Guten Tag,
Sie lebten wie die Könige, bis sie zu Gejagten wurden – ein intimer Blick ins Leben russischer Milliardärsfamilien in der Schweiz.
OLIGARCHEN-CLUSTER: In der Schweiz haben sich viele milliardenschwere Russen niedergelassen – bevorzugt in Genf und Umgebung.
BilanzWerbung
Sein Studium hat Ivan Timtschenko (26), Sohn des Oligarchen Guennadi Timtschenko (69), an der Universität Genf absolviert. Fach: Internationale Beziehungen. Derzeit hat der Milliardärsspross mit Wohnung im mondänen Cologny bei Genf ein sehr konkretes Beispiel für seine Studien – die Invasion Russlands ins Nachbarland Ukraine hat die ganze Welt erschüttert. Und als Konsequenz auch jene der Familie Timtschenko.
Vater Guennadi ist ein russischer Oligarch, der wegen seiner Nähe zu Wladimir Putin zu jener Handvoll Personen gehört, die seit Neustem auf sämtlichen Sanktionslisten stehen – jener der USA, der EU und auch der Schweiz. Die USA haben Guennadi Timtschenko schon nach der Annexion der Krim von 2014 mit Sanktionen belegt, was zur Folge hatte, dass dieser seinen Lebensmittelpunkt von der Schweiz nach Moskau verschob – auch wenn er damals in einem Interview sagte, dass er seine Steuern immer noch in der Schweiz bezahle.
Seinen Sohn besuchen kann er nicht – er soll laut Vertrauten aus dem Umfeld der Familie zu den Ersten gehört haben, die vom Bund mit einem sofortigen Einreiseverbot belegt wurden. Die Sanktionsmassnahmen gab Bundesrätin Karin Keller-Sutter anlässlich der Pressekonferenz vom 28. Februar bekannt.
Werbung
Ob sich Gattin Elena (66) derzeit in der Schweiz aufhält, ist nicht bekannt. Elena Timtschenko und Sohn Ivan sind gemeinsam als Besitzer eines riesigen Anwesens in Cologny eingetragen, wie das örtliche Grundbuchamt gegenüber BILANZ bestätigt. Ivan ist zusätzlich noch als Stockwerkeigentümer und Besitzer einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Cologny eingetragen. Das grosse Familienanwesen mit Villa und Indoor-Tennisanlage soll einen Wert von 18 Millionen Franken haben.
FAMILIE MIT BESTEN BEZIEHUNGEN: Guennadi Timtschenko mit Gattin Elena.
imago/Russian LookFAMILIE MIT BESTEN BEZIEHUNGEN: Timtschenkos Tochter Xenia (l.) ist mit Gleb Frank (r.), dem Sohn von Putins ehemaligem Transportminister, verheiratet
imago imagesYACHT-JAGD: «Lena», die Jacht der Timtschenkos, wurde vor San Remo von den italienischen Behörden beschlagnahmt.
imago/ZUMA WireCOLOGNY: Die Residenz der Timtschenkos, eine 18-Millionen-Villa in Cologny bei Genf.
Niklaus Wächter/Reportair.chEISHOCKEY-FREUNDE: Timtschenko und Putin.
Getty ImagesKONI: Der Familienhund stammt von Putins Hündin Koni – mit ihr ängstigte Putin Hundephobikerin Angela Merkel 2007 an einem Staatsbesuch.
AFPWerbung
Dass Timtschenko auf den Sanktionslisten steht, ist wohlbegründet: Seine Nähe zu Putin ist gross. Laut dem Schweizer Sanktionsbeschluss ist seine Firma Volga Group «Investor in Schlüsselsektoren der russischen Wirtschaft», und die Bank Rossiya, wo Timtschenko als Aktionär waltet, ist die «persönliche Bank von hochgestellten Vertretern der Russischen Föderation». Dass die Bank unmittelbar nach der Annexion der Krim dort Filialen eröffnete, habe zum Plan, die Krim schnell in Russland zu integrieren, beigetragen.
