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Rinspeed-CEO Frank Rinderknecht: «Mein Leben war nie geplant, und ich plane es bis heute nicht»

Enfant terrible, Tuner, Visionär: Frank M. Rinderknecht hat mit seiner Rinspeed immer wieder die Mobilität der Zukunft auf Räder gestellt. Und es geht weiter.

Dirk Ruschmann

Dirk Ruschmann

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AUTOS BAUEN KANN SPASS MACHEN: So sieht einer aus, der keinen Beruf hat, sondern eine Berufung: Frank Rinderknecht in seiner Garage.

Phil Müller für Bilanz

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Eine unscheinbare Garage an einer Seitenstrasse in Zumikon. Wer durch das Torfenster linst, erblickt aber keine Kombis oder SUVs auf Hebebühnen, sondern Kabinen auf Rädern, Personentransporter und futuristische Einsitzer, einer davon offensichtlich von einem Audi TT der ersten Generation inspiriert, ein quietschgelber Pick-up mit schwenkbarem Lastenlift, von der Decke hängt, mit Seilen befestigt, ein Indy-Rennwagen.

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Hier, oberhalb des Zürichsees, steht eine weltweit einzigartige Autosammlung: die Prototypen und Konzeptfahrzeuge von Rinspeed, alles Unikate. Etwa der «Squba», inspiriert vom Bond-Movie «The Spy Who Loved Me», der aber den Unterwasserflug tatsächlich beherrscht, im Gegensatz zum Film, in dem diese Szene nur eine Animation war. Oder der «X-Trem M.U.V.» mit seinem Liftarm. Oder der «Oasis», ein selbstfahrendes E-Mobil für die Stadt mit Kleingarten hinter der Windschutzscheibe. Oder diverse Verfeinerungsstufen seines «Snap», bei dem modulare Aufbauten ein Fahrwerk ganz unterschiedlich nutzbar machen; die neuste Version, «Citysnap», dient etwa als mobile Paketstation.
Frank M. (das M steht für Martin) Rinderknecht, so tiefenentspannt und unprätentiös, dass man ihn schlicht nicht siezen kann, ist Europas «Mister Mobilität der Zukunft»: Sein Stand am Genfer Auto-Salon war oft genauso dicht umringt wie die der edlen oder der grossen Hersteller. Viele Konzernbosse kamen vorbei und beäugten die neusten Kreationen von Rinspeed, immer wieder ergaben sich daraus Kooperationen und Entwicklungsaufträge.

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Frank, wie wird man «Mister Mobilität der Zukunft»?
Bis heute, mit 66, treibt mich immer dasselbe an: die Passion für Neues, dass ich dazulernen will. Erfolgreich im Leben war ich immer dann, wenn ich zuerst eine Passion und Spass hatte und nicht ans Geld dachte – und da, wo ich zuerst einen Business Case gesehen hatte, bin ich eher auf die Nase gefallen. Ich hatte aber das Glück, immer zwischen, sagen wir, Kunst und Kommerz überleben zu können. Und aus Misserfolgen lernt man bekanntlich am meisten.

sdf

LEGENDE UNTER IKONEN: Der 2008 gebaute «Squba» kann unter Wasser fahren. Von Rinderknechts Konzeptfahrzeugen ist er bis heute das bekannteste.

Phil Müller für Bilanz
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LEGENDE UNTER IKONEN: Der 2008 gebaute «Squba» kann unter Wasser fahren. Von Rinderknechts Konzeptfahrzeugen ist er bis heute das bekannteste.

Phil Müller für Bilanz

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KABINENFAHRZEUGE UND SNAPS: Zuletzt hat Rinderknecht mit seinen Concept Cars Lösungen für die Zukunft urbaner Mobilitätsprobleme aufgezeigt.

Phil Müller für Bilanz
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KABINENFAHRZEUGE UND SNAPS: Zuletzt hat Rinderknecht mit seinen Concept Cars Lösungen für die Zukunft urbaner Mobilitätsprobleme aufgezeigt.

Phil Müller für Bilanz

Bei deinen Konzeptfahrzeugen ist vom Spassmobil bis zur Logistiklösung alles dabei, sogar Boote und Helikopter. Woher kommt diese Breite?
Tja (lacht), viele deiner Kollegen haben mich ja schon als verrückt bezeichnet. Und ich schätze diese Bezeichnung sogar: Verrücken heisst ja etwas bewegen. Spinner wäre negativ, aber ein Verrücker und Verrückter zu sein, das passt.Du nimmst also nicht alles bierernst?
Nein, man soll auch schmunzeln dürfen bei unseren Prototypen, siehe den Kräutergarten im Fahrzeug. Wir waren der bunte Hund am Auto-Salon Genf. Ich habe die grossen CEOs auch nie, wie in der Branche üblich, mit «Herr Doktor» oder «Herr Professor» angesprochen, sondern immer nur mit Namen.

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Nach seiner Matura wollte Rinderknecht raus in die Welt und sein Englisch aufpolieren; der Lehrer hatte ihn vor allem mit Shakespeare gequält, damit konnte man im Flirtmodus nicht viel anfangen. Also ging er nach Los Angeles und fand einen Job bei einem Start-up, das Behindertenfahrzeuge entwickelte.

Dann wurde der Ruf der Armee immer lauter, er musste zurück in die Schweiz. Zudem schrieb er sich an der ETH für Maschinenbau ein, aber, «ehrlich gesagt, hat mir das ziemlich gestunken». Also floh er immer wieder in die USA. Dort entdeckte er auch das Sunroof, das Sonnendach fürs Auto, kaufte und montierte sich eins in der Schweiz. Andere wollten bald auch eins, also startete Rinderknecht mit 21 seine Rinspeed als Importeur für Sonnendächer, auch die Behindertenfahrzeuge führte er ein.

Die Importe waren der Anfang?
Ja, so ging alles los. Ich lernte Kommerz und Businesswelt, bis hin zu ungedeckten Checks. Mein Leben war nie geplant, und ich plane es bis heute nicht.

Du hattest dann Schweiz-Repräsentanzen für Sportwagenmarken wie AC, AMG oder Schnitzer und hast dir mit Umbauten und Tuning einen Namen gemacht und damit auch das Geld verdient. Warum heute nicht mehr?
Ich stellte irgendwann die Sinnhaftigkeit des Ganzen in Frage, es hat auch nicht mehr wirklich Spass gemacht. Also habe ich das ganze Tuning-Geschäft 2008 an Mansory verkauft.

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Ein Tuner, der für auffällige, breitbeinige Umbauten bekannt ist.
Das war wirtschaftlich riskant, ich habe auf einen Schlag 80 Prozent des Umsatzes verkauft. Aber ich dachte: Now or never. Und ich hatte Glück, weil bald die Finanzkrise heraufzog, ein halbes Jahr später hätte der Verkauf wohl nicht mehr funktioniert.Was kam dann?
Heute redet ja jeder über die «neue Mobilität», die war damals praktisch unbekannt. Ich hatte aber ein Bauchgefühl, dass das kommen würde.

Frank Rinderknecht erfand sich neu, wie man so schön sagt: als One-Man-Denkfabrik. Nur seine Lebensgefährtin und er selbst sind heute noch Rinspeed. Im Geschäft konzentrierte er sich nun voll auf seine spektakulären Entwicklungsprojekte. Die waren nun seine eigentliche Umsatzquelle: Partner, die mit Rinderknechts zukunftsweisenden Studien ihre Technologien und Materialien präsentieren konnten, zahlten dafür mit Technologie und Geld – und Rinspeed musste eben schauen, dass weniger Geld ausgegeben als eingenommen wurde. Für Technologiepartner ist die Zusammenarbeit mit Rinderknecht attraktiv, weil sie ihre Kompetenzen zeigen können, aber nicht mit einem der Grossen anbandeln müssen – in der Autoindustrie ist es immer noch so, dass ein Partner von BMW bei VW oder Mercedes keinen Fuss mehr in die Tür bekommt.

Im Lauf der Jahrzehnte hat Rinspeed einiges vorweggenommen, teils erfunden, was später in die Serienproduktion eingezogen ist. Mit Assistenzsystemen, Leichtbau und Konnektivität oder Unterhaltungsangeboten für Passagiere im Fond beschleunigte er Trends. Mattlackierungen und die Farbe Weiss, die viele Jahre praktisch nur in der Golfregion beliebt war, machte er in Europa salonfähig. Auf ihn geht ausserdem der Einzug von Bedienknöpfen am Lenkrad zurück, weil er die Ablenkung vom Strassenverkehr durch das bisherige Suchen nach Knöpfen und Tasten an der Mittelkonsole eliminieren wollte.
Daneben ist Rinderknecht auch als Berater tätig, «aber nicht so McKinsey-mässig, ich sehe das eher als Sparring», sagt er. Dabei hilft er Unternehmen, neue Technologien und Mobilitätskonzepte zu entwickeln; es gehe um Kreativität und Ideen, nicht um das Drehen an finanziellen Stellschrauben.

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Ingenieur bist du ja nicht. Was ist deine Rolle bei den Projekten? Mastermind?
Meine Stärke und zugleich Schwäche ist, dass ich Generalist bin. Ich verstehe von vielem etwas, aber von wenig verstehe ich viel. Ein Ingenieur kann mir kein X für ein U vormachen, aber ich kann ihn nicht ersetzen. Technik, Design, Marketing, Kommunikation, Akquise, all das finde ich spannend. Dabei habe ich auch viel gelernt, hatte dadurch auch Misserfolge. Aber ich glaube, Erfolg und Misserfolg sind Zwillingsbrüder. Das eine kommt mit dem anderen.

Hat deine Familie nie gesagt: Mach doch mal was Richtiges? Oder finden die das cool?
Meine Partnerin unterstützt mich sehr. Meine Tochter sagt, ich sei ein Workaholic. Sie hat vielleicht nicht unrecht, in dem Sinn, dass ich viel arbeite. Aber für mich ist es Berufung, nicht Beruf. Die neuen Technologien bieten so viel Spannendes, siehe das autonome Fahren, die umfangreiche Elektronik. Das hat unsere Arbeit in den letzten Jahren viel einfacher gemacht.

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Wo steht dein aktuelles Projekt «Snap»?
Das ist was richtig Cooles: City-Logistik. Davon hatte ich vor fünf Jahren noch absolut keine Ahnung. Überall nimmt die Flut an Paketen zu, die Dichte an Lieferwagen in den Wohnvierteln wird immer grösser. Dafür können wir eine neue Lösung anbieten.

Worum geht es dabei?
Das Stichwort ist «handover», die Übergabe. Paketboten sind teuer, Drohnen oder Roboter werden noch sehr lange zu teuer sein. Genaue Zeitangaben wie «Um 10.32 Uhr steht der Bote vor Ihrer Tür» will sich niemand aufzwingen lassen. Muss der Bote warten, ist es ineffizient. Fixe Paketstationen sind auch ineffizient, weil ein Van hinfahren und die Fächer von Hand befüllen muss.

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SAMMLUNG AN UNIKATEN: Jedes Fahrzeug existiert nur ein Mal. Der «Splash» links vorne mit seinen Tragflügeln überquerte, mit Rinderknecht selbst am Steuer, den Ärmelkanal.

Phil Müller für Bilanz
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SAMMLUNG AN UNIKATEN: Jedes Fahrzeug existiert nur ein Mal. Der «Splash» links vorne mit seinen Tragflügeln überquerte, mit Rinderknecht selbst am Steuer, den Ärmelkanal.

Phil Müller für Bilanz

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Also?
Wir machen Paketstationen mobil. Unsere wird schon im Verteilzentrum befüllt, und auch dies bereits automatisiert. Dann bringt der Van sie nahe zu den Empfängern, also zur Firma oder ins Quartier, und stellt sie dort einfach hin und holt sie später wieder ab. Weil wir nahe am Kunden sind, können die Stationen kompakt sein, wir brauchen keine 200 Fächer.

Wie weit ist das Projekt?
Die Zahl der Pakete steigt jährlich zweistellig, Covid hat noch Rückenwind gegeben. Ein Versuchsfahrzeug haben wir jetzt selbst finanziert, aber nun steht eine Testphase mit 100 bis 150 Fahrzeugen an, dazu braucht es eine zweistellige Millionensumme als Investment. Dafür rede ich mit Venture-Capital-Fonds, mit Private Equity und Family Offices. Grundsätzlich wollen wir möglichst lange unabhängig bleiben von industriellen Partnern und die Technologie selber vorantreiben. Zum Schluss soll es in die Serienfertigung gehen.Eine ganz neue Richtung für Rinspeed …
Ja, Serienproduktion war für mich nie zuvor ein Thema, und ich habe bisher meine Projekte immer selber finanziert. Nun habe ich mit 65 noch ein Start-up gegründet und bekomme über Innosuisse ein Coaching von einer 33-Jährigen, Pitches und Investorensuche sind ja neu für mich. Das ist toll, ich lerne megaviel.

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Noch nicht so klar ist wohl, was Frank Rinderknecht mit seiner Sammlung an 26 Prototypen vorhat. Diejenigen, die er zur Finanzierung neuer seinerzeit verkauft hat, sind inzwischen wieder in seinem Besitz. Ein eigenes Museum läge nahe, wäre aber wohl unerschwinglich. Ob er auf Anfragen von Sammlern oder Auktionshäusern eingehen wird – Rinderknecht lässt sich nicht in die Karten schauen, womöglich hat er sich noch nicht entschieden. Dass es für ihn sinnvoll erscheint, dass die Sammlung zusammenbleiben und der weltbekannte Name Rinspeed weiterleben könnte, lässt er immerhin durchblicken.

