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Mann des Monats

Silvio Denz, der Arbeiter des Luxus

Er kennt seine Firmen bis hinab in die tiefsten Details, verschränkt sie mit neuen Kooperationen: Weingüter, Whisky, Kristallglas und Gastronomie bilden die Welt von Silvio Denz.

Dirk Ruschmann

Dirk Ruschmann

Silvio Denz

Sterneküche und Kristall Auch wenn es im Werkzeuglager nicht so aussieht: Silvio Denz ist mit Lalique im Luxusgeschäft unterwegs.

Erwin Windmueller / Lalique

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Die Führungskraft kann sich die Führung sparen, Silvio Denz leitet den Rundgang durch das Museum kurzerhand selbst. Vasen, Statuen, Spiegel, Leuchten, Tintenfässer, Karaffen, Parfumflakons oder Fenster für Kirchen, «die bekannteste ist St.  Matthew’s auf Jersey», Denz kennt zu jedem Exponat die Historie.

Detailreich kann er die Arbeitsweise von René Lalique referieren, dem «Bildhauer des Lichts» und Erfinder des Parfumflakons, wie er mit Tausenden Zeichnungen auf Verkaufstour zog und dann nach Bestellung produzierte, die Hassliebe schildern zwischen Vater René, der nur mit Glas gearbeitet hat, und Sohn Marc, der auf Kristall umstieg, kennt Wert und Gewicht des Kronleuchters in der Vorhalle (über eine Million Euro für 1,6 Tonnen) – suchst du Antworten, frag Silvio. Auch seine eigene Sammlung an Flakons lagert hier im Musée Lalique.

Lalique und Silvio Denz gehören seit Februar 2008 zusammen. Damals übernahm Denz die Glasmanufaktur und das Parfumgeschäft, für das er sich eigentlich interessiert hatte – aber die französische Firmengruppe Pochet wollte nur im Paket verkaufen. Also schnallte sich Denz auch die Kristallfabrik mitsamt der alten Residenz René Laliques im elsässischen Wingen-sur-Moder an. Villa und Firma hat er grundrenoviert und funktionierende Geschäftsmodelle eingebaut.

Verzweigtes Portfolio

Auch abseits von Lalique war Silvio Denz tätig. Seine Firmengruppe umfasst Immobilien, Weingüter und eine Whiskydestillerie, sternengekrönte Hotel- und Gastronomiebetriebe, gerade kam in Zürich ein weiteres Hotel dazu. Für diverse Engagements hat Denz höchstkarätige Mitinvestoren wie Bahntycoon Peter Spuhler, Medizintechnik-Magnat Hansjörg Wyss oder Industriekapitän Michael Pieper gewonnen.

Die Investments, für Aussenstehende kaum zu überblicken (siehe Grafik auf Seite 55), oszillieren um die Themen klassische Luxusgüter und traditionelle Werte. Anlagen zum Anfassen – ein Verweis auf die unbekannte Seite des Silvio Denz, dem gern Beinamen wie «passionierter Schöngeist» oder «Connaisseur» angeheftet werden, weil er einerseits mit schönen Dingen arbeitet und seinen Passionen folgt.

Andererseits neigt er zu sicheren Anlagen, die Generationen überdauern können. Seinen Teil des Stapels an Goldvreneli, den er und sein Bruder Martin nach dem Tod des Vaters im Safe entdeckten, hütet und versteuert er bis heute. «Wenn einmal etwas passiert», hatte der Vater stets betont, der noch im Weltkrieg kämpfte, «bekommt man mit den Vreneli in der Migros immer noch Brot und Milch für die Familie.»

Diese Vorsicht hat der Sohn offensichtlich geerbt. «Grund und Boden an Toplagen in der Schweiz verlieren nie an Wert, überleben Kriege und Krisen und sind das Fundament für die nächste Generation.» Originalton Silvio Denz.

