Guten Tag,
Zwei Männer im besten Alter sollen die Grossbanken UBS und CS in die Zukunft führen. Noch traut ihnen der Markt nicht. Gelingt der Neuanfang?
Der eine kam überraschend, der andere abrupt: Ralph Hamers (UBS, l.) und Thomas Gottstein (CS) wollen den Niedergang der Schweizer Grossbanken aufhalten.
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Es ist nur ein kurzer Fussmarsch, der den UBS-Hauptsitz an der Bahnhofstrasse 45 von der CS-Zentrale am Paradeplatz trennt – die Gehdistanz beträgt von Eingang zu Eingang gerade 280 Meter. Doch es ist ein Weg, den die Chefs der beiden grössten Schweizer Banken eher selten zurücklegen. Ihre Rivalität pflegen die Grossbanken wie ein Ritual. Man kennt sich – und bekämpft sich.
Ralph Hamers interessierte das nicht. Seit dem 1. November steht er an der UBS-Spitze, und den ebenfalls noch frischen CS-Chef Thomas Gottstein kannte er noch nicht persönlich – bei den Branchentreffen der Bankchefs hatte sich der langjährige ING-Chef vor allem mit Gottsteins Vorgänger Tidjane Thiam und VR-Präsident Urs Rohner ausgetauscht.
Gottstein, gerade erst ein paar Tage im Amt, hat Hamers nach dessen Kür zum neuen UBS-Chef im letzten Februar angerufen und ihm gratuliert. Jetzt meldete sich Hamers bei seinem CS-Pendant – und spazierte auf einen Kaffee in dessen Büro. Der Grössere ging zum Kleineren. Statusdenken? Gedöns von gestern.
Die beiden Männer sollen die Grossbanken in eine glorreiche Zukunft führen. Hier der 54-jährige Ralph Hamers aus dem Klosterstädtchen Simpelveld im Süden der Niederlande, Sohn eines einfachen Beamten, nach sieben Jahren an der Spitze der Retailbank ING eine durchaus überraschende Wahl für den weltgrössten Verwalter von Privatvermögen. Dort der CS-Veteran mit mehr als zwanzig Jahren Banktreue, drei Jahre älter als Hamers, Spross einer Zürcher Unternehmerfamilie, gross geworden im Investmentbanking und lange ohne Interesse an einem Führungsjob.
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Hamers hat einen aufwendigen Prozess gestartet – und muss sich mit einem Gerichtsverfahren in der Heimat beschäftigen.
Markus Hintzen/laifHamers hat einen aufwendigen Prozess gestartet – und muss sich mit einem Gerichtsverfahren in der Heimat beschäftigen.
Markus Hintzen/laifWie anspruchsvoll die langfristige Sicht in diesen kurzatmigen Zeiten ist, spürten sie beide selbst. Hamers durfte noch vor seinem ersten öffentlichen Auftritt am 26. Januar mannigfache Rücktrittsspekulationen in den Medien lesen, weil ihn ein längst abgeschlossen geglaubter Geldwäschefall in Holland wieder einholt. Gottstein gelangte nur durch die unappetitliche Spionageaffäre um den heutigen UBS-Banker Iqbal Khan an die Spitze.
Und für beide war die Zukunft unklar, als ihre Präsidenten im letzten Jahr eine Fusion von UBS und CS ventilierten. Es ist das ewige Dilemma, durch Corona massiv verschärft: Alle fliegen auf Sicht – doch die beiden Chefs sollen nicht weniger als das Geschäftsmodell fürs neue Jahrzehnt erfinden. Grossumbau im Nebel.
Wie notwendig ein Neustart ist, zeigt die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre. 112 Milliarden Franken war die UBS am Ende des Jahres 2000 wert, damit lag sie weltweit unter den Finanzkonzernen (inklusive Versicherungen) auf Platz 11. Die CS lag zwar dahinter, aber mit 92 Milliarden Franken Börsenwert auf einem respektablen 27. Rang.
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Gottstein trat den Posten mit neun Monaten Vorsprung an, die Strategieübung liegt hinter ihm.
Severin BiglerGottstein trat den Posten mit neun Monaten Vorsprung an, die Strategieübung liegt hinter ihm.
