Guten Tag,
Landwirte sehen die Initiativen zu Trinkwasser und Pflanzenschutz als Angriff auf ihre Existenz. Die Abhilfe: Business-Software für den Hof.
Dirk Ruschmann
Moderne Landwirtschaft: Diesel günstig kaufen oder effiziente Fahrwege auf dem Acker – Software für den Hofbetrieb umfasst viele Arbeitsprozesse.
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Morgens bei Sonnenschein spontan beschliessen, heute mal gemütlich mit dem Traktor ins Grüne zu fahren, später vielleicht eine Runde mit der Kulturegge wild durch den Acker grubbern, die Menge an Saatgut oder Pflanzenschutz nach Gefühl und Tagesform bemessen und Jahr für Jahr schön Direktzahlungen kassieren – nicht viele Berufe sind derart romantisiert und von Vorurteilen umzingelt wie das Bauern-Dasein.
In Wahrheit findet, gerade in der hoch regulierten Schweizer Landwirtschaft, ein grosser Teil der Arbeit vor Formularbergen statt. Rund 4000 Vorschriften von Bund und Kanton, schätzt ein Insider, sind zu beachten, will man einen rechtmässigen Anspruch auf Direktzahlungen sicherstellen.
Und neben den ausufernden Dokumentationspflichten sollte man stetig kalkulieren, wie viel Input in Form von Saatgut, Düngemittel und Arbeitsaufwand den Erlösen aus der späteren Ernte gegenübersteht – «ein riesiger Aufwand», sagt Christian Schönbächler, der auf 900 Metern Höhe in Einsiedeln einen Bauernhof mit Grünlandwirtschaft, 24 Kühen und Käsereimilch-Produktion betreibt.
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Bilanz: SAP für Bauern, Christian Schönbächler
Christian Schönbächler: Der Landwirt aus Einsiedeln amtet im Nebenjob als Präsident des Softwarehauses Barto.
PDChristian Schönbächler: Der Landwirt aus Einsiedeln amtet im Nebenjob als Präsident des Softwarehauses Barto.
PDBisher notieren sich viele Bauern auf Zetteln, welche Kraftstoffe sie zu welchem Preis gekauft haben, was sie welchen Tieren zu fressen geben, was und wie viel sie auf den Feldern ausbringen – und kramen die Zettel dann notgedrungen alle paar Monate hervor und bringen sie mühselig am Küchentisch in ämtergerechte Form.
Dem schnöden Tageswerk stehen digitale Zukunftsvisionen gegenüber: Morgens vergibt der Bauer vom Computer aus Arbeitsaufträge an Mitarbeiter und die passenden Maschinen, sind diese erledigt, quittiert der Ausführende per Smartphone.
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Das System erfasst automatisch, wie viel Saatgut, Dünger und Sprit benutzt wurde, hat zuvor die effizientesten Fahrwege für den Traktor errechnet und darauf geachtet, dass möglichst wenig Asphaltstrasse befahren werden muss, weil dort die Reifen schneller verschleissen.
Per Drohne und Satellit wird der optimale Erntezeitpunkt errechnet, Reifegrad und Wetterdaten berücksichtigt, via eingebundene Zulieferer und Käufer ermittelt der Computer die effektivsten und günstigsten Düngemittel für die spezifische Parzelle und verkauft den Weizen zum besten Preis. Pflanzenschutzmittel setzt der Bauer in Minimalmenge und nur dort ein, wo sie benötigt werden, und zwar genau dann, wenn Luftfeuchtigkeit und Luftdruck den optimalen Zeitpunkt signalisieren.
Sensoren an der Kuh fühlen, ob eine Krankheit im Anzug sein könnte. Nestlé kann die Milch für ihren Joghurt nicht nur, wie heute, bis zur Molkerei zurückverfolgen, sondern weiss künftig, welches Herbizid im Futter der Kuh steckte, welche die Milch für genau diesen Joghurt gab.
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Zukunftsmusik? Nur zum Teil. Denn auch die Landwirtschaft digitalisiert sich rasant. Für Grosskonzerne gibt es Enterprise-Resource-Planning-Software von SAP, Oracle oder Microsoft, für KMUs jene der aus TV-Spots bekannten Schweizer Bexio («Mach keis Büro uf»), dazu unzählige Speziallösungen für Teilbereiche wie Produktion, Logistik oder Beschaffung.
Auch für Bauern existiert digitale Hilfe, sei es für Erntemanagement, Zucht oder Buchhaltung. Doch «einen integrierten Ansatz gibt es unseres Wissens nach nur von Barto», heisst es beim Bauernverband.