Um sie Rinspeed-typisch in die Zukunft zu führen, hat sich Rinderknecht ins neue Megathema NFT eingearbeitet: Er will die Autos als NFTs programmieren lassen, «wenn du im Metaverse mit einem ‹Squba› herumfahren und tauchen gehen kannst, wird das ja eine coole und einzigartige Erfahrung sein». Und es gibt diesen Einzelstücken auch eine digitale Heimat, wo sie für alle Interessierten zugänglich und erlebbar sein werden. Der «Squba» ist Rinderknechts bekannteste Studie; das Unterwasserfahrzeug wird auch das erste sein, das als NFT an den Start geht.

«Snap» und City-Logistik – und was hast du ansonsten vor? Bekanntlich fängt mit 66 das Leben an!
Mir gehts blendend, ich bekomme jetzt AHV. Die Pensionskasse habe ich noch nicht bezogen, ich arbeite ja noch. Aber ich lasse auch allmählich los. Mit 85 will ich nicht wie einige andere noch am Auto-Salon stehen.

Was fährst du eigentlich privat?
Ich hatte immer schon Elektroautos, zum Beispiel den grauen Mini E von 2010 mit dem auflackierten gelben Stromstecker, dazu hatte ich die allererste Ladesäule der Schweiz, die wir damals mit Dieter Meier eingeweiht haben. Aber gerade in der Covid-Zeit war ich viel auf Langstrecken zu Geschäftspartnern unterwegs. Da fahre ich eine normale Mittelklasse. Weil: So viele Espressi könnte ich gar nicht trinken, wie ich für die Ladestopps brauchen würde.

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SAMMLUNG, DIE ZWEITE: All diese Einzelstücke stehen in einer Garage im Zürcher Goldküsten-Vorort Zumikon – in einem Gewerbegebiet ohne Seesicht.

Phil Müller für Bilanz
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SAMMLUNG, DIE ZWEITE: All diese Einzelstücke stehen in einer Garage im Zürcher Goldküsten-Vorort Zumikon – in einem Gewerbegebiet ohne Seesicht.

Phil Müller für Bilanz
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SITZPROBE IM ERSTEN SNAP: Die Idee: Der Antrieb bewegt nach Bedarf verschiedene Aufbauten. Etwa Personensitze, Fracht, rollende Arztpraxen oder eine Sauna.

Phil Müller für Bilanz
df

SITZPROBE IM ERSTEN SNAP: Die Idee: Der Antrieb bewegt nach Bedarf verschiedene Aufbauten. Etwa Personensitze, Fracht, rollende Arztpraxen oder eine Sauna.

Phil Müller für Bilanz

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Covid hast du gut überstanden?
Das war natürlich auch für mich ein Schlag ins Kontor. Da sind Dutzende Messen und Konferenzen ausgefallen. Andererseits war es für mich ein Segen punkto Entschleunigung. Drei Wochen am Stück in der Schweiz – das war ich zuvor nicht mehr, seit ich 18 Jahre alt war.

In seinen Concept Cars setzt Rinderknecht seit vielen Jahren E-Antriebe ein, auch Biogas nutzte er schon als Treibstoff. Die aktuelle Energiewende im Strassenverkehr befürwortet er folgerichtig: Es sei gut, dass wir wegkommen von fossilen Brennstoffen. Auch wenn Batterien schwer und aufwendig zu produzieren sind, zudem seltene Rohstoffe wie Lithium benötigen, hält er die Stromer für die aktuell sinnvollste Technologie. Wasserstoff sehe er zwar in Lastwagen oder Schiffen, in Autos eher nicht – da dürfte es Akzeptanzprobleme geben, prognostiziert er, ähnlich wie bei Erdgasfahrzeugen: Viele Konsumenten haben schlicht Angst vor Gas, scheuen schon vor dem Gasgrill im Garten zurück. Die geringe Nachfrage hat dann die Autobauer davon abgehalten, in die eigentlich sinnvolle Technik zu investieren, deshalb wuchs auch die Tank-Infrastruktur nicht. Bei den Batterieautos sei das nicht zu befürchten, sagt Frank Rinderknecht: Vor Strom haben die Menschen grundsätzlich keine Angst.

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