Severin BiglerZehn Jahre später waren beide heftig abgerutscht: Den Börsenwert fast halbiert, nur noch Platz 27 (UBS) und 40 (CS). Nun liess sich das alles noch erklären: Die Finanzkrise bescherte der UBS eine Nahtod-Erfahrung und riss das Bankgeheimnis mit in den Abgrund, was die Margen im Kerngeschäft Wealth Management mehr als halbierte und den Gewinn der einstigen Königssparte um fast zwei Drittel einbrechen liess. So weit, so verständlich.
Besorgniserregender ist jedoch die Fortsetzung des Niedergangs in den zehner Jahren. Ende 2020 lag die UBS nur noch auf Platz 50, selbst den Spitzenplatz als höchstbewerteter Finanzkonzern im eigenen Land hat sie abtreten müssen: Die wenig mondänen Versicherer von der «Zürich» waren schon im Vorjahr an ihr vorbeigezogen. Und die CS liegt mit einem Wert von 27,9 Milliarden nur noch auf einem eher beschämenden Rang 108 – das Zuger Private-Equity-Haus Partners Group schafft mit nicht einmal einem Dreissigstel der Mitarbeiter den gleichen Wert. Gewiss, auch hier führen die Banken die üblichen Verdächtigen als Gründe an: Überharte Regulatoren in Europa und besonders in der Schweiz, fehlende Grösse im Heimmarkt, die bösen Negativzinsen.
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Andererseits: UBS und CS sind Marktführer bei der Betreuung der Reichen dieser Welt. Mehr als 2500 Milliarden an privaten Vermögen liegen bei der UBS, mehr als 1200 Milliarden bei der CS. Jeder zweite der mehr als 2000 Milliardäre auf dem Planeten ist UBS-Kunde, wie die Grossbank stolz betont. Es ist ein Geschäft, um das die Konkurrenz die Schweizer beneidet: Von Deutscher Bank bis BNP Paribas versuchten die grossen europäischen Adressen in dieses Geschäft einzudringen, jetzt wollen auch die Wall-Street-Leitsterne J.P. Morgan, Goldman Sachs und vor allem Morgan Stanley am stetigen und wenig kapitalintensiven Geschäft teilhaben.
Dennoch werden UBS und CS an der Börse unter ihrem Buchwert gehandelt – das Eigenkapital ist also höher als der Marktpreis. Das haben sie zwar mit allen grossen europäischen Banken gemein, und die UBS liegt hier in Europa relativ mit einem Wert von 0,91 sogar vorn. Doch auch hier sind die Amerikaner deutlich stärker.
Zwar führen 14 der 27 bei Bloomberg geführten Analysten die UBS als Kauf, bei der CS sind es gar 16. Die Investoren machen dennoch einen Bogen um beide Aktien. Die ewigen Rechtsfälle, die unsichere Dividende, die nebulösen Zukunftsaussichten durch die Digitalisierung – von «Love Brands» sind die Bankaktien so weit entfernt wie die Rohstoffhändler von einem Umweltpreis. Daran kann auch der Aufschwung seit November – plus 30 Prozent – nur wenig ändern. Bei der CS war ein Kurs unter 20 Franken lange ein Signal für den Chefwechsel, heute ist man froh, wenn der Kurs über zehn Franken liegt.
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Bei der UBS lag der Kurs mal bei fast 80 Franken, heute ist die 15-Franken-Marke die neue Zielgrösse. Selbst die 26 Franken, die Langzeit-Chef Sergio Ermotti 2015 in Aussicht gestellt hat, scheinen Lichtjahre entfernt. Und wohlgemerkt: Die Börsen boomen, auch die Anlagestrategen von CS und UBS animieren unisono zum kräftigen Aktienkauf. Nur die eigenen Titel will keiner so richtig. Das Misstrauen ist gross.
Ralph Hamers empfängt casual. Weisses Hemd, zwei Knöpfe offen, beige Chino, lindgrüne Gesichtsmaske. Er hat das Büro von Sergio Ermotti im dritten Stock bezogen. Der lebensgrosse Terrakotta-Krieger wurde ins vorgelagerte Besprechungszimmer verfrachtet und wartet auf die Lieferung an den früheren Bankchef. Verändert hat Hamers sonst nichts an dem Büro – nur drei Kissen in den UBS-Farben auf die Sitzgarnitur gelegt.
