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Impfstoffe gibt es, doch Medikamente gegen Covid-19 fehlen weitgehend. Wie das Biotech-Start-up Molecular Partners aus Schlieren das ändern will.
«Wir sind Kämpfer»: Patrick Amstutz, Mitgründer und CEO von Molecular Partners vor dem Firmensitz in Schlieren.
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Wenn sich Patrick Amstutz erholen will, geht er gerne raus in die Natur – am liebsten zum Fischen im Zürichsee. «Ich fange fast nie was», sagt er schmunzelnd, «aber wenn, sind es immer richtig grosse Fische.» Gut möglich, dass dem 45-jährigen Molekularbiologen bald der Fang seines Lebens gelingen könnte – ein Medikament gegen Covid-19.
Das von ihm mitgegründete Biotech-Start-up Molecular Partners hat einen Wirkstoff gegen das Virus entwickelt, auf Basis einer von ihm und Mitstudenten an der Uni Zürich vor rund zwanzig Jahren entwickelten Technologie, welche die Firma bisher vor allem für die Entwicklung von Krebsmedikamenten und Augenheilmitteln verwendete. DARPins heissen die winzigen Teilchen. Es sind künstliche Proteine, die wie eine Mischung aus Antikörpern wirken – sie blockieren jene Teile des Virus, die entscheidend für das Eindringen in die menschliche Zelle sind.
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Für die Schweizer Regierung ist das erst 2004 gegründete Start-up mit seinen gerade mal 150 Mitarbeitern derzeit einer der bevorzugten Partner im Kampf gegen Covid-19. Bereits im August hat sich der Bund vertraglich 3,2 Millionen Dosen des Therapeutikums gesichert; bisher ein Unikum – die anderen Vorbestellungen des Bundes in Sachen Covid-19 beziehen sich nicht auf Medikamente, sondern auf Impfstoffe, etwa die Vakzine von Moderna oder Biontech/Pfizer.
Derzeit ist die Entwicklung in der heissen Phase, dementsprechend hoch ist die Angespanntheit bei Amstutz und seinem Team. Um die Laborarbeiten nicht durch Quarantänefälle unter den Mitarbeitern zu gefährden, lässt der CEO niemanden von aussen ins Gebäude, auch die Fotos für BILANZ müssen draussen an der frischen Luft gemacht werden.
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Von Anfang an gab es in der Entwicklung ermutigende Resultate. Sowohl im Reagenzglas wie auch in Tierversuchen zeigte sich die erhoffte Wirkung. In einer grossen Studie, die ein dafür spezialisiertes Labor in Berlin erstellte, wurden Hamster mit Covid-19 infiziert. Sämtliche Hamster, denen dann der Wirkstoff injiziert wurde, überlebten, während 83 Prozent der Tiere, die nur ein Placebo bekamen, starben. «Selbst Hamster in späten Phasen, die schwer erkrankt waren, erholten sich nach der Verabreichung unseres Wirkstoffes wieder», sagt Amstutz.
Seit November wird MP0420, inzwischen Ensovibep getauft, an Menschen getestet. In der jetzigen klinischen Phase I wird es gesunden Freiwilligen abgegeben. Gemäss Firmenangaben wird das Mittel bisher gut vertragen. Im zweiten Quartal soll dann die nächste Stufe mit 400 bis 700 Teilnehmern starten. «Unser Ziel ist es, im Oktober parat zu sein», sagt Amstutz. Klappt es mit einer Notfall-Zulassung, könnte das Medikament schon Ende Herbst zur Verfügung stehen.
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Die erfreuliche Entwicklung ist aber noch kein Garant dafür, dass das Produkt schlussendlich wirklich Marktreife erlangen wird. Dass Wirkstoffe sogar im fortgeschrittenem Stadium noch scheitern, kommt in der Pharmaindustrie häufig vor. Man hält bei Molecular Partners also den Atem an, vor allem weil man selber solches schon erlebt hat – ein vielversprechendes Augenmedikament erhielt letzten Sommer keine Zulassung von der amerikanischen Zulassungsstelle FDA, weil in der Kosten-Nutzen-Bewertung die Risiken höher gewichtet wurden – ein herber Rückschlag für das Team. «Wir haben uns nicht entmutigen lassen und umso mehr Effort in unsere anderen Wirkstoffen gesteckt», sagt Amstutz, «wir sind Kämpfer.»
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Dass dieser Effort derzeit vor allem einer Viruserkrankung gilt, war nicht geplant gewesen. Im März vor einem Jahr war es, Amstutz und sein Team waren in Boston für einen Kongress, als Covid-19 schlagartig ins Bewusstsein der Wissenschaftler drang. Denn just in jenen Tagen machte ein Superspreader-Ausbruch in Boston Schlagzeilen. Zudem zeigten die Medien die Bilder aus Italien mit den Toten, die in Lastwagen abtransportiert wurden. «Das Thema rüttelte uns auf. Und wir fragten uns, ob unsere therapeutische Plattform vielleicht auch für diese Krankheit taugen könnte», erinnert sich Amstutz.
Ein Mann liess nicht mehr locker: Marcel Walser, Teamleiter in der Forschung. Walser habe ihn mit Telefonanrufen regelrecht bombardiert und die Idee gepusht. Auch Amstutz fing rasch Feuer. Zugute kam der Sache, dass Molecular Partners damals einen Mann im Verwaltungsrat hatte, der das Thema bestens kennt: Bill Lee, Forschungsleiter der US-Firma Gilead, einer der ganz grossen Player in der Entwicklung von Medikamenten, vor allem auch gegen Viren. Auch Bill Lee ermutigte Amstutz, das Vorhaben zu starten. Marcel Walser schrieb eine Mail an alle Mitarbeiter, ob es Leute gebe, die mitmachen wollten – erhebliche Mehrarbeit inklusive. 30 Mitarbeitende sagten spontan zu.
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Im relativ neuen Gebiet brauchte man Partner, und so schloss man Kooperationen mit der Universität Utrecht, wo seit vielen Jahren an Coronaviren geforscht wird, sowie dem Hochsicherheitslabor in Spiez, vor allem in der Frage, wie das hochgefährliche Virus gehandhabt werden soll. Der Parforce-Kurs zeigte Wirkung: «In nur sechs Wochen hatten wir einen multispezifischen Wirkstoff», so Amstutz.
William Burns: Der ehemalige Pharmachef von Roche amtet seit 2019 als Präsident von Molecular Partners.
ZVGLutz Hegemann: Der Topmann von Novartis ist das Bindeglied zwischen Start-up und Produktionspartner.
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Für die Herstellung der DARPins braucht es einen Fermentierungsprozess, und der kostet. Zusätzliche Partner wurden gesucht – und Amstutz wandte sich an die Covid-19-Task-Force im Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Im April waren wir in Bern, um das Projekt vorzustellen», so Amstutz. Im BAG machte man sich über das Verfahren kundig. Offenbar mit gutem Ergebnis – die schätzungsweise rund sieben Millