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Automobilbranche

Wie Renault-CEO Luca de Meo den Konzern umbauen will

Luca de Meo, der Chef der Renault Group ist ein Freund klarer Worte – und  ganz nebenbei ein ziemlich radikaler Konzernreformer. De Meo über seine Renault-Revolution, den Brüsseler Regulierungswahn und die Zukunft der Autohersteller.   

Dirk Ruschmann

Dirk Ruschmann

Portrait of Luca de Meo (Renault CEO) at Renault headquarters 28/08/2020 ©Julien FAURE/Leextra via

Ein echter «Car guy» Er führte bereits Sport- und Luxusbrands und saniert nun die Massenmarke Renault: CEO Luca de Meo.

Julien Faure/opale.photo/laif

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Sie sind seit Juli 2020 CEO der Renault Group. Was haben Sie beim Start vorgefunden?

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Ich habe in einem Dutzend Ländern gelebt und in allen grossen Automobilkonzernen gearbeitet, also bereits für insgesamt zehn Marken. Das hat mich gelehrt, die Kultur schnell zu verstehen und mich schnell anzupassen. Frankreich ist kulturell sehr nah an Italien oder auch Spanien. Bei Renault und in Frankreich habe ich mich sehr schnell zu Hause gefühlt, und ich konnte vom ersten Moment an gut mit den Franzosen zusammenarbeiten. Es war fast, als käme ich nach Hause – ich hatte meine Karriere bei Renault 1992 begonnen und habe damals in Frankreich gelebt.

Kurz nach Ihrem Antritt haben Sie den «Renaulution»-Strategieplan vorgestellt, eine Art Generalüberholung des Konzerns. Wo stehen Sie heute?

Bei der Verwirklichung des Renaulution-Plans sind wir unseren Zielen voraus. Als ich antrat, hatte Renault 8 Milliarden Verlust gemeldet, machte 40 Millionen Verlust pro Tag. Die Gewinnzone haben wir 2021 erreicht, für 2022 sind wir optimistisch.

Sie sind also zufrieden?

In den letzten 18 Monaten haben wir eine gigantische Arbeit geleistet: Wir haben die Gruppe neu organisiert, positionieren die Produktpalette neu, wir haben eine ehrgeizige nachhaltige Strategie definiert, wir haben die Allianz neu gestartet, ihre Führung geklärt und ihr einen klaren Fahrplan gegeben … Und das alles trotz nie da gewesenen Gegenwinds: Pandemie, steigende Rohstoffkosten, Mangel an elektrischen Komponenten und mehr. Ich denke, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass wir Renault wieder auf den richtigen Weg gebracht haben. Und glauben Sie mir, das war erst der Anfang!

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Polyglotter Sympathieträger

Luca de Meo (55) ist seit Juli 2020 CEO der Renault-Gruppe, zu der auch Dacia und Alpine gehören. Der Italiener studierte Wirtschaft an der Mailänder Bocconi-Uni. Er startete bei Renault und Toyota, bevor er als einer der legendären «Marchionne-Boys» bei Fiat diverse Führungsrollen innehatte, darunter Chef von Alfa Romeo.

Ab 2009 war er beim VW-Konzern, zuletzt als CEO von Seat. De Meo spricht fünf Sprachen und gilt als beliebter, kommunikativer Chef.

Das Geschäft mit Elektroautos will Renault in ein separates Unternehmen ausgliedern. Welchen Sinn macht das? 

Viel Sinn! Elektro ist operativ eine andere Sportart. Man spielt in einem anderen Stadion, mit anderen Spielertypen, betreibt anderes Training. Wir kennen das, denn wir bauen schon sehr lange E-Autos. Wir haben alles gesehen: vom Materialeinkauf über die Fertigung bis zum zweiten Leben von Batterien. Bei E-Autos ist nicht nur der Antrieb anders, sondern die gesamte Wertschöpfungskette. Wir wollen damit auch eine neue Art Autohersteller schaffen, mit all dem, was dazugehört: Software und die Möglichkeiten, die in dieser neuen Technologie schlummern.

Wo liegt der zentrale Unterschied?

Bei einem normalen OEM diktiert Hardware die Software. So wars 120 Jahre. Nun dreht sich das um. Eine Abtrennung hilft mir, mit einem weissen Blatt Papier anzufangen und ein paar Tausend Leute auf das Ziel einzuschwören. Sie werden nicht von einer 120 Jahre alten, komplexen Multi-Ebenen-Organisation eingebremst, sondern können agiler und schneller reagieren. Ausserdem werden so unsere bereits seit Jahren im Konzern vorhandenen Kompetenzen, der Vorsprung, den wir haben, nach aussen besser sichtbar.

Was sieht man denn bisher nicht?

Es gibt viele Dinge, in denen Renault wirklich gut ist.

Zum Beispiel E-Autos?

Genau. Aber das wird von aussen nicht wahrgenommen. Es wird überlagert von der Unternehmenskrise, den Diskussionen in und um unsere Allianz mit Nissan und Mitsubishi, der Geschichte um Carlos Ghosn …

… Ihren in Japan zeitweise inhaftierten Vorgänger, gegen den die französische Justiz einen internationalen Haftbefehl erlassen hat.

Ich habe mit dem Team in den letzten 18 Monaten viele Entscheide getroffen, die Renault noch tiefer in der Wertschöpfungskette der E-Autos verankern. Goldman Sachs bestätigt uns das in offiziellen Präsentationen. Diese Positionierung wollen wir nutzen, um Investoren anzuziehen – die uns vielleicht nicht unbedingt für die nächste Generation des Clio Geld geben würden, aber daran teilhaben wollen, mit Renault eine globale Führungsrolle in der Innovation von BEVs einzunehmen.

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Wir fahren mit Elektro-Autos – noch Fragen?

Viele Konsumenten haben noch Vorbehalte gegenüber dem Kauf eines E-Autos. Antworten auf die kritischen Punkte. Weiterlesen.

Wird dieser Elektro-Teil immer noch Renault heissen?

Ja, klar. Deshalb sprechen wir davon, dass wir Renault bis 2030 zu einem 100-Prozent-Elektro-Brand machen – in Europa! Denn das ist der Platz, wo die E-Mobilität abheben wird. Also statt zu warten, machen wir es lieber fünf Jahre vor den anderen.

Sie sagten mehrfach, im Autogeschäft gehe es nicht mehr um Grösse.

Ich sage, es geht nicht nur um Grösse.

Aber die Autoindustrie ist getrieben von Economies of Scale. Wenn nicht mehr das Volumen, was wird die nächste Messlatte sein?

Ich glaube, Value! Das Schaffen von Wert. Wir müssen uns technologisch neu erfinden. Wir haben für viele Jahrzehnte auf einer relativ gleich bleibenden Technologie Kai-Zen betrieben. Aber jetzt ändern sich viele Dinge: Technologien kommen auch aus anderen Sektoren, denken Sie an Digitalisierung und Halbleiter, das gibt uns andere Wege, unsere Produkte neu zu erfinden. Also, an dieser Schwelle ist es wichtiger, den richtigen Ansatz für diesen Bruch zu haben, als weiterhin nur auf Optimierungen und Synergien zu schauen – auf dieses Mantra hat die Branche die zurückliegenden 25, 30 Jahre gehört.

Mindestens.

Ja, mindestens. Ich erinnere mich, dass einige Leute sagten, die kritische Grösse seien 6 Millionen Autos im Jahr, dann waren es 8 und dann 10 Millionen, und als dann von 15 Millionen die Rede war, dachte ich: Wollt ihr, dass wir zurückgehen zur Zeit von Henry Ford, als es nur den Ford T in Schwarz gab? Für mich macht das keinen Sinn. Wir müssen stattdessen die Wertschöpfungskette auf einen höheren, dynamischeren Pfad führen. Das klassische Business mit der vergleichsweise tiefen Marge, das Grösse und Effizienz verlangt, müssen wir mixen mit Innovationen und hochmargigem Business.

Und das geht wie?

Sie haben doch unser Werk Flins besucht?

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««Zweistellige Margen hat Renault noch nie erzielt»»

Luca de Meo

Wo Sie Gebrauchtwagen wieder aufmöbeln? Allerdings.

Sehen Sie, das ist potenziell ein Geschäft mit zweistelliger Gewinnmarge – zweistellige Margen hat Renault noch nie erzielt. Wenn ich also dort einige Millionen Euro reinstecke, dann verbessert sich konzernweit meine ökonomische Gleichung. Wir werden von der Börse abgestraft, weil die Investoren sagen: Low margin, low growth. Was muss ich also machen? Ich gehe in Wachstumsfelder mit höherem Profit. Ich mache aber kein Parfum oder Wodka, sondern Dinge, die um unser Kerngeschäft herum liegen. Das ist es, was wir auch versuchen bei Renault Mobilize …

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… Ihre Einheit für Mobilitätsdienste und datengetriebene Angebote. Was in Flins passiert, das Aufbereiten von Occasionsautos plus Fotografieren und Filmen für die Onlinewerbung, ist im Grunde Händlergeschäft. Kein anderer Hersteller macht so etwas selbst.

Wir nehmen den Händlern nichts weg. Ich habe hohen Respekt für sie. Aber wir müssen dort Vertriebskosten reduzieren, wo wir es können. Die Erwartungen an Onlineverkäufe heute definieren nicht wir, sondern Internetbanken. Oder Amazon. Oder Netflix.

Wie ist das gemeint?

Onlineverkauf macht die Reichen reicher, weil man mit einer Webseite die ganze Welt erreichen kann. Und er drückt auf die Margen, wegen der Preistransparenz. In Sevilla stellt einer braune Schuhe her, verkauft sie für 200 Euro. Ein Chinese bietet welche für 25 Euro an, die auf dem Computer gleich aussehen. Damit zwingt er den Spanier, seine Schuhe billiger zu verkaufen. Das zerstört sein Business.

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Foto: Julien Faure/opale.photo/laif

Was ist der Ausweg für Ihre Firma?

Autokauf ist ein komplexer Prozess, nicht nur drei Klicks am Computer. Man redet mit Freunden, studiert Bewertungen, macht eine Probefahrt. Das heisst: Persönlicher Kontakt mit Verkäufern ist wichtig für die Brand Experience und einen Premiumpreis. Und Gott weiss, dass unsere Industrie Premiumpreise braucht, um Margen zu kreieren, mit denen wir die Transition finanzieren können. Jetzt ist die Zeit, wo die Branche Geld verdienen muss. Dabei helfen uns die Händler.

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Und Flins?

Das ist eine Art Industrialisierung. Wir reden bereits mit grossen Händlern und Gruppen, um in einigen Regionen quasi Mini-Flins zu gründen. Sinn macht es im Umkreis von 100 bis 150 Kilometern zwischen Händler und unserer Fabrik, sonst sind die Transportkosten zu hoch. Die Händler profitieren, weil sie perfekt aufgearbeitete und professionell fotografierte Autos viel schneller verkaufen können, als wenn sie die Arbeit selbst machen.

Ein grosser deutscher Autobauer hat gesagt: Die Zeit für billige Autos ist vorbei. Was denken Sie?

Ich hab das schon lange vor dem «deutschen Autobauer» gesagt. Damals wurde ich dafür kritisiert, weil es als Provokation gesehen wurde. Aber die Realität ist nun mal: Man kann nicht erwarten, dass wir ein Nokia mit Knöpfen und grünem Screen in ein Smartphone mit 48-Millionen-Pixel-Kamera verwandeln – und dass wir das billiger verkaufen als ein altes Nokia! Ausserdem treiben die Regulierer auch die Preise für traditionelle Autos hoch. Das finden wir falsch.

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Worauf spielen Sie an?

Die europäischen Abgasvorschriften. Wir haben gerechnet, was die Effekte wären, wenn man die aktuelle Norm Euro 6d full bis 2030 behalten würde oder wenn man die geplante Euro 7 ab 2026 einführt. Der Unterschied wäre: Bei Euro 6d full reduzieren sich die Emissionen um 63 Prozent, bei Euro 7 um 66,7 Prozent. Also nur drei bis vier Prozentpunkte mehr Impact – aber wissen Sie, was das kosten wird?

Nein. Wie viel?

Uns bei Renault wohl eine Milliarde Euro, und das wird Zusatzkosten pro Auto von rund 1000 Euro bedeuten. Die famose Rechnung ist ja: Wann werden E-Autos günstiger als Verbrenner? Meine Antwort: kleine Autos 2025 oder 2026, die Mittelklasse am Ende der Dekade.

Aber heute ist ein E-Auto 5000 bis 10'000 Euro teurer als ein Verbrenner! 

Klar. Wenn man eine Batterie mit 120 Kilowattstunden einbaut für 900 km Reichweite, weil die Deutschen besessen sind von 1000 km, kostet das viel und ist nicht gut für die Umwelt. Der Mangel an gesundem Menschenverstand, den ich in manchen Debatten sehe, die manchmal zu extreme Dogmatik, führt uns nicht zu guten Lösungen. Wissen Sie, ich bin der Allererste, der sagt: Wir machen Renault zu 100 Prozent elektrisch. Aber der Kunde muss es wollen.

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««Ich frage mich manchmal, wo die Logik und der gesunde Menschenverstand geblieben sind.»»

Luca de Meo

Hört Ihnen die Politik zu?

Es hängt vom Thema ab. Manchmal würden wir Autobauer gern mehr Gehör finden. Weil wir etwas beitragen können. Weil wir Teil der Lösung sind.

Haben Sie ein Beispiel?

Schauen Sie BEVs an! Vor vier, fünf Jahren hat man den Autobauern vorgeworfen, sie würden Batteriefahrzeuge blockieren. Doch heute kommt eine Flut an Stromern in den Markt, und auf der anderen Seite hat man nicht genug dafür getan, dass der Energiemix stimmt oder die Infrastruktur bereitsteht – ich finde, auf uns kann keiner mit dem Finger zeigen. Wir waren da ziemlich tugendhaft.

Weil die Regulierer Sie treiben.

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Wir werden oft ein wenig als Dinosaurier betrachtet, als Old Economy, als die Feuersteins, aber wir stecken sehr viel Geld in neue Technologien. Wir unterhalten uns hier auf dem Change Now Summit in Paris, der grössten Umweltmesse der Welt: Die hatten nie einen Autobauer dabei, wir sind die Allerersten. Wir mussten sie überzeugen. Einige sagten dann zu unserem Scenic Vision, wow, das ist vielleicht das Beste der ganzen Messe! Er ist wirklich disruptiv – und kommt von der Autoindustrie.

Ihre Tochtermarke Dacia baut nur wenige Sicherheitsassistenten ein. Dafür werden ihre Autos von der Crashtest-Organisation NCAP sehr schlecht bewertet. Wie gehen Sie damit um?

Ich frage mich manchmal, wo die Logik und der gesunde Menschenverstand geblieben sind. Manchmal scheint der seltener in der Welt vorzukommen als die berühmten Seltenen Erden.

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Was heisst das?

Wir müssen die Augen darauf richten, was wirklich Lösungen bringt für Alltagssituationen. Wir dürfen aus den Autos keine Weihnachtsbäume für nutzlose Technologien machen. Denn so werden wir ein Disneyland für Zulieferer, die versuchen, uns ihre Ideen aufzuzwingen.

««Jetzt halte ich den Mund, sonst werde ich noch zu politisch.»»

Luca de Meo

Was braucht denn Ihrer Meinung nach die Kundschaft? 

Zum Beispiel ein System, das erkennt, ob der Fahrer betrunken einsteigt, und dann den Start verhindert: Das können wir ab morgen früh einbauen. Ich hatte auch schon vorgeschlagen, dass wir das Tempo abriegeln bei 160 oder 180 km/h – wo fährt man das ausser auf einigen deutschen Autobahnen? Ich könnte mir auch eine Funktion vorstellen, dass auf Strassen, wo 50 vorgeschrieben ist, das Auto tatsächlich nicht mehr als 50 fährt. Das wäre relevanter als vieles andere … Und jetzt halte ich den Mund, sonst werde ich noch zu politisch für meinen Pressesprecher (lacht).

Sie setzen stark auf Frankreich, konzentrieren die Fertigung von E-Autos im Norden des Heimatlandes. Warum diese Rückbesinnung?

Renault hatte lange das Ziel, sich weltweit auszubreiten, Fabriken zu bauen, und half damit auch Zulieferern zu wachsen. Das war industriell komplex, die Strategie unklar und hatte keinen Erfolg. Denn die Seele eines Autobauers liegt in seinen Wurzeln, schauen Sie Toyota an. Renault aber war ein wenig entkoppelt vom französischen Ökosystem, trug auch Fights aus mit den Valeos und Faurecias dieser Welt …

… grossen französischen Zulieferern.

So etwas hilft nicht. Im Dorf muss man mit den Nachbarn befreundet sein, sonst können die dir das Leben schwer machen. Ich versuche also, Renault zurück in die Mitte zu führen. Renault ist für Frankreich ein sehr symbolisches Unternehmen. Wir wollen Meinungsführer sein, unser altes System in Richtung einer neuen Wertschöpfungskette pushen und alle anderen mit uns ziehen. Deshalb wird Frankreich wieder zu unserem Zentrum, aber wir müssen zu Hause erst wieder Anschluss finden.

Und wie geht das?

Denken Sie an Flins! Die Idee war dort anfangs: Wiederaufbereitung von Gebrauchtwagen, in kleinem Umfang, der Rest sollte 2024 dichtgemacht werden. Flins ist eine historische Produktionsstätte für Renault, 40 km von Paris entfernt, doch über die Zukunft von Flins wurde schon diskutiert, als ich 1992 das erste Mal zu Renault kam.

Und was taten Sie dieses Mal, als Sie als CEO zurückkehrten?

Ich sagte: Wir machen es nicht in klein, sondern die grösste industrielle Kreislaufwirtschaft in Europa – von Instandsetzung über zweites Leben für Batterien bis hin zu Recycling – wird in Flins beheimatet sein. Der Standort ist offen für andere Player, auch Autohersteller, auch andere Branchen. Wir schaffen einen Hochschulcampus, um junge Leute für die Kreislaufwirtschaft auszubilden, und vieles andere. Wir haben einen ganzheitlichen Approach. Flins ist vielleicht ein Zehntel von dem, was wir bis 2030 schaffen können. Es ist ein Beginn.

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