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Bei ING war alles orange, jetzt leuchtet das UBS-Rot. Bei seinem alten Arbeitgeber hatte er den Hauptsitz zu einem grossen Open Space umbauen lassen, die Mitglieder der Konzernleitung sassen an einem grossen Tisch zusammen. «Die Sitzordnung ist sicher nicht meine erste Priorität» betont Hamers ernst. Corona bewältigen und die Bank neu ausrichten: Darauf komme es jetzt an.
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Sein Gegenspieler wirkt da fast wie alte Schule. Die Krawatte hat zwar auch Thomas Gottstein zum Gespräch abgelegt, es ist Freitagnachmittag. Aber natürlich: Anzug, weisses Hemd, nur der erste Knopf offen. Auch er ist im Büro, auch wenn er in Homeoffice-Zeiten fast allein in der Bank ist. Ernannt wurden sie fast zeitgleich vor einem Jahr, doch Gottstein konnte nach dem abrupten Abtritt seines Vorgängers Thiam sofort loslegen und feiert am 14. Februar bereits sein Ein-Jahres-Jubiläum im Amt. Sein Start war stark. Geschickt spielte er die Swissness-Karte und hob sich so wohltuend von seinem Vorgänger ab, der sich stark abgeschottet und mit seiner Entourage zusehends abgehoben gewirkt hatte.
Gottstein nutzte seine guten Drähte zu Finanzminister Ueli Maurer und gleiste das Corona-Kreditpaket auf, im Schweizer Fernsehen zeigte er sich volksnah beim «Donnschtig-Jass». Strategisch sind die Erwartungen an ihn deutlich kleiner: Thiam hatte die Bank auf hartes Kostenmanagement getrimmt und das Geschäftsmodell – wie die UBS – stärker aufs Wealth Management fokussiert, wobei das Investmentbanking noch immer deutlich stärker ist als bei der UBS. Im Sommer hatte Gottstein dann, als Frontmann im Kapitalmarktgeschäft gross geworden, in diesem Bereich seine bisher wichtigste strategische Änderung vorgenommen: Die Investmentbanking-Einheiten wurden zusammengelegt, mit dem Amerikaner Brian Chin gibt es nur noch einen Spartenchef – die UBS leistet sich trotz kleinerem Geschäft noch immer zwei Chefs.
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Dazu integrierte er die Neue Aargauer Bank in den Gesamtkonzern, stutzte das Filialnetz und vereinfachte die Struktur im Corporate Center, indem er Risk und Compliance zusammenlegte. «Wir haben im Jahr 2020 strategisch viel erreicht», betont er dann auch sehr gelassen. «Wir haben die strategischen Weichen für zukünftiges Wachstum gestellt. Jetzt können wir uns in diesem Jahr voll auf das operative Geschäft konzentrieren.»
Die Augen sind also derzeit vor allem auf den Neuen aus Holland gerichtet, den «Google Banker» («Financial Times»), der ING zur «Technologie-Plattform mit angehängter Banklizenz» erklärt hatte. Schon immer galt die UBS als das starrere, aber auch strukturiertere Haus, die CS dagegen als das unternehmerische, aber auch wildere. Jetzt will Hamers nicht weniger als einen Kulturwandel verordnen: Schneller, flexibler, kundennäher. Sein Mantra, gern auf Englisch vorgetragen (seine Arbeitssprache, auch wenn er gut Deutsch spricht): «We have to be agile.» Das neue Zauberwort der UBS lautet: Agilität.
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«Ich bin nicht mit einem festen Plan hierhergekommen, wie die Bank aussehen soll», betont Hamers. «Es war mir immer klar: Wir müssen das gemeinsam erarbeiten.» Und so hat er einen aufwendigen Prozess angestossen, den die UBS in dieser Form noch nie erlebt hat und der gerade bei den jüngeren Mitarbeitern in der hierarchisch geprägten Grossbank gut ankommt.