Was nicht im Beschluss steht, aber allgemein bekannt ist: Timtschenko und Putin sind seit vielen Jahren auch enge persönliche Freunde, sie spielten zusammen Eishockey; Putin ist ein begeisterter Fan des Eishockeyclubs SKA Sankt Petersburg, wo Timtschenko Präsident ist. Die Verbandelung reicht sogar bis in die nächste Generation: Timtschenkos jüngere Tochter Xenia (36) ist mit Gleb Frank verheiratet, dem Sohn von Sergei Frank, einem ehemaligen Handelsminister von Putin.
Werbung
Es ist eine Art Erbsünde der besonderen Art und hat irgendwie auch etwas Tragisches. Denn Xenia Frank, eine intelligente Frau, die lange in Genf gewohnt, an der Universität in Edinburgh Philosophie und Französisch studiert und am Insead in Fontainebleau ihren MBA gemacht hat, hätte sicher auch losgelöst vom russischen Vasallensystem ihren Weg machen können. In Russland setzt sie sich für Frauenrechte ein und gilt als innovative Tech-Investorin. Doch so greift das toxische System von Geben und Nehmen im russischen System indirekt auch auf die Nachkommen der Oligarchen über.
Bei der Familie Timtschenko hat die Nähe zu Putin schon fast etwas Groteskes: Sogar der geliebte Familienhund Romy stammt von Putin. Der Hund, der als Welpe zu den Timtschenkos kam, stammt aus einem Wurf von Putins Lieblingshündin Koni. Die Labradorhündin machte einst Schlagzeilen, weil Putin mit ihr Angela Merkel anlässlich eines Staatsbesuchs ängstigte. Die ehemalige deutsche Kanzlerin leidet seit einer Attacke 1995 an einer ausgeprägten Hundephobie. Putin habe ihn gebeten, dass der Welpe in gute Hände komme, hat Timtschenko 2014 in einem Interview mit dem staatlichen Nachrichtendienst TASS wissen lassen.
Werbung
NOBEL: Andrey Melnichenko und seine Gattin Aleksandra (links, mit der Galeristin Isabelle Bscher an einer Ausstellung in St. Moritz).
Getty ImagesRESIDENZ: Melnichenko besitz ein 5000 Quadratmeter grosses Anwesen in St. Moritz.
fotoswiss.com/cattaneoA: Seine «Yacht A»ist die grösste Segeljacht der Welt.
Getty ImagesDer Timtschenko-Clan ist nur eine von mehreren Oligarchenfamilien in der Schweiz. Das Land gilt als Hort für reiche Russen. Auf rund 150 bis 200 Milliarden Franken schätzt die Bankiervereinigung aktuell das Vermögen von Russen in der Schweiz. Einen bedeutenden Teil dazu tragen die Superreichen bei. In der Liste der 300 Reichsten von BILANZ rangieren mit Timtschenko (Vermögen 2021: 20 bis 21 Milliarden), Andrey Melnichenko (15 bis 16 Milliarden), Viktor Vekselberg (8 bis 9 Milliarden) und Juri Shefler (2 bis 2,5 Milliarden) gleich vier Multimilliardäre, welche laut einer amerikanischen Liste von 2018 als Oligarchen gelten. Ausser Shefler sind alle mit Sanktionen belegt. Neu auf der Sanktionsliste der EU und der Schweiz ist auch der in Chêne-Bougeries bei Genf wohnhafte Alexander Pumpyansky sowie dessen Vater Dmitry Pumpyansky; das Vermögen der Familie Pumpyansky wird auf 2 bis 3 Milliarden Franken geschätzt.
Die Nähe der Superreichen zu Putin ist allerdings unterschiedlich stark. Nebst engen Vertrauten wie Timtschenko gibt es auch Oligarchen, die mit Putin auf weniger gutem Fuss stehe. Etwa der im Crans-Montana VS wohnhafte Juri Shefler, der sich im Trubel der Privatisierungswelle der 1990er Jahre, die Rechte an russischen Wodka-Marken wie Stolichnaya gekrallt hat und seither mit dem russischen Staat einen Rechtsstreit auskämpft.
Eben diese Phase der Privatisierungen ist wichtig, um die Entstehung der Oligarchen zu verstehen: Die Implosion der Sowjetunion war der Beginn dessen, was später als der «wilde Osten» bekannt wurde. Denn aus einer Gruppe von Leuten, die sich mitunter schon unter der kommunistischen Regierung allerlei Privilegien sichern konnten, entstand nun ein Rudel gefrässiger Kapitalisten: die Oligarchen.
Werbung
PUTIN-FREUND: Viktor Vekselberg.
Stefan Bohrer / BlickRESIDENZ: Vekselberg ist als Stockwerkeigentümer in einem Wohnblock mit Blick über die Stadt und den See eingetragen.
DukasGETRÜBTE FREUDEN: Seine Jacht «Tango» wurde von den USA blockiert.
DukasBEKANNTE: Mit Putin 2019 in Moskau bei der Einweihung eines Monuments in Gedenken an die Nazi-Resistance.
Bloomberg
In einem von Korruption geprägten Versteigerungsprozess schnappten sich die Magnaten Firmen, die bis dato unter staatlicher Kontrolle waren. 1997 ersteigerte etwa der junge, 30-jährige Viktor Vekselberg zusammen mit der Alfa-Gruppe 44 Prozent der Tyumen Oil Company (TNK) für 810 Millionen US-Dollar – ein Spottpreis für das damals grösste russische Öl- und Gasunternehmen. Die wichtigsten Rohstoffunternehmen, die Kronjuwelen der russischen Wirtschaft, gelangten somit mit einem saftigen Preisnachlass in private Hand. Diese Kaperung des Staates spielte sich unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin ab. Die durch ihn bereicherte Gruppe fing schliesslich an, nach politischem Einfluss zu trachten. Unter Jelzin konnten die Oligarchen erheblichen Einfluss auf den Staat ausüben und nahmen teilweise sogar formale Positionen in der Exekutive ein: Wladimir Potanin etwa, der heute grösste Anteilseigner und Präsident von Norilsk Nickel, war von 1995 bis 1997 stellvertretender Ministerpräsident. Doch mit dem Amtsantritt Putins begann ein anderer Wind zu wehen. Der ehemalige KGB-Oberst kritisierte die Oligarchen, was ihn bei der breiten, über den Bereicherungskapitalismus empörten russischen Gesellschaft beliebt machte. Putin übte Druck auf die «Kleptokraten» aus, damit sie ihre Mehrheitsbeteiligungen zurück an den Staat verkauften. Diejenigen, die nicht nach seiner Pfeife tanzten, wurden ins Exil gezwungen. 2001 drängte Putin beispielsweise Boris Beresowski und Wladimir Gussinski – die beiden Oligarchen mit grossem Medieneinfluss – ins Ausland ab. Mit den restlichen Oligarchen machte er eine Art informellen Deal: keine Einmischung der Oligarchen in die Politik, dafür keine Überprüfung der Privatisierungen durch den Präsidenten.
Das Verhältnis zwischen Präsident und Oligarchen schien fundamental anders zu sein – doch die symbiotische Beziehung bestand weiterhin. Putins Abneigung galt nämlich nicht der Selbstbereicherung per se, sondern nur der Einmischung in die Politik. Viele Unternehmer kamen durch die Nähe zu Putin in den Vorzug exklusiver und wohlwollender gesetzlicher Regulierungen. Zu solchen Putin-Profiteuren gehören etwa auch Melnichenko und Timtschenko, die ihr Vermögen zwar nicht nutzen um politischen Einfluss zu gewinnen, aber stets bei Fuss sind, wenn es darum geht, Spezialaufträge für Putin zu erfüllen. Etwa Timtschenko: Für den Bau des Teilstücks der Pipeline «Power of Siberia» orderte der Kreml bei ihm Arbeiten im Wert von 161 Milliarden Rubel.
Werbung
SCHWEIZER BÜRGER: Sein roter Pass beschützt Alexander Pumpyansky vor dem Ein- und Durchreiseverbot.