Partner-Inhalte

Die Weggefährten um Silvio Denz

Hansjörg Wyss
Michael Pieper - Inhaber Artemis Group
Peter Spuhler, Verwaltungsratspraesident und Group CEO ad interim von Stadler Rail, aufgenommen beim Roll-out des "Flirt" Zuges von Stadler Rail fuer die BLS AG, aufgenommen am Mittwoch, 9. September 2020, in Erlen. Stadler Rail liefert 58 Triebzuege an die BLS. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Stephan von Neipperg
Bernard Antony
Damien Hirst
James Turrell
Botta
Hadid
Stradner Paul
Jérôme Schilling
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Die Co-Investoren

 

Hansjörg Wyss Der Medizinaltechnik-Milliardär ist Aktionär bei Lalique und hat mit Denz die Whisky-Brennerei Glenturret gekauft.

HO

Wingen-sur-Moder kann als touristisches Highlight vor allem mit der Anfahrt über malerische Landstrassen werben – und seit einem Jahrzehnt mit einer Gedenkstätte: dem Musée Lalique. In den Hügeln der Nordvogesen, wo eine ganze Armada von Glashütten ihre Schmelzen betrieb, hatte René Lalique seine Firma gegründet; dieses Jahr feiert sie ihr Hundertjähriges.

Das Museum schob ein «Syndikat» aus Gebietskörperschaften an, von der Region Grand Est bis hinab zur Gemeinde, finanzbestärkt von Paris und der EU, mit rund 15 Millionen Euro Starthilfe, dazu fliessen jährliche Zuschüsse. «Uns kostet das nichts», sagt Denz, «und wir können uns hier präsentieren.»

Ohne Gegenleistung ging es nicht. Zunächst belebte Denz die darbende Glaskunstfabrik wieder, wertete die Villa Lalique zum Fünfsternehotel auf, erwarb auch das Château Hochberg neben dem Museum und baute es zum Viersternehotel um. Ein Anbau der Villa, gestaltet von Stararchitekt Mario Botta, beherbergt einen Weinkeller mit 60 000 Flaschen und ein Restaurant, wo Zweisternekoch Paul Stradner auftischt und Romain Iltis die Gläser füllt, einer der höchstdekorierten Sommeliers Frankreichs – das lockt genussgetriebene Touristen in die strukturschwache Region.

Der Chef als Ferienvertreter

Vor allem aber avancierte die Fabrik wieder zum Gravitationszentrum. Denz dezimierte den abgeschotteten Pariser Verwaltungs-Wasserkopf von Lalique, stellte Vorstände auf die Strasse und sich selbst als neuen Eigentümer vor die Arbeiter, erklärte ihnen schonungslos die Lage. Die ungekannte Offenheit kam an.

Wer nun mit Denz durch die Fabrik streift, sieht die andere Seite des «Schöngeists»: Umzingelt von kreischenden Schleifmaschinen, Trocknungsstrassen und 1200 Grad heissen Schmelzöfen, erläutert Denz die Arbeitsschritte des eigenen Ofenbauers, das computergestützte und händisch verfeinerte Anfertigen der Werkzeuge, die Jobs der Schleifer, Polierer und Qualitätskontrolleure – in der Theorie könnte Denz wohl für die meisten eine Ferienvertretung übernehmen.

Denz hat zuvor ausgelagerte Arbeitsschritte zurück nach Wingen geholt, wieder Lehrstellen ausgeschrieben und die Produktion auf Handarbeit konzentriert – statt Millionen verlassen noch maximal 400'000 Stücke pro Jahr die Fabrik, vom Weinglas bis zu Tierskulpturen für Zehntausende Euro. Verkaufsschlager ist die Vase «Bacchantes», auf der sich nackte Bacchus-Priesterinnen rund um den Glaskörper schlängeln, in der klassischen Grösse für knapp 4000 Franken abzuholen.

Über die Stilsicherheit einzelner Objekte möchte man diskutieren, doch wer das aufwendige Handwerk beobachtet, die filigranen Pinselstriche und Schleifarbeiten, wo jedes Abrutschen den Gegenwert eines Autos zerstören kann, der stellt sich zugleich die Frage, warum die Teile nicht noch teurer verkauft werden – zumal die Margen von Lalique nicht mit den Grossen der Luxusindustrie Schritt halten.

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Lalique

Schöne Dinge Das exklusive Wachsausschmelzverfahren für kleine Kristallserien.

