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Im Schatten der Lonza

Der Pharma-Auftrags­fertiger Siegfried gibt mächtig Gas

Im Schatten von Lonza will Siegfried profitabel grösser werden. Der Konzernchef Wolfgang Wienand hat Erfahrung mit grossen Zielen.

Dirk Ruschmann

Dirk Ruschmann

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Die Produktion der Medikamente darf nicht durch Teilchen verschmutzt werden. Schutzkleidung, teils in mehrfachen Lagen, ist hier Pflicht.

Siegfried / PD

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Das Florett ist im Fechtsport die Waffe der feinen Offensive – und Wolfgang Wienand war einer der besten Florettfechter der Welt. Bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta wurde er Vierter, bei der Weltmeisterschaft 1999 in Seoul Dritter, errang elf Weltcupsiege und gewann den Gesamtweltcup im Jahr 1997. Zeitweise grüsste er vom ersten Platz der Weltrangliste. «Feine Klinge statt Zweihänder, das würde ich schon für mich in Anspruch nehmen», sagt der Deutsche, der vor einigen Wochen seinen 51. Geburtstag feierte.

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Wienand winkt längst von einer anderen Spitze: seit Januar 2019 aus dem Chefsessel beim Schweizer Pharma-Auftragsfertiger Siegfried. Parallel zur sportlichen Karriere hatte er in Bonn Chemie studiert, das renommierte Stipendium der «Studienstiftung des deutschen Volkes» im Rücken, sein Diplom mit Bestnote erworben und nach dem Ende seiner sportlichen Karriere im Jahr 2002 mit einem Doktortitel veredelt. Die Dissertation befasste sich vor allem mit der Synthetisierung, also Herstellung eines neu entworfenen chemischen Rezeptors, «der zur ‹molekularen Erkennung› des biologisch relevanten Dipeptids D-Alanin-D-Alanin auch unter physiologischen Bedingungen in der Lage sein soll».

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Das Thema ist also stark laborlastig und allenfalls für Feinschmecker der chemischen Kost geniessbar – worauf es hier jedoch ankommt: Wienand ist vom Fach. Neue Kunden, die bei Siegfried fertigen lassen wollen, muss er nicht mit betriebswirtschaftlichen Floskeln bespielen, sondern kann inhaltlich auf Augenhöhe verhandeln. Und in Fällen interner Entwicklungen oder Fehleraufarbeitung können ihm auch seine Ingenieure und Molekülbastler nichts vormachen.

«Vater und Sohn»

Im August 2010, nach ersten Jahren beim deutschen Chemieriesen Evonik, war Wienand zu Siegfried gestossen, verantwortete zunächst zwei Jahre Forschung und Entwicklung (F&E), danach M&A und Strategie plus die wichtigen Abteilungen Recht und Patente, seit 2017 zusätzlich wieder F&E. Im selben Jahr legte er sich zusätzlich, wohl im Vorgriff auf die spätere CEO-Werdung, eine Managementausbildung an der Pariser Kaderschmiede HEC zu. Geholt hatte ihn sein Vorgänger Rudolf Hanko, ebenfalls Deutscher, ebenfalls mit Evonik-Vergangenheit, ebenfalls promovierter Chemiker – die beiden wurden bisweilen «Vater und Sohn» genannt. Hanko steuerte Siegfried von einem kleinen Pharma-Gemischtwarenladen konsequent Richtung Auftragsfertigung; bis in die achtziger Jahre hatte Siegfried noch eigene Arzneimittel entwickelt, doch die finanziellen Risiken der klinischen Entwicklung waren für die überschaubare Firma längst zu gross geworden. Zu Jahresbeginn 2019 folgte ihm Wienand als CEO. Hanko hatte in seinem Jahrzehnt als Chef den Umsatz von unter 300 auf fast 800 Millionen Franken gesteigert, sekundiert von Strategie- und Forschungschef Wienand.Auch dem fehlt es nicht an Vorwärtsdrang. «An meinem ersten Tag als CEO habe ich Jörg Reinhardt einen Brief geschrieben, am 1. Januar 2019, morgens nach der Silvesterfeier, so gegen 10 Uhr», erinnert sich Wienand: «Sehr geehrter Herr Dr. Reinhardt, es würde mich freuen, wenn wir einmal über gemeinsame Projekte sprechen könnten.» Vier Wochen später war Wienand bei Novartis-Konzernpräsident Reinhardt eingeladen, man unterhielt sich über zwei von Reinhardts Werken bei Barcelona.