BloombergRESIDENZ: Der Sohn von Oligarch Dmitry Pumpyansky, inzwischen selber auf der Sanktionsliste, residiert in einer Villa in Chêne-Bougeries GE.
Niklaus Waechter / reportair.chYACHT-JAGD: Familienjacht «Axomia» (links unten).
BloombergBEKANNTE: Vater Dmitry (l.) mit Putin 2017 an einer Industriemesse in Jekaterinburg.
Alamy Stock PhotoLaut Fabian Burkhardt, Politikwissenschaftler am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropa-Forschung, ist die Nähe zu Putin auch eine Überlebensstrategie. «Ein Grundproblem in Russland ist die Unsicherheit der Eigentumsrechte aufgrund fehlender Rechtssicherheit», so der Spezialist für autoritäre Regimes. «Nur absolute Loyalität zum Präsidenten kann Eigentumsrechte und Präferenzen vollständig sichern.»
Werbung
Waren die Oligarchen unter Jelzin politisch an vorderster Front, so wurden sie unter Putin zu Vasallen degradiert. Nirgendwo wird das deutlicher als bei der Konferenz vom 24. Februar in Moskau, die Putin wenige Stunden nach der Invasion in die Ukraine vor 36 russischen Wirtschaftsführern – auf einem der Stühle sass auch Melnichenko – hielt. Er habe «keine andere Wahl» gehabt, als in die Ukraine einzumarschieren. Und wenn die anwesenden Herren ihre Geschäfte behalten wollten, hätten sie gefälligst diese Sichtweise zu teilen. Zudem warnte Putin, dass jeder, der Geschäfte mit vom Westen sanktionierten russischen Unternehmen sistiert, nach dem Gesetz bestraft würde. Scharfe Botschaften – und eine klare Verdeutlichung der Machtverhältnisse.
INDUSTRIELLER: Anisimov ist wie Viktor Vekselberg im Aluminiumbusiness reich geworden.
Getty ImagesRESIDENZ: In der Schweiz, wo er bis 2017 lebte, fiel er durch seinen exquisiten Lebenstil auf. Das mondäne Anwesen in Küsnacht ZH gehört heute Ex-Gattin Ekatherina.
Niklaus Waechter / reportair.chSPROSS: Tochter Anna (unten), die in den USA lebt, gilt als russische Paris Hilton.
Getty ImagesJUDO-FREUNDE: Vasily Anisimov mit Putin beim Judo-Training in Sotschi (2019).
Getty ImagesWerbung
Mitgegangen, mitgehangen, heisst es seither: Ihre Nähe zu Putin müssen die Oligarchen büssen – eine Schwemme von Sanktionen dringt tief in ihr privates und geschäftliches Leben ein. Weltweit hat eine Jagd nach den Besitztümern der Oligarchen eingesetzt, seither werden Jachten und Villen beschlagnahmt. Eine internationale Task Force ermittelt. So wurde Mitte März der Privatjet von Viktor Vekselberg, ein auf der Karibikinsel Aruba registrierter Airbus A319, von den USA blockiert, ebenso seine Jacht «Tango». Roman Abramowitsch wurde von den britischen Behörden der Fussballclub FC Chelsea entzogen, und Italien ist in grossem Stil dazu übergegangen, in seinen Gewässern verkehrende Jachten zu beschlagnahmen, unter anderem die in San Remo vor Anker liegende Jacht «Lena» von Timtschenko.
Werbung
Die Schweiz geht zurückhaltender vor: Enteignet wird hierzulande nicht, nur eingefroren. Eigentumsrechte zu wahren, sei für einen Rechtsstaat wichtig, so die Haltung der Schweizer Regierung. Die riesigen Villen der Oligarchen von Genf bis St. Moritz sind somit nicht gefährdet: Ein Haus darf behalten, aber weder verkauft noch vermietet werden, wie das für die Sanktionen zuständige Seco in Bern auf Anfrage mitteilt: «Die Eigentumsrechte verbleiben bei der sanktionierten Person.» Auch Häuser, Autos und Ähnliches seien gesperrt, sofern diese Personen gelistet sind: «Konkret werden diese Vermögenswerte aber nicht eingezogen. Der Handel damit ist indes verboten.» Dies entspricht dem Konzept, die Sanktionen vor allem darauf zu gründen, jegliche Finanztransaktionen zu unterbrechen. Das bedeutet, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit im Grunde verhindert wird.
Werbung
So darf also Milliardär Melnichenko (50), der zusammen mit Ehefrau Aleksandra, einen ehemaligen Model, in einem luxuriösen Chalet in St. Moritz residiert, wie die örtliche Einwohnerkontrolle bestätigt, das Anwesen zwar behalten, aber in der Schweiz keine Geschäfte mehr betreiben. Als Konsequenz hat der Oligarch seine Anteile an dem in Zug domizilierten Düngerkonzern EuroChem abgegeben und ist von allen Posten zurückgetreten.
Zudem wurde er am 16. März trotz Aufenthaltsbewilligung in St. Moritz vom Bund mit einem «Ein- und Durchreiseverbot» belegt, wie der Sanktionsbeschluss zeigt, gar von einer Wegweisung ist jetzt die Rede. Ein Rechtskonflikt, steht der Entscheid doch im Widerspruch zum Aufenthaltsrecht. Der Oligarch wolle das denn auch nicht hinnehmen, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt: Melnichenko wolle sich gegen die Sanktionen wehren, er habe mit dem Krieg nichts zu tun. Immerhin wagte er es kürzlich, Kritik an Putin zu üben: «Wenn der Krieg in der Ukraine nicht gestoppt wird, droht eine weltweite Nahrungsmittelkrise. Die Preise für Düngemittel steigen so stark an, dass sie sich viele Landwirte nicht mehr leisten können», liess er die Agentur Reuters wissen.
Werbung
Ein Überblick über die Massnahmen und den Schweizer Entscheid.
Die Invasion der Ukraine hat eine globale Sanktionswelle ausgelöst. Kurz nach Kriegsbeginn haben das US-Finanzministerium, die britische Schatzkammer und auch die Europäische Union Sanktionspakete verabschiedet. Die Schweiz hat am 28. Februar 2022 bekannt gegeben, dasjenige der EU eins zu eins zu übernehmen. Dieses Paket wurde beziehungsweise wird laufend aktualisiert und enthält Restriktionen für den Finanz- und Handelsbereich sowie Reisesanktionen. Diese Massnahmen sind gegen mehrere Banken und Unternehmen, aber auch gegenüber 336 Mitglieder des russischen Parlaments, mehrere Regierungsmitglieder und Armeeangehörige Russlands sowie Geschäftspersonen gerichtet. Da der Bundesrat die EU-Sanktionen prüfen muss, erscheinen die Schweizer Bestimmungen mit einer zeitlichen Verzögerung. Der Bundesrat hat in manchen Fällen sogar Verschärfungen – wie etwa im Finanzbereich – sowie Zusätze zu den EU-Sanktionen erlassen. Das Einreiseverbot für fünf russische Individuen wurde zum Beispiel basierend auf der Bundesverfassung – und nicht auf den EU-Sanktionen – entschieden. Dieses Verbot, welches vom Bundesamt für Polizei (Fedpol) gehandhabt wird, gilt nur für die Schweiz und nicht (wie im Falle der EU-Sanktionen) für den Schengen-Raum.
SANKTIONIERT: In einem 61-seitigen Dokument des Seco sind sämtliche betroffenen Personen nachzuschlagen. Im Bild: Beschluss zu Melnichenko.
ScreenshotSANKTIONIERT: In einem 61-seitigen Dokument des Seco sind sämtliche betroffenen Personen nachzuschlagen. Im Bild: Beschluss zu Melnichenko.
ScreenshotMehr Schutz als eine Aufenthaltsbewilligung bietet der Schweizer Pass. Bei Alexander Pumpyansky (34), der Schweizer Bürger ist, steht im Sanktionsbescheid ausdrücklich: «Not subject to travel restrictions.»
