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ESG

Nachhaltige Anlagen: Die beste Beratung gibt's von Frauen

Männer dominieren die Finanzwelt – mit einer Ausnahme: dem schnell wachsenden Feld der nachhaltigen Anlagen.

sdf

Frau auf Treppe

FRAUEN IN TOP-JOBS: Nachhaltige Geldanlage ist eine attraktive Karriereleiter für Frauen in der Finanzwelt.

Stocksy

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Bei Familie Mathieu hängt der Haussegen schief. «Warum willst du ein Baumumarmer werden? So wirst du niemals einen Job finden oder Geld verdienen. Es ist eine Katastrophe», regt sich der Vater auf.

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Seine Tochter Eugenie hat soeben verkündet, dass sie ihren gut bezahlten Job als Strategieberaterin bei Bain kündigen und sich am Imperial College in London für den Masterstudiengang Business and Environment einschreiben möchte.

Sie ist überzeugt davon, nicht nur den Wandel zum Wohle des Planeten vorantreiben zu können, sondern in diesem Bereich auch Karriere zu machen. Daher lässt sie sich nicht von ihrem Plan abbringen und beginnt, der ablehnenden Haltung des Vaters zum Trotz, 1999 das Aufbaustudium.

Wenige Wochen später ruft der Vater an und berichtet von neuen Einsichten: «Ich habe einen Artikel in der ‹Financial Times› über Unternehmen und Nachhaltigkeit gelesen. Mit deiner neuen Spezialisierung könntest du tatsächlich doch etwas erreichen, einen Job bekommen und sogar dafür bezahlt werden.»

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So kommt es auch: Nach ihrem Abschluss wird Mathieu eine gefragte Expertin, sie berät internationale Konzerne wie Tesco, L’Oréal und Coca-Cola dabei, ihre sozialen, ethischen und ökologischen Strategien zu entwickeln und umzusetzen.

Der Lebenslauf von Mathieu ist beispielhaft für zahlreiche CVs von Frauen, die sich früh für eine Karriere im Bereich Nachhaltigkeit entschieden haben – nicht selten gegen das Kopfschütteln und Lächeln ihres Umfelds. Die Überzeugung dieser Pionierinnen hat sich ausgezahlt: Heute besetzen sie Spitzenpositionen bei internationalen Unternehmen, allen voran in der Finanzbranche.

Sie sind geschätzte und heiss begehrte Expertinnen. Vor allem Banken besetzen Top-Jobs im Bereich Nachhaltigkeit überwiegend mit Frauen.

Pionierinnen an der Spitze

Die Finanzbranche ist eine Männerdomäne. Der Frauenanteil in Führungspositionen liegt bei etwa 22 Prozent. Im Portfoliomanagement ist die Quote mit 14 Prozent sogar noch tiefer – dieser Wert hat sich in den vergangenen 20 Jahren übrigens kaum verändert. Ganz anders sieht es bei ethischen Investments aus, die neben den traditionellen Renditezielen auch nachhaltige Werte der Investoren umfassen.

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Nachhaltiges Investment galt nicht als Sprungbrett für eine steile Karriere.

Dieser Bereich wurde von Anfang an von Frauen dominiert. Das Kürzel ESG steht für Environmental, Social, Governance (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) und gilt als Oberbegriff für verantwortungsvolle oder nachhaltige Geldanlagen. «Viele Frauen haben sich bereits sehr früh mit nachhaltigen Investments beschäftigt.

In den vergangenen fünf bis zehn Jahren haben sie umfassende Erfahrungen und Fachwissen in diesem Bereich erlangt», sagt Jennifer Wu, Global Head of Sustainable Investing bei J.P. Morgan Asset Management. Daher wären heute viele Mitarbeiterinnen in der Finanzbranche gut positioniert, um attraktive Führungsposten zu übernehmen.

Kein anderes Anlagethema ist in der Finanzindustrie in den vergangenen Jahren so dynamisch gewachsen wie ESG. Das Interesse der Investoren an Umwelt-, Gesellschafts- und Governance-Themen wächst von Jahr zu Jahr und damit der Zufluss in die entsprechenden Anlageprodukte. Allein im vergangenen Jahr verbuchten nachhaltige Fonds und ETFs in Europa Nettomittelzuflüsse in Höhe von 233 Milliarden Euro.

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Das ist fast doppelt so viel wie noch 2019. Das gleiche Bild zeigt sich in den USA: In den letzten zwei Jahren sind die nachhaltig investierten Vermögen um 42 Prozent gewachsen, laut der US-Stiftung SIF (Forum for Sustainable and Responsible Investing) wird rund ein Drittel der Vermögen in den USA, die professionell verwaltet werden, nachhaltig investiert.

Frauen an der Spitze

vivianbirch.com
Eugenie Mathieu
Janicke Scheele
Rachel Whittaker
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JENNIFER WU: Als Global Head of Sustainable Investing ist Wu für die firmenweite Nachhaltigkeitsstrategie von J.P. Morgan Asset Management verantwortlich.

PD

Banken und Vermögensverwaltungen schreiben sich ESG-Standards auf die Fahne und versuchen sich im zunehmenden Wettbewerb rund um das Thema Nachhaltigkeit zu überbieten. Das war nicht immer so. Als das Socially Responsible Investing (SRI) noch in den Kinderschuhen steckte, galt es als Nischenthema, als eine Spielwiese für Anleger mit besonderem Interesse an Umweltschutz oder Menschenrechten.

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Viele Jahre stand das Thema weit unten auf der Tagesordnung und wurde als kostspielige Nebenbeschäftigung angesehen. Ähnlich stand es um das Ansehen der Mitarbeitenden, die sich in der Finanzbranche mit Nachhaltigkeit befassten. SRI-Experten waren in der Hierarchie der Banken selten sehr weit oben angesiedelt.

Für ambitionierte Mitarbeiter waren es wenig verlockende Posten, die daher gerne an Frauen vergeben wurden – die Jobs waren zwar wichtig, aber undankbar. Frauen übernahmen diese wenig prestigeträchtigen Aufgaben trotzdem. Da es sich um ein junges Feld der Finanzbranche handelte, war es eine gute Gelegenheit für Anfängerinnen, sich hier zu etablieren und schnell einen Expertenstatus zu erlangen.

Typischerweise waren die Hindernisse für den Eintritt und den beruflichen Aufstieg in diesem neuen Marktsegment für Frauen vergleichsweise niedrig. Auf diese Weise gelangten Mitarbeiterinnen in immer verantwortungsvollere Positionen, ein Weg, der für Frauen sonst steiniger ist. Gleichzeitig galt dieses Segment aber nicht als Sprungbrett für eine steile Karriere – rückblickend eine Fehleinschätzung.

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Heute zählen Nachhaltigkeitsexperten zu den wichtigsten Köpfen in der Finanzbranche, sie leiten grosse Teams, verwalten riesige Vermögen und haben einen festen Sitz in den Investmentausschüssen.

Bessere Karrierechancen

«Vor zehn Jahren wussten Banken und Fondsgesellschaften noch wenig über ESG, daher haben auch nur wenige Mitarbeiter daran gearbeitet. Heute spielt Nachhaltigkeit bei der Geldanlage eine grosse Rolle, entsprechend höher ist auch der Status der ESG-Experten», sagt Janicke Scheele, Leiterin des Responsible-Investment-Teams bei DNB Asset Management.

Der Stellenwert der ESG-Fachleute hat sich in den vergangenen Jahren grundsätzlich verschoben. «Besonders bemerkenswert finde ich, dass während der Finanzkrise 2008 viele Finanzinstitute ihre Aktivitäten im Nachhaltigkeitsbereich gekürzt haben», so Rachel Whittaker, die neue Leiterin des Sustainable-Investment-Research-Teams bei Robeco.

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«Zuletzt während der Corona-Pandemie und der Wirtschaftskrise wurde der Status der ESG-Teams hingegen gestärkt. Das zeigt, wie sich die Prioritäten geändert haben.»

Keine Bank kann es sich noch leisten, das Thema Nachhaltigkeit zu ignorieren – selbst wenn sie nicht an die Wertsteigerung dieses Anlagebereichs glaubt. Die Kundennachfrage und die Entwicklung der Regulierungen in einigen Regionen erfordern, dass jeder in der Finanzbranche dem Thema Aufmerksamkeit schenkt und daran arbeitet.

Seit ESG zum Mainstream zählt, sind auch die Jobs in der Hierarchie höher angesiedelt. Die Positionen und Karrierewege haben ein deutlich besseres Ansehen, denn die Chancen für Karriere- und Gehaltssprünge für Mitarbeitende mit Nachhaltigkeits-Hintergrund – darunter eine Vielzahl von Frauen – haben sich klar verbessert.

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Die Nachfrage nach Fondsmanagern mit ESG-Hintergrund ist exponentiell gestiegen.

Heute können Fachpersonen mit Erfahrung im Bereich ESG ebenso attraktive Karrieren erzielen, wie es früher nur in den traditionellen Bereichen der Bank möglich war.

Anders als in anderen Segmenten der Finanzbranche gibt es bei nachhaltigen Investments zahlreiche weibliche Vorbilder. Das ist ein wichtiger Faktor, um Mitarbeiterinnen zu einer Karriere in der Finanzwelt zu ermutigen.

«Für junge, talentierte Frauen in der Finanzbranche ist es sehr motivierend zu sehen, dass das ESG-Investing ein Feld ist, in dem es viele erfolgreiche Frauen gibt», sagt Jennifer Wu, die seit fast drei Jahren für die ESG-Strategie von J.P. Morgan Asset Management und den Aufbau einer nachhaltigen Anlageplattform verantwortlich ist.

«In der Anfangszeit von ESG und dem nachhaltigen Investieren bemerkte ich oft, dass dort sehr viele Frauen arbeiten. Während man sonst bei traditionellen Investmentmeetings und Konferenzen hauptsächlich Männer antrifft, lag der Frauenanteil bei ESG-Anlässen bei mindestens 50 Prozent.

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Bei Podiumsdiskussionen waren Frauen nicht selten in der Überzahl», erinnert sich Mary Jane McQuillen, Leiterin ESG Investments bei ClearBridge Investments, einem Teil des US-Vermögensverwalters Franklin Templeton.

Kampf um ESG-Experten

Diese Erfahrung machten viele der ESG-Pionierinnen. «Als ich zu Beginn meiner Karriere als Fondsmanagerin arbeitete, war ich immer die einzige Frau in dieser Rolle», erinnert sich Scheele von DNB Asset Management. «2015 wechselte ich dann in den Bereich der nachhaltigen Investments und war plötzlich vor allem von Frauen umgeben.»

In den vergangenen Jahren befänden sich aber mehr und mehr Männer in ihrer Umgebung, seit ESG innerhalb des Asset Managements massiv an Bedeutung gewonnen habe.

Boom-Business: Jährliche Zuflüsse in ESG-Fonds in Europa

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Morningstar Direct, Daten per 31.12.2020
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Morningstar Direct, Daten per 31.12.2020

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Aufgrund der grösseren Bedeutung ist der Bedarf an leitenden Mitarbeitenden bei den Banken gross. Heute wird in der Branche regelrecht um ESG-Experten gekämpft. So werden beispielsweise Fondsmanager mit Expertise in ESG händeringend gesucht.

«Die Nachfrage nach Portfoliomanagern mit ESG-Fachkenntnissen ist in den letzten Jahren exponentiell gewachsen», sagt Mary Jane McQuillen, die seit 1996 ESG-Programme für Asset Manager verantwortet. «Als ich anfing, waren ESG-Produkte oder nachhaltiges Investieren noch eine Seltenheit, heute bereits Mainstream.

Experten jeder Art auf diesem Gebiet – Analysten, Fondsmanager, Klimawissenschaftler, Compliance- oder Datenfachleute – sind sehr gefragt.»

Während noch vor wenigen Jahren von vielen Investoren angezweifelt wurde, ob man gesellschaftliche Themen methodisch in Anlagestrategien integrieren könne, sei das heute fast schon eine Selbstverständlichkeit, meint McQuillen, die selbst auch eine erfolgreiche Portfoliomanagerin ist.

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Das Interesse von Männern an diesen Themen nimmt zu, und so entsteht hier ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Dies spiegelt zum einen die wachsende Popularität und die besseren Karrierechancen, zum anderen auch einen Generationenwechsel.

Nachhaltige Geldanlage ist heute kein flauschiges, feminines Thema mehr, sondern ein dringendes Problem, das man angehen muss. Für jüngere Menschen ist es heute wichtiger, dass ihr Beruf einen positiven Einfluss hat, als dies noch für ältere Generationen galt.

«Es ist heute einfacher, Leute zu finden, die im Bereich der nachhaltigen Anlagen arbeiten wollen. Schwieriger ist es hingegen, diejenigen zu finden, die auch eine fundierte Erfahrung mitbringen», sagt Whittaker von Robeco.

Bei den Bewerbungen, die sie regelmässig auf Stellenausschreibungen ihrer Teams zu sehen bekommt, ist das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Bewerbern inzwischen ausgeglichen. Allerdings sei es deutlich einfacher, eine Frau mit umfassender Erfahrung im nachhaltigen Investieren zu finden als einen Mann mit vergleichbarer Expertise.

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Es wird zukünftig wohl so sein, dass Frauen gemischte Teams mit einem wachsenden Männeranteil führen werden.

Die Wegbereiterinnen

Viele Frauen haben nachhaltiges Investieren in der frühen Phase als vielversprechenden Trend erkannt. Sowohl als Expertinnen in der Finanzbranche als auch als Anlegerinnen. Investorinnen zeigen bis heute eine grössere Affinität zu dem Thema als Investoren.

Eine Umfrage des US-Vermögensverwalters RBC Wealth Management ergab, dass 74 Prozent der Frauen daran interessiert sind, den Anteil der ESG-Investitionen in ihren Portfolios zu erhöhen, und dass Frauen deutlich häufiger als Männer mehr über die Einbindung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren bei Investitionen erfahren wollen.

Grundsätzlich nehmen Frauen nicht nur in der Finanzbranche, sondern auch in Unternehmen eine starke Rolle bei Aufgaben rund um ethische und nachhaltige Themen ein.

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Eugenie Mathieu arbeitet nun seit fast vier Jahren als Senior-ESG-Analystin bei Aviva Investors, zudem ist sie Mitglied im Rat für nachhaltiges Wirtschaften, der das britische Umweltministerium berät. Noch nie wurde sie so oft von Headhuntern angerufen wie in den vergangenen Jahren.

«Für mich ist es sehr befriedigend, eine so grosse Nachfrage nach Nachhaltigkeitsexpertise zu sehen. Als ich im Jahr 2000 in diesem Bereich anfing, dachten viele Menschen um mich herum, ich würde einen grossen Fehler machen – sie hatten unrecht.»

Über die Autoren
sdf

Anne-Barbara Luft

Anne-Barbara Luft

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