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Wolfgang Wienand führt Siegfried seit mehr als drei Jahren. Dem promovierten Chemiker macht auch fachlich kein Ingenieur etwas vor.

Simon Habegger
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Wolfgang Wienand führt Siegfried seit mehr als drei Jahren. Dem promovierten Chemiker macht auch fachlich kein Ingenieur etwas vor.

Simon Habegger

Reinhardt hatte Interesse an einem Deal – heute gehören die beiden Werke namens Barberà del Vallès und El Masnou zu Siegfried, und Wienand hat hier die globale Entwicklung für den Bereich Drug Products, fertige Arzneimittel inklusive Darreichungsform, zusammengefasst – auch vom Hauptsitz Zofingen wanderten Ressourcen nach Spanien. Bei dieser Entwicklung geht es immer um die Produktionsprozesse; an den eigentlichen Molekülen, sprich Wirkstoffen, forscht Siegfried nicht. Die Milliardenschwelle beim Umsatz, von Wienand seit seinem Antritt als Ziel ausgegeben, nahm Siegfried 2021, im vergangenen Jahr waren es bereits über 1,2 Milliarden Franken.

Was in den spanischen Werken vom Band läuft, ist geheim – wie fast alles in dieser Branche. Diverse Novartis-Präparate erkennt man beim Rundgang zwar problemlos –Kapselabfüller und Tablettenverpacker drehen, greifen und sortieren in irrwitzigem Tempo, an die vier Milliarden Einzelportionen laufen pro Jahr von den Bändern. Es sollen aber insgesamt mehr als 20 Kunden sein, die hier fertigen lassen. In der Produktion müssen zumindest Ganzkörper-Überzug, Sicherheitsschuhe, Haar- und Bartschutz anliegen, in diversen Bereichen eine zweite Garnitur darüber, und durch Flurfenster kann man Mitarbeiter beobachten, die Vollschutz-Anzüge wie Mondmännchen tragen.
 

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Verschwiegene Branche

Die Branche der Pharma-Auftragsfertiger, im Jargon CDMOs genannt (Contract Development Manufacturing Organizations), gehört zu den notorischen Geheimniskrämern der Geschäftswelt. Über Kunden spricht man nicht, über Auftragsvolumen oder Deckungsbeiträge noch weniger, und die Kunden verschweigen, ob und welche Auftragsfertiger sie beschäftigen; Covid-Impfstoffe markierten Ausnahmen dieser ehernen Regel. Wolfgang Wienand erklärt sich das mit dem Bedürfnis des Schutzes des geistigen Eigentums in der Branche, also der Moleküle und Prozesse, diese «Grundhaltung» habe sich wohl auf andere Aspekte übertragen.

Wenn schon, sollten sich Scheinwerfer auf den Innovator richten, also den forschenden Pharmakonzern, Auftragsfertiger gefälligst im Schatten bleiben. Und schliesslich wäre es nicht ungefährlich, den einen oder anderen Kunden zu loben – denn jeder einzelne will sich bevorzugt behandelt wissen. Also halten alle still, über alles.Im Gegensatz zu Bahnbauern etwa, die sich gern öffentlich beharken oder gegen Zugbesteller vor Gericht ziehen, falls sie sich benachteiligt wähnen, wissen Auftragsfertiger im Pharmageschäft oft nicht einmal, gegen wen sie eigentlich antreten, wenn ein «Request for Proposal» eingeht.

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«Es werden schon meistens die üblichen Verdächtigen sein», sagt Wienand, also die Top 20 der Industrie. Man könne auch nicht mit Dumpingpreisen argumentieren, denn erstens lägen die Gebote ja nicht offen, und überhaupt sei der Preis «schlussendlich nicht das Entscheidende». Vielmehr spielten Produktqualität und Liefersicherheit eine grössere Rolle. Daher funktioniert die Akquise auch eher auf kurzen Wegen: Kunde und Auftragnehmer kennen sich bereits, wissen um die gegenseitigen Stärken und Schwächen – Aufträge direkt von Bestandskunden zu bekommen, «da geht ganz klar der Trend hin», sagt Siegfried-Finanzchef Reto Suter. Ihn kennt man noch als langjährigen Weggefährten von Hedgefonds-Milliardär Rainer-Marc Frey, in dessen Investments Lonrho und Horizon21 Suter die Teppichetagen bewohnte – auch bei Siegfried war Frey jahrelang investiert.