«Ihm geht es nicht um sein Ego», betont ein langjähriger Kadermann, der in den Prozess eingebunden ist. «Er will einfach den Elefanten zum Tanzen bringen.» Da hilft sicherlich, dass er lange Chef einer fast gleich grossen Bank war: Die Unsicherheiten und Eitelkeiten, die einen frischen CEO zwangsläufig begleiten, hat er hinter sich.
Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat er die HR aus dem Corporate Center herausgebrochen und lässt direkt an sich rapportieren. Dann hat er in Zusammenarbeit mit den Konzernleitungsmitgliedern insgesamt 14 Bereiche definiert, die für die Zukunft der UBS entscheidend sind: Übergeordnete Themen wie Daten, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, aber auch konkretere Bereiche wie Kostensenkungen oder Wachstum Asien. Und für ihn ganz wichtig: Purpose – gerade für die nächste Generation ist die Sinnhaftigkeit ein zentrales Thema. Die Konzernleitungsmitglieder übernehmen die Patenschaft für diese Bereiche, «Workstreams» genannt, aber entscheidend ist: Die Leitung liegt bei Mitarbeitern aus einem beliebigen Bereich der Bank.
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Nahe Rivalen: Die Fusion ist aktuell kein Thema mehr. Doch es kann schnell wieder aufkommen. Zu gut ergänzen sich die beiden Banken in verschiedenen Bereichen – und die Konsolidierung in Europa beginnt am ehesten in den Heimmärkten.
KeystoneNahe Rivalen: Die Fusion ist aktuell kein Thema mehr. Doch es kann schnell wieder aufkommen. Zu gut ergänzen sich die beiden Banken in verschiedenen Bereichen – und die Konsolidierung in Europa beginnt am ehesten in den Heimmärkten.
KeystoneHamers hat sie nach Rücksprache mit den HR bestimmt, einige meldeten sich auch freiwillig. Jeder Teamleiter muss vor der Konzernleitung präsentieren – eine völlig neue Erfahrung in der bislang so hierarchisch geprägten Bank. «Da wurden manche schon sehr nervös», betont ein langjähriger UBS-Mann. Das Schöne daran: Die Konzernleitung bekommt den Nachwuchs überhaupt einmal zu Gesicht. Bislang wurde zwar beim Strategietreffen im September pflichtgemäss die Nachfolgeplanung für die nächsten Kaderstufen besprochen. Doch das waren Namen, die die Konzernleitungsmitglieder für ihren Bereich vorstellten. Jetzt sieht man Menschen.
«Dieser Bottom-up-Prozess ist das Herzstück unseres Strategieprozesses», betont Hamers. Den Prozess selbst steuert er selbst, als externe Helfer sind zwar auch die Berater von McKinsey engagiert, aber sie sind lediglich für zwei spezifische Projekte im Einsatz. Sie durchleuchten das Schweiz-Geschäft und sollen der neuen Chefin Sabine Keller-Busse, ab 1. Februar in dem neuen Job und selbst Ex-Mc-Kinsey-Partnerin, beim Umbau unterstützen. Und sie sollen Vorschläge ausarbeiten, wie der Gesamtkonzern schneller und weniger komplex werden kann – agiler eben.
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Hamers selbst hat damit schon angefangen. Sehr intensiv ist sein Austausch mit IT-Chef Mike Dargan – gegen 2000 Apps wurden seit seinem Antritt einfach gelöscht. «Da haben wir viel zu lange gewartet. Lieber etwas ausprobieren und dann aber sofort auch wieder einstellen, wenn es nicht klappt.» Die Planung stellt er um. Bislang tickte der Grosskonzern nach Drei-Jahres-Plänen. Ziel jetzt: Eine Sieben-Jahres-Vision und eine flexible Drei- bis Sechs-Monats-Planung. Grossprojekte sind out.
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Die UBS baute etwa jahrelang an einer gemeinsamen IT-Plattform für Asien und Europa, die Kosten lagen bei mehr als einer Milliarde Franken. So etwas wird es unter ihm nicht mehr geben: Bei Fertigstellung sind die Projekte meist schon überholt und die Kosten deutlich überschritten. Auch das Corporate Center, für viele Mitarbeiter Inbegriff der Hierarchiemaschine, steht auf dem Prüfstand – deutlich mehr Services sollen an die Front verlagert werden.
