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Die Schweiz ist die Rohstoffe-Handelsdrehscheibe der Welt. Blick in eine geheimnisvolle Branche, die durch den Ukraine-Krieg ins Scheinwerferlicht gerät.
STRIPPENZIEHER Die grossen Handelsfirmen und ihre Chefs bestimmen den Welthandel mit Rohstoffen – von der Schweiz aus.
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Es ist ein Tausch der angenehmeren Sorte. Viele Jahre lang war ein karger Zweckbau im Industrieviertel in Baar die Kampfzone von Ivan Glasenberg. Jetzt hat er sich ein Büro an der Bahnhofstrasse in Zürich gegönnt. Vertäfelte Wände, edles Mobiliar, alles frisch renoviert. Mit dabei: das Gründerehepaar der Radsportbekleidungsmarke Q36.5. Der eiserne Hobby-Radfahrer Glasenberg ist bei dem High-End-Textilproduzenten eingestiegen und will hier massiv expandieren. Die neuste Kollektion hängt in einem Showroom neben dem Besprechungszimmer, der erste Shop an der Bärengasse liegt gerade 300 Meter entfernt – Glasenberg ist sichtbar stolz auf sein neues Reich.
19 Jahre führte der heute 65-Jährige den Rohstoffriesen Glencore und baute aus dem verschwiegenen Händler einen Rohstoffgiganten, der als Einziger das schnelle Handelsgeschäft mit der stetigen Rohstoffförderung verzahnte und mit dem Börsengang im Jahr 2011 auch der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Schneller, härter, ruchloser: Das war Glasenbergs Image, das die rauen Händler aus Zug über ihren nie müden Leitwolf in die Welt trugen. Dass die Schweiz zum führenden Rohstoffhandelsplatz der Welt aufstieg, ist nicht zuletzt sein Verdienst. Auch wenn er den CEO-Job bei Glencore letztes Jahr an Gary Nagle abgegeben hat, ist er als grösster Einzelaktionär mit 9,1 Prozent der Stimmen ein Machtfaktor geblieben – sowohl für Glencore als auch für die Branche.
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Der Krieg in der Ukraine sei eine Situation, die er in seinen fast vierzig Berufsjahren noch nicht erlebt habe. Glasenberg, der Putin mehrfach persönlich getroffen hat, weiss: Es hat immer Disruptionen gegeben, aber selbst auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges wurde der Handel mit Russland weitergeführt. Jetzt seien die Einschränkungen gross wie nie.
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Der Krieg hat aufgezeigt, wie eng die globale Wirtschaft inzwischen verzahnt ist und wie wichtig die Versorgung der Welt mit Rohstoffen ist. Die Weltwirtschaft zittert, die Inflationsraten erreichen zum Teil zweistellige Höhen. Russland ist der zweitgrösste Rohstoffproduzent der Welt, Putins Reich ist entscheidend für die Versorgung der Welt mit Gas, Öl und Metallen wie Nickel oder Kobalt. Ohne Diesel fährt kein Lastwagen, ohne die Metalle in den Batterien funktioniert kein Handy, und ohne russisches Gas wird es kalt in den Haushalten von Deutschland bis Italien.
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Europa sei auf Energie aus Russland angewiesen, das war schon immer Glasenbergs Credo: Höchstens 30 Prozent werde der Kontinent aus erneuerbaren Energien beziehen können. Der Krieg hat den Blick auch neu auf die Schweiz gerichtet. Denn sie ist im internationalen Handel mit Rohstoffen jetzt besonders gefordert: 50 bis 80 Prozent der Produkte des Rohstoffriesen Russland werden über die Schweiz gehandelt.
