Guten Tag,
Zum ersten Mal spricht Lonza-Chef Pierre-Alain Ruffieux. Bisher ein unbeschriebenes Blatt, soll er dem Pharmakonzern kräftiges Wachstum einimpfen.
DER MANN AUS LAUSANNE: Ruffieux stammt aus der Westschweiz, lebt aber seit zwei Jahrzehnten in Basel. Die Lifte bei Lonza sind übrigens eher klein.
Paolo Dutto für BILANZWerbung
Lonza-Hochhaus in Basel, ein trister Flur im 18. Stock, die Tür springt auf – und statt vor der üblichen CEO-Security mit Personenschleuse, im deutschsprachigen Raum auch als Chefsekretariat bekannt, steht man direkt vor Pierre-Alain Ruffieux: drahtig und gross gewachsen, im Gesicht ein Lächeln und dieselbe Professorenbrille, die man von offiziellen Lonza-Firmenfotos kennt.
Das Büro, traditionell Residenz der Lonza-CEOs, bezaubert zwar mit Panoramablick auf den SBB-Rangierbahnhof, hat aber allenfalls Kinderzimmergrösse und ist bis auf wenige weisse USM-Boards minimalistisch möbliert. Auf dem Schreibtisch vereinsamen Bildschirm und aufgeklapptes Laptop, kein Blatt Papier weit und breit. «Ich arbeite gern elektronisch und bin ein grosser Fan von diesem hier», sagt Ruffieux und nimmt ein Pad vom Besprechungstisch hoch, «das hab ich mir vor einigen Jahren angeeignet, als ich viel auf Reisen war.»
Er hat so gar nichts Professorales an sich. Eher schon eine gewisse Jugendlichkeit, dank dem völligen Mangel an gravitätischem CEO-Gehabe und seiner Hilfsbereitschaft, das komplexe Lonza-Geschäft laienverständlich zu beschreiben; um Wasser und Kaffee für den Gast kümmert sich Ruffieux gleich selber. Allerdings, Fist Bump oder gar Händeschütteln zur Begrüssung bietet er nicht an – aber wenn jemand qua Amt zum Schweizer Vorbild für Corona-konformes Verhalten auserkoren ist, dann wohl der Lonza-Boss. Denn er ist der König der Impfstofflieferanten. Mister Vaccination of Switzerland.
Allein im dritten Quartal 2021 erwartet der Bund drei Millionen mRNA-Impfdosen von Moderna, deren Wirkstoff Lonza in Visp produziert. Insgesamt sind für 2021 satte 13,5 Millionen Moderna-Dosen bestellt, 2022 dann sieben Millionen, eine Option auf sieben weitere besteht. Bei vier anderen Herstellern hat Bern jeweils fünf bis sechs Millionen geordert, darunter auch bei Pfizer/Biontech den bis dato einzigen Impfstoff neben jenem von Moderna, den die Schweiz zugelassen hat.
Natürlich hat auch Ruffieux Moderna gespritzt bekommen. Er ist einer der Glücklichen, die «selber keine Nebenwirkungen» hatten, habe jedoch gehört, dass «rund 20 Prozent» Fieberschübe entwickeln. Doch er nimmt das als Hinweis, «dass die Immunabwehr funktioniert». Und das kann ja nicht schlecht sein.
...MIT RUNDBLICK: Vom Dach des Basler Lonza-Hochhauses übersieht man das ganze Dreiländereck.
Paolo Dutto für BILANZ...OHNE KRAWATTE: Noch nicht in allen Teppichetagen üblich, aber bei Lonza macht sich der Chef locker. Er ist ja auch erst 52.
Paolo Dutto für BILANZ...MIT DEM AUFTRAG: Der Job: die Strategie des Verwaltungsrats umsetzen. Lonza baut die Kapazitäten aus, will kräftig wachsen.