Dazu kommt ein lockerer Umgang: Waren früher die Videos der Führung eher biedere Studio-Veranstaltungen, greift Hamers heute einfach kurz zu seinem Mobiltelefon. Alle zwei bis drei Wochen bekommen die Mitarbeiter eine Botschaft – zu Weihnachten gab es einen Gruss, zum neuen Jahr ein Video mit dem Titel «Rolling up our sleeves». Wann genau der Strategieprozess abgeschlossen sein wird, lässt er offen, aber sicher nicht vor April. Der Investors Day für dieses Jahr ist noch nicht terminiert.
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Natürlich besteht immer die Gefahr, dass nach dem grossen Aufbruch die grosse Ernüchterung einsetzt. Zudem schwelt das Gerichtsverfahren in Holland weiter. Zwar dürfte es erst mal etwas ruhiger werden, mit dem Entscheid, ob es zu einer Anklage kommt, wird kaum in diesem Jahr gerechnet. Doch das Verfahren schwebt als ständige Bedrohung über ihm. Er gibt sich zuversichtlich – immerhin hat die Staatsanwaltschaft den Fall bereits eingehend untersucht.
Sie muss jetzt gegen ihren Willen eine neue Untersuchung einleiten, weil es ein Gericht in Den Haag so beschieden hat. Eine substanzielle Neubeurteilung könnte nur stattfinden, wenn neue Fakten auftauchen. Doch die gibt es laut Hamers nicht: «Die Staatsanwaltschaft hat bereits zwei Mal die Vorwürfe untersucht und weder bei mir noch bei anderen ING-Managern strafbares Verhalten gefunden. Es gibt keine neuen Informationen.» Und er fügt an: «Natürlich werde ich voll kooperieren.»
Für den Präsidenten Axel Weber droht der Fall das angekündigte letzte volle Amtsjahr zu überschatten. Zwar liess er extra ein unabhängiges Drittgutachten anfertigen, das ihm die Unbedenklichkeit der Anstellung attestierte. Aber es ist unabsehbar, wie die grossen Investoren reagieren, wenn Hamers wirklich angeklagt würde. Gewiss, ein Josef Ackermann stand als Deutsche-Bank-Chef das Strafverfahren im Mannesmann-Prozess durch, und in der Tat ist das Verfahren vor allem ein Beweis für die Bankenfeindlichkeit im Heimatland von Hamers: Schon seine Lohnerhöhung von vergleichsweise bescheidenen zwei auf drei Millionen Euro musste die – privatwirtschaftliche – ING nach einem Aufschrei in der Öffentlichkeit zurückziehen, jetzt wird gegen Hamers strafrechtlich ermittelt, weil er als CEO die Geldwäsche bei einer Tochterfirma nicht verhindert hat. Nach dieser Logik müsste es weltweit – und besonders in der Schweiz – Strafverfahren gegen sehr viele Bankenchefs geben. Doch ob das im Falle einer Anklage in diesen politisch überkorrekten Zeiten die Investoren besänftigt, ist ungewiss.
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Der eine kommt, der andere will bald gehen: Der Portugiese António Horta-Osório (Bild) löst im Frühjahr bei der CS Urs Rohner ab.
Jordi AdriaAxel Weber hat seinen Abschied bei der UBS fürs nächste Jahr angekündigt. Die CS sieht die geklärte Führungsfrage als Vorteil.
Bloomberg via Getty ImagesDie internen Nachfolgekandidaten müssen mit dem Makel leben, dass der Verwaltungsrat sie beim letzten Auswahlprozess nicht wollte. Immerhin: Die neue Schweiz-Chefin Keller-Busse kann jetzt die Fronterfahrung sammeln, die ihr bislang fehlte. Und der Co-Wealth-Management-Chef Iqbal Khan hat sich in den ersten Monaten bewährt. Ob der extrem starke Kundenmann allerdings die strategische Tiefe hat, gilt im Verwaltungsrat als fraglich.