Arg beschnitten wird das Spielfeld der Oligarchen aber vor allem durch die Unterbindung von jeglichen Finanztransaktionen. Was das bedeutet, sieht man sehr deutlich an bereits erfolgten Beispielen, jenen Sanktionen nämlich, die in der Folge der Krim-Annexion beschlossen wurden. So setzten die USA Viktor Vekselberg bereits 2018 auf die Sanktionsliste. Er ist seit vielen Jahren eng mit der Schweiz verbunden und Grossaktionär von hiesigen Traditionsfirmen wie Sulzer, OC Oerlikon und Swiss Steel. Im Rahmen der Sanktionen hat er überall dort, wo er Mehrheitsaktionär war, seine Beteiligung unter 50 Prozent gesenkt. Doch nicht nur dass er nicht mehr das Sagen hat – er darf auch nicht mehr abkassieren: Die Dividenden auf seinen Aktien bekommt er nicht, weil die Banken keine neuen Gelder von sanktionierten Personen annehmen dürfen. Die ihm zustehenden Dividenden sind auf einem Sperrkonto blockiert.
Die Banken schnitten Vekselberg zudem völlig von sämtlichen Transaktionen ab. So hob die Postfinance im Herbst 2018 sein erst zwei Monate zuvor eröffnetes Konto wieder auf und die Bank Julius Bär fror seine Konten ein und sperrte sein Wertschriftendepot. Seine Frau habe nicht einmal mehr Geld aus dem Bankomaten beziehen können, um eine Konsumation zu bezahlen, so Verkselberg. Gegen beide Banken klagte er, im Falle der Postfinance jüngst mit Erfolg: Das Unternehmen habe kein Recht gehabt, Vekselbergs Konto zu sperren, urteilte das Bundesgericht diesen Februar, im Rahmen der Grundversorgung sei sie zu gewissen Dienstleistungen verpflichtet. Gegen Julius Bär kam Vekselberg nicht durch. Er hatte einen Teil seines Guthabens auf den Bär-Konten verkaufen wollen, um einen Kredit von 160 Millionen Dollar abzulösen. Dieses Guthaben, in US-Dollar deponiert, unterliege den Sanktionen, urteilte das Zürcher Handelsgericht.
Werbung
Alisher Usmanov (r.), 68, Vermögen: 15-16 Mrd.
Alamy Stock PhotoDmitry Rybolovlev, 55, Vermögen: 7-8 Mrd.
WireImage
Vekselberg besitzt in Zug eine Wohnung mit Blick auf Stadt und See – er ist dort im Stockwerkeigentum eingetragen, wie das Zuger Grundbuchamt bestätigt. Laut Stimmen aus seinem Umfeld weilte er in den letzten Jahren so alle sechs Wochen in der Schweiz – ob das weiter möglich sein wird, ist unklar. Immerhin: Er ist nur auf der US-Sanktionsliste aufgeführt, auf den Listen der EU und der Schweiz hingegen – bisher zumindest. Der Druck auf ihn nimmt aber auch lokal zu: Der Zuger Stadtrat erwartet von Unternehmen, die dem russischen Staat nahestehen, sich vom Überfall auf die Ukraine zu distanzieren. «Diese Haltung des Stadtrates gilt auch für Viktor Vekselberg», so Karl Kobelt, Stadtpräsident von Zug.
Werbung
Sind Reiserestriktionen einmal beschlossen, treffen sie die Betroffenen auch privat erheblich. Er sei mit seiner Familie jeden Sommer nach Südfrankreich in die Ferien gefahren, «und ich war von allem abgeschnitten, von Verwandten, vom geliebten Hund», sagte Timtschenko nach dem Sanktionsbescheid der USA von 2014. Um den Geburtstag von Sohn Ivan zu feiern, habe dieser extra von Genf nach Russland reisen müssen.Ähnlich wie Vekselberg war auch er von Zahlungen abgeschnitten. Seine Frau Elena habe eine komplizierte Wirbelsäulenoperation in Deutschland nicht bezahlen können. «Die Klinik stellte eine Rechnung aus, aber die Zahlung ging nicht durch, obwohl die Sanktionen anscheinend nicht für Familienmitglieder gelten und Europa uns auf keine Stoppliste gesetzt hat», so Timtschenko (in diesem Punkt hat er recht: Auf die EU-Sanktionsliste kam er erst im Februar).