Paolo Dutto für BILANZDie Schweiz mit Impfstoff zu versorgen, ist für Ruffieux mehr als ein Job, «absolut, das ist sehr erfüllend». Seit einem Vierteljahrhundert im Pharmageschäft, sieht er es nach wie vor «als einen schönen Gedanken, dass man Kranken helfen kann». Und im speziellen, sehr sichtbaren Fall Covid-Impfung «können wir Menschen unterstützen, dass sie wieder ein Sozialleben führen und in die Ferien fahren können». Zudem fasziniere ihn die Technologie, Patienten lediglich Informationen via Messenger-RNA zu verabreichen, sodass der Körper selbst Proteine baut und letztlich Antikörper bildet. Er gestattet sich ein kleines Strahlen.
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Selten war die Neugier auf einen Nachfolger grösser als im Fall Ruffieux. Beim Pharmazulieferer Lonza hatte Verwaltungsratspräsident Albert Baehny zuvor in kurzen Abständen gleich zwei Konzernleitern die Vorsilbe «Ex» in ihren Lebensläufen verpasst und dann für rund ein Jahr selbst per Doppelmandat die operative Führung übernommen. Die beiden Abgänge waren von halblauten Nebengeräuschen flankiert; insbesondere der abrupte Rücktritt des langjährigen CEO Richard Ridinger hatte kurzzeitig auch ein fünfprozentiges Absacken der Aktie ausgelöst.
Bis heute hat Ridinger vor allem in Visp Anhänger, weil er den wichtigsten Lonza-Standort im strukturschwachen Oberwallis nach Jahren des Siechtums wieder flottgemacht hatte, bis heute dringen aus dem Wallis immer wieder einmal publizistische Störgeräusche Richtung Baehny. Der hatte den unbestritten erfolgreichen Ridinger, der die Nichteinmischungspolitik von Baehnys Vorgänger Rolf Soiron schätzen gelernt hatte, wegen zunehmend höfisch-herrschaftlichen Führungsstils abgeräumt und nach wenigen Monaten auch noch Ridingers internen Nachfolger Marc Funk.
DIE VERWALTUNGSZENTRALE: Das Lonza-Hochhaus liegt mitten im Pharma-Mekka Basel. Die Wege zu den Kunden sind hier kurz.
PDDER PRÄSIDENT IM VERWALTUNGSRAT: Albert Baehny hat Lonza in Bewegung versetzt. Ruffieux soll nun weiteres Wachstum schaffen.
Kostas Maros für BILANZDIE ENTWICKLUNG IN VISP: Diese Anlage gehört zum Ibex-Komplex. Hier werden neue Produktionsprozesse erarbeitet.
PDDER PRODUKTIONSSTANDORT: In Visp im Wallis liegt die Keimzelle der Lonza. Nach schwierigen Jahren wird hier wieder investiert.
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Dessen Beförderung sollte weiteren medialen Wellenschlag vermeiden – doch auch Funk, zuvor erfolgreicher Divisionsleiter, eckte punkto Führungsverhalten im Board an. Der «Tages-Anzeiger» verbreitete anschliessend die aus Funks Umfeld gestreute Lesart, Stilfragen hätten bei der Trennung keine Rolle gespielt, sondern der «ungeduldige Stürmer» Funk habe die ausgegliederte Chemiesparte LSI schnell verkaufen wollen und den «Machtkampf» darüber gegen den Verwaltungsrat verloren.
Nun ja, Insider berichten zwar Gegenteiliges, und für M&A-Aktivitäten ist ohnehin das Board zuständig, aber den Epilog zu der Episode lieferte Baehny im Februar, gut ein Jahr nach Funks Abgang: Zwischenzeitlich hatte LSI noch die Margen poliert und spielte beim Verkauf satte 4,2 Milliarden Franken ein, deutlich mehr als von Analysten prognostiziert.
Nun gab Baehny selber den CEO und machte sich zugleich auf die Suche nach einem Nachfolger für sich selbst – die Königsdisziplin der Unternehmensführung. Headhunter Peter Zehnder lieferte Vorschläge, doch der zündende kam von Baehny selbst. Bei einer Branchenkonferenz in Basel 2018 war er auf Pierre-Alain Ruffieux getroffen, Produktionschef mit 12 000 Mitarbeitern beim grossen Nachbarn Roche – und Grosskunde von Lonza. «Wir hatten eine interessante Diskussion, schliesslich war Lonza damals einer unserer Schlüssel-Lieferanten», erinnert sich Ruffieux.