ZVG
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Mit ihrem diversifizierten Portfolio rund um das Hauptgeschäft Kristallglas, mit eigenen Parfummarken und lizenzierten wie Jaguar, Bentley oder Brioni, der hochklassigen Sonnenschutzmarke Ultrasun und dem wachsenden Bereich Gastronomie und Hotellerie ist die Lalique Gruppe im Ansatz durchaus mit Branchenriesen wie LVMH oder Kering zu vergleichen.

Doch deren Grössenvorteile und langjährige Markenpflege, resultierend in operativen Margen nahe 30 Prozent, kann Lalique weder kontern noch kopieren. Denz peilt mit seiner kleinen, feinen Gruppe mittelfristig neun bis elf Prozent operative Marge an. Aktuell liegt er bei knapp sieben Prozent.

Turnaround im Kristallgeschäft

Die Margenpolitur geht Denz mit immer neuen Projekten an. Etwa via Cross-Promotion wie aus dem Lehrbuch: Die Villa Lalique fungiert neben ihrer Lockfunktion mit Hotel, Küche und Weinkeller auch als Schaufenster für hauseigene Produkte: Die Sparte Inneneinrichtungen lieferte Lampen, Vasen und Möbel mit Glas-Intarsien, auf den Tischen glitzern Lalique-Gläser, darin Weine von den Denz-Châteaus im Bordeaux, deren edle Varianten wiederum in gravierten Flaschen aus Lalique-Herstellung abgefüllt sind.

Statt Krise herrschen heute volle Orderbücher und Lieferfristen; bald 290 Leute arbeiten in der Manufaktur, bei der Übernahme 2008 waren es eher 200. Mehr als 25 Millionen Euro hat Denz seit damals investiert. Beim Rundgang zeigt sich der Respekt der Arbeiter für den Schweizer, der ihre Jobs gesichert hat.

Er wird mit Worten oder Nicken gegrüsst, wer etwas Relevantes zu sagen sagt, geht ihn direkt an; «Respekt und Wertschätzung für die Leute sind mir wichtig», sagt Denz. Er hört jedem zu, spricht formidables Französisch.

Und er kennt sich aus wie ein KMU-Patron, als hätte er Lalique vor Jahrzehnten selbst gegründet. Nach dem Rundgang bleiben keine Fragen offen. Wie das «Wachsausschmelzverfahren» für exklusive Kleinserien funktioniert? Wo der Sand herkommt für die Öfen (Bordeaux), wie viel Wasser sie beim Trocknen verlieren (200 Liter), was die schwerste Vase wiegt (15  Kilo) – sogar, wie viele Gäste Platz haben an den Tischen im Weinkeller der Villa? Im Zweifel: Don’t ask the Kellner. Ask Silvio.

Er sei «rastlos», haben ihm sein Bruder Martin und sein Sohn Claudio schon gesagt, auch als «getrieben» ist Silvio Denz schon etikettiert worden. Ganz so sieht er das nicht – aber dass er nicht stillsitzen, nicht ohne Aufgabe sein kann, ist ihm bewusst.

«Für mich ist das, was ich tue, gar keine Arbeit, sondern Spass, und so gesehen arbeite ich gar nicht», sagt Denz, er gehe «Passion und Leidenschaft» nach, sagt Termine ab oder gar nicht erst zu, wenn sie ihm nicht passen. Das habe er «nach dem Verkauf von Alrodo gelernt».

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Foto: Erwin Windmueller / Lalique

Alrodo, das ist der erste Teil einer Entrepreneur-Geschichte, die nicht punkto Börsenkapitalisierung, aber Aufbauleistung an Bahnbauer Peter Spuhler erinnert – mit dem Denz übrigens befreundet ist. Die Familienfirma, gegründet als Parfum-Grosshandlung mit einer Handvoll Angestellten, übernahm Denz 1980 und baute sie zu einer Kette mit 120 Verkaufsstellen aus.

Als Marionnaud im Jahr 2000 mit einer Offerte anklopfte, nannte Denz, der gar nicht unbedingt verkaufen wollte, bewusst einen Preis, den er überhöht fand – und bekam die Zusage für kolportierte 150 Millionen Franken. Er habe gespürt, «der Zeitpunkt ist da, dann muss man die Party verlassen können».