Werbung
Ob und wie weit Familienmitglieder von den derzeitigen Sanktionen betroffen sind, müsse im Einzelfall abgeklärt werden, so das Seco. Generell seien Gelder oder Ressourcen, die sich unter Kontrolle der sanktionierten Personen befinden, gesperrt. Gerade für die Schweiz ist dies bedeutend, haben sich doch viele Oligarchen zwar nach Russland abgesetzt, aber Gattin oder Kinder hier parkiert. Ein Beispiel ist etwa auch der Oligarch Vasily Anisimov, der bis 2017 in der Schweiz wohnte. Als Eigentümerin der riesigen Villa in Küsnacht ZH ist heute seine Ex-Gattin Ekatherina Anisimova eingetragen.
Was die Finanzrestriktionen betrifft, sind in der Schweiz bei weitem nicht nur die genannten Oligarchenfamilien betroffen – die aktuelle Sanktionsliste nennt rund 900 Namen. Allerdings haben nur die wenigsten Wohnsitz in der Schweiz. Die über Nacht beschlossenen Sanktionen haben bei den Banken dennoch für grosse Unruhe gesorgt. Die Aufgabe, nicht nur bei den namentlich Genannten alle Finanztransaktionen zu unterbinden, sondern auch bei indirekt mit ihnen verbunden Personen oder Firmen hat für gehörige Verwirrung gesorgt – die Aufgabe drohe einem über den Kopf zu wachsen, klagen die betroffenen Banken.
Jeden Morgen müssten Transaktionen nach Stichworten gescannt werden, und vielfach müsse von Hand nachgeforscht werden, wohin die Gelder gehen. Eine grosse Schweizer Bank hat dafür eigens ein Sanktions-Desk installiert, «die Mehrarbeit im Compliance-Bereich ist enorm», so ein Involvierter. Das Problem sei, dass viele Einzelfälle sehr kompliziert und auch unklar seien, man dürfe sich aber keinerlei Fehler erlauben, wie die Erfahrung mit US-Bussen aus ehemaligen Schwarzgeld-Geschäften zeige. Die zu Rate gezogenen Schweizer Anwälte wüssten oft auch nicht weiter, weil die Erfahrung mit dem neuen Thema weitgehend fehlt und die Vorgaben des Seco mitunter recht ungenau seien. Gerade die Superreichen hätten aber schon vor Jahren angefangen vorzusorgen und ihre Gelder in andere Destinationen verschoben. Allerdings werden die Schlupflöcher immer weniger: Dubai gilt teilweise noch als Möglichkeit oder sonst obskure Finanzplätze wie das unter chinesischer Hoheit stehende Macau.
Werbung
Doch selbst wenn die Oligarchen ihre Mittel im heimatlichen Russland gebündelt haben, sind sie von der jetzigen Krise arg getroffen. Die russische Börse ist seit dem Ukraine-Konflikt um 50 Prozent abgestürzt (Stand 18. März). So müssen einzelne der hiesigen Milliardäre heftige Vermögenseinbussen verkraften, Timtschenko etwa ein Minus von umgerechnet einer halben Milliarde Franken. Die finanziellen Einschnitte und die Tatsache, dass ihnen die schönen Spielzeuge des Lebens wie Jachten oder Fussballclubs entzogen werden, dürften die Oligarchen gehörig wurmen. Ob dies aber auch zu einem Druck auf Putin führt, bleibt abzuwarten. Einzelne Oligarchen sehen das Ganze nüchtern: «Man muss für alles im Leben bezahlen», so Guennadi Timtschenko, «auch für die Freundschaft mit dem Staatspräsidenten.»
Werbung
Werbung