Guten Tag,
Motorsport ist ein teures Hobby. Doch es gibt Ersatzbefriedigung auf virtuelle Art. Dem Spassfaktor schadet es nicht.
Dirk Ruschmann
Im Simulator von Racing Unleashed fährt man reale Rennstrecken nach. Hier etwa den Highspeed-Kurs im italienischen Monza.
Lorenz Richard für BILANZWerbung
Renn-Experience für alle, Kämpfe gegen Kollegen auf der Strecke – das will die Schweizer Firma in ihren Lounges bieten. Wir waren auf Testfahrt.
Alte Industriehallen, cool renoviert, direkt am Bahnhof Kemptthal – und hinten in Halle 3 warten sie: zehn Formel-1-Boliden, denen zwar Räder und Flügelwerk fehlen, aber das wird gleich ein hydraulisches Gestänge mehr als ausgleichen. Also: reinsitzen oder besser: sich hinabgleiten lassen in den Schalensitz, die Pedalerie heranfahren (es wird mit links gebremst), den Fünfpunktgurt festzurren und Hände ans Profi-Steuer legen – es gleicht einem echten Formel-1-Lenkrad. Wer als Anfänger einsteigt, lässt sich den Niveau-Regler links unten am Lenker auf 1 stellen; die Schwierigkeit steigt von Stufe 1, in der man nur bremsen und Gas geben muss und einer eingeblendeten Ideallinie folgen kann, bis auf Stufe 4, wo praktisch alle Fahrhilfen ausgeschaltet sind.
Dann: Pedal to the metal! Der Sound kreischt so schön, wie mans aus dem Fernsehen von den Formel-1-Übertragungen kennt. Nach einigen Runden zum Einfahren erhöhen wir auf Stufe 2: Die Ideallinie müssen wir nun allein finden, selber mit den Paddles schalten und weniger Stabilisierungshilfe von der Software erwarten. Das Heck schwänzelt beim Beschleunigen, und in der ersten Schikane nach der Zielgeraden – wir sind auf der Rennstrecke von Monza – wackelt es auf den Curbs bedenklich. Zu viel Ehrgeiz am Gaspedal in der Kurve quittiert die Fuhre umgehend mit Zentrifugaldrang.
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Die Hydraulik unter dem stilisierten Formel-1-Monocoque vermittelt die einwirkenden Kräfte eindrucksvoll an den Fahrer, vor allem die längsbeschleunigenden, also Gas und Bremse – Querkräfte wirken weniger stark ein. Aber die Software werde immer weiter nachgeschärft, sagt Monisha Kaltenborn, die Chefin der Betreiberfirma Racing Unleashed. Und nach 30 Sekunden ist man sowieso derart in den Kampf mit Linie und Bremspunkt vertieft, in Rundenzeiten, Kurventempo und möglichst geschmeidige Fahrtechnik in den Schikanen, dass simulatorische Feinstheiten keine Rolle mehr spielen.
Die heilige halle des Motorsports: Auf dem früheren Maggi-Areal in Kemptthal ist eine ganze Motor-Welt eingezogen: ein Gesamtkunstwerk.
Lorenz Richard für BILANZHier können Teams gegeneinander antreten, man sieht sich gegenseitig auf der Strecke.
Lorenz Richard für BILANZChefin mit Erfahrung: Monisha Kaltenborn war lange Zeit Chefin des Formel-1-Rennstalls Sauber.
Lorenz Richard für BILANZObwohl Monza nicht als schwierige Strecke gilt, flogen wir diverse Male ab. Es braucht mehr Training!
Lorenz Richard für BILANZNeben Kemptthal gibt es in der Schweiz noch weitere Standorte von Racing Unleashed.
Lorenz Richard für BILANZAuf Stufe 4 schliesslich lernt man zu verstehen, warum die Profis im TV immer so spät ans Gas gehen – jeder Impuls am Gas ist gut für einen Dreher, Anfahren im ersten oder zweiten Gang verlangt eine Begabung zur Zärtlichkeit. Die Simulatoren sind auf Formel 1 eingestellt, weil das die meisten ausprobieren wollen – aber auch andere Set-ups sind möglich, und immer neue werden entwickelt.