Die wichtigsten Player der Branche haben hier ihre Handelszentralen. Es sind ein halbes Dutzend ebenso geheimnisvoller wie mächtiger Firmen – und ihre Chefs die heimlichen Herren der Weltwirtschaft. Die grössten Firmen der Schweiz sind nicht etwa bekannte Traditionsfirmen wie der Nahrungsmittelmulti Nestlé oder der Pharmakonzern Roche, sondern Rohstofffirmen mit wohlklingenden Namen wie Trafigura, Vitol, Gunvor oder Mercuria. Diese «heimlichen Champions der Eidgenossenschaft» («Der Spiegel») belegen mit ihren Milliardenumsätzen sieben der zehn Plätze in den Top Ten der grössten Schweizer Unternehmen.
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Ausser Glencore ist kaum einer dieser Konzerne börsenkotiert – privat gehalten und beherrscht von mächtigen Aktionären und Managern, drehen diese Unternehmen das grosse Rad, diskret und unauffällig. Zu den Paten der Branche gehören etwa der Schwede Torbjörn Törnqvist (68), Mehrheitsaktionär und Chef von Gunvor in Genf; Jeremy Weir (58), Australier mit Wohnsitz in Cologny, der als CEO bei Trafigura den Takt vorgibt; die beiden Schweizer Gründer von Mercuria in Genf, Marco Dunand (60) und Daniel Jaeggi (61), oder auch Russell Hardy (57), CEO des niederländischen Handelskonzerns Vitol, des grössten unabhängigen Ölhändlers der Welt, der seine Handelszentrale mit 200 Leuten ebenfalls in Genf hat.
TORBJÖRN TÖRNQVIST Der Schwede ist Gründer und Chairman von Gunvor in Genf. Starthilfe gab der Putin-Vertraute Guennadi Timtschenko.
Mathias Braschler & Monika FischerJEREMY WEIR Entscheidungsträger vor Ort: Der CEO von Trafigura residiert in Cologny bei Genf.
Diego FranssensMARCO DUNAND Der Mitgründer von Mercuria hat die Handelstätigkeit auf Genf konzentriert.
PDGARY NAGLE Der Nachfolger von Ivan Glasenberg an der Spitze von Glencore profitiert von den gestiegenen Metallpreisen.
CH Media AGRUSSELL HARDY CEO des holländischen Ölhandelsriesen Vitol, der seine wichtigste Handelszentrale in Genf hat.
BloombergMILLIARDÄR Daniel Jaeggi, Co-Gründer von Mercuria (im Jahre 2018 an einem Branchenkongress in Houston), ist heute Milliardär.
BloombergSHAKE HANDS 2017 im Kreml: Wladimir Putin bedankt sich bei Ivan Glasenberg für den Rosneft-Finanzierungsdeal (hinten: Bank-Intesa-CEO Carlo Messina).
AFPIM DIENSTE SEINES HERRN Igor Setschin (ganz unten), Chef der staatlichen russischen Ölgesellschaft Rosneft, verteilt die lukrativen Aufträge.
imago images/ZUMA WireWerbung
Ebenso zu den Strippenziehern gehört Gary Nagle (47), der seinen Ziehvater Glasenberg an der Glencore-Spitze abgelöst hat und nun ebenso selbstbewusst das Zepter führt beim Rohstoffgiganten mit weltweit 130'000 Mitarbeitern, 900 davon am Firmensitz in Baar.
Es ist die Speerspitze einer Branche, die auch sonst riesige Ausmasse angenommen hat. Über 900 Rohstoffhandelsfirmen gibt es in der Schweiz, allein 537 in den Kantonen Genf und Zug. Über 10'000 Beschäftigte zählt der Sektor und sorgt für vier Prozent des nationalen Bruttoinlandprodukts – das ist rund doppelt so viel wie die heimische Tourismusindustrie. Damit ist der Rohstoffhandel neben den beiden wichtigsten Wirtschaftssektoren Pharma und Banken einer der Schlüsselbereiche der Schweizer Volkswirtschaft.
Mit Genf und Zug haben sich dabei eigentliche Cluster entwickelt, wobei vereinfacht gesagt der Öl- und Gashandel vor allem im Genf domiziliert ist, der Handel mit Metallen in Zug. «Für uns stimmt es hier», sagt Gérard Delsad, Managing Director von Vitol SA in Genf, der wichtigsten Handelseinheit der Vitol-Gruppe, und nennt «die politische Stabilität», den «professionellen Bankensektor für die Kapitalbeschaffung» und den «Zugang zu gut ausgebildeten Arbeitskräften» als Hauptgründe. «Die Schweiz darf stolz sein, diese bedeutende Branche hier zu haben», sagt Florence Schurch, die als Generalsekretärin des Branchenverbands STSA unermüdlich die Werbetrommel für die Branche rührt.
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Standort der wichtigsten Player.
Ihr bleibt noch viel zu tun – das Image der Branche ist nicht gut. Mit dem Krieg hat sich der kritische Blick auf den Sektor geschärft und das ohnehin schon vorhandene Misstrauen in weiten Teilen der Schweizer Bevölkerung noch vertieft. Dass es Misstrauen gibt, hat sich die Branche zu einem guten Teil selbst vorzuwerfen, war sie doch lange geprägt von Intransparenz und Abschottung – und ist es zum Teil bis heute noch. Als private Firmen nicht zu einer öffentlichen Bekanntgabe von Kennzahlen verpflichtet, zogen es viele Firmen lange vor, alles im Dunkeln zu lassen. Vitol etwa, seit 1968 in der Schweiz, hat erst 2010 begonnen, Zahlen zu veröffentlichen.
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Einer der Schlüsselmomente in der Perzeption der Branche war der Börsengang von Glencore von 2011, der auf einen Schlag ein Dutzend neuer Milliardäre enthüllte, unter anderem Glasenberg, dessen Paket heute rund sechs Milliarden wert ist. Viele rieben sich die Augen: Da gibt es offensichtlich gigantische Gewinnmaschinen, doch was machen die eigentlich? Wenn, wie bei Glencore, die weltweit Minen betreibt, dann noch allerlei Umwelt und Arbeitsrechtsskandale dazukommen, prädestiniert dies die Firmen natürlich besonders, in den Fokus von kritischen NGOs wie etwa Public Eye zu gelangen.
Auch wenn Glencore unter CEO Nagle am Umschwenken ist und Umwelt- und Nachhaltigkeitskriterien heute zu einem Schlüsselanliegen gemacht hat, ist der Konzern die kritischen Stimmen bei Weitem noch nicht los, wie auch der jüngste Nachhaltigkeitsbericht der Firma zeigt: Auch wenn Glencore im letzten Jahr 100 Beschwerden weniger aus der Bevölkerung erhalten hat, so waren es doch immer noch 1159.
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Bei den meisten Fällen ging es um Emissionen in der Luft, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gab es laut eigenen Angaben keine. 2021 hat allerdings eine Gruppe von NGOs Beschwerde bei der OECD eingereicht und Glencore Luft- und Wasserverschmutzung sowie die Vertreibung der indigenen Bevölkerung vorgeworfen. Glencore hält die Vorwürfe für nicht zutreffend. Lieber verweist der Konzern auf die 5,8 Milliarden an Löhnen, die man weltweit bezahle, allein 941 Millionen waren es in Afrika.
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Das Business lief nicht nur für Glencore wie geschmiert. Im vergangenen Jahr generierte die weltweite Rohstoffbranche einen Rekordgewinn und verbuchte eine Bruttomarge von 60 Milliarden Dollar. Doch nun hat sich mit dem Ukraine-Krieg eine neue Situation ergeben – sie schafft in der Branche Verlierer, aber auch Gewinner. Die Preise für Öl, Gas und Metalle schwanken stark, der Markt ist hektisch geworden. «Eine solche Situation mit einer so hohen Volatilität sehen wir etwa alle 50 Jahre», sagt Christophe Salmon, Finanzchef von Trafigura.
