Abo
Bewegung in der Rohstoffbranche

Platzhirsch Glencore steckt in der Defensive

Der Rohstoffriese wirkt verwundbar. Das nutzen die Konkurrenten für einen Grossangriff. Wird er gelingen?

Erik Nolmans

Titan unter DruckDie Konkurrenz rüstet rapide auf – Gary Nagle, CEO von ­Glencore, muss um seine ­Dominanz fürchten.

Titan unter Druck: Die Konkurrenz rüstet rapide auf – Gary Nagle, CEO von Glencore (M.), muss um seine Dominanz fürchten.

kornel.ch für BILANZ

Werbung

Gary Nagle, CEO des Rohstoffriesen Glencore, hat schon bessere Zeiten gekannt: Der Kurs des Unternehmens ist abgestürzt, der Gewinn eingebrochen, die Strategie des Konzerns wirkt nach einem Zickzackkurs diffus, Konsolidierungsgelüste in der Branche bringen ihn in Zugzwang. Wäre dies allein schon Herausforderung genug, muss sich der 50-jährige Südafrikaner, der im Juli 2021 seinen langjährigen Vorgänger Ivan Glasenberg als Chef des Zuger Rohstoffkonzerns beerbt hat, auch noch mit dem Abgang von Schlüsselkräften im Bereich Metallhandel herumschlagen – die Konkurrenz tritt an, den Platzhirsch vom Sockel zu stossen.

Partner-Inhalte

Wie «Bloomberg News» Mitte Januar berichtete, wechseln zwei Toptrader aus dem Aluminium-Departement von Glencore zur Konkurrenz, der eine, Steven Rojas, geht zu Mercuria, der andere, Sam Imfeld, zu Vitol. Das Ganze scheint Teil eines grösseren Plans der Konkurrenz zu sein, das Revier in der Rohstoffbranche neu abzustecken. Vor allem Mercuria hat stark aufgerüstet: Seit Juli letzten Jahres wurde das Team im Metallhandel mehr als verdoppelt, mittels einer gezielten und laut «Bloomberg News» auch «aggressiven» Abwerbungskampagne, in deren Folge rund 40 Metalltrader neu zu Mercuria stiessen – rund ein Viertel des Teams besteht heute alleine aus ehemaligen Glencore-Leuten. Vitol wiederum hat letztes Jahr mehrere Mitglieder des Eisenerzteams von Glencore zu sich gelockt, und auch die ebenfalls in Genf ansässige Gunvor Group mischt im Spiel um gute Leute forsch mit: Laut Ivan Petev, Leiter des Metallteams von Gunvor, ist der Aufbau eines Office in Zug geplant, um die Metallhandelsaktivitäten des Unternehmens zu erweitern. Damit setzt sich Gunvor quasi in den Vorgarten der in Baar ansässigen Glencore – ein starkes Zeichen.

Werbung

Eifrige Headhunter

Die drei erwähnten Konkurrenten, wie Glencore im Rohstoffhandel tätig, aber lange vor allem auf den Handel mit Öl, Gas und Energieprodukten spezialisiert, sind angetreten, den weltweiten Handel mit Metallen neu aufzumischen. Gewildert wird vor allem bei Glencore, als einer der globalen Marktführer besonders stark im Handel mit den erwähnten Metallen. Er erhalte derzeit fast jeden zweiten Tag einen Anruf von irgendeinem Headhunter, der ihm einen neuen Job bei der Konkurrenz schmackhaft machen wolle, sagt ein hoher Kadermann von Glencore. Noch vor ein paar Jahren sei dies anders gewesen, erinnert er sich: Branchenführer Glencore war «the place to be». Wenn überhaupt, wechselte man von der Konkurrenz zu Glencore, aber doch nicht umgekehrt. 

Werbung

Klar ist: Wenn sich die Player neu positionieren wollen, geht das nicht an Marktführer Glencore vorbei. Jahrelang dominierten Glencore und die ebenfalls schon seit Langem im Metallhandel tätige Rohstofffirma Trafigura den Handel mit Metallen, aber die ehrgeizigen neuen Player im Markt sehen neue Chancen, vor allem weil auch Trafigura, zuletzt geprägt von Skandalgeschichten um Schmiergelder, derzeit den Kopf eher etwas unten hält. Trafigura war aber ansonsten zuletzt gut unterwegs: In verschiedenen Schlüsselmärkten, unter anderem dem Handel mit Kupfer, hat sie inzwischen mit Glencore gleichgezogen oder diese gar überholt.