«Wir haben diverse Formel-4-Fahrer, die hier trainieren und sich Strecken einprägen», sagt Kaltenborn. Die Profis, erfuhren wir, umrunden Virtual-Monza in knapp 1:20 Minuten, wir brauchten 1:26 (aber werden weiter trainieren). Auch Stars wie die Schweizer Rennfahrer Marc Surer und Marcel Fässler, Tatiana Calderón oder Ralf Schumacher mitsamt Sohn pilotierten hier schon. Kaltenborn zwar nicht, aber die frühere Chefin des Formel-1-Rennstalls Sauber brachte viel Erfahrung mit Simulatoren mit; Eigentümer Francisco Fernandez (der Bankensoftware-Multimillionär) hatte sie für die Leitung der Firma angefragt. Diese liefert alles aus einer Hand: In der italienischen Zentrale sitzen eigene Programmierer und die Produktion der Hardware, nur die Streckensoftware basiert auf Assetto Corsa, einer professionellen Simulation für Computer-Racer. Für sie wurden reale Racetracks mit Hilfe von Laserscan höchst detailgetreu digitalisiert.
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80'000 bis 90'000 Franken kostet jedes Cockpit in den «Racing Lounges», dazu die stetige Weiterentwicklung; dafür sind die Preise recht zivil. «Wir wollen exklusive Erlebnisse allen zugänglich machen», sagt Kaltenborn. Sie hat viel vor: das Konzept europaweit, womöglich global ausrollen, einen Verband gründen, Wettrennen über die verschiedenen Lounges, gar Ländergrenzen hinweg ausrichten. Investor Fernandez hat einen eigenen Simulator zu Hause. Wir verstehen, warum.
Wo: mehrere Standorte in der Deutschschweiz
Wie teuer: 15 Min. 30 Fr., 30 Min. 50 Fr.. Diverse Abo-Modelle
Realitätsnähe: ★★★★
Spassfaktor: ★★★★★
Kontakt: www.racing-unleashed.com
Hier darf eigentlich kein Aussenstehender hinein: Besuch beim Godfather of Simulators. Auf ihm trainieren ansonsten die Werksfahrer von Porsche.
Etwa 16 Tonnen wiegt die Stahlplatte auf dem Boden, auf der drei lange Hydraulikarme montiert sind, die Längs- und Querbeschleunigung simulieren und die wiederum ein Hexapod tragen, das Gier- und Vertikalbewegungen im schliesslich obenauf thronenden Cockpit verursacht, eine nur leicht vereinfachte Fahrerzelle der Elektro-Formel-E. Sturmhaube und Helm übergezogen, steige ich über Trittstufen hoch, mehrere Meter über dem Boden, fädele mich in die Sitzschale hinab ein, ziehe die Pedalerie heran, stecke am Helm die Funkverbindung zum Leitstand ein, dort fährt der Ingenieur mein Cockpit in Position, mittig zwischen die mächtigen Vorderräder, die mir beim Einlenken häufig die Sicht auf den Kurven-Scheitelpunkt versperren werden – ich sitze in der Mutter aller Fahrsimulatoren, alle Werksfahrer der Porsche-Motorsportabteilung trainieren hier. Zwei Millionen Euro kostet allein die Hardware. Dank fünf Projektoren sehe ich rundherum nur Strecke, ein Sichtschutz über mir verhindert, dass der Blick auf stehende Elemente im Raum fallen und den Geist verwirren kann.
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Vor mir das Lenkrad der Profis und unter mir die Sitzschale von Kevin Estre, dem körperlich grössten Porsche-Racer; mein von Schreibtischjob und Sportmangel breitgesessener Hintern hat dennoch Platzprobleme. Links klebt ein Schema der Strecke: der «E-Prix» auf dem Berliner Flughafen Tempelhof. Er gilt mit nur zehn Kurven und übersichtlichem Layout als Neulings-verträglich.
Oben sitzt der Fahrer im Monocoque, unten werken die Motoren der Hydraulik. Fünf Projektoren zaubern die Strecke an die Wand.
Christoph BauerDatenanalyse: Am Pult des Ingenieurs wird jede Hundertstel sichtbar, die unterwegs verloren ging. Also viele.
Christoph BauerDer E-Prix von Berlin wurde auf dem Flughafen Tempelhof aufgebaut. Der Kurs gilt als eher einfach.
Christoph BauerDer Arbeitsplatz des Fahrers ist eng wie in einem echten Cockpit.