Und so sieht sich die Branche mit Problemen konfrontiert, die sie schon fast vergessen hatte. Denn die Finanzierung der Rohstoffdeals war lange kein Problem – die auf Trade Finance spezialisierten Banken übernahmen gerne die Vorfinanzierungen und verdienten so mit. Das Risiko war überschaubar, die Trader liehen sich das Geld am Kapitalmarkt und holten es durch den Verkauf der Rohstoffe später leicht wieder herein.
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Doch durch die Sanktionen gegen Russland ist es zu umfangreichen Produktionsausfällen gekommen, schockartige Preissteigerungen beherrschen den Markt, und die hinterlegten Sicherheiten müssen erhöht werden. Die Handelshäuser leben dabei in ständiger Angst, von ihren Banken «Margin Calls» zu bekommen und Gelder nachschiessen zu müssen.
Die Finanzierungsfrage war auch das grosse Thema am jährlichen Branchentreffen in Lausanne. Die Rohstoff-Chefs auf den Podien malten schwarz: Mitunter müsse das Vier- bis Fünffache an Geld bereitgestellt werden, um eine Ladung abzusichern, so Vitol-CEO Hardy. Der Gasmarkt funktioniere nicht mehr, so Gunvor-Chef Törnqvist, wegen der Liquiditätsprobleme gebe es weniger Handel und so noch teurere Preise. Die Stimmung in Lausanne sei dieses Jahr «eher düster» gewesen, sagt Vitol-Manager Delsad, der seit Jahren in Lausanne dabei ist.
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In der Hektik mussten sich viele Handelshäuser neue Kreditlinien sichern, die meisten bisher allerdings mit Erfolg. So gab etwa Trafigura am 23. März bekannt, man habe mittels eines Konsortiums von zwölf Banken 2,3 Milliarden Dollar an Finanzierungen gesichert.
Andere wie Glencore mussten sich keine zusätzlichen Gelder sichern, die Kapitaldecke sei stark, betont der Konzern. Glencore, im Gegensatz zu Firmen wie Trafigura nicht nur ein Rohstoffhändler, sondern mit ihren vielen Minen auch Rohstoffförderer, konnte gar profitieren, kann man die Metalle nun doch teurer verkaufen. Das hybride Modell – inzwischen kommt ein Grossteil des Gewinns vom Mining – erweist sich als Segen.
Im Januar übersprang der Aktienkurs erstmals seit zehn Jahren nachhaltig die Marke von 4 Pfund und liegt nun bei 4,636 Pfund (Stand 26. April). Die Rohstoffpreise werden hoch bleiben, solange die Sanktionen gegen Russland in Kraft seien, versichert ein hochrangiger Ex-Glencore-Manager. Für sie als Commodity-Trader sei das grossartig, aber nicht für die Welt – die Spannungen seien gross.
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Auch Schweizer Banken spielen im Geschäft mit Rohstofffinanzierungen mit, ja mehr noch, der Schweizer Finanzplatz und die guten Dienstleistungen der hiesigen Banken gelten gar als einer der Hauptgründe, warum sich die Branche hier etabliert hat. Rund ein halbes Dutzend Schweizer Institute sind im Spiel, neben den beiden Grossbanken UBS und CS auch die Kantonalbanken von Genf, der Waadt und Zürich.
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Dass auch die Zürcher Kantonalbank (ZKB) im kleinen, feinen Grüppchen dabei ist, verwundert allerdings – dass die Kantonalbank in Genf vom dortigen Cluster profitiert, liegt nahe, aber die ZKB? Eine Erklärung sehen Branchenvertreter darin, dass die Kantonalbank im benachbarten Cluster Zug keine Rohstoffhandelsfinanzierungen anbietet, die ZKB im Rahmen ihres Geschäfts für international tätige Grosskunden seit Langem aber auch schon andere Handelsfinanzierungen bereithält.
Man betreibe das Geschäft sehr zurückhaltend, heisst es bei der Bank, und Finanzierungen von Geschäften mit Öl habe man von Anfang an ausgeschlossen, unter anderem wegen der Umweltschutzproblematik. Zum Russland-Exposure will die Bank keine Auskunft geben, es soll aber verschwindend klein sein. Osteuropa stelle keinen Hauptmarkt für die ZKB dar.