Als Jugendlicher hatte Denz weder von der Parfumbranche noch von einer Kristallerie geträumt. «Ich sage immer, das Leben ist eine kurvenreiche Strasse, es kann sich ein wunderschönes Tal öffnen oder dir einer mit 180 Sachen entgegenkommen.»

Zunächst hatte er sich für Devisen interessiert, nach einer Banklehre als Händler in Genf gearbeitet und sich für die Familienfirma, «nur bis wir einen externen Geschäftsführer finden», in die Pflicht nehmen lassen. Eigens dafür war er aus den USA zurückgekehrt, wo er 1979 eine Marketing-Stage bei Bierbrauer-Multi Miller absolviert hatte, damals eine der heissesten Adressen der Branche.

Dort lernte er den American Way of Life kennen, erwarb zudem den Privatpilotenschein. Im topfebenen Wisconsin war er viel mit Einmotorigen unterwegs, «gern wäre ich noch einige Jahre geblieben». Die Lizenz hält er nach wie vor, doch in der kleinen, zerklüfteten Schweiz hat er das Fliegen aufgegeben.

Parfum, Kunst und Immobilien

Schon vor dem Verkauf von Alrodo hatte er weitere Standbeine aufgebaut: Anfang der neunziger Jahre diversifizierte er ins Weingeschäft, vermutlich von seinem Vater auf den Geschmack gebracht, der zu Hause im Fricktal Blauburgunder anbaute. Mit Freunden gründete er zwei Weinhandlungen, aus denen 1994 Denz Weine entsprang, die handelt, versteigert und am Zürcher Zeltweg ein Ladengeschäft betreibt.

Seit fast 30 Jahren ist er im Kunsthandel aktiv, spezialisiert auf Surrealismus. Dafür hat er mit einem Freund zusammengespannt, einem Galeristen – man kannte sich aus dem französischen Künstlerdorf Saint-Paul-de-Vence, wo Denz ein Haus besass.

Von 2002 bis 2017 lebte er vor allem in London, die erste Wohnung kaufte er nahe dem Marble Arch. Doch im Hitzesommer 2003 kam in der Nachbarschaft ein renoviertes Haus mit leistungsfähiger Klimaanlage auf den Markt, also schlug er zu und lernte nebenbei ein neues Geschäftsmodell kennen: viktorianische Häuser kaufen, sanieren und verkaufen; ein einträgliches Business, denn «Araber und Chinesen wollen einziehen, nicht erst noch renovieren». Rund ein Dutzend Mal im Lauf der Jahre exerzierte er diese Übung durch.

In der Schweiz erwarb Denz ebenfalls Immobilien, jedoch als langfristige Anlage. Gut zehn Häuser sollen es sein, in Zürich etwa an der Schifflände und nahe dem Bellevue, in den Fussgängerzonen von Basel und Luzern. Hohe Einstandskosten an diesen Toplagen schmälern zwar die Renditen, aber dafür liegen dauerhafte Wertsteigerungen drin.

Im lukrativen Parfumgeschäft blieb Denz ebenfalls aktiv; nach dem Alrodo-Verkauf gründete er sein zentrales Vehikel Art & Fragrances und siedelte hier seine Aktivitäten an. Mit Art  &  Fragrances übernahm er später Lalique, 2016 übernahm die Gruppe den Namen.

Einstieg im Bordeaux

Neben Lalique sind Wein und Gastronomie zu Silvio Denz’ zweiter Hauptbeschäftigung avanciert. Früh stieg er als Teilhaber am spanischen Weingut Clos d’Agon ein, wo er sich wieder verabschiedet hat. Seit 2007 ist er engagiert bei der Azienda Montepeloso in Italiens Maremma, die Winzer Fabio Chiarelotto 1999 erworben hatte. Ziel der beiden Inhaber: niedrige Erträge, aber hohe Qualität.

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gute tropfenSilvio Denz mit ­Florentina und Claudio Denz im Borde­aux.

Gute Tropfen Silvio Denz mit Florentina und Claudio Denz im Bordeaux. Rechts Weine der Denz-Châteaus. Unten von links: Der neue Weinkeller des Château Péby Faugères, Château Lafaurie-Peyraguey und das Château Faugères; das markante Kellerei-Gebäude nennt sich «cathédrale du vin» und wurde von Mario Botta gebaut.