Hintergrund des akzelerierten Konkurrenzkampfes sind die zu erwartenden Paradigmenwechsel im internationalen Rohstoffhandel. Denn Öl und Gas werden über kurz oder lang an Bedeutung verlieren. Russell Hardy, CEO von Vitol, geht davon aus, dass die globale Nachfrage nach Öl in der nächsten Dekade ihren Höhepunkt erreichen, dann aber sukzessive abnehmen wird. Sollen die Gewinne auch in Zukunft üppig spriessen, muss neues Geschäft her. Die Erschliessung neuer Geschäftsfelder ist essenziell, um die Energiewende voranzutreiben und nachhaltige Technologien sowie Innovationen zu fördern. Und den Metallen, da sind sich die meisten Branchenbeobachter einig, gehört die Zukunft. Vor allem eines sticht heraus: Kupfer, «das Kampffeld der Zukunft», wie es ein Glencore-Trader etwas martialisch formuliert. 

Werbung

Rohstoff-Drehscheibe Schweiz

1968

Der zwei Jahre zuvor in Rotterdam gegründete Rohstoffhändler Vitol eröffnet 1968 eine Filiale in Zug. 1972 wird die Vitol SA in Genf im Handelsregister eingetragen, Genf wird zu einem zentralen Handels-hub und Vitol Schritt für Schritt zum grössten unabhängigen Rohstoffhändler der Welt.

1974

Trader Marc Rich, bei der US-Rohstofffirma Philipp Brothers gross geworden, macht sich selbstständig und gründet am 3. April 1974 seine Marc Rich + Co AG in Zug. Die Firma wird bald zum bestimmenden Player in der Branche und die Schweiz damit endgültig zum Zentrum des Welthandels mit Rohstoffen.

1994

Nach einem internen Machtkampf verkauft Marc Rich den Trading-Bereich an die Manager, daraus entsteht die Firma Glencore. Neuer starker Mann wird Willy Strothotte.

2011

Der Börsengang von Glencore macht eine kleine Gruppe von Privaten, unter anderem Ivan Glasenberg (im Bild), der den Konzern seit 2002 als CEO führt, auf einen Schlag zu Multimilliardären. Die Kritik an der intransparenten Branche beginnt zu wachsen.

Ivan Glasenberg
Bloomberg
Ivan Glasenberg
Bloomberg

2014

Im Rahmen der Annexion der Krim werden Putin-Vertraute von den USA sanktioniert. Beim rasant aufgestiegenen Rohstoffhändler Gunvor steigt Guennadi Timtschenko aus und verkauft seinen Anteil an den schwedischen Gründungspartner Torbjörn Törnqvist.

2021

Gary Nagle, seit 2000 bei Glencore, ersetzt Glasenberg als CEO des Unternehmens.

2022 

Der russische Präsident Wladimir Putin befiehlt den Angriffskrieg auf die Ukraine. Von den dadurch entstandenen Marktverwerfungen und Preissteigerungen profitieren die Schweizer Rohstoffhändler erheblich und weisen Rekordgewinne aus.

2024 

Der Plan von Nagle, den 2023 durch den Kauf der Kohlesparte der kanadischen Teck stark gewachsenen Kohlebereich abzuspalten und getrennt an die Börse zu bringen, scheitert am Widerstand der Glencore-Aktionäre.

Eine Studie des australischen Minenunternehmens BHP geht davon aus, dass die Nachfrage nach Kupfer von 2021 bis 2050 um 70 Prozent steigen werde, von 30 Millionen auf 50 Millionen Tonnen pro Jahr. Die rapid voranschreitende Elektrifizierung, der Bau von Elektroautos und die grossen Datenzentren für die Tech-Giganten – alles braucht Kupfer. Nach dem Aufbau eines Teams für Eisenerz und Aluminium sei man derzeit daran, auch ein Team für den Kupferhandel aufzubauen, sagt Gérard Delsad, Schweiz-Chef von Vitol. «Metalle sind ein entscheidender Faktor für die Energy Transition», ist er überzeugt, Elektrizität werde in mehrfacher Hinsicht klassische Energieträger wie Öl ablösen.