Die Unruhen beim grossen Rivalen lassen die CS entspannt wirken. Dass bei ihr die Führungsfrage mit der Kür des Portugiesen António Horta-Osório geklärt ist, sieht das Führungsteam klar als Vorteil. Gewiss, der Neue wird sich mit CEO Gottstein finden müssen und beweisen, dass er sich wirklich auf die Rolle des Kontrolleurs zurückziehen kann. Und agiler als die UBS war die CS schon immer, auch hat sie schon früher stärker auf Regionalisierung gesetzt.
Und bei den leidigen Rechtsfällen hat Gottstein mit der Erhöhung der Rückstellungen für die US-Hypothekarfälle um 850 Millionen Franken auch stärker vorgesorgt – der UBS steht die Bewährungsprobe im potenziell deutlich teureren Frankreich-Prozess noch bevor. Gottstein gibt sich selbstbewusst, selbst Akquisitionen seien wieder denkbar, schliesslich habe die Bank da in den letzten Jahren wenig gemacht. «Ziele wären für uns Privatbanken, Fintechs und spezialisierte Asset Manager.»
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Ob damit jedoch der Rückstand zur UBS aufzuholen ist, bleibt fraglich – vor allem in den USA und Asien ist der Primus deutlich voraus. «Im Wealth Management ist die CS deutlich kleiner. Es ist nicht gut, dass sie im grössten Markt der Welt (USA) nicht präsent ist», sagt Tobias Kistler von der St. Galler Kantonalbank. Gottstein signalisiert Offenheit: «Ein Einstieg in den US-Wealth-Management-Markt könnte ein Thema sein, wir schauen das mittel- bis langfristig an unter Einbezug der Regulatoren.» Dass die CS ein Grössenproblem hat, bestreitet er: «Wir haben in den meisten Märkten, wo wir im Wealth Management aktiv sind, eine Top-3-Position.»
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Sein Spielraum ist jedoch enger. «Auf der Kostenseite ist die CS in den letzten Jahren entschlossener vorgegangen als die UBS», sagt Vontobel-Analyst Andreas Venditti. «Heute scheint die Zitrone allerdings ausgepresst.» Gottstein verabschiedet sich denn auch von der radikalen Kostenlogik seines Vorgängers. «Ich halte nichts von absoluten Kostenzielen, man muss das immer dynamisch anschauen.» Thiam hatte genau mit diesen absoluten Zielen die grossen Spareffekte erzielt.
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Bei der UBS dagegen soll der für sein Kostenbewusstsein bekannte Hamers das Aufwand-Ertrags-Verhältnis endlich deutlich senken. Bei seinem ersten Auftritt am 26. Januar meldete er mit 73 Prozent den tiefsten Wert seit 2006, aber da spielten Corona-Einsparungen eine Rolle. Jetzt muss er den Wert dauerhaft tief halten. Und einen riesigen Kostenblock will niemand anfassen: Der Bonuspool von gegen drei Milliarden Franken bleibt bei beiden sakrosankt – trotz trister Aktienperformance.
Bleibt die Frage, ob das Thema Grossfusion wieder aktuell wird. Auf dem Papier ist die Idee zu bestechend, deshalb haben ja beide Präsidenten sie auch verfolgt : Die UBS ist heute Weltmarktführer im Private Banking, aber mit gerade vier Prozent, der passendste Partner residiert nur ein paar Meter entfernt. Im Investmentbanking ergänzen sich beide gut, das Asset Management würde massiv an Statur gewinnen.
Doch die Grössenverhältnisse spielen immer weniger mit. Das vierte Quartal 2020 der UBS war extrem stark. Der adjustierte Vorsteuergewinn lag 50 Prozent über den Konsensschätzungen der Analysten, der Kurs sprang um fast vier Prozent hoch. Für Hamers ist das Fluch und Segen zugleich: Die Zahlen bestätigen das Geschäftsmodell des Marktführers, lindern aber auch den Veränderungsdruck.
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Der Abstand zur CS ist dadurch noch grösser geworden, sodass eine Fusion in noch weitere Ferne gerückt ist: Für einen Merger of Equals sind die Abstände zu gross. Die UBS müsste die CS also übernehmen – doch dieses Blutbad will niemand wirklich. Also macht jeder erst mal für sich weiter. Gottstein sieht es positiv: «Ich bin tendenziell eher für Konkurrenz: Sie beflügelt beide.»
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