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Mit Angaben zur Profitabilität des Geschäfts halten sich die Banken zurück, aber «wir würden es nicht machen, wenn wir damit kein Geld verdienen würden», wie es ein involvierter Grossbanker formuliert. Die Abteilungen sind durchaus gewichtig, bei der CS sind es etwa 50 bis 70 Leute, die in diesem Bereich arbeiten.
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Pioniere der Rohstoff-Trade-Finanzierungen waren aber nicht die Schweizer, sondern die französischen Banken, allen voran BNP Paribas. Noch heute sind die französischen Banken gross im Geschäft, zusammen mit jenen aus Holland, das traditionell ein wichtiges Handelsland ist. Laut Bloomberg sind die wichtigsten Rohstoffbanken in Europa ING, Société Générale, Rabobank, Crédit Agricole, Groupe BPCE und UBS. Nicht mehr dabei ist BNP Paribas: Wegen Missachtung von Sanktionsauflagen brummte die USA der Bank 2014 eine Rekordstrafe von neun Milliarden auf – die Bank stieg gänzlich aus.
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Dass just BNP Paribas einst zum Pionier wurde, hängt mit einer Person zusammen, auf die auch sonst fast alles, was die Geschichte des Sektors in der Schweiz angeht, zurückgeht: Marc Rich, der legendäre Trader, der 1974 mit der Gründung seiner Marc Rich + Co.in Zug die Basis für den bis heute anhaltenden Aufschwung der Branche in der Schweiz legte.
Seine Freundschaft in den 1970er Jahren mit Christian Weyer, einem Senior Banker bei Paribas, war der Grundstein auch für die Finanzierungsmechanismen in der Branche. Die beiden etablierten Kreditbriefe als Finanzierungsvehikel, ein Instrument, das es im Grunde schon seit Jahrhunderten gab und jetzt auf den Rohstoffhandel angewandt wurde. Es erlaubte den Tradern, mit wenig Geld riesige Handelsvolumen zu dealen – das Konzept des modernen Rohstoffhandels war geboren.
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Zum Eldorado für die weltweiten Handelshäuser wurde die Schweiz schon in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Was lockte, waren jene Standortvorteile, die auch heute noch als Grund für die erfolgreiche Ausbreitung des Sektors gelten. So wählte der Rohstoffhandelskonzern Brothers 1974 selbstständig machte. Der Mann mit der Zigarre und dem offenen Hemd wurde zum Sinnbild des unzimperlichen Rohstoffhändlers und begründete den – schlechten – Ruf der Branche, umso mehr, als er 1983 von den USA wegen Steuerflucht international zur Verhaftung ausgeschrieben wurde und sich ausserhalb der Schweiz kaum mehr bewegen konnte.
Doch hier baute er eine Gewinnmaschine sondergleichen und begründete nicht nur den Ruf der Schweiz als Händlerparadies, sondern ist auch zum Stammvater mancher heutiger Player geworden.
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1956 Der US-Rohstohändler Cargill erönet unter dem Namen Tradax seinen internationalen Trading Hub in Genf. Als Grund für die Wahl werden die «exzellenten Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten» und «die begrenzten Unternehmenssteuern» genannt.
PD1968 Der zwei Jahre zuvor in Rotterdam gegründete Rohstohändler Vitol eröffnet 1968 eine Filiale in Zug. 1972 wird die Vitol SA in Genf im Handelsregister eingetragen, Genf wird zu einem zentralen Handelshub und Vitol Schritt für Schritt zum grössten unabhängigen Rohstohändler der Welt.
Keystone1974 Trader Marc Rich, bei der US-Rohstocrma Philipp Brothers gross geworden, macht sich selbstständig und gründet am 3. April 1974 seine Marc Rich + Co. AG in Zug. Die Firma wird bald zum bestimmenden Player in der Branche und die Schweiz damit endgültig zum Zentrum des Welthandels mit Rohstoffen.
