Abo
Lebensmittelampel

Nutri-Score: Migros widerspricht mit Abschaffung eigener Expertin

Entgegen dem Ratschlag seiner Gesundheitsexpertin schafft der Detailhändler ­den Nutri-Score ab. Die Migros-Manager beurteilen dessen Kundennutzen plötzlich völlig anders.

Erich Bürgler, Redaktor BILANZ - fotografiert im September von Paul Seewer für BILANZ

jk

Superdruck: Peter Diethelm, Chef der Migros Supermarkt AG, streicht 150 Stellen.

Dan Cermak / BILANZ

Werbung

Der Migros ist der bislang stolz getragene Titel des nachhaltigsten Detailhändlers nicht mehr wichtig. Im Vordergrund stehe das Preisimage, sagte der neue Nachhaltigkeitschef gegenüber dem «Blick». In dieses Bild passt die Abschaffung der Lebensmittelampel Nutri-Score. Sie war eine Randnotiz in der jüngsten Medienmitteilung zum Abbau von 150 Stellen in der Konzernzentrale. Die Kennzeichnung, die verarbeitete Lebensmittel mit einer Note vom grünen A bis zum roten E bewertet, biete der Kundschaft zu wenig Nutzen, begründet die Migros. Zudem seien die Kosten dafür zu hoch, liess Peter Diethelm, Chef der neuen Supermarkt AG, verlauten.

Partner-Inhalte

Dass für Diethelm weniger der Kundennutzen als der Aufwand im Vordergrund steht, zeigt die Tatsache, dass die eigene Expertin den Nutri-Score noch bis vor Kurzem in den höchsten Tönen lobte. In einer Präsentation vom November, die BILANZ vorliegt, kommt die bei der Migros für Ernährung und Gesundheit zuständige Projektleiterin zum Fazit: «Der Nutri-Score ist ein sehr gutes Mittel, um den bewussten Einkauf einfacher und transparenter zu machen.» Der Nutri-Score «bewirkt etwas», so die Expertin bei einem Branchenanlass, den das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen organisierte.

Werbung

sf

Die Lebensmittelampel ist passé. 

ZVG
sf

Die Lebensmittelampel ist passé. 

ZVG

Die von der Migros erwähnten Kosten entstehen unter anderem, weil der für die Berechnung des Scores zugrunde liegende Algorithmus angepasst wird. So kommen beispielsweise Produkte mit künstlichen Süssstoffen neu schlechter weg. Über die Höhe des finanziellen Aufwands hält sich die Migros bedeckt. Laut der Präsentation kostet die Verpackungsänderung pro Produkt rund 2000 Franken. Bei etwa 800 betroffenen Artikeln macht das 1,6 Millionen Franken. Die Ausweitung der Ampel auf sämtliche Eigenmarken hätte weitere Kosten verursacht. Dennoch: Im Vergleich zu den jüngst bekannt gegebenen Abschreibungen von 500 Millionen Franken wegen vergangener Fehlinvestitionen bleibt der Aufwand überschaubar. Doch der Spardruck beim orangen Riesen mit seiner ineffizienten Struktur ist gross.

Werbung

Dass es zu Anpassungen bei der Ampel kommen wird, war klar, als sich die Migros 2021 für deren Einführung entschied. Laut den Migros-Verantwortlichen für Ernährung sind die Änderungen sinnvoll. «Der Nutri-Score ist insbesondere mit dem neuen Algorithmus das beste aller derzeit verfügbaren Tools.» Dennoch schafft ihn die Migros ab.

Dabei gab es zuvor auch von anderer Seite innerhalb des Konzerns Lob zur Ampel. Erst nach einer längeren Testphase war die Migros zum Schluss gekommen, das Rating einzuführen. «Rückmeldungen haben gezeigt: Migros-Kundinnen und -Kunden schätzen die einfach verständliche Ernährungsinformation auf den Produkten», hiess es in einer Mitteilung, die vom damaligen Marketing-Chef Matthias Wunderlin kam. Mittlerweile leitet er die Industriebetriebe.

Nun findet die Migros plötzlich, der Nutri-Score sorge bei derselben Kundschaft für Verwirrung. Für noch mehr Konfusion sorgt womöglich die 180-Grad-Drehung der Migros-Manager.

Werbung

Über die Autoren
Erich Bürgler, Redaktor BILANZ - fotografiert im September von Paul Seewer für BILANZ

Erich Bürgler

Erich Bürgler

Auch interessant

Werbung