Christoph BauerAuf seinen Bildschirmen hat der Ingenieur den Überblick über alles.
Christoph BauerAlso los – ich muss weder rekuperieren noch auf Batteriestände achten, nur Gas und Bremse zählen. Und natürlich die Lenkung. Dafür kommt einiges von aussen. Schon bei der Ausfahrt aus der Boxengasse holpert es auf jeder kleinen Unebenheit, die acht Hydraulikarme geben millisekundenschnell präzise Rückmeldung. Beim ersten Überfahren der Curbs schüttelt es mich ziemlich durch. Ich bin so vertieft, dass ich regelmässig nach einem Stint in die Box fahren will. Weil ich wieder vergesse, dass mich der Ingenieur per Mausklick zurückholt.
Die Einstellungen, versichert der Ingenieur, seien wie bei den Profis. «Wir trainieren auf dem Simulator Kurvenspeed und Bremspunkte und lernen, wo man Energie sparen oder Vollgas geben kann», sagt der Schweizer Porsche-Werksfahrer Neel Jani. Tatsächlich bricht mir der Formel-E-Renner bei steigendem Ehrgeiz am Gaspedal immer wieder mit dem Heck aus, blockieren immer wieder die Reifen bei hartem, weil zu spätem Bremsen, einer Todsünde im Motorsport. In einigen Runden bei simuliertem Regen zeigt sich überdeutlich, wie schnell es geht, dass nichts mehr vorwärtsgeht.
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Während mir das Fahrgefühl verblüffend real erscheint, kann ich nach dem Küssen einer Mauer dieselbe ein Stück durchqueren, um wieder auf die Strecke zu kommen. Aber Geräusche und Zeitverlust sind Strafe genug. Nach einigen Runden stelle ich am Lenkrad auf Mode 4: Jetzt stehen die maximalen 250 Kilowatt Leistung zur Verfügung – Qualifying-Modus. Ich fahre gegen die Zeit von Neel Jani, 1:06,725 Minuten sind sein Rundenrekord. Gleich in der ersten Kurve, einer fiesen, nicht enden wollenden Schnecke, verliere ich über zwei Sekunden, in den zwei folgenden rechten Winkeln fast noch mal so viel. Die Auswertung der Computerdaten zeigt: Jani bremst später und genauer an, vor allem aber kann er früher wieder beschleunigen; das wichtigste Element, um schnell zu sein. Die Haarnadelkurven nimmt er viel geschmeidiger. 1:14,050 ist meine beste Runde – am Ende eines Rennens könnte Neel Jani in Ruhe duschen gehen, bis ich angekommen wäre. Aber Formel E, sagt er, ohne Reifengrip, Abtrieb oder Motorbremse, «ist ganz anders als klassische Rennautos» und «deshalb gerade im Simulator enorm schwierig zu fahren». Na bitte! Hallo, Porsche, falls es hilft: Meine Sitzschale zahle ich gern selber.
Wo: Porsche-Entwicklungszentrum Weissach bei Stuttgart
Wie teuer: unbezahlbares Erlebnis
Realitätsnähe: ★★★★★
Spassfaktor: ★★★★★
Kontakt: www.porsche.com
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Die historische Slotcar-Rennbahn fasziniert bis heute – und wie in alten Autos kommt es hier auf den Fahrer an. Genauer: auf den Finger am Gas!
Das hier ist der wahr gewordene Traum all jener, die noch nicht sämtliche Hoffnung auf Spass im Leben haben fahren lassen. Eine Garage, an der Wand hängen Auto- und Filmplakate, es gibt eine Bar und einen gut gefüllten Kühlschrank, und flankiert von zwei schwarzen Coffee-Racer-Töffs, beide fahrfertig und immatrikuliert, verteilt sich die Rennbahn auf dem Fussboden, auf gut 40 Metern verteilte 30 Kehren und Steilkurven, dazu Brücken und Unterfahrungen, Massstab 1:32. Und das Schönste: Sie ist historisch. Von Märklin, die heute nur noch Modelleisenbahnen bauen, aber von 1967 bis 1982 eben Slotcar-Rennbahnen namens Märklin Sprint.