Keystone1994 Nach einem internen Machtkampf verkauft Marc Rich den Trading-Bereich an die Manager, daraus entsteht die Firma Glencore. Neuer starker Mann wird Willy Strothotte.
Fairfax Media via Getty Images2011 Der Börsengang von Glencore macht eine kleine Gruppe von Privaten, unter anderem Ivan Glasenberg, der den Konzern seit 2002 als CEO führt, auf einen Schlag zu Multimilliardären. Die Kritik an der intransparenten Branche beginnt zu wachsen.
AFP2014 Im Rahmen der Annexion der Krim werden Putin-Vertraute von den USA sanktioniert. Beim rasant aufgestiegenen Rohstoffhändler Gunvor ist Guennadi Timtschenko kurz davor ausgestiegen und hat seinen Anteil an den schwedischen Gründungspartner Torbjörn Törnqvist verkauft.
Bloomberg2022 Mit dem Ukraine-Krieg wird Russland als eines der zentralen Länder aus dem eingespielten System herausgebrochen, die Rohstoffpreise fahren Achterbahn, die internationalen Rohstoffhändler in der Schweiz sehen sich mit einer Schwemme von Einschränkungen konfrontiert, Finanzierungen werden schwieriger.
keystone-sda.chSo ist Glencore aus der Marc Rich + Co. entstanden; 1994 war das, als der Gründer nach einem Machtkampf den Trading-Bereich an seine Manager verkaufen musste. Die Firma wurde in Glencore umbenannt.
Auch Trafigura geht indirekt auf Rich zurück, war der Gründer, Claude Dauphin, doch Anfang der 1990er Jahre als Leiter Ölhandel bei Rich einer der Schlüsselfiguren in dessen Team. 1993 gründete Dauphin zusammen mit anderen Rich-Spitzenkräften Trafigura. 2014 ersetzte Jeremy Weir Dauphin an der Spitze.
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Auch Mercuria hat eine lange Geschichte. Die Vorgängerfirma wurde von zwei russischen Kneipenmusikern aufgebaut, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Polen emigrierten, zunächst mit Computerbestandteilen und Kühlschränken handelten und dann irgendwie in den Rohstoffhandel hineinschlitterten. Die heutige Mercuria Energy Group wurde 2004 von den beiden Schweizer Rohstoffhändlern Dunand und Jaeggi gegründet, die verschiedene bestehende Firmen zusammenlegten und deren Handelstätigkeit nach Genf verlegten.
Gunvor wurde 1997 von Törnqvist und dem Oligarchen Guennadi Timtschenko gegründet. Dessen gute Kontakte zu Putin waren mit ein Grund, dass Gunvor bald im grossen Stil Förderungen von russischen Rohstoffgiganten vertreiben durfte. Timtschenko wurde nach der Annexion der Krim 2014 von den USA sanktioniert. Kurz davor verkaufte er seinen Anteil an Törnqvist.
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Viele der neuen Rohstofftitanen sind zu schwerreichen Männern geworden. Gleich mehrere von ihnen sind in der Liste der 300 reichsten Schweizer vertreten: Daniel Jaeggi und Marco Dunand mit einem Vermögen von 1,5 bis 2 Milliarden Franken; ebenso viel bringt Tornbjörn Törnqvist auf die Waage; Jeremy Weir ist mit 350 bis 400 Millionen gelistet.
Doch in Ruhe ihren Reichtum geniessen können sie derzeit nicht. Bereits haben die USA ein Embargo gegen russisches Öl verhängt. Wegen der Abhängigkeit Europas von russischen Rohstoffen war die EU (und damit die Schweiz) bislang zurückhaltend – so sind Öl und Gas vorerst nicht auf die Sanktionsliste gewandert. Doch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits angekündigt, man prüfe neue Sanktionen, die auch den Ölhandel betreffen könnten. Die Nervosität in Genf bleibt daher gross.