Werbung

Auch bei Mercuria geht es in eine ähnliche Richtung: Schon seit einiger Zeit im Aluminiumbereich tätig, soll es jetzt auch bei Kupfer, Nickel, Kobalt oder Lithium so richtig losgehen. Was die Ziele sind, will Mercuria nicht verraten, aber ein Insider sagt: «It will be big.» Und auch Gunvor-Metallchef Ivan Petev hat Aluminium und Kupfer als jene Metalle identifiziert, um die eine immer stärker elektrifizierte Weltwirtschaft nicht herumkommt. Klar ist: Die Konkurrenz hat mit ihrem Angriff erst losgelegt, das Ganze dürfte an Dynamik noch zulegen. «Der Markt ist immer noch reichlich fragmentiert, es hat Platz für weitere Player», zeigt sich Petev selbstbewusst. Man sei gut gerüstet: kapitalstark, technisch auch für schwierige, strukturierte Deals aufgestellt und mit «einem gesunden Risikoappetit» versehen.

Werbung

Diskrete Player

Kampfplatz ist die Schweiz, denn hier haben die wichtigsten Player der Branche ihre Handelszentralen. Es sind ein halbes Dutzend ebenso geheimnisvoller wie mächtiger Firmen. Ausser Glencore ist keiner dieser Konzerne börsenkotiert. Privat gehalten und beherrscht von mächtigen Aktionären und Managern, drehen sie das grosse Rad – diskret und meist unauffällig. Zu den Playern gehören etwa die beiden Schweizer Gründer von Mercuria in Genf, Marco Dunand (63) und Daniel Jaeggi (64), über die im «Bürohr» der «SonntagsZeitung» kürzlich nachzulesen war, dass sie im Jahr 2023 mehr als eine Milliarde an Dividenden untereinander aufgeteilt hätten. Oder Torbjörn Törnqvist (71), Mehrheitsaktionär und Chef von Gunvor, der sein Geschäft einst Seite an Seite mit dem Oligarchen Guennadi Timtschenko aufgebaut hatte. Nach den Sanktionen der USA infolge der Krim-Annexion von 2014 löste sich die Verbindung aber auf. Vitol wiederum hat ihren Firmensitz zwar in den Niederlanden, ihre Handelszentrale mit mehr als 200 Leuten ist aber in Genf.

Werbung

Alle diese Firmen sind im Handel mit Öl enorm reich geworden, was auch den Staat freut: Wie Finanzministerin Karin Keller-Sutter in einem Interview mit der «SonntagsZeitung» verriet, meldete der Kanton Genf wesentlich höhere Gewinne der Rohstoff- und Energiefirmen, was einen unerwarteten Zuschuss für die Staatskasse in Höhe von «mehreren 100 Millionen Franken pro Jahr» bedeute. Die Sonderkonjunktur seit Beginn des Ukraine-Kriegs liess die Gewinne explodieren und führte dazu, dass die Firmen nun die tiefen Taschen haben, auch eine langjährige Expansion in neue Bereiche durchziehen zu können.

Die Trader

Eine kleine Gruppe ebenso geheimnisvoller wie mächtiger Firmen mit Handelszentralen in der Schweiz beherrscht den Rohstoffhandel: Vitol-CEO Russell Hardy.
Gunvor-Chef Torbjörn Törnqvist
Trafigura-CEO Richard Holtum
Mercuria-Gründer Daniel Jaeggi und Marco Dunand (ganz r.).
1 / 4

Eine kleine Gruppe ebenso geheimnisvoller wie mächtiger Firmen mit Handelszentralen in der Schweiz beherrscht den Rohstoffhandel: Vitol-CEO Russell Hardy, ...

Bloomberg

Werbung

Nicht alle sind schon so forsch unterwegs wie Mercuria mit ihren bereits mehr als 70 Leuten. Vitol geht die Sache langsam an: Das neue Team im Metallhandel besteht erst aus einem halben Dutzend Leuten, soll im Rahmen des Ausbaus des Handels mit Kupfer aber weiter aufgestockt werden: «Wir starten mit einem kleinen Team und schauen, wo uns die Sache hinführt.» Bei Gunvor sind es derzeit rund ein Dutzend Trader, aber auch hier sollen laufend weiter neue Leute dazustossen, vor allem im neuen Büro in Zug.

Bei Glencore gibt man sich angesichts der Bedrohung pragmatisch. Die Haltung dahinter: Wer gut ist, bleibt bei Glencore, weil das Unternehmen ihnen die besten Chancen bietet. Zudem würden ja auch weiter Leute zu Glencore stossen, jüngst etwa ein Topmann von Gunvor. Mit weltweit mehreren Hundert Mitarbeitenden im Handelsgeschäft sieht man sich auch in einer ganz anderen Kategorie. In der Tat hat Nagle einigen Grund für Selbstbewusstsein. Denn seine Firma ist viel breiter aufgestellt als die Konkurrenten. Glencore ist eben nicht nur ein Handels-, sondern auch ein bedeutendes Bergbauunternehmen. Das heisst, dass die Baarer die derzeit so heiss diskutierten Metalle nicht nur handeln, sondern auch selber fördern. Gerne verweist Glencore auch auf ihre starke Bilanz, was für den Handel entscheidend ist und ihnen bei der Kundschaft eine starke Position verschafft. 

Werbung

Zudem zeigt die Vergangenheit, dass der Aufbau nicht so einfach ist. Bereits vor fast dreissig Jahren wagte Vitol den Einstieg in den Metallbereich, jedoch mit begrenztem Erfolg. In den 1990er-Jahren investierte Vitol in die Metallfirma Euromin, die mit einer Vielzahl verschiedener Metalle handelte. Allerdings fehlte es an einer klar definierten Handelsstrategie. Daher entschied sich Vitol im Jahr 2014, den Metallbereich aufzugeben, und sich auf andere Energiebereiche zu konzentrieren. Man habe daraus gelernt, sagt Vitol-Schweiz-Chef Delsad heute, diesmal gehe man mit «einem deutlich stärker fokussierten Ansatz» an den Aufbau heran.

Klassenschlechtester

Für Resilienz bei Glencore angesichts der Attacken sorgt auch der Businessmix, kommen doch nur 20 Prozent der Profite aus dem Trading, aber rund 80 Prozent aus dem Mining. Architekt der heutigen Glencore ist Ivan Glasenberg, der von 2002 bis 2021 als CEO die Geschicke von Glencore prägte und heute mit knapp zehn Prozent immer noch grösster Aktionär ist. Richtungsweisend war 2012 der Kauf der in Zug ansässigen Xstrata, eines breit diversifizierten Bergbaukonzerns, der Glencore einen Quantensprung in diesem Bereich ermöglichte. Gegründet worden war das Unternehmen 1974 vom umtriebigen Trader Marc Rich und hatte sich zunächst auf den Handel konzentriert. Heute ist Glencore mit rund 150'000 Mitarbeitern die weltweit grösste im Rohstoffhandel und im Bergwerksbetrieb tätige Unternehmensgruppe.

Werbung

Harte Mannen

Ivan Glasenberg (o.), CEO von 2002 bis 2021 und heute mit rund zehn Prozent grösster Aktionär, gilt als Architekt der modernen Glencore
Nachfolger Gary Nagle (r.), gilt also ebenso unzimperlicher ­Manager, wirkt bei der Suche nach einem neuen Weg für das Unternehmen allerdings weniger souverän.
1 / 2

Ivan Glasenberg, CEO von 2002 bis 2021 und heute mit rund zehn Prozent grösster Aktionär, gilt als Architekt der modernen Glencore.

keystone-sda.ch

Die starke Ausrichtung auf den Bergbau hat auch dazu geführt, dass Glencore heute an der Börse im Umfeld der anderen grossen Minengesellschaften angesiedelt ist, die im Gegensatz zu den erwähnten Tradern auch börsenkotiert sind. Börsenprimus ist die BHP Group aus Melbourne, Australien, unter CEO Mike Henry, mit einer Marktkapitalisierung von über 130 Milliarden Franken mehr als doppelt so gross wie Glencore mit 54  Milliarden. 

Werbung

An der Börse ist Glencore schon seit Längerem unter Druck: 2024 habe Glencore gegenüber der Konkurrenz underperformt, schreiben die Analysten von Jefferies in einer Studie von Mitte Januar. Zwar seien auch die Kurse von BHP (–21,8 Prozent) und Rio Tinto (–13,5 Prozent) rückläufig gewesen, aber keiner musste 2024 so stark Federn lassen wie Glencore (–23,4 Prozent); andere wie Anglo American konnten gar deutlich zulegen (+23,9 Prozent). Im laufenden Jahr sieht es nicht besser aus: Mit einem Minus von fast 8  Prozent (Stand 21. Februar) hat Glencore erneut schlechter performt als die erwähnten Konkurrenten, die alle im Plus liegen. Besonders bitter: Am 19.  Februar, dem Tag der Jahrespressekonferenz und der Bekanntgabe eines Milliardenverlusts, stürzte der Kurs um 7,2 Prozent ab.

Zickzackkurs

Der Baarer Konzern hat ein durchzogenes Produktionsjahr hinter sind. So hat das Unternehmen weniger Kupfer, Kobalt oder Nickel gefördert als im Vorjahreszeitraum. Die Produktion von Kupfer ging gar um 6  Prozent auf 951 600 Tonnen zurück. Grund dafür seien die geringe Förderung in den Minen Antapaccay in Peru und Collahuasi in Chile gewesen, zudem war das Bergwerk Mount Isa in Australien wegen einer Überschwemmung zeitweise lahmgelegt. Gestiegen ist dafür die Kohleproduktion (um 5  Prozent auf 119,5 Millionen Tonnen), dies ist indes vor allem der im Sommer finalisierten, milliardenteuren Übernahme der Kohlesparte der kanadischen Teck zu verdanken.

Werbung

Die Miner

Die Minengesellschaften versorgen die nach Rohstoffen hungrige Weltwirtschaft mit Kohle, Kupfer oder Kobalt. Starke Player sind die australische BHP unter CEO Mike Henry (o.),
Rio Tinto mit Sitz in London und Melbourne unter Jakob Stausholm
die kanadische Teck unter Jonathan Price, deren Kohlesparte Glencore übernommen hat.
1 / 3

Die Minengesellschaften versorgen die nach Rohstoffen hungrige Weltwirtschaft mit Kohle, Kupfer oder Kobalt. Starke Player sind die australische BHP unter CEO Mike Henry, ...

Bloomberg

Am Thema Kohle zeigt sich aber auch der strategische Zickzackkurs von Nagle. Weiss der Mann eigentlich, wo er hinwill?, fragt man sich in der Branche. Losgetreten wurde das ganze Hin und Her schon 2023. Ursprünglich hegte Nagle den Plan, gänzlich mit dem Konkurrenten Teck – mit einem Börsenwert von rund 22  Milliarden Franken deutlich kleiner als Glencore – zu fusionieren, doch das Management und Politiker in Kanada wehrten sich. So zog Nagle einen neuen Plan aus der Schublade, der einen Zusammenschluss nur noch der Kohlebereiche von Glencore und Teck vorsah. Diese so zusammengeführte Kohlesparte hätte dann als separate Einheit an die Börse gebracht werden sollen. Hätte – denn die Aktionäre liessen Nagle auflaufen. Eine Befragung von Aktionären, die rund zwei Drittel der Stimmen repräsentieren, ergab im letzten Sommer, dass über 95  Prozent der befragten Shareholder für eine Beibehaltung des Kohlegeschäfts votierten. Kein Wunder: Kohle ist einer der grössten Gewinnbringer im Konzern, und kritische Stimmen aus der in den letzten Jahren lange bestimmenden umwelt- und gesellschaftspolitischen Perspektive waren auch um einiges leiser geworden.

Werbung

Als das Thema Fusion mit Teck vom Tisch war, tauchten plötzlich andere Namen auf. Anfang Jahr berichtete «Bloomberg», Glencore habe letztes Jahr mit Rio Tinto über eine Fusion gesprochen. Dazu ist es (bisher) nicht gekommen, geblieben ist aber der Eindruck, dass Glencore immer noch nach ihrem Weg sucht.

Aus dem Unternehmen hört man, die strategische Ausrichtung sei eben keineswegs in Stein gemeisselt. Seit Jahrzehnten verfolge Glencore den Ansatz, dass die breit angelegte Strategie flexibel genug sein soll, um sich bietende Gelegenheiten zu berücksichtigen. Was denn falsch daran sein solle, wenn man aus der Situation heraus entscheide, was am besten für die Aktionäre ist und Mehrwert generiert?

Dabei scheint es Nagle mit möglichen Fusionsplänen durchaus ernst zu sein. Schon einmal, 2014 unter Glasenberg, hat es Gespräche zwischen Rio Tinto und Glencore gegeben, diese scheiterten aber am Widerstand des damaligen Managements von Rio Tinto. Heute soll die Haltung des Rio-Tinto-Managements weniger rigid sein, die Sache sei denn auch noch nicht gänzlich vom Tisch, wissen Insider. Jakob Stausholm, CEO von Rio Tinto, wurde bei seinem Auftritt am diesjährigen WEF in Davos auch auf einen möglichen Zusammenschluss mit Glencore angesprochen: Gerüchte kommentiere er nicht, stellte Stausholm klar, fügte auf Nachfragen dann aber an, dass die Branche sehr fragmentiert sei – womit er wohl andeuten wollte, dass es im Rohstoffsektor noch zu einigen Zusammenschlüssen kommen wird. Auch Nagle selber wollte sich an der Jahrespressekonferenz nicht direkt zu einem möglichen Zusammenschluss äussern, sagte aber: «Gross ist gut, wenn es für die Aktionäre Wert schafft.» Klar ist, dass Glencore und Rio Tinto eine gute Kombination wären, ergänzen sich die Firmen doch gut: So ist Glencore sehr stark bei Kupfer, Nickel oder Kobalt, Rio Tinto bei Eisenerz – «im Grunde ein perfekter Fit», schwärmt ein Branchenkenner.

Werbung

Joint Ventures

Laut «Financial Times» fanden die Gespräche von Glencore und Rio Tinto im Zuge der ebenfalls gescheiterten Fusionsbestrebungen von BHP und Anglo American statt. Durch eine Übernahme von Anglo American wäre BHP noch grösser geworden und damit Glencore endgültig enteilt, was in Baar für Alarmstimmung gesorgt haben soll. Inzwischen soll Glencore selber eine Übernahme von Anglo American in Betracht ziehen, sagen Insider. Hindernis ist aber der hohe Preis. 

Nicht zuletzt wegen all der Übernahmegerüchte ist der Kurs von Anglo American steil nach oben geschossen, was dazu geführt hat, dass die Firma nach gängigen Kriterien heute für eine Übernahme sehr teuer ist. Ein Asset im Kampf um die Metallmärkte wäre Anglo American aber auf jeden Fall – das Unternehmen ist einer der grössten Kupferförderer der Welt. Man kennt sich zudem gut, betreiben die beiden Konzerne doch die Kupfermine Collahuasi in Chile als Joint Venture.

Werbung

Die Übernahmegerüchte haben allerdings die strategische Unsicherheit bezüglich Glencore weiter vergrössert. Irgendwie sieht keiner mehr richtig in den Battle Plan von Nagle rein. Seine Aufgabe wird sein, auch in der Belegschaft den Eindruck zu vermitteln, der Chef wisse, wohin er das Schiff steuern wolle, will er die Crew bei der Stange halten. Standen bisher die Vorteile im Vordergrund – Mitarbeiter schwärmen von den flachen Hierarchien und grossen Freiheiten –, wird hinter vorgehaltener Hand in der Belegschaft derzeit viel an Nagle herumgekrittelt. Unter Glasenberg, einem sehr fordernden, aber auch zugänglichen Chef, hatte es solche Zweifel am Management kaum gegeben.

Operativ hängt Nagle sehr stark von der Preisentwicklung im Rohstoffmarkt ab. Das zeigt sich etwa am Beispiel des Kohlepreises, der im letzten halben Jahr stark gesunken ist. Der bereinigte operative Gewinn sank 2024 um rund einen Drittel, von 10,4 auf 6,9 Milliarden Dollar. Dieser Rückgang sei vor allem auf niedrigere Preise für Kohle zurückzuführen, so Glencore.

Werbung

Wie es weitergeht, hängt auch von der Entwicklung in China ab, dem grössten Verbraucher von Commodities. In Bereichen wie Kupfer will Glencore Gas geben: Für 2028 wird die Erhöhung der Produktion auf eine Million Tonnen in Aussicht gestellt. Auch die Politik der neuen US-Regierung biete Chancen, so Glencore in der Jahrespräsentation. Nicht nur, dass Trump die Regulierung reduzieren will, sogar die Zollpolitik könnte sich positiv auswirken, weil dies zu einer Ausmarchung führen könnte, bei denen schwachen Playern die Luft auszugehen droht. Starke und agile Konzerne indes könnten sich durch Adaption an die Situation noch stärker etablieren. Und nicht zuletzt erhofft man sich mit dem möglichen Listing an einem anderen Handelsplatz als London einen Schub für die Aktie. Naheliegendste Alternative wären wohl die USA.

Werbung

Über die Autoren
Erik Nolmans

Erik Nolmans

Erik Nolmans

Auch interessant

Werbung