Guten Tag,
Bald gehen die ersten Hersteller durchs Ziel. Doch das forcierte Tempo verheisst wenig Gutes. Hintergründe eines unerhörten Wettlaufs.
Jeder für sich: Staatschefs und Regierungsvertreter feuern das Rennen um einen Corona-Impfstoff mit milliardenteuren Vorbestellungen an.
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Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Bereits Ende November will das deutsch-amerikanische Team BioNTech/Pfizer in den USA die Zulassung für seinen Impfstoff beantragen. Für den Dezember dann hofft der Schweizer Partner im Rennen, die amerikanische Moderna, in den USA auf die Not-Autorisierung ihres Impfstoffes, und schon ab dem 1. Januar 2021 wollen die Russen das Vakzin ihres staatlichen Instituts Gamaleya in Umlauf bringen.
In der Schweiz, wo derzeit zwei Impfstoffe im beschleunigten Zulassungsverfahren sind, kommt die Sache nun auch in die heisse Phase. Viele vergleichen das Rennen um einen Impfstoff gegen das Coronavirus mit dem Wettlauf ins All der 1960er Jahre – nur dass diesmal Dutzende Länder beteiligt sind.
Es geht neben viel Prestige auch um viel Geld. Eine Dosis des Moderna-Impfstoffes kostet in den USA 25 Dollar, wie Moderna-CEO Stéphane Bancel jüngst verraten hat. Für kleinere Volumen würden rund 32 bis 37 Dollar verlangt, hatte das Unternehmen im August wissen lassen. Für die 4,5 Millionen Dosen, die sich der Schweizer Staat im August vertraglich gesichert hat, fliessen also rund 150 Millionen Franken in die Kassen von Moderna. Wie viel es genau sein wird, wird nicht gesagt – die Details des Vertrags sind vertraulich. Insgesamt hat der Bundesrat für die Impfstoffbeschaffung ein Budget von 300 Millionen Franken gesprochen.
Die USA haben sich bei Moderna schon vor Längerem 100 Millionen Dosen gesichert und dafür vorweg schon mal 1,5 Milliarden Dollar gesprochen. Doch das ist nur ein Bruchteil der möglichen Gesamteinnahmen für Moderna: Mit dem Schweizer Ingredienzen-Hersteller Lonza hat die Firma eine Vereinbarung über die Produktion von 300 Millionen Impfstoffdosen pro Jahr getroffen – kommt die Sache ins Laufen, fliessen in den kommenden Jahren also weitere Milliarden in die Kassen des erst 2010 gegründeten Jungunternehmens. Lonza wiederum stellt sich auf volle Auftragsbücher ein: 70 Millionen Franken hat die Firma in eine hochmoderne Fertigungsstrasse in Visp investiert, im Februar soll sie bereitstehen.
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Für Moderna ist der Covid-19-Impfstoff die grosse Chance, erstmals überhaupt in ihrer zehnjährigen Geschichte einen Gewinn zu machen – bis jetzt hat die Firma noch kein einziges Produkt zur Marktreife gebracht, auch wenn man schon seit Jahren an ähnlichen Impfstoffen forscht.
Das Tempo wird seit der Corona-Krise gezielt forciert: «Wir sind rasant gestartet und arbeiten rund um die Uhr», sagt Tal Zaks, Chief Medical Officer von Moderna. Wie auch Konkurrent BioNTech/Pfizer setzt das in Cambridge, Massachusetts, ansässige Unternehmen auf ein neues Verfahren mit mRNA-Botenstoffen, das die klassischen Verfahren, die etwa auf abgeschwächte oder inaktivierte Viren setzen, überholen soll.
Bei den mRNA-Impfstoffen werden dem Patienten Anweisungen injiziert, wie der Körper das Protein herstellen kann, das einen Teil des neuen Coronavirus nachahmt. Mit diesem Bauplan entwickeln die Körperzellen dann diese Proteine, welche von den Immunzellen erkannt und bekämpft werden. So toll dies tönt: Noch nie hat es ein mRNA-Impfstoff bisher zur Zulassung geschafft.
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Lange sah es denn auch eher danach aus, dass die etablierten Player die Nase vorn hätten. Doch es gab Rückschläge: Die britische AstraZeneca musste ihre klinische Studie der Phase III vorübergehend unterbrechen, als einer der Teilnehmer eine Entzündung des Rückenmarks entwickelte, wie auch die amerikanische Johnson & Johnson nach der ungeklärten Erkrankung eines Probanden. Inzwischen aber führen beide Unternehmungen ihre Studien wieder fort.
Laut Weltgesundheitsorganisation WHO forschen weltweit rund 200 Firmen an einem Corona-Impfstoff, davon sind neun in der entscheidenden dritten und letzten Phase der klinischen Studien, wo die Wirkstoffe an Zehntausenden von freiwilligen Probanden getestet werden.
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Angefeuert wird der in der Geschichte der Impfstoffentwicklung noch nie da gewesene Wettlauf von den einzelnen Staaten, die sich gegenseitig mit Vorausbestellungen übertrumpfen. So hat sich Deutschland zusammen mit Frankreich, den Niederlanden und Italien vorab 400 Millionen Impfdosen von AstraZeneca gesichert. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, ganz die vorsorgliche Landesmutti, hat nebst dieser Grossbestellung zusätzlich noch 40 Millionen Dosen bei BioNTech/Pfizer geordert.
US-Präsident Donald Trump und der russische Staatschef Wladimir Putin heizen das Rennen nicht nur mit Geld, sondern zusätzlich auch mit markigen Worten an und bedienen sich dabei eindringlicher Bilder wie «Sputnik V» (Putin) oder «Operation Warp Speed» (Trump).
Die Schweiz agiere in diesem harten Spiel zurückhaltend, ja naiv, monierten Kritiker wie etwa Thomas Cueni vom Internationalen Pharmaverband noch Mitte September. Doch am 16. Oktober hat das BAG einen weiteren Pfeil aus dem Köcher gezogen und zusätzlich zu den 4,5 Millionen Moderna-Dosen noch 5,3 Millionen Dosen von AstraZeneca bestellt.
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Laut Nora Kronig, Leiterin Internationales des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), will man die Impfstoffsicherung breit abstützen und strebt daher die Beschaffung möglicher Impfstoffe auf Basis verschiedener Technologien an. Dies weil zum heutigen Zeitpunkt noch nicht sicher sei, welche Impfstoffe sich wirklich durchsetzen werden. «Wir bleiben am Puls und schauen, was kommt», so Kronig, «wir sind bereit, eventuell mit weiteren Herstellern Verträge abzuschliessen.»
Die Herstellung eines Impfstoffes dauerte in der Vergangenheit im Schnitt mehrere Jahre. Die Dringlichkeit der Corona-Krise hat diesen Prozess in bisher ungekanntem Ausmass beschleunigt.
Akesin | Dreamstime.comDie Herstellung eines Impfstoffes dauerte in der Vergangenheit im Schnitt mehrere Jahre. Die Dringlichkeit der Corona-Krise hat diesen Prozess in bisher ungekanntem Ausmass beschleunigt.
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Die Schweiz, ein reiches Land, hat auch finanziell die Möglichkeit, im Rennen mitzuhalten. Wie allerdings dereinst alle rund acht Milliarden Menschen auf der Erde vor dem Virus geschützt werden sollen, ist eine andere Frage. Immerhin hat sich die Schweiz an der Covax-Initiative beteiligt, die sich auf globaler Ebene für eine gerechte Verteilung künftiger Covid-19-Impfstoffe einsetzt.
Ziel ist es, unter der Führung internationaler Organisationen wie der WHO bei verschiedenen Herstellern rund zwei Milliarden Impfstoffdosen zu beschaffen. Uneigennützig ist die Sache aber auch für die Schweiz nicht: Über die Covax-Initiative soll die Schweiz Impfstoffe für 20 Prozent ihrer Bevölkerung erhalten. «Es wäre falsch, wenn nur die Reichen einen Impfstoff bekämen. Hier muss ein Mittelweg zwischen nationalen Interessen und weltweiter Gerechtigkeit gefunden werden», sagt René Buholzer, Direktor des Verbands Interpharma.
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««Erstens: Beschleunigung der Forschung. Zweitens: Zugang zu Impfdosen für die Schweizer Bevölkerung. Drittens: Beitrag an eine gerechte Verteilung in der Welt.»»
Nora Kronig, Leiterin Internationales, BAG
Die Impfstoffstrategie der Schweiz basiere auf drei Elementen, sagt Kronig vom BAG: «Erstens: Beschleunigung der Forschung. Zweitens: Zugang zu Impfdosen für die Schweizer Bevölkerung. Drittens: Beitrag an eine gerechte Verteilung in der Welt.»
Doch angesichts all des Aktivismus und all der Pläne wird vergessen, dass man hier das Fell eines Tieres verteilen will, das noch gar nicht erlegt wurde. Viele, die hoffen, ein Impfstoff werde endlich die Erlösung vom Corona-Problem bieten, dürften bitter enttäuscht werden. Denn viele Fragen sind noch ungeklärt, etwa bezüglich Wirksamkeit oder Dauerhaftigkeit eines Impfschutzes. Zu erwarten ist zudem ein mühsames und verwirrendes Seilziehen um die Frage, wer wie welchen Impfstoff bekommen soll.
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Die Produktionskapazitäten sind knapp und können auch mit vielen Milliarden nicht so einfach aus dem Boden gestampft werden, es braucht Zulassungen, es wird Einsprachen geben, ganz abgesehen davon, dass weltweit die nötigen Facharbeiter in den Labors und Produktionsstätten fehlen. «Chaos und Konfusion» stehe uns bevor, brachte es die «New York Times» auf den Punkt und riet, man solle sich auf ein «verwirrendes und frustrierendes Jahr» einstellen.
Die Experten befürchten, dass viele der frühen Impfstoffe nur einen moderaten Schutz bieten, was zur Folge hat, dass trotz Impfung weiter Masken getragen werden müssen. Die zu kurze Erfahrung mit den nun lancierten Covid-19-Impfstoffen wird es für Ärzte schwierig machen, zwischen den einzelnen Produkten zu wählen und auch zu entscheiden, welcher Impfstoff nun am besten bei welcher Altersgruppe eingesetzt werden soll.
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Ältere Leute etwa reagieren eher schwächer auf Impfstoffe und brauchen daher stärkere Mittel, bei jungen Leuten, bei denen die Covid-19-Todesrate praktisch bei null liegt, ist es wichtiger, keinerlei schwere Nebenwirkungen zu riskieren.
In der Vergangenheit brauchte die Entwicklung eines Impfstoffes im Schnitt mehrere Jahre. Gut möglich also, dass nach und nach doch noch unerwartete Risiken auftauchen, was dazu führen würde, dass man einzelne Impfstoffe Hals über Kopf wieder vom Markt zurückziehen müsste.
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Wie schwierig die Herstellung eines Impfstoffes ist, der wirklich in jeder Hinsicht überzeugt, zeigen die Beispiele der mRNA-Wirkstoffe, wie sie Moderna oder BionNTech/Pfizer entwickeln. Ein Problem dieser Impfstoffe ist, dass zwar schnell schützende Antikörper entstehen, diese aber auch schnell wieder aus dem Körper verschwinden.
Warum es zu diesem Phänomen kommt, ist wissenschaftlich immer noch ein Rätsel. Klar ist aber: Wenn man eine Impfung hat, die man alle paar Wochen erneuern muss, dürfte die Akzeptanz für ein solches Produkt bald sinken. Mal sehen, ob die Daten, die BioNTech und Moderna in den nächsten Wochen vorlegen wollen, inzwischen eine überzeugende Lösung für dieses Problem bieten.
««Früher waren die Impfstoff-Hersteller zurückhaltend mit ihren Ansagen, jetzt scheinen sich alle gegenseitig mit Versprechungen übertrumpfen zu wollen.»»
Giuseppe Pantaleo, Direktor Schweizerisches Impfstoff-Forschungsinstitut
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Professor Giuseppe Pantaleo, Direktor des Schweizerischen Impfstoff-Forschungsinstituts, mahnt zur Vorsicht nach der Euphorie bei der Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffes. «Früher waren die Impfstoffhersteller zurückhaltend mit ihren Ansagen, jetzt scheinen sich alle gegenseitig mit Versprechungen übertrumpfen zu wollen.» Viele Staaten hätten proaktiv Millionen von Dosen geordert, ohne zu wissen, ob die Stoffe überhaupt genügend wirksam und sicher sind. Gerade bei einer hochansteckenden Krankheit wie Covid-19 sei eine grosse Wirksamkeit aber entscheidend.
In den USA haben die Behörden für die Zulassung eine Wirksamkeit von mindestens 50 Prozent vorgeschrieben. «50 Prozent sind nicht zufriedenstellend, da beispielsweise bei Impfungen gegen Masern oder Mumps die Wirksamkeit über 90 Prozent liegt», so Pantaleo.
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Bei der Auswahl der Impfstoffpartner sind zudem nationale Interessen im Spiel. So gehören Schweizer Investoren wie Pictet oder BB Biotech zu den frühen Geldgebern von Moderna, als das Start-up vor Jahren seine ersten Finanzierungsrunden machte – sie haben angesichts der Kursexplosion von Moderna einen gewaltigen Gewinn gemacht. Mit Lonza ist zudem ein wichtiger Arbeitgeber Produktionspartner von Moderna.
Doch viele Branchenvertreter glauben nicht daran, dass einer der jetzigen Impfstoffkandidaten das Covid-19-Problem schon lösen wird. Es brauche eine neue, zweite Generation von Impfstoffen, die bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit neue Massstäbe setzt, sagt Vladimir Cmiljanovic, CEO des Biotechunternehmens Swiss Rockets, das in diesen Tagen eine Tochtergesellschaft namens Rocketvax gegründet hat mit dem Ziel, genau solche Impfstoffe zu entwickeln (siehe Interview unten).
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Rocketvax hat sich zum Ziel gesetzt, ein «vermehrungsblockiertes» SARS-CoV-2-Virus mittels Totalsynthese der DNA zu entwickeln, welches das Immunsystem dazu bringen soll, in starkem Ausmass Antikörper herzustellen. Das Unternehmen will dafür auch auf Partnerschaften mit Schweizer Universitäten und Universitätskliniken setzen.
Auch andernorts in der Schweiz wird an Impfstoffen geforscht: So haben etwa der Berner Immunologe Martin Bachmann oder der Basler Forscher Peter Burkhard schon früh verkündet, dass sie sich mit der Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffes beschäftigen. Der Weg ist weit: Bis jetzt sind Schweizer Impfstoffe nicht in einer fortgeschrittenen Phase.
Spezialchemiehersteller Lonza hat einen Vertrag über die Produktion von jährlich 300 Millionen Impfdosen abgeschlossen: Werk in Visp.
Christian PfammatterSpezialchemiehersteller Lonza hat einen Vertrag über die Produktion von jährlich 300 Millionen Impfdosen abgeschlossen: Werk in Visp.
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Schweizer Firmen sind jedoch im Bereich der Entwicklung von Impfstoffvorläufern tätig, etwa BioCopy mit Forschungslabors in Deutschland und Holdingsitz in der Schweiz, bei der unter anderem Pascal Brenneisen, ehemals Schweiz-Chef von Novartis, sowie Rainer Boehm, der ad interim die Pharmasparte von Novartis geleitet hat, im Board sind.
BioCopy hat einen Kopierer für Biomoleküle entwickelt, mit der man nicht nur Impfstoffe finden kann, sondern mit der auch molekulare Änderungen neuer oder mutierter Erreger innerhalb von nur zwei Tagen identifiziert werden können. So kann man jederzeit Impfstoffe anpassen, bevor sie unwirksam werden. Zudem entwickelt BioCopy einen speziellen Schnelltest auf Corona-Resistenz. Wichtig sei ja nicht nur, ob jemand Antikörper habe, sondern auch, wie gut diese wirkten, sagt der deutsche Biochemiker Günter Roth, Haupterfinder der Kopiertechnik: «Sind die Antikörper zwar da, aber taugen nicht, kann man sich trotzdem nochmals anstecken.»
Die ganz grossen Player in der Schweiz sind nicht im Spiel: Entweder sind sie nicht in der Impfstoffentwicklung tätig, sondern produzieren nach Vorgaben, wie etwa Lonza, oder sie sind wie Roche oder Novartis in anderen Bereichen stark, wie bei den Covid-19-Tests oder Medikamenten gegen die Krankheit selber.
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Ganz generell sieht es so aus, als ob es länger gehen würde, bis in der Schweiz ein Impfstoff breit zur Verfügung stehen wird. Erst am 6. Oktober ist bei der Schweizer Zulassungsstelle Swissmedic überhaupt ein erstes Zulassungsgesuch für einen Covid-19-Impfstoff eingereicht worden – von AstraZeneca. Dieses wird nun in Form einer «rollenden Überprüfung» begutachtet.
Im «Rolling Submission»-Verfahren können Pharmafirmen Gesuche für Arzneimittel einreichen, noch bevor die Entwicklung abgeschlossen ist. Der eigentliche Zulassungsbescheid kann aber erst gefällt werden, wenn alle notwendigen Daten zur Prüfung der Sicherheit, der Qualität und der Wirksamkeit vorliegen. «Schnelligkeit ist angesichts der Lage schon extrem wichtig», sagt BAG-Vertreterin Kronig, «aber Sicherheit und Wirksamkeit sind nicht verhandelbar.»
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««Wir sind inmitten einer Pandemie – das hat den Vorteil, dass wir die Studie in Echtzeit beschleunigen können.»»
Tal Zaks, Chief Medical Officer, Moderna
Am 19. Oktober hat mit Pfizer das zweite Unternehmen nach AstraZeneca ein Zulassungsgesuch eingereicht, das «rollend» geprüft wird. Vom Schweizer Partner Moderna indes lag bislang noch kein Gesuch bei Swissmedic vor. Die Firma verkündete aber vor ein paar Tagen, dass alle 30 000 Teilnehmer der Phase-III-Studie rekrutiert worden seien – ein wichtiger Meilenstein. «Wir sind inmitten einer Pandemie – das hat den Vorteil, dass wir die Studie in Echtzeit beschleunigen können», so Moderna-Chefmediziner Zaks.
Tempo zu machen, sei natürlich nicht ohne Nachteile, aber es sei eine «rationale Entscheidung» in der jetzigen Situation: «Dies ist eine sehr gefährliche Krankheit.» Das BAG geht davon aus, dass in der ersten Jahreshälfte 2021 erste Impfungen durchgeführt werden können – ob näher beim 1. Januar oder beim 30. Juni, lässt die Behörde offen.
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Branchenexperten sind skeptisch: «Vor der zweiten Hälfte 2021 wird man nicht breit impfen können», sagte Novartis-Präsident Jörg Reinhardt im BILANZ Business Talk. «Wir sehen die Sache nicht als Rennen», sagt Dan Staner, Chef der Schweizer Niederlassung von Moderna.
Doch auch wenn die Impfung endlich da ist, stellt sich die Frage: Will die Bevölkerung diese überhaupt? Laut einer Erhebung der «SonntagsZeitung» von Anfang Oktober will sich nur rund die Hälfte der Schweizer Bevölkerung impfen lassen. 41 Prozent sind dagegen, 5 Prozent noch unentschlossen. Bei den Jungen (18 bis 35 Jahre) ist die Impfbereitschaft noch tiefer: 45 Prozent.
Eine tiefe Impfbereitschaft aber entzieht dem Fundament der Impfstrategie den Boden, denn das Virus kann nur gestoppt werden, wenn ein Grossteil der Bevölkerung immunisiert ist – entweder durch das Virus selber oder durch eine Impfung. Dafür müssten sich 60 bis 80 Prozent impfen lassen.
Die Impfskepsis ist im Übrigen weltweit vorhanden, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass. Viele Skeptiker gibt es in Österreich, wo sich laut Erhebungen 68 Prozent nicht impfen lassen wollen, in Russland sind es sogar 73 Prozent. Anders in Deutschland oder Italien: Da sind 67 Prozent dafür, in China gar 97 Prozent.