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Nicht nur im Handel mit Öl, Gas und Metallen ist die Schweiz federführend, sondern auch bei den «Soft Commodities», Nahrungsmitteln wie Weizen oder Mais also, die ebenfalls im grossen Stil über die Schweiz gehandelt werden. So haben die grössten vier Agrarhändler der Welt, Archer Daniels Midland, Bunge und Cargill aus den USA sowie Louis Dreyfus mit Holdingsitz in Amsterdam, Handelszentralen in der Schweiz. Man nennt das Quartett in der Branche zusammengefasst die ABCD-Gruppe.
Die Schweiz ist Weltmarktführerin beim Handel mit Zucker und Getreide. Ebenso hat die Schweiz laut Schätzungen einen Anteil von 30 Prozent am weltweit gehandelten Kakao und Kaffee, 25 Prozent bei Baumwolle und 15 Prozent bei Orangensaft. Auch die Agrarhändler sind vom Krieg zwischen Russland und der Ukraine betroffen, nicht nur wegen der unterbrochenenen Lieferwege, sondern weil man zum Teil auch direkt vor Ort präsent ist.
So verfügt Louis Dreyfus etwa über ein Getreideterminal am Asowschen Meer, das über eine Million Tonnen im Jahr exportieren kann. Im Gegensatz zum Öl-, Gas- und Metallhandel, wo vornehmlich Männer das Sagen haben, gibt es im Agrarhandel auch Frauen ganz oben. Präsidentin von Louis Dreyfus ist die gebürtige Russin Margarita Louis-Dreyfus, Witwe von Robert Louis-Dreyfus.
SILOS IN RUSSLAND Margarita Louis-Dreyfus ist Präsidentin und Mehrheitsbesitzerin des gleichnamigen Agrarhandelskonzerns.
LarastockSILOS IN RUSSLAND Margarita Louis-Dreyfus ist Präsidentin und Mehrheitsbesitzerin des gleichnamigen Agrarhandelskonzerns.
LarastockAuch die NGOs erhöhen den Druck. Der Vorwurf: Die Branche finanziere indirekt Putins Kriegsmaschinerie. Ende März veröffentlichte die NGO Public Eye einen Bericht, in dem aufgezeigt wird, dass Schweizer Firmen immer noch im grossen Stil mit russischem Öl handeln. So hätten in der Schweiz ansässige Händler im Februar und März über 80 Millionen Barrel Öl aus russischen Häfen verkauft. Datenbasis sind Schiffsbewegungen.
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Laut dem Bericht agierte als wichtigster Händler das Genfer Unternehmen Litasco unter CEO Nazim Suleymanov, einem Russen. Litasco ist eine Tochtergesellschaft des privaten russischen Ölkonzerns Lukoil. Ungefähr 25 Millionen Barrel wurden allein von dieser Firma verschifft, das entspricht mehr als 40 grossen Tankern. Auf Platz zwei und drei folgen dann die Giganten Vitol und Trafigura mit 17 beziehungsweise 13 Millionen Barrel.
Litasco liess wissen, man kommentiere Gerüchte oder geschäftliche Fragen nicht. Vitol und Trafigura betonen, dass man nur bestehende Kontrakte erfülle, aber kein Neugeschäft mehr annehme. Trafigura gibt zudem an, dass sich die Volumen mit russischen Rohstoffen signifikant reduzieren werden, und Vitol beabsichtigt gar, den Handel mit russischem Rohöl und Ölprodukten bis Ende Jahr einzustellen. Auch bei Glencore wird betont, man erfülle im Geschäft mit Russland nur noch bestehende Verträge. Dass man nicht sofort gänzlich aussteigt, hat vor allem juristische Gründe: Die russischen Vertragspartner können vor internationalen Gerichten klagen, mit dem Effekt, dass zuletzt noch mehr Geld in Russland landet.
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Glencore sitzt zudem noch auf einem 0,57-Prozent-Anteil am russischen Erdölförderer Rosneft, den sie loswerden will.