Diverse / PD
gute tropfenSilvio Denz mit ­Florentina und Claudio Denz im Borde­aux.

Gute Tropfen Silvio Denz mit Florentina und Claudio Denz im Bordeaux. Rechts Weine der Denz-Châteaus. Unten von links: Der neue Weinkeller des Château Péby Faugères, Château Lafaurie-Peyraguey und das Château Faugères; das markante Kellerei-Gebäude nennt sich «cathédrale du vin» und wurde von Mario Botta gebaut.

Diverse / PD

Den wichtigsten Schritt zur Weinseligkeit unternahm Denz 2005 mit dem Kauf von Château Faugères, ein Ensemble dreier hochklassiger Weingüter im Bordeaux. Bei der Suche nach passenden Kaufobjekten und beim Einstieg in den lokalen Zirkel traditionsreicher Winzersippen half ihm Stephan von Neipperg, ein Graf württembergischer Herkunft, der in Frankreich studiert hat und seit 1984 um Bordeaux die Weingüter betreibt, die sein Vater ein Jahrzehnt zuvor erworben hatte. Neipperg, Typ feinsinniger Partykracher à la David Niven, und Denz sind über die Jahre gute Freunde geworden.

2010 gesellte sich Château Rocheyron zur Sammlung «Vignobles Silvio Denz», 2014 schliesslich das Château Lafaurie-Peyraguey; es firmiert seit 1855 als Premier Grand Cru Classé. Noch höher rangiert nur das benachbarte Château d’Yquem, beide keltern exzellenten Sauternes.

Wie das funktioniert? Frag Silvio Denz: tägliche Lesegänge durch die unterschiedlich alten Reben, die niemals mit Traktoren malträtiert werden. Die ältesten Reben hier? Von 1916. Weinlagerung in Stahl, Holz oder Betontanks? Denz weiss, was man wie und warum nutzt.

Wie viel der Shop des Weinguts im Jahr umsetzt? Über 800 000 Euro. Was hügelige Lagen so begehrt macht? Die natürliche Drainage. Wie die Edelfäule Botrytis entsteht, die den Süsswein erst ermöglicht? Zwei Flüsse, der kalte Ciron und die warme Garonne, sorgen regelmässig frühmorgens bis zum späten Vormittag für Nebel, der sich auf die Trauben legt und später von der heissen Sonne abgetrocknet wird; perfekte Arbeitsatmosphäre für den Botrytis-Pilz.

Als Silvio Denz im Shop einige Weinliebhaber begrüsst (in den Regalen steht selbstredend auch Kristallware von Lalique zum Verkauf), läuft im Hintergrund gerade ein Image-Video von Lafaurie-Peyraguey, immer wieder ist «Propriétaire» Denz im Bild, zuletzt sogar mit einem längeren Statement.

Doch bevor ein Anflug von Peinlichkeit überhaupt entstehen könnte, lacht er seine doppelte Präsenz souverän weg. Er findet es offensichtlich selbst lustig – die goldene Gabe der Selbstironie.

An Lafaurie reizte Denz, abgesehen vom hochklassigen Rebbestand, «der maurische Stil, ich konnte hier gut renovieren». Bar und Hotelzimmer werden flankiert vom Restaurant Lalique, das direkt an die Reben grenzt und von Chefkoch Jérôme Schilling seit diesem Jahr mit zwei «Michelin»-Sternen beleuchtet wird.

Erwerben konnte Denz das Objekt vom Energiekonzern Engie, einst als Suez bekannt, der selbst bereits zwölf Millionen Euro in die Renovation gesteckt hatte. Zum Handkuss kam Denz auf kuriose Weise, erzählt man sich im Bordeaux: Suez hatte ihren Verwaltungsrat auf mehr als 13 Personen vergrössert, mehr, als das Château Zimmer bereithielt; so erstarb der Besitzerstolz. Denz soll Suez rund zehn Millionen für Gebäude und Weinberge bezahlt haben.