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Im Fall von Covid-19 vor allem das Tempo zu pushen und damit eventuelle später aufpoppende Probleme nicht vorwegzunehmen, ist jedenfalls eine sehr heikle Strategie – das in der Schweiz ohnehin schon brüchige Vertrauen in einen Impfstoff könnte gänzlich verloren gehen. Doch für solche Gedanken ist es wohl schon zu spät: Die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten, die Hersteller sehen ihr Ziel vor Augen und wollen abschliessen. Der Wettlauf um die erste Lancierung mag bald entschieden sein, der Wettlauf gegen das Virus aber noch lange nicht.
Biotechmanager: Vladimir Cmiljanovic ist Präsident und CEO des Basler Impfstoffentwicklers Rocketvax.
Valeriano Di DomenicoBiotechmanager: Vladimir Cmiljanovic ist Präsident und CEO des Basler Impfstoffentwicklers Rocketvax.
Valeriano Di DomenicoMedizinal-Chemiker und Firmengründer Vladimir Cmiljanovic setzt auf Impfstoffe der zweiten Generation.
Herr Cmiljanovic, Sie haben mit Rocketvax ein Unternehmen gegründet, das einen Corona-Impfstoff entwickeln soll. Kommen Sie damit nicht reichlich spät?
Die Geschichte der Impfstoffentwicklung zeigt, dass die erste Generation eines neuen Impfstoffes oft noch Nachteile aufweist, etwa eine beschränkte Wirksamkeit oder Nebenwirkungen, die sich erst mit der Zeit zeigen. Dies droht auch bei den aktuellen Impfstoffkandidaten gegen Covid-19. Ein Impfstoff der zweiten Generation mag später kommen, hat, wenn er besser ist, aber gute Chancen.
Was unterscheidet Ihren Ansatz?
Mittels einer neuen DNA-Technologie können wir im Labor chemisch ein vollständiges DNA-Genom des abgeschwächten Coronavirus herstellen. Unserem abgeschwächten Virus wurde bei der Herstellung ein wichtiges Protein, mit dem es sich in menschlichen Zellen vermehrt, weggenommen. Das Ziel ist, dem Immunsystem ein ganzes SARS-CoV-2-Virus zu präsentieren, ohne Covid-19-Nebeneffekte auszulösen, da sich unser Virus im Körper nicht replizieren kann, jedoch das Immunsystem anstiftet, neutralisierende Antikörper und Immunzellen herzustellen. Dadurch wird das Immunsystem optimal trainiert, um bei einer echten Infektion bereit zu sein.
Auch andere Hersteller bauen Virenbestandteile in Impfstoffe ein.
Ja, aber wir präsentieren dem Immunsystem als Einzige ein vollständig nachgebildetes Virus, welches das Immunsystem zu deutlich stärkerer Aktivität zwingen wird.
Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Wir planen, spätestens in zehn bis zwölf Monaten in Phase I der klinischen Entwicklung zu sein.
Bis zum Ziel ist es aber dann noch weit: Selbst in Phase III scheitert noch ein Grossteil der Projekte.
Historisch gesehen sind die besten Impfstoffe diejenigen, die abgeschwächte Viren anwenden, die Masernimpfung zum Beispiel. Dafür haben wir etablierte klinische Plattformen in Europa, der Türkei, den USA, Afrika und Lateinamerika. Dadurch sind wir optimistisch, die klinische Entwicklung in einem «Raketen-Tempo» auszuführen.
Woher stammt die Technologie?
Die DNA-Synthese stammt von unserem Partner Gigabases, einem Spin-off der ETH Zürich. Wir haben für Rocketvax Patente erworben und sind verantwortlich für die weitere Entwicklung.
Wo sehen Sie Stolpersteine?
Die Herstellung für die umfassende industrielle Produktion des entwickelten Impfstoffes, wird, wie für andere Hersteller auch, sicher eine Herausforderung.
Viele kleinere Biotech-Firmen haben sich an etablierte Konzerne angelehnt, die deutsche BioNTech etwa an die amerikanische Pfizer. Für Sie keine Option?
Doch, durchaus. Wir sind derzeit mit zwei grossen Pharmafirmen im Gespräch. Namen kann ich Ihnen aber leider noch nicht nennen.
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