Dabei sitzen mittig an der Unterseite des Autos zwei Stromabnehmer, dazwischen ein kleines Halteruder, das durch den Mittelschlitz, den «Slot», gleiten und möglichst darin bleiben soll, per Handgriff wird Gas, also Strom, gegeben. In optimistisch angegangenen Kurven rutscht man stattdessen aber schneller raus, als man erwartet – es ist ein Kampf gegen den eigenen Gasfinger, wie beim Golf letztlich gegen sich selber, gegen Ambition und fahrerische Selbstüberschätzung. Denn in der nächsten und der übernächsten Runde passiert mir immer wieder genau dasselbe, als ob ich nicht einen halben Millimeter weniger Druck aufs Gas gegeben hätte – gefühlt zumindest. Während Wernie und Marco Rundenzeiten um die 22 Sekunden auf den Kunststoff knallen, reicht es bei mir nur für 24 Sekunden – «wir haben allerdings auch mehrere hundert Runden Vorsprung», sagt Wernie, Arbeitskollege und Inhaber der Strecke.
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Detailreiche Strecke: Hier steckt viel Arbeit drin.
Jack BlackBis man diese Bahn beherrscht, dauert es. Geduld und Gefühl sind gefragt.
Jack BlackHistorische Fahrzeuge: Die liebevoll gestalteten Renner sind jahrzehntealt.
Jack BlackHarte Kämpfe auf dem Sofa: Slotcar-Rennen sind soziale Events mit Freunden. Aber natürlich werden trotzdem die Rundenrekorde notiert.
Jack BlackTrotz ihres Alters flitzen sie wie frisch geölt über die Strecke.
Jack BlackRund 50 Fahrzeuge hat er inzwischen gesammelt, darunter kunststoffverkleidete Porsche Carrera 6 aus früheren Anfängerboxen, aber auch metallene Schätzchen wie den Ferrari T312, alle fahren etwas anders, unterscheiden sich punkto Haftung der Reifen oder Drang zum Ausbrechen in schnellen Kurven. Die sensationelle Strecke entwickelt er immer weiter, hat die engsten Kehren entschärft, aber noch immer geht «full throttle» nur auf langen Geraden und in Steilkurven, ansonsten sind sensible Finger und schnelles Denken gefragt, denn die Autos flitzen wie geölte Blitze um die Strecke. Man kann hier auch ordentlich investieren. Fahrzeuge starten bei rund 40 Franken, seltenere oder hochwertigere Modelle kosten schnell über 100. Ausrüster der Wahl ist Hans Tschudin in Uzwil, der nach dem Aus der Märklin-Bahnen in ganz Europa Restbestände zusammenkaufte und heute vertreibt, der aber auch die viel bekannteren Carrera-Bahnen führt, die mehrfach modernisiert und inzwischen auch digitalisiert wurden.
Das Ganze ist viel mehr Sport, als man denken würde. Neben der nötigen Konzentration ist dauerndes Aufstehen gefordert, weil man mit seinen Riesenfüssen durch das Streckengeschlängel balancieren und sein entgleistes Wägelchen wieder in die Spur setzen muss, bevor man den Kontrahenten blockiert und seine eigenen Siegchancen komplett einbüsst. Ich jedenfalls hatte von unseren 20 Runden immer noch zwei oder drei zu fahren, als Marco und Wernie bereits im Ziel waren. Und kommt man auf den naheliegenden Gedanken, dass die Einnahme von etwas flüssigem Brot, also Bier, auch den Fahrstil verflüssigen könnte, wird man spüren (ich jedenfalls spürte es): Das Rennen wird noch deutlich sportlicher. Denn die Performance nimmt lediglich punkto Frequenz von Entgleisungen und Neustarts des eigenen Renners zu, die Rundenzeiten entwickeln sich eher negativ.
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Dafür steigt der Spassfaktor beträchtlich – anders als Racing sonst ist Slotcar-Fahren ein soziales Event, bei dem sich der Abend unbemerkt bis in den frühen Morgen ziehen kann. Wer Strom geleckt hat, kann auf zwei grossen Bahnen in Hans Tschudins Renncenter erste Runden drehen und schauen, ob das was ist für sie oder ihn – aber «Achtung», sagt Tschudin, «es kann süchtig machen». Stimmt.
Wo: zu Hause oder bei diversen Slotcar-Clubs in der Schweiz (Carrera)
Wie teuer: alte Rennbahnpackungen ab 80 Fr. im Internet
Realitätsnähe: ★★
Spassfaktor: ★★★★★
Kontakt: www.renncenter.ch
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