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Foto: PD

Hochkarätige Investoren

Co-Investor von Lafaurie-Peyraguey ist Michael Pieper, der selbst Appetit auf ein eigenes Weingut hatte, freilich ohne sich die Winzerei anzutun. Also rief Pieper Denz an, sie trafen sich frühmorgens im «Baur au Lac» zum Kennenlernen, Pieper stieg mit 25 Prozent ein. Inzwischen sehen sich die beiden zwei, drei Mal im Jahr, Pieper kommt auch gern mit Freunden ins Bordeaux, dann verbringt die Gruppe einige Nächte im Château und umgibt sich mit Möbeln, Weingläsern und Leuchtern aus Lalique-Produktion.

Ein besonderes Co-Branding hat Denz mit seiner neuesten Erwerbung ausgeheckt, der ältesten aktiven Whiskydestillerie Schottlands: Glenturret. Seit 2019 gehört die ihm hälftig, die anderen 50 Prozent hält sein Lalique-Grossaktionär Hansjörg Wyss. Ihn sollen Historie und Handwerk der Brennerei gereizt haben, auch die raue Natur rund um die weiss gestrichenen Häuser von Glenturret – wo Denz natürlich ein Sternerestaurant und eine Lalique-Boutique eingebaut hat.

Der zurückgezogen lebende Wyss, der grundsätzlich mit der Bahn in der zweiten Klasse zu Terminen anfährt, und Luxus-Entrepreneur Denz – keine Paarung, die auf der Hand liegt. Kennengelernt haben sie sich angeblich über Jan Kollros, Verwaltungsrat bei Lalique und CEO der Investmentberatung Adbodmer, mit der Wyss geschäftet.

Was beide verbindet, ist die Faszination für Investments zum Anfassen, auch für Weine. Beide betreiben Weingüter, beide liefern Fässer, in denen Single Malt von Glenturret reift. Den Ausstoss von heute 250 000 Whiskyflaschen wollen Denz und Wyss maximal verdoppeln, bei steigender Qualität. In Glenturret, das sehen auch Luxus-Analysten so, steckt jede Menge Wachstumspotenzial. Sogar einen eigenen Gin soll Denz ins Auge gefasst haben.

Mit dem Attribut «komplexer Charakter» tut man ihm sicher kein Unrecht an. Er hat einen Ruf als schwieriger Chef, der schon mal mit zackigen Richtungswechseln überrascht. Andererseits sagen Wegbegleiter, das «Bauchgefühl von Silvio» für das Potenzial von Ideen und Projekten sei «phänomenal».

Mikromanagement würde er sich nicht vorwerfen – dass er seine Firmen bis in tiefste Details kennt wie kaum ein zweiter Chef, liege daran, «dass ich selten etwas vergesse». Der Titel «Executive Chairman» dürfte aber seine Einbindung ins Operative eher verharmlosen.

Teil der Wahrheit sei ausserdem, sagt ein Geschäftspartner, «dass Silvio sich seinen Engagements verpflichtet fühlt». Das zeige sich an der Treue zu Mitarbeitern und Brands, aber auch an seinem Sicherheitsdenken: Lalique operiert mit einer kuschelweichen Eigenkapitalquote oberhalb von 50  Prozent, «das ist ein Polster, da schlafe ich besser», sagt Denz. Zumal er für weit über 700 Mitarbeiter samt deren Familien verantwortlich sei.

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«Denz ist topfit, treibt täglich eine Stunde Sport. Ruhestand ist noch lange kein Thema für ihn.»

Zur Komplexität gehören auch Widersprüche. Denz gilt als Mister Luxus der Schweiz, umgibt sich aber mit hemdsärmligen Machertypen wie Pieper und Spuhler, trägt keine Anzüge, hat weder Boot noch Jet noch Autosammlung, sondern fährt seit vielen Jahren einen deutschen Sportwagen.

Denz sammelt moderne Kunst (in der Schweiz hat er zudem einige Hodler und Cuno Amiet), ist aber fasziniert von der Historie der Bordeaux-Châteaus. An Lafaurie und Faugères «hängt mein Herz», sagt Denz, und «es wäre mein Wunschtraum, dass wir das in der Familie weiterführen können».

Gemeint sind sein Sohn Claudio, dem er bereits das Immobiliengeschäft und die Weinhandlung übertragen hat, und Claudios Frau Florentina, die Denz Weine operativ leitet – und dafür ihren Job beim Softwareriesen SAP verlassen und sich in zahlreichen Lehrgängen zur Weinexpertin ausgebildet hat.