Der alte Siegfried

Siegfried
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Das Unternehmen existiert bereits seit 150 Jahren und war lange Zeit klassischer Pharmahersteller.

Siegfried / PD

Denn die junge Branche der CDMOs hat einen rasanten Aufschwung hinter und die besten Jahre eher noch vor sich. Ihr Weltmarkt lag 2022 bei mehr als 100 Milliarden US-Dollar, etwa drei Viertel davon entfallen auf «Drug Substances», sprich Wirkstoffe. Deren grösstes Segment wiederum sind «Small Molecules», das Hauptgeschäft von Siegfried. Weitere Segmente sind die stark wachsenden «Biologics» und das noch kleine «Cell & Gene»: Im Ersteren lässt man in sogenannten Bioreaktoren, etwa Eierstockzellen einer bestimmten Hamsterrasse, Proteine herstellen – diese Proteine regulieren dann die gewünschten Prozesse im Körper, ähnlich wie es körpereigene Proteine tun.

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Die hier entstehenden Moleküle sind jedoch um ein Vielfaches grösser und komplexer als die chemisch komponierten «Small Molecules», und sie lassen sich nicht zielgerichtet, sondern als Mischungen unterschiedlicher Derivate herstellen. Die zweite Steigerungsform ersetzt das Produzieren der Proteine ausserhalb des Körpers komplett; hier werden per Spritze genetische Informationen injiziert, sodass die Körperzellen den benötigten Wirkstoff selbst bauen und ausschütten.

Pläne zur Expansion

In diesen beiden Feldern ist Siegfried, im Gegensatz zum Schweizer Branchen-Platzhirsch Lonza, bisher nicht aktiv. Bei Biologics kann Siegfried aber bereits bestimmte Produktionsschritte und die Abfüllung anbieten; zwei Beispiele sind die Covid-Impfstoffe von Biontech und Novavax. Eine Expansion in das vorgelagerte Herstellen der Wirksubstanzen kann sich Wienand gut vorstellen – aber wohl nur unter der Voraussetzung, dass er die Technologie am Markt erwerben, sprich: per Akquisition übernehmen kann.

Allerdings sei «Small Molecules» keinesfalls ein sterbendes Geschäft: Es stehe nach wie vor für die Hälfte der Zukunftspipeline der Branche, bei den Arzneizulassungen sogar für einen Anteil von 60 bis 70 Prozent, die Technologie sei die am besten beherrschte und zugleich günstigste in der Herstellung – aber «cool stuff und hochkomplex, keine Commodity», sagt Wienand: «Wenn eine Pharmafirma wählen könnte, würde sie immer eine Tablette aus Small Molecules entwickeln.»

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M&A als Wachstumsbeschleuniger hat im CDMO-Business durchaus Charme. Denn erstens kauft man Werke mit bestehendem Geschäft, also Cashflows, plus gut ausgebildete Mitarbeiter – was wesentlich schwerer wiegt als die technischen Anlagen. Zweitens schaffen freie Kapazitäten in neuen Werken, wie im Fall der spanischen Akquisitionen, weiteres Volumen-Potenzial, das «for free» dem Kaufobjekt beiliegt.

Käufliche Assets seien zwar derzeit meist teuer bis überteuert, daher sucht Wienand jene, die er nicht nur mit Geld, sondern auch mit Gegenleistungen bezahlen kann: Novartis sicherte ihre Produktion in Spanien via langfristigen Liefervertrag ab. BASF, von der Siegfried 2015 drei Standorte übernahm, war der Erhalt der Arbeitsplätze wichtig. Und im Jahr davor, beim Kauf der Hameln Pharma, löste Siegfried eine bei Hameln bestehende Blockade der US-Arzneibehörde FDA auf. Bis heute lässt Hamelns Muttergesellschaft ihre Generika am selben Standort montieren, nun eben von Siegfried.

