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Uhrenbranche

Zertifizierte gebrauchte Uhren sind der neue Goldstandard

Die Erfolgsformel heisst ­«Certified Pre-Owned» (CPO), ist spannend für Uhrenliebhaber und Lockstoff für Einsteiger. Das Potenzial ist gigantisch.

Iris Kuhn Spogat

goldene Rolex Daytona am Handgelenk eines Mannes mit schwarzem Mantel

Schweizer Luxusuhren aus Vorbesitz sind ein Milliardengeschäft mit Aussicht, jenes mit neuen Uhren umsatzmässig schon bald zu überholen.

Keystone

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Die fantastische Tudor Black Bay mit 41-mm-Keramikgehäuse und der Auszeichnung «Master Chronometer» hat einen Listenpreis von 4600 Franken. Chronext bietet eine für 4430 Franken. Watchfinder hat gleich zwei im Angebot: eine für 4530, eine für 4380 Franken. Und bei Mitspieler WatchBox ist sie für 4685 Franken ausgeschrieben.

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Die Preisunterschiede erschliessen sich in der Regel erst beim Durchackern der Datenblätter. Da wird alles in die Waagschale geworfen: Ist die Uhr getragen? Sind Originalbox und -papiere vorhanden? Gibt es noch eine Herstellergarantie? Gebrauchsspuren? Ein Datenmonster von Algorithmus vermengt das schliesslich mit Angebot und Nachfrage.

Wenn Sie das lesen, sind die erwähnten Tudors höchstwahrscheinlich schon weg. Und die Modelle, die wir für den Showman, den Abenteurer, den Socializer und den Gentleman entdeckt haben, ebenfalls. Das Geschäft dreht schnell.

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Die Lust auf Luxusuhren ist gross – auf Occasionen genauso wie auf neue –, und zwar weltweit und als gäbe es weder Krieg noch Konjunktureinbruch noch Engpässe in den Lieferketten. Eine kürzlich erschienene Studie von Deloitte belegt dies eindrücklich. 2021 haben Schweizer Hersteller für 21,2 Milliarden Franken Uhren exportiert. Ein Rekord. 2022 wird noch besser. Von Januar bis September schweben die Zahlen in der Statistik der Fédération de l’industrie horlogère (FH) 12,6 Prozent über denen vom Vorjahr.

Wer sich bereits auf mechanische Uhren eingelassen hat, wird sich über die starke Nachfrage kaum wundern: einmal fasziniert, immer fasziniert. Neu auf den Geschmack kommen Zeitgenossen auf der Suche nach nachhaltigem Konsum oder nach Anlagealternativen – etwas, womit vor fünf Jahren noch kein Mensch gerechnet hätte. Das gilt auch für den Hype um Secondhanduhren.

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Showman

 Audemars Piguet Royal Oak Jumbo
Patek Philippe Nautilus
Rolex Cosmograph Daytona, 40 mm, 36 000 Franken bei Bucherer CPO
1 / 3

Audemars Piguet Royal Oak Jumbo, 39 mm, 85'230 Dollar bei Chronext

PD

Die Erfolgsformel heisst «Certified Pre-Owned» (CPO) und bedeutet, dass getragene Uhren nicht einfach weiterverkauft, sondern von Uhrmachern erst inspiziert, authentifiziert und zertifiziert werden, ein Upgrade für ein an sich nicht neues Geschäft: Bis vor noch nicht so langer Zeit klebte an Occasionsuhren das Image von Schmuddel und Zwielicht. Das ist definitiv vorbei. CPO garantiert nicht nur, dass eine Uhr in den zwei Jahren nach dem Kauf einwandfrei läuft, sondern auch, dass sie echt ist und keine Fälschung.

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Milliardengeschäft

Jeder vierte CPO-Kunde ist gemäss Deloitte nicht an Uhren interessiert, sondern spekuliert. Dies hat bei gewissen Modellen von Rolex, Audemars Piguet und Patek Philippe, die neu so gut wie nicht zu haben sind, ein beispielloses Preis-Rally losgetreten: Die Basisvariante der Rolex Daytona, Listenpreis um die 12'000 Euro, wurde gemäss Statistik der Uhrenplattform Chrono24 im März 2022 für bis zu 45'000 Euro gehandelt, die inzwischen abgesetzte Nautilus 5711 von Patek (letzter Listenpreis knapp 29'080 Euro) für fast 150'000 Euro und die Royal Oak Jumbo von Audemars, in den AP Houses mit 31'800 Euro angeschrieben, für bis zu 140'000 Euro – eine besser als die andere, um Eindruck zu schinden.

Was Puristen ärgert, haben das Börsengeschehen und der Kryptoblues jüngst wieder etwas eingerenkt. Den Subdial 50 Index, der die Preisentwicklung der 50 meistgehandelten Uhren abbildet, zog es mit den Aktienkursen nach unten. Er ist seit März um rund 25 Prozent gesunken.