Wenn Silvio und Claudio Denz sich übers Business austauschen, sagt ein Beobachter, diskutieren sie «in nüchternem Ton und voll auf Augenhöhe». Denz selber sagt, «wir haben einen absolut offenen Austausch», solche Dialoge seien für beide wichtig, «wir haben auch viel Gemeinsames, etwa eine gewisse Sturheit» – aber «die beiden haben auch eine unglaubliche Intuition fürs Business», ergänzt Florentina Denz.

Was er einst weitergeben wird, beschäftigt Silvio Denz bereits jetzt: «Ich möchte nichts hinterlassen, was Claudio und Florentina einmal Kopfschmerzen bereitet», sagt er, der demnächst 66 wird. Die Kristallfabrik liegt ihm genauso am Herzen wie die Weingüter – ein Verkauf von Lalique, die gut zu einem Luxusmulti passen würde, steht nicht zur Diskussion, «wir sind noch nicht dort, wo wir hinwollen».

Denz hat noch viele Ideen und Kooperationen mit Künstlern oder Markenherstellern im Kopf. Angeblich hat er bis auf Jeff Koons noch jeden Künstler bekommen, und Luxusmarken wie Montblanc, Steinway oder Courvoisier profitieren von Lalique; ein 50-jähriger Macallan-Whisky, bei Weitem nicht der älteste, erzielte Anfang 2021 bei einer Auktion in Hongkong mehr als 120 000 Franken – auch dank der seltenen Lalique-Karaffe.

Ruhestand steht also noch lange nicht an. Denz ist topfit, federt früh aus dem Bett und treibt täglich eine Stunde Sport, ansonsten würden sich die unvermeidlichen Weinverkostungen figürlich niederschlagen. Er könnte längst als Jetsetter herumtingeln oder als Partytiger durch die Lobby des «Gstaad Palace» tanzen, aber dafür ist Denz nicht der Typ, «er ist schon eher ein ernsthafter Mensch», sagt ein Freund.

Keine Zeit für Entschleunigung

Und so hat er, der nie Golf spielte, sich kürzlich aber doch einmal überreden liess, Denz-typisch in nur 14 Tagen bei einer Golfakademie die Platzreife erworben; wenn schon, dann richtig. Passend dazu hat er sich gerade wieder ein Hotelprojekt angelacht: Mit Peter Spuhler übernimmt er den historischen «Florhof» beim Zürcher Kunsthaus und wird ihn 2024 im Lalique-Stil neu eröffnen. Seine Lebensgefährtin Tanja Wegmann, zuletzt Direktorin des Basler Tophotels Les Trois Rois, wird die Neupositionierung begleiten.

Schöne Dinge, gute Weine, Sterneküche – augenscheinlich lebt Denz den Traum. Doch Wegbegleiter zweifeln, dass er das Ganze schwerelos geniesst. Denz spricht lieber über Wachstumschancen, über den Ausgleich des volatilen, wetterabhängigen Weingeschäfts durch den stabilen Aufwärtstrend bei Lalique, über Cross-Selling und über Weinkäufer, die eigentlich für die Sternerestaurants kamen, oder über die Verfünffachung des Wertes von Château Faugères und Lalique Group seit seinem Einstieg. Denz lebt den Luxus nicht – er arbeitet Luxus.

Doch immerhin spricht er inzwischen von einer möglichen vierten Heimat: Nach dem Fricktal, wo seine Mutter noch im alten Bauernhaus der Familie wohnt, seiner Hauptwohnung in Hergiswil und den Weingütern im Bordeaux hat er auch Schottland lieben gelernt. Eine Destillerie besitzt er ja, daneben könnte er sich ein kleines Hotel vorstellen, seine Seniorenresidenz im obersten Stock neben dem Schlossgespenst, gelegentlich gönnte er sich Golfstunden und täglich einen Kontrollblick, wie der Whisky reift.

Nicht viele würden allerdings darauf wetten, dass Silvio Denz diesen Grad an Entschleunigung tatsächlich erreicht. Er selber womöglich auch nicht.

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