Begründete Schätzung

Dank diesem strammen Wachstum hat sich Siegfried in der Schweiz auf Rang zwei vorgearbeitet. Lonza produziert etwa fünf Mal so viel Umsatz, die anderen kotierten Branchengenossen sind aber deutlich kleiner: Bachem etwa halb so gross, Dottikon und PolyPeptide bringen grob ein Viertel des Siegfried-Gewichts auf die Waage. Die Tessiner KD Pharma, die Ambitionen auf einen Börsengang hat, liegt noch etwas weiter zurück.Im globalen Vergleich dürfte Siegfried auf Platz fünf oder sechs liegen – das Feld Biologics, wo sich Riesen wie Wuxi oder Samsung tummeln, ausgeklammert.

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Im Weltranking wären Aufwärtsschritte möglich; hinter Lonza, die auch global vorne rangiert, folgen die US-Grössen Thermo Fisher und Catalent, die französische Fareva, dann wohl Siegfried und die schwedische Recipharm, wo die beiden früheren Lonza-Granden Richard Ridinger als Chairman und Marc Funk als CEO amten. Weil detaillierte Branchenstatistiken fehlen, sind solche Ranglisten aber wenig mehr als begründbare Schätzungen.

Beim Umsatz erwarten Branchenanalysten weitere Sprünge; in wenigen Jahren sollten 1,5 Milliarden Franken möglich sein. Die Margen hat Wolfgang Wienand schon kräftig poliert, allein seit 2019 stiegen sie auf Stufe Ebitda von unter 15 auf 22  Prozent. Doch es besteht viel Luft nach oben: Lonza schreibt auf dieser Gewinnstufe satte zehn Prozentpunkte mehr, die kleinen Schweizer Wettbewerber, in lukrativen Nischen aktiv, arbeiten ähnlich lukrativ oder sogar noch profitabler. Die viel breiter aufgestellte Siegfried will es mit kombiniertem Wachstum auf Top und Bottom Line richten.

Profitabel grösser zu werden, ist in der CDMO-Branche Teil des Evangeliums. Denn eine echte Konsolidierung hat noch nicht stattgefunden, die Eintrittshürden für neue Player sind niedrig. Ausserdem benötigt die sich ausbreitende Spezies der Pharma-Start-ups Helfershelfer in Produktionsfragen, und auch für Big Pharma lohne sich die Ausgliederung, sagt Wienand: «Als Auftragsfertiger nehmen wir zwar Marge, die ein Pharmakonzern bei Eigenproduktion einsparen könnte – aber wir können die Auslastung der Werke und die Produktionskosten effizienter managen.»

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Dank einem umfangreichen Beteiligungsprogramm lohnt sich der langfristige Kursanstieg auch für das Management. Wienand sagt, er habe mit dem Wechsel zu Siegfried praktisch alle seine freien Mittel in die Aktie gesteckt, «und das wurde auch erwartet: skin in the game», wie man so schön sagt. Inzwischen ist sein Paket runde 16 Millionen Franken wert. Auch das jährliche Salär, zuletzt 3,3 Millionen, muss nicht unbedingt Mitleid erwecken.
 

Strategische Ziele

Bisher lebt Wienand mit Familie in Lörrach. Vor neun ist er selten morgens im Büro am Hauptsitz Zofingen, weil er gern «hinter der Welle des Pendlerverkehrs» in den Aargau surft. Abends wird es dafür öfter mal acht oder noch später, «noch um zehn oder elf in einem leeren Office zu sitzen, finde ich aber nicht so toll – da mache ich lieber zu Hause weiter, wenn nötig». In Riehen sucht er mit der Familie eine neue Bleibe, aber etwas Passendes zu finden, seufzt er, sei «gar nicht leicht».

Weltklassefechter wie Wolfgang Wienand haben einen Plan, bevor sie auf die Planche treten; sie analysieren im Vorfeld die Stärken und Schwächen des Gegners, legen sich passende Aktionen zurecht. Und Leistungssportler denken langfristig – deshalb ging Wienand laufen, obwohl er stumpfes Ausdauertraining hasste. Weil er beharrlich sein Fernziel verfolgte, «das ich schon mit zehn oder elf gefasst hatte: Ich will Weltmeister werden.» Genauso strategisch geht Wienand nun seinen Job bei Siegfried an.

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