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Hinter Barto, der Name stammt von Bartholomäus, dem Schutzpatron der Bauern, stehen die Bauerngenossenschaft Fenaco und der Betreiber der Tierdatenbank des Bundes, Identitas, als Grossaktionäre, dazu die Rindersperma-Genossenschaft Swissgenetics, die Bauern-Beratungszentrale Agridea, Swissmilk, Swissherdbook, Braunvieh oder Mutterkuh Schweiz.
Kern des Angebots bei Barto ist ein Feldkalender. Für ihn lassen sich von den verschiedenen Kantonssystemen Parzellenkarten herunterladen, anschliessend hält der Bauer alles digital fest, was auf diesen Flächen im Lauf des Jahres bearbeitet, gesät, geerntet, gespritzt oder gedüngt wird.
Doch der Schweizer Markt ist zu klein für einen umfassenden Alleingang, wenn die Vision die «komplette Vernetzung von Ackergeräten, Traktoren, Drohnen, Robotern und Melktechnik» sein soll – dahin strebt Christian Schönbächler, im Nebenjob VR-Präsident bei Barto.
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Also ging man 2016 auf den deutschen Landmaschinenriesen Claas zu, als Türöffner fungierte der Schweizer Claas-Importeur Serco, eine Tochter von Barto-Aktionär Fenaco.
Bilanz: SAP für Bauern, Flächenkarte
Digitalisierte Landwirtschaft: Eine Flächenkarte in Barto/365FarmNet.
PDDigitalisierte Landwirtschaft: Eine Flächenkarte in Barto/365FarmNet.
PDDer Familienkonzern Claas hatte schon vor einem Jahrzehnt erkannt, dass Digitalisierung auf dem Acker ein Megathema werden würde: horizontal, als Vernetzung der Geräte, und vertikal, vom Einkauf der Betriebsmittel über den Verkauf der Erzeugnisse bis zur Einbindung der Behörden. «Wir wollten das Thema strategisch besetzen, bevor es andere tun», sagt Claas-Kommunikationsleiter Wolfram Eberhardt.
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Nach eineinhalb Jahren interner Versuche war jedoch klar: Es brauchte ein anderes Ökosystem, digitale Mindsets, Web-Kompetenz – eine Einheit abseits der Maschinenbauer mit ihren Traktoren und Mähdreschern.
Also startete Aufsichtsratschefin Cathrina Claas-Mühlhäuser das Setting mit Maximilian von Löbbecke neu. Er übernahm 2013 die Führung der Tochterfirma unter dem Namen 365FarmNet, stammt selbst aus einer alten deutschen Familie, die seit Jahrhunderten landwirtschaftliche Güter betreibt. Und er hat sich nach technischen Hochschulabschlüssen und MBA in der Fiat-Gruppe hochgearbeitet, später Start-ups gegründet und bis zum Exit begleitet, sich zudem früh mit Digitalisierung in traditionellen Branchen und «Smart Farming» beschäftigt.
Bilanz: SAP für Bauern, Claas
Cathrina Claas-Mühlhäuser: Die Aufsichtsratschefin des Landmaschinen-Riesen Claas heuerte Löbbecke an.
PDCathrina Claas-Mühlhäuser: Die Aufsichtsratschefin des Landmaschinen-Riesen Claas heuerte Löbbecke an.
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Neben 365FarmNet gibt es eine Handvoll Anbieter von Agrarsoftware in Europa, darunter Agrivi, AgLeader, Farmstar, Farmtune oder Next Farming. Doch die Deutschen sehen sich ziemlich weit vorne, sind in mehreren Ländern am Markt und zählen über 75'000 Kunden.
Weil 365FarmNet als herstellerunabhängige Plattform antritt, «halten wir uns als Claas eher im Hintergrund», sagt Eberhardt. Gerade hat das Start-up Landtechnik-Weltmarktführer John Deere und Case New Holland an Bord geholt, weitere Marken sollen folgen. Insgesamt sind es bereits über 50.
Barto helvetisiert nun nach und nach die Applikationen von 365FarmNet, «wir investieren dafür schätzungsweise zehn Millionen Franken bis Mitte des Jahrzehnts», sagt Schönbächler, dann seien rund drei Viertel aller Anwendungsmöglichkeiten abgedeckt.