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WatchBox – born in the USA – ist der grösste CPO-Händler der Welt. In den sechs Jahren seit ihrer Gründung wurden via die Plattform gemäss Europa-Chef Patrik Hoffmann «weit über 100'000 Uhren» gehandelt. Der Durchschnittspreis pro Deal: 30'000 Franken. Und das, obschon gemäss Hoffmann auch bei WatchBox die grosse Mehrheit der Uhren, da bereits getragen, unter dem Listenpreis verkauft wird.

Abenteurer

Omega Seamaster
Oris Divers Sixty-Five
Mido Ocean Star Tribute
1 / 3

Luxus: Omega Seamaster, 43,3 mm, 6900 Franken bei Bucherer CPO

PD

Der Grund für den stolzen Durchschnittspreis liegt in der Strategie, mit der WatchBox einen Teil des Geschäfts betreibt: 50 der rund 220 Angestellten heissen «Trader» und haben den Auftrag, vielversprechende Modelle und Marken auszumachen und dann davon möglichst jede Uhr zu kaufen, die es zu kaufen gibt. Die ergatterten Zeitmesser werden danach erst einmal gebunkert, bis der Markt so ausgetrocknet und die Nachfrage so gross ist, dass sie weit über dem Listenpreis noch Abnehmer finden. So geschehen mit den beiden Edelmarken De Bethune und mit F.P.Journe. «Wir haben weltweit Uhren mit einem Marktwert von 200 Millionen Franken an Lager», sagt Hoffmann. Und das bei einem Umsatz 2021 von rund 300 Millionen Franken.

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Mit dem CPO-Geschäft befasste sich auch Boston Consulting. Die aktuell 21 Milliarden Euro Umsatz seien erst der Anfang, das Pre-Owned-Geschäft werde jährlich acht Prozent zulegen. Das sind heisse Prognosen, verglichen mit den ein bis drei Prozent Wachstum, die beim Neuuhrengeschäft erwartet werden. 2025 stünde dann der CPO-Umsatz von gegen 35 Milliarden demjenigen mit Neuware von über 45  Milliarden gegenüber. Bis Ersterer Zweiteren überholt, ist es dann nur noch eine Frage der Zeit. Der Markt mit Uhren aus Vorbesitz ist jedenfalls gigantisch: CPO-fähig sind alle je hergestellten Uhren. Ihr Volumen ist schwer zu beziffern. Zahlen zwischen 500 und 900 Milliarden Franken wabern herum.

Das lockt selbst jene ins Secondhandgeschäft, die vor wenigen Jahren mit gebrauchten Uhren nichts zu tun haben wollten. Allen voran Bucherer. Der grösste Uhrenhändler der Welt ist vor drei Jahren auf den CPO-Zug aufgesprungen und richtet gross an. «Wir sind jetzt in allen Ländern, wo Bucherer präsent ist, mit eigenem CPO-Geschäft präsent», sagt Odilo Lamprecht, der die Division managt. Seine Geschäfte heissen «Gallery» und sind in Bucherer-Boutiquen einquartiert. Lamprecht und sein Team kaufen Uhren von Privaten und an Auktionen, die dann von Uhrmachern, die von den jeweiligen Marken zertifiziert sind, überarbeitet und schliesslich mit einer zweijährigen Bucherer-Garantie verkauft werden – auch online. Wir haben ihn gefragt, welche Uhr zu einem Mann passt, dem alles ein bisschen leichter fällt. «Eine Omega», sagt er. Im Angebot hat er Seamasters ab 2700 Franken und Speedmasters ab 2900 Franken.

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Socializer

IWC Big Pilot
Tudor Black Bay Fifty-Eight
Hamilton American Classic Digital
1 / 3

Luxus: IWC Big Pilot, 46 mm, 10'000 Franken bei Bucherer CPO

PD

Das A und O: Vertrauen

Lamprecht erlebt in der Praxis, wovon die Studien berichten: «Es entwickelt sich super», sagt er, «das Konzept ‹Officially Certified› ist den Kunden langsam bekannt.» Dann fügt er an: «Vertrauen in den Händler ist das A und O bei der Kaufentscheidung.» Davon kann Philipp Man ein Lied singen. Der CEO der Uhrenplattform Chronext ist seit neun Jahren im Geschäft und zählt zu den grossen Mitspielern. 2021 erzielte das Unternehmen mit Hauptsitz in Zug 140 Millionen Franken Umsatz, steckt aber nach wie vor in den roten Zahlen. Nicht wegen der Uhren, «wir verdienen mit jeder Geld», sagt Man. Aber die bringen weniger ein, als Marketing und Werbung verschlingen: Im Gegensatz zu Bucherer, dem ein topseriöser Ruf vorauseilt, muss Chronext Vertrauen erst aufbauen. Das ist gleich doppelt herausfordernd, da die Plattform kein klassischer Uhrenhändler ist, sondern eine Tech-Firma mit datengetriebenem Geschäftsmodell.