Der Staatskonzern wird von Igor Setschin, einem der engsten Vertrauten von Putin, geführt. Wegen der jetzigen Marktsituation gebe es «keinen realistischen Weg», den Anteil zu verkaufen, deshalb sei er «eingefroren». Bei Rosneft war Glencore einst stark drin: Noch unter Glasenberg kaufte man zusammen mit dem Staatsfonds von Katar 19,5 Prozent und sicherte sich damit Öllieferungen. Putin dankte Glasenberg 2017 persönlich für die Kapitalspritze.
Mit dem steigenden moralischen Druck auf die Rohstoffhändler haben auch die Rufe nach einer stärkeren Regulierung des Sektors zugenommen. NGOs haben dazu eigens eine fiktive Behörde samt Webpage namens ROHMA geschaffen, welche, ähnlich wie die wirklich bestehende Finanzmarktaufsicht FINMA, den Firmen stärker auf die Finger schauen soll. STSA-Generalsekretärin Schurch betont, der Rohstoffhandel sei entlang seiner langen Wertschöpfungskette von der Förderung bis zur Entladung schon von sehr vielen Behörden reguliert: «Was genau würde eine ROHMA zusätzlich zu den Inspektionsfirmen, den Hafenagenten, den Banken, dem Zoll etc. überwachen?»
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Foto: PD
Klar ist aber, dass die Branche nicht einfach weitermachen kann wie bisher. Gerade die grossen Player kommen nicht darum herum, den Wandel der Gesellschaft hin zu mehr Transparenz und Nachhaltigkeit mitzutragen. Und so wird vermehrt in erneuerbare Energie investiert. Vitol etwa gab Mitte April bekannt, dass man drei Windenergie-Farmen mit insgesamt 244 Megawatt Kapazität in den USA erworben habe. Trafigura hat bereits vor zwei Jahren in H2 Energy investiert, ein Schweizer Start-up, das auf Wasserstoff aus erneuerbarer Energie setzt. Und Glencore pusht das Recycling von Metallen aus Handys oder anderen Geräten.
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Am Puls der Zeit zu bleiben, ist sicher das richtige Konzept und dürfte dazu beitragen, den so wichtigen Bereich in der Schweiz zu sichern. Denn konkurrierende Handelsplätze holen auf, etwa Singapur, das sich – gezielt gefördert von der dortigen Regierung – zum neuen Welthandelszentrum für Rohstoffe aufschwingen will. Die Schweiz ist aus vielen Gründen gut positioniert, nicht zuletzt aber weil sie die richtige Zeitzone hat: «Am Morgen telefonieren wir mit unseren Geschäftspartnern in Shanghai oder Singapur, am Abend mit jenen in Houston oder Montevideo», so Trafigura-Finanzchef Salmon. Doch dieser Vorteil nimmt ab, denn der Rohstoffhandel wird immer mehr ein pazifisches Geschäft: China allein beansprucht heute fast 50 Prozent der Rohstoffe. Und für die Bewirtschaftung des pazifischen Raums liegt Singapur durchaus günstig.
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Wenn sich Russland mit China zusammenschliesse, werde der Westen Probleme mit der Rohstoffversorgung bekommen, warnt Glasenberg. Das mache China stärker und den Westen schwächer.
Andere sehen es optimistischer. Er glaube, dass die Branche in der Schweiz weiter eine gute Zukunft habe, sagt Vitol-Manager Delsad, denn die Standortfaktoren seien nach wie vor stark. Trotz der nun schon rund zwei Monate dauernden Krise hat es zudem bisher keinen nennenswerten Firmenzusammenbruch gegeben. «Der Sektor zeigt sich weiter robust», so Trafigura-Finanzchef Salmon.
So gesehen sind der Krieg und die damit verbundenen Verwerfungen für die Branche ja vielleicht auch ein Weckruf für eine nachhaltige Veränderung. Aufgezeigt haben die Entwicklungen auf jeden Fall, dass nicht nur die Branche, sondern auch die Schweiz viel zu verlieren hat.
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