Aktuell läuft ein Integrationsprojekt für Software, die Rinderzüchter unterstützt. Für die Schweiz mit ihren zahlreichen gemischten Betrieben, die sowohl Pflanzen als auch Tiere züchten, ist ein breites Angebot an Funktionen wichtig. Zehn Millionen sind zwar viel Geld für Barto, aber viel günstiger als ein helvetischer Sonderweg: 365FarmNet hat schon über 80 Millionen Euro ausgegeben.
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Bilanz: SAP für Bauern, von Löbbecke
Maximilian von Löbbecke: Der erfahrene Gründer leitet die Claas-Tochter 365FarmNet.
PDMaximilian von Löbbecke: Der erfahrene Gründer leitet die Claas-Tochter 365FarmNet.
PD«50 bis 300 Franken», schätzt Christian Schönbächler, könnte Barto «powered by 365FarmNet» im Endausbau einen Bauern jährlich kosten. Was dem an möglichen Einsparungen und Effizienzgewinnen gegenüberstehe, sei schwer zu beziffern, sagen Schönbächler und von Löbbecke unisono, aber schon die Zeitersparnis und die Gewissheit, dass alles vorschriftsgemäss dokumentiert sei, lohnten sich auf Dauer.
Zudem verspricht sich Schönbächler einen massiven Abbau bei Pflanzenschutzmitteln – weil man eben das Wann, Wo, und Wieviel genau dosieren könne. «Eine Senkung auf nur noch ein Zehntel innert der nächsten 20, 25 Jahre» erhofft sich Schönbächler.
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Und so könnte die Digitalisierung in der Landwirtschaft den Graben zwischen Technik und Natur zuschütten – die am 13. Juni anstehenden Abstimmungen über die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative entsprechen zwar dem Zeitgeist vor allem der urbanen Angestellten-Bevölkerung, aber für viele Schweizer Bauern wäre die Annahme gleichbedeutend mit einem Tiefschlag ins Epizentrum ihrer Existenzgrundlage – und so empfindet der Bauernverband beide als «extrem», sogar Bio-Suisse, die Dachorganisation der 7400 Bio-Bauern, lehnt die Trinkwasser-Initiative ab.
Schönbächler will sich als Barto-Präsident lieber nicht äussern, obwohl er «als Bergbauer selbst stark betroffen wäre». Von Löbbecke, der teils in Berlin und teils im Raum Zürich lebt, wird hingegen deutlich: «Statt die Landwirtschaft mit Verboten zu zerstören, sollten wir sie mit Digitalisierung verbessern.»
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Marktpotenzial für digitale Bauernhofsteuerungen steht Schönbächler bei knapp 50'000 Betrieben in der Schweiz noch viel zur Verfügung: 1600 Schweizer Bauern nutzen die kostenlosen Basisfunktionen, zahlende Kunden zählt Barto rund 600.
Bilanz: SAP für Bauern, GPS
Landwirtschaft mit Joystick: Moderne Traktoren und Ackergeräte werden längst digital bedient – hier via GPS-Steuerung.
PDLandwirtschaft mit Joystick: Moderne Traktoren und Ackergeräte werden längst digital bedient – hier via GPS-Steuerung.
PDMaximilian von Löbbecke werkt, angesichts seiner bewegten Vita, mit acht Jahren schon ungewöhnlich lange für 365FarmNet. Doch er sieht das Projekt als «Showcase» für viele andere Branchen, die im Umbruch sind oder Prozesse nie aus Kundensicht punkto Sinnhaftigkeit und finanzieller Transparenz hinterfragt haben.
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Ein Landwirt begreife ja nicht den Besitz von Traktor und Maschinen im Wert von Hunderttausenden Franken als Geschäftszweck, sondern eine ertragreiche Ernte auf seinem Feld, und bei Beratungsprojekten hat er Parallelen erkannt. «Ein Kantinenbetreiber etwa will keinen Dampfgarer besitzen, sondern gutes Essen günstig zubereiten.» Er könnte also den Aufwärmprozess als Dienstleistung beziehen oder gleich das Essen beim Zulieferer ordern.
Übertragen auf die Bauern hiesse das: Viel mehr Arbeitsteilung auf den Höfen, Spezialisten mit eigenen Maschinen übernehmen ganze Arbeitsschritte und werden nach Qualität bezahlt, der Bauer avanciert zum scharf kalkulierenden Auftraggeber und Dirigenten seiner Lieferanten.
Dann fällt aber womöglich in Zukunft die Spritztour mit dem Traktor in der Frühlingssonne flach. Denn den hat der Bauer dann nicht mehr.
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