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Man musste diesen Sommer im Strudel der Ereignisse ausserhalb des eigenen Einflussbereichs ein Viertel der Belegschaft entlassen, die Ambitionen drosseln und den Fokus neu richten: Einen Grossteil des Geschäfts machen sogenannte Graumarktdeals aus. Da werden nicht Uhren aus Vorbesitz verkauft, sondern Neuuhren, die keiner haben wollte. Chronext ist in ein Händlernetzwerk mit rund 1500 Retailern eingebunden, die auf der Plattform ihre Ladenhüter losschlagen, mit Discount. «Pre-Owned wird künftig mehr als die Hälfte unseres Umsatzes ausmachen», sagt Man. Für Männer, die es klassisch-sportlich mögen, empfiehlt er die Vacheron Constantin Overseas, die er für 34'270 Euro aufgeschaltet hat. Für Mr. Cool ist die schwarze Hublot Classic Fusion, 45 mm, bei ihm für 9990 Euro zu haben.

Dass ein renommierter Händler wie Bucherer mit Stil und Stolz CPO-Uhren zelebriert und verkauft, hat das Geschäft auf ein neues (Seriositäts-)Level gehoben. Auch bei den Herstellern selbst. Die meisten tun sich nach wie vor schwer mit ihren Has-Beens. Eine Ausnahme ist Richard Mille. Die Marke am obersten High-End-Rand nimmt ihre Zeitmesser schon seit immer zurück und verkauft sie selbst weiter. Die Grenchner Uhrenmarke Breitling kauft alle Modelle zurück oder nimmt sie für neue an Zahlung. Omega bietet immerhin den Service einer Echtheitsüberprüfung. That’s it.

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Gentleman

Grand Seiko Heritage
TAG Heuer Monaco
Tissot PRX Powermatic 80
1 / 3

Luxus: Grand Seiko Heritage Collection Hi-Beat, 40 mm, 6031 Franken bei WatchBox

PD

Das dürfte sich bald schon ändern. Ganz gleich, wen man fragt, ob Bucherer, Chronext, WatchBox oder Watchfinder: Rolex ist bei allen der wichtigste Umsatzbringer. Nun hat die Corona schweizerischen Uhrschaffens entschieden, das CPO-Dossier selbst in die Hand zu nehmen: Der Branchenprimus wird fortan Secondhand-Rolex-Uhren selbst zertifizieren – sofern sie älter als drei Jahre sind. Der Service gilt nur für offizielle Rolex-Händler; angefangen wird mit Bucherer. Das CPO-Geschäft von allen nicht offiziellen Händlern wird abgewertet.

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Wer jetzt denkt, dass das etwa für Philipp Man und seine Chronext eine Hiobsbotschaft sei, liegt falsch. Darauf angesprochen, sagt der Unternehmer: «Besser heute als morgen.» Und fügt an: «Es wird den CPO-Markt weiter befeuern, weil es zeigt, dass Pre-Owned-Uhren auch in den Augen der Marken selbst eine echte Alternative sind.»

Trend zu Komplikationen

Auch Cartier ist am Thema dran. Sie ist die grösste Marke in der Genfer Richemont-Gruppe. Dort hat man das Big CPO Business schon seit Langem kommen sehen und sich mit dem Kauf von Watchfinder 2018 in Position gebracht. Die britische Plattform wurde vor 20 Jahren gegründet und ist dort bestens etabliert. Im Königreich denkt gemäss CEO Arjen van de Vall bei «CPO» jede und jeder an Watchfinder. Diese Assoziation will er «in allen Märkten, wo wir präsent sind», hinbekommen. Die Ausgangslage ist gut, der Weg noch lang. Einige Weichen hat er bereits gestellt: Sie führen unter anderem zu Shop-in-Shops in Luxuskaufhäusern wie Grieder in Zürich und Genf, Printemps in Paris und TimeVallée in Luzern. Grosse Erwartungen legt er ins sogenannte Part-Exchange-Programm: In inzwischen 90 Richemont-Boutiquen weltweit kann man seine Uhr verkaufen oder mit ihr eine neue (an)zahlen. Der Ansatz erscheint vielversprechend: «Es werden in den kommenden Monaten und Jahren laufend weitere Standorte dazukommen», sagt van de  Vall. Um das Wachstum zu stemmen, hat er jüngst in Madrid eine Service- und Logistikztentrale für Europa installiert, in Texas eine für die USA. Die aktuell auffälligsten Trends? «Uhren mit Komplikationen zulasten von reinen Toolwatches», sagt van de Vall, «zudem elegante Uhren, vor allem auch kleinere.» Seine Empfehlungen: Für elegant die IWC Portugieser Perpetual Calendar, für sportlich die Rolex Explorer und für als immer richtig die Omega Speedmaster, «eine der ikonischsten Uhren aller Zeiten».

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Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Iris Kuhn-Spogat

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