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Und beide erkannten sich zügig als Brüder im Geist: Führungsanspruch ja, aber «low ego» und mit Understatement. «Die Werte passen», sagt Baehny, dem Sekundärtugenden bei der Auswahl von Führungspersonal elementar sind, «er ist bodenständig, aber ambitioniert, ohne Hidden Agenda, die Zusammenarbeit im Führungsteam ist gut, die Kommunikation offen und transparent.»
Fast noch besser passten die formalen Voraussetzungen: Ruffieux’ Lebenslauf liest sich wie für den Lonza-Job zusammengebaut; «ich werde nicht widersprechen», sagt Ruffieux, während ihm beinahe ein Grinsen entwischt. Aufgewachsen nicht in Frankreich, was viele vermuten, sondern in Lausanne, «im schönen Teil der Schweiz», studierte er an der dortigen EPFL zunächst Chemie, liess sich aber schnell von den Möglichkeiten der Biologie faszinieren. Die Doktorarbeit war dann ein Mix aus beiden Disziplinen, «es ging darum, mit lebenden Zellen Antikörper herzustellen und den Zustand der Zellen so zu optimieren, dass sie möglichst viel produzieren».
Ruffieux spezialisierte sich auf technische Entwicklung, Produktion und Qualitätskontrolle, hatte sich allerdings schon immer «für den Schritt interessiert, Technologie zu nutzen, um das Business anzutreiben», war anfangs, noch zu Zeiten von Ernesto Bertarelli, vier Jahre bei Serono, dann zwölf Jahre bei Novartis und schliesslich fünf Jahre beim stärker Biotech-affinen Konkurrenten Roche – zuletzt als Mitglied der Pharmasparten-Leitung und Chef der Produktion, der weltweit grössten für biotechnologische Pharmazie.
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In ihrer inhaltlichen Konsequenz und Schnelligkeit eine durchaus eindrucksvolle Karriere – aber so gross die beiden Basler Big Pharmas auch sind, vom Amt des Produktionsleiters führt kein natürlicher Pfad nach weiter oben. «Man kann als Produktioner bei Roche kein Rockstar werden», sagt ein Insider. Personenkult ist bei Roche ohnehin verpönt, wenn überhaupt, sind die Forschungschefs die Stars. Die Fertigung muss schlicht funktionieren. Ruffieux galt bei Roche als hierarchiebefreiter, angenehmer Chef, den die Mitarbeiter mochten.
Den bei Novartis als «Unboss» vermarkteten Kulturwandel unternahm Roche in ähnlicher Form unter dem Titel «Creative Leadership», setzte auf höhere Eigenverantwortung der Einzelnen, allerdings unter Verzicht auf LinkedIn-Posts des grossen Vorsitzenden über die inspirierende Buchlektüre vom zurückliegenden Wochenende. Ruffieux hatte bei Roche den Ruf als einer, der die neue Führungskultur ohnehin bereits lebte.
Doch auch ihm war die Begrenzung seiner Rolle immer bewusst: «Bei Big Pharma steht das Entwickeln und Vermarkten neuer Moleküle im Zentrum, bei Lonza ist Produktion Kerngeschäft.» Sprich: Komplexe Produktionsprozesse entwerfen, zum Laufen bringen und zur Massenproduktion hochskalieren – damit verdient Lonza ihr Geld. Also genau das, was Ruffieux kann; ein «Perfect Match», sagt er selber.
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TAE HAN KIM: Führt Samsung Biologics seit der Gründung 2011.
BloombergMARC N. CASPER: Seit vielen Jahren Jahren Chef des US-Riesen Thermo Fisher.
BloombergZHISHENG (CHRIS) CHEN: CEO der 2015 gegründeten chinesischen Wuxi Biologics.
BloombergAusserdem kursiert in Personalberater-Dossiers als seine persönliche Expertise unter anderem: Deals verhandeln und strukturieren, Kostensparprogramme, Due Diligence, Übernahmen und Verkäufe, Risikomanagement und Performance-Fitnesstraining. Jenes Handwerkszeug, das Konzernchefs ganz unabhängig von Branche und Geschäftsmodell mitbringen sollten.
Baehny jedenfalls ist «sehr zufrieden mit unserer CEO-Wahl». Natürlich gab es trotz des präsidentiellen Supports keine abgekürzte Akklamation für den CEO, aber Ruffieux’ inhaltliches Package und seine Werteskala sollen die Long und die Short List schnell dominiert haben. Er selber spricht natürlich nicht von «Aufstiegschance» oder wie cool es doch sei, endlich die Richtung eines ganzen Konzerns zu verantworten, sondern habe sich «gefragt, kann ich etwas beitragen, verbessern, etwas lernen?».
Offensichtlich konnte er das innerlich bejahen, schliesslich «ist das Leben zu kurz, um Dinge zu machen, die nicht aufregend sind».
Dass Lonza unter CEO-Vorgänger Baehny kräftige Umsatz- und Margenverbesserungen vorlegte und die Aktie regelrecht abhob, schreckte ihn nicht. Obwohl es nicht gerade als Managertraum gilt, zum Zeitpunkt geschäftlicher Höchststände einen Chefsessel zu übernehmen. Auf persönliche «Risiken» habe er nicht geschaut, sagt Ruffieux, und der weiterhin nordwärts strebende Börsenkurs gibt ihm im Nachhinein recht.
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Dass Baehny schon vor der Kür seines Nachfolgers immer wieder betonte, bei Lonza gebe es trotz der Aufwärtsentwicklung noch sehr viel zu verbessern, dürfte Ruffieux in seiner Entscheidung bestärkt haben; die beiden «diskutieren intensiv, wie wir das Unternehmen voranbringen können», sagt Ruffieux, und «wir teilen viele Werte».
Tatsächlich hausen beide eher bescheiden in südlichen Basler Vororten, gelten als Familienmenschen ohne Hang zu Statussymbolen. Weil Autos für sie reine Transportmittel sind, fahren beide unauffällig motorisierte Mittelklassewagen, Ruffieux nimmt bisweilen das Tram ins Büro. Beide stammen nicht aus reichen Verhältnissen, Ruffieux’ Vater arbeitete in der Telekommunikationsbranche, und beide steigen gern auf Schweizer Berge, wobei Baehny als ambitionierter Kletterer gilt, Ruffieux eher als Tourengeher.
Nicht zuletzt sind beide studierte Biologen. Und neben all den Gemeinsamkeiten verbindet sie auch eine Zweckgemeinschaft: Trotz all seiner Erfolge bei Lonza kann sich Baehny nicht noch einen CEO-Wechsel leisten; die Karte Ruffieux muss stechen. Und der neue Operative wird zu schätzen wissen, dass der grosse Schritt zum CEO zwar nicht gerade in einer geschützten Werkstatt, aber dennoch mit viel Rückendeckung vom formal wie inhaltlich starken Mann im Konzern stattfindet – so startet es sich geschmeidiger. Zwar führt Ruffieux bei Lonza mit 15 000 Mitarbeitern kaum mehr Personal als bereits bei Roche, aber das Dasein als interner Dienstleister und Chef der nachgelagerten Produktion stellt dennoch bedeutend weniger Fallen als die Gesamtverantwortung für einen börsenkotierten SMI-Konzern.
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Ein spezielles «Risiko» aus der Baehny-Zeit hat dieser selber wieder eingefangen: die verminte Beziehung zu Gesundheitsminister Alain Berset, seit das vermeintliche Angebot von Lonza an den Bund, sich an einer Impfstoff-Produktionslinie zu beteiligen, an die Öffentlichkeit gedrungen war. Zwar gilt inzwischen als gesichert, dass Baehny seinerzeit keine konkreten Pläne verfolgte, sondern aufgrund der damaligen Finanzschwäche von Moderna schlicht eine Chance für die Schweiz sah, auf irgendeine Art einen Fuss in die Tür zu setzen, Dinge womöglich zu beschleunigen – doch in Bern lief Baehny auf.
Und nachdem die Episode öffentlich geworden war, habe Bersets Departement, sagt ein Berner Kommunikationsberater, «zurückgeschossen». Seitdem schweigt Baehny eisern. Auch Ruffieux, der damals noch nicht bei Lonza war, wehrt ab, er könne schliesslich «nicht für die Vergangenheit sprechen» – lobt aber die Hilfe des Bundes bei der Rekrutierung von 1000 neuen Mitarbeitern für Visp. Bis Ende 2021 sollen weltweit 2000 weitere hinzukommen; ein grosser Teil davon dürfte wiederum in Visp Jobs finden.
Staatliche Invesitionen in eine Impfstoffherstellung hält Ruffieux zwar grundsätzlich für denkbar, wie es etwa die USA vorexerzieren, nationale Alleingänge machten jedoch keinen Sinn: Im Covid-Vakzin etwa seien mehr als 400 Komponenten enthalten, die aus allen Teilen der Welt beschafft werden müssen. Es brauche also Kooperation.
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Dass die Beziehung zu Moderna nicht gelitten hat, zeige sich an der Ausweitung der Kooperation; Moderna lässt bei Lonza in Visp künftig doppelt so viel Covid-Impfstoff herstellen. «Das Verhältnis ist sehr gut», sagt Baehny, «wir arbeiten partnerschaftlich und transparent zusammen.»
CAROLINE BARTH: HR-Chefin des Konzerns. Kommt von Novartis.
PDSTEFAN STOFFEL: COO und Lonza-Veteran. Stammt aus Visp.
PDJEAN-C. HYVERT: Führt die zentralen Divisionen Biologics und Cell&Gene.
PDAndererseits ist Modernas Covid-Impfstoff nicht für Lonzas Höhenflug verantwortlich. «Dieses Geschäft ist uns wichtig, aber wir sind nicht die mRNA-Firma», betont Ruffieux. Lonza zählt mindestens eine dreistellige Zahl an Kunden und hat selbst punkto Covid neben Moderna weitere Projekte am Laufen, etwa mit den börsenkotierten Start-ups Capricor und Humanigen, aber auch mit Pharmariese AstraZeneca. Zudem sei Lonza schon vor Corona stark gewachsen. Den Umsatz mit Moderna beziffert Ruffieux nicht, er dürfte aktuell ein Stück nördlich von 200 Millionen Franken liegen – ganz schön, aber angesichts der rund fünf Milliarden Umsatz, die die US-Investmentbank Morgan Stanley für Lonza 2021 prognostiziert, nicht wirklich kriegsentscheidend.
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Das Wichtigste für den neuen CEO, sagt Baehny, sei, logisch, die Umsetzung der Strategie: «Wir haben grosse Investitionsprojekte in Visp, Nordamerika und China, wo wir Produktionskapazitäten aufbauen.» Das will nicht nur gemanagt sein, sondern auch mit neu akquirierten Kundenprojekten ausgelastet werden. Lonza will sich vergrössern, Wachstum geht dabei noch vor Margenpflege. Nebenbei hat Ruffieux den «Purpose», den ein Konzern heute einfach haben muss, aus der Schublade geholt und ins Schaufenster gestellt: «Enabling a healthier world», dafür will Lonza stehen und ein ethisch vorbildliches Unternehmen sein.
Auch die Förderung von Mitarbeitern sei Ruffieux sehr wichtig, berichtet Personalchefin Caroline Barth, die vor gut einem Jahr von Novartis dazustiess, und «Compliance ist für ihn nicht einfach eine Frage der Vorschriften, sondern muss von oben, vom Management, vorgelebt werden». Ruffieux sei nah dran an strategischen Projekten, definiere Ziele, «schenkt Vertrauen und lässt dich arbeiten, aber man muss dann auch Ergebnisse abliefern». Das nach dem Verkauf der Chemiesparte verbliebene Pharmageschäft hat Ruffieux in vier Divisionen aufgeteilt, die nun erstmals auch ihre Umsätze und Renditen offenlegen – das schafft für Aktionäre Transparenz, aber auch Vergleichbarkeit nach draussen und damit höheren internen Leistungsdruck.
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MIRJAM STAUB-BISANG: Schweiz-Chefin von Grossaktionär Blackrock.
Markus ForteSTÉPHANE BANCEL: CEO beim Grosskunden Moderna.
Bloomberg via Getty ImagesPASCAL SORIOT: CEO bei AstraZeneca, auch Covid-Grosskunde bei Lonza.
BloombergDenn Lonza hat viel vor. Das Geschäftsmodell, Produktionsprozesse für Big Pharma und Small Biotech auszutüfteln und dann umzusetzen, hat Konjunktur – Produktion ist schliesslich kein Kerngeschäft, wie Ruffieux lernen durfte. Der Markt für Kontraktfertiger wie Lonza, die im Auftrag anderer produzieren, wächst noch stärker als der gesamte Pharmamarkt, der jährlich nahezu zehn Prozent zulegt. Lonza, historisch einer der ersten Player, hat sich dabei auf die technisch anspruchsvollen Segmente konzentriert – auf innovative Medikamente, «wo die Wertschöpfung grösser und der Preisdruck nicht so stark ist», lobt Daniel Buchta, Pharmaexperte bei der Zürcher Kantonalbank.
Einen komparativen Vorteil liefert die Produktionsplattform Ibex in Visp, dank der Lonza die Zeit von der Annahme eines neuen Projekts bis zum Start der Fertigung um mehr als den Faktor zwei verkürzen kann. Vereinfacht gesagt, tätigt Lonza hier Vorab-Investments und hält modulare Gerätschaften vor, «sodass wir für einen neuen Kunden nur das Equipment anzupassen brauchen», sagt Ruffieux. Lonza ist insbesondere in Disziplinen wie Biotech oder Zell- und Gentherapie aktiv und überlässt das simple «Abfüllen» von Arznei, etwa in Tabletten, grossflächig anderen Anbietern. Eine technologisch anspruchsvolle Ausnahme bildet die noch unter Richard Ridinger übernommene Capsugel: Deren «Verpackungen» lösen sich gezielt im Körper genau dort auf, wo das Medikament wirken soll.
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Lonza «gehört heute weltweit in vielem zu den Besten oder ist die Beste», sagt Buchta, und profitiere daher doppelt von dem guten Marktumfeld. Lonza gilt als die Grösste in ihrem Segment, direkte Konkurrenten sind etwa Samsung Biologics, Wuxi oder Boehringer Ingelheim, auch Thermo Fisher, die aber ihren Kontraktfertiger-Umsatz nicht ausweist. Immer wieder treten zudem neue Wettbewerber auf den Plan.
Als weiterer Produzent für Modernas Covid-Impfstoff tritt übrigens die schwedische Recipharm an, wo sich die Ex-Lonza-Chefs Ridinger und Funk wieder vereint haben – Ersterer als Chairman, Funk als CEO. Vielleicht sehen sie es ganz nebenbei als kleine Revanche an Lonza. Zumindest schafft es neue Sichtbarkeit im Personalkarussell der Branche.
So oder so dürften Lonza gute Zeiten bevorstehen. «Läuft das Geschäft so weiter, wie es derzeit aussieht», sagt ZKB-Analyst Buchta, «sollte eine Umsatzverdoppelung auf rund neun Milliarden Franken im Zeitraum 2026/27 erreicht werden können, und dann die zehn Milliarden noch in diesem Jahrzehnt.»
Für den täglichen Kampf an der Marktfront stählt sich eine anschwellende Gruppe internationaler Topmanager frühmorgens mit Laufrunden durch die Nachbarschaft. Ruffieux gehört nicht dazu. Er sagt trocken: «Jogging mag ich eher nicht».
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Sein wichtigstes Hobby «ist definitiv die Familie, wir verbringen viel Zeit zusammen». Sie gehen wandern, Ski fahren oder mountainbiken, gern auch mal in Kunstausstellungen. Die älteste Tochter (21) studiert Engineering in Lausanne, derzeit vor allem aus dem Homeoffice, der Sohn ist 19 und nimmt ein Wirtschaftsstudium an der HSG auf, die jüngste Tochter (16) geht noch zur Schule. Funktionierende Work-Life-Balance ist Ruffieux wichtig, weiss HR-Chefin Caroline Barth, dazu «ermuntert er auch alle». Und sie habe «noch nie abends oder an Wochenenden einen Anruf oder eine E-Mail von ihm bekommen». Das, vermutet sie, «würde er wohl nur im Notfall tun». Nach Notfällen sieht es bei Lonza derzeit allerdings nicht aus.
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