in Brasilien und den USA zusammengekauft haben und das Dutzende Milliarden wert ist. Seit Jahren rangiert Lemann unter den Top Ten der 300 Reichsten der Schweiz, zuletzt auf Rang acht mit einem Vermögen von 16 bis 17 Milliarden Franken.
Die brasilianische Ladenkette hat 3600 Geschäfte in 900 Städten und 40'000 Mitarbeiter.
imago/FotoarenaDie brasilianische Ladenkette hat 3600 Geschäfte in 900 Städten und 40'000 Mitarbeiter.
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Bis vor Kurzem wurden die drei mächtigen Milliardäre wie Popstars verehrt – es schien, dass sich, was immer sie berührten, in Gold verwandelte. Gleichzeitig trat man auch als Wohltäter auf, Lemann etwa fördert die Bewohner der Favelas, der Slums von Brasilien, mit einem Wohn- und Ausbildungsprogramm. «Es ist noch gar nicht so lange her, dass Jorge Paulo Lemann der wohl angesehenste – und gefürchtetste – Unternehmensbaron der Welt war», schrieb der Nachrichtendienst Bloomberg Anfang Februar. Der Aufbau ihres Firmenimperiums galt weltweit als Vorbild für erfolgreiche Firmensanierung.
Lemann, Sicupira und Telles hatten sich in den siebziger Jahren bei Lemanns Investmentbank Garantia kennengelernt und gingen später gemeinsam auf Firmenjagd. Die drei schnappten sich in rasantem Tempo multinationale Giganten und trimmten sie mit Effizienzprogrammen fit. Als Vehikel diente die Private-Equity-Firma 3G, in der die drei viele ihrer Aktivitäten bündeln. So ist Lemann an der aus allerlei Fusionen hervorgegangenen AB InBev, dem grössten Bierimperium der Welt, massgeblich beteiligt. Zum Portfolio der Firma zählen über 600 Marken, darunter global vertriebene Brands wie Budweiser oder Stella Artois. Auch beim US-Lebensmittelgiganten Kraft mit seinem Heinz-Ketchup und an Restaurant Brands International, der Muttergesellschaft von Burger King, ist das Trio via 3G gross drin.
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Die Konkurrenz blickte stets neidisch auf die hohen Renditen, der Respekt vor Lemann in der Branche war immens. Der Mann aus bescheidenen Verhältnissen, Sohn eines 1922 von Langnau im Emmental nach Brasilien ausgewanderten Käsehändlers, kannte in seiner Karriere im Grunde nur eine Richtung: nach oben.
Doch dann kam der 11. Januar. Der Americanas-Skandal platzte. Und Lemann muss mit 83 Jahren doch noch lernen, was es heisst, untendurch zu müssen.
Am Anfang stand eine nüchterne Rücktrittsmeldung: CEO Rial warf nicht mal zehn Tage nach Amtsantritt das Handtuch. Als Grund gab er Ungereimtheiten in der Bilanz an. Ein Blick auf die konkreten Zahlen offenbarte Ungeheuerliches: Über 20 Milliarden Real, umgerechnet fast vier Milliarden Dollar, an Verbindlichkeiten waren irgendwie in den Büchern verschwunden. Der Schock sass tief, die Aktien stürzten um 94 Prozent ab. Wie so etwas möglich sei, fragte sich jeder. Es ging nicht lange, und die drei Hauptaktionäre gerieten in den Fokus.
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Schon seit rund 40 Jahren sind sie bei Americanas bestimmend. Im Verwaltungsrat waltet Sicupira persönlich, und für Lemann nimmt Sohn Paulo Alberto (54) die Interessen des Vaters als VR-Mitglied wahr. Über viele Jahre hatte das Management Boni in Millionenhöhe kassiert, und als Aktionäre waren Lemann und Co. in den Genuss üppiger Dividenden gekommen – auf Grundlage falscher Geschäftszahlen, wie sich jetzt herausstellte. Allein an Dividenden und Zinsen kassierte das Trio seit 2012 umgerechnet 150 Millionen Dollar. Die drei machen allerdings geltend, sie hätten ein Mehrfaches über Kapitalerhöhungen eingeschossen.
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Auch dass die Direktoren 2022 so viele Aktien des Unternehmens verkauften wie in allen zehn vorherigen Jahren zusammen, wie die «Neue Zürcher Zeitung» schreibt, wirft Fragen auf, schürt den bösen Verdacht, ob da vielleicht ein paar Leute ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben.
Von Seiten der kreditgebenden Banken gab es eine Welle der Empörung. «Die drei reichsten Männer Brasiliens, Halbgötter des globalen Kapitalismus, werden mit der Hand in der Kasse erwischt», polterte André Esteves, Mehrheitseigner der brasilianischen Investmentbank BTG Pactual. Esteves ist in der Schweiz kein Unbekannter: Der gewiefte Banker verkaufte einen Teil seiner Pactual einst für gutes Geld an die UBS und kaufte sie nach der Finanzkrise von der taumelnden Grossbank wieder zurück.
Nur kurz verharrten Lemann und seine Mitstreiter in Schockstarre, dann wurde das Verteidigungsdispositiv hochgefahren.
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In einer gemeinsamen Verlautbarung gaben die drei bekannt, dass auch sie vollkommen von der Sache überrascht worden und hier Opfer und nicht Täter seien. Auch auf Anfrage von BILANZ betont Lemann diese Haltung: «Die Tatsache, dass Teile des Managements zusammen mit einigen Banken offenbar systematisch die Bilanz von Lojas Americanas manipuliert und damit das Unternehmen in elementare Schwierigkeiten gebracht haben, ist für mich persönlich eine grosse Enttäuschung», schreibt er in einer Mail. «Als Aktionär werde ich mich gemeinsam mit meinen Partnern mit aller Kraft gegen die verschiedenen Vorwürfe wehren, die in jeder Hinsicht unbegründet sind. Ich persönlich bin überzeugt, dass die wahren Fakten und Verantwortlichkeiten ans Licht kommen werden. Im Übrigen bin ich als langjähriger Aktionär bereit, meinen Beitrag zum langfristigen Erhalt des Unternehmens zu leisten», so Lemann weiter.
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Den Worten hat er bereits Taten folgen lassen – unmittelbar nach Bekanntwerden des Skandals reiste er nach Brasilien, um eine Notfinanzierung von rund 190 Millionen Dollar auf die Beine zu stellen. Laut den Medien haben die drei eine weitere Geldspritze von 1,3 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt.
Derweil gehen die Untersuchungen weiter. Man werde es die Presse wissen lassen, sobald man klare Erkenntnisse habe, lässt die britische PR-Agentur von Lemann verlauten.
Dass Lemann so spät in seiner Karriere noch in eine solche Krise geraten würde, hat er selber wohl am wenigsten erwartet. Alles lief bestens, und so hatte er in seinem grossen Reich begonnen, sich schrittweise zurückzuziehen und seinen Kindern mehr Verantwortung für die Firma zu übertragen.
Lemann hat sechs Kinder aus zwei Ehen. Alle sind unternehmerisch tätig, haben Firmen gegründet im Investment-, Venture-Capital- oder Modegeschäft. Seine zweite Ehefrau Susanna (62) ist eine Zürcherin, die in Brasilien Lehrerin an einer Schweizer Schule war. Die drei gemeinsamen Kinder des Paars, Marc, Lara und Kim, kamen in der ersten Hälfte der neunziger Jahre zur Welt. Grund für den Umzug in die Schweiz war ein traumatisches Erlebnis für die Familie: Als ein Chauffeur die drei kleinen Kinder 1999 in São Paulo in die Schule fahren wollte, versuchten Kriminelle, den Wagen anzuhalten. Nur dank der beherzten Reaktion des Fahrers gelang die Flucht und konnte Schlimmeres verhindert werden. Lemann sei bis heute von diesem Ereignis traumatisiert, erzählte ein Mitarbeiter Lemanns gegenüber BILANZ vor einigen Jahren.
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Die Familie zog in die sichere Schweiz und residiert seither in Rapperswil-Jona. Ein Nachbar ist der Schweizer Tennisstar Roger Federer, mit dem er seit Jahren auch persönlich sehr eng befreundet ist. Federers Villa ist noch im Bau, doch gerne schlagen die beiden auf dem eigens angelegten Tennisplatz von Lemanns riesiger Villa am See ein paar Bälle. «Er hat einen Tennisplatz in seinem Haus, den ich bei mehreren Gelegenheiten genutzt habe, um mich auf Turniere vorzubereiten», liess Federer vor einem Jahr die Presse wissen. Der 83-jährige Nachbar soll recht gut mithalten, erzählen Vertraute – kein Wunder, Lemann ist selbst ein hervorragender Tennisspieler. In Brasilien war er in jungen Jahren fünfmal Landesmeister, und auch in der Schweiz holte er 1962 den Meistertitel.
Lemann mit seiner zweiten Frau Susanna.
KeystoneLemann mit seiner zweiten Frau Susanna.
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Auch wenn die Familie eher zurückhaltend lebt, sieht man das Ehepaar mitunter im nahen Städtchen Rapperswil beim Flanieren. Tochter Lara (29) feierte letzten Sommer ihre glanzvolle Hochzeit im Schloss Rapperswil.
Auch in der Schweizer Wirtschaft haben die Lemann-Sprösslinge inzwischen Spuren hinterlassen. So wurde kürzlich bekannt, dass Sohn Kim (27) einer der Investoren bei Stash ist, einem Schweizer Start-up, das Essenslieferungen macht. Der ältere Bruder Marc (31) ist ein gewichtiger Investor bei der Schweizer Turnschuhfirma On, wo notabene auch Lemann-Kompagnon Sicupira als Investor engagiert ist.
Auch hier gibt es einen Bezug zu Federer, der seit 2019 in On investiert ist und für die Kultmarke als Werbebotschafter fungiert. Die beruflichen Verbandelungen der Familien Lemann und Federer sind auch sonst sehr eng. Etwa beim Laver Cup, der 2017 von Federer und dessen Manager Tony Godsick in Kooperation mit Lemann gegründet wurde. Lemanns Gattin Susanna waltet zudem im Beirat der Stiftung von Federer. «Jorge Paulo hat eine wunderbare Familie, und im Laufe der Zeit haben wir uns kennengelernt», so Federer 2022 am Rande einer Veranstaltung der Credit Suisse, wo beide als Redner auftraten. Auch zur CS ist der Bezug eng: Lemann hat seine Garantia 1998 für umgerechnet eine Milliarde Franken an die CS verkauft und kennt viele der Chefs persönlich, Federer wiederum ist ein wichtiger Werbeträger und Markenbotschafter der Bank.
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Zwei Söhne bekleiden auch Kernfunktionen in Lemanns eigenem Unternehmenskonglomerat. Vor allem der älteste Sohn aus erster Ehe, Paulo Alberto (54), spielt eine Schlüsselrolle. So vertritt er den Vater etwa im Verwaltungsrat von AB InBev, aber auch im Verwaltungsrat von Americanas hat er wie erwähnt Einsitz. Sohn Marc, sein Ältester aus zweiter Ehe, nimmt die Interessen seines Vaters bei der Burger-King-Mutterfirma Restaurant Brands International wahr. Bei Kraft Heinz ist mit Chairman Miguel Patricio ein Vertrauter aus seinem Getränkekonzern AB InBev platziert. Die beiden Firmen Kraft und Heinz wurden 2015 von Jorge Lemann und Warren Buffett verschmolzen. Der Gründer der Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway hat mit Lemann mehrere grosse Deals durchgezogen.
Nun, mit dem Americanas-Skandal, erinnert man sich, dass es im Reiche Lemann schon mehrmals vorher zu Unregelmässigkeiten gekommen war. 2021 etwa musste Kraft Heinz, wo 3G damals rund 18 Prozent hielt, eine Vergleichszahlung von 62 Millionen leisten, nach einer Anklage der amerikanischen Börsenaufsicht. Der Vorwurf: aufgeblähte Profite. Der CEO von Kraft Heinz beeilte sich damals zu betonen, das sei ein «kleinerer Fehler» und keinesfalls Zeichen eines Musters hinsichtlich des Geschäftsgebarens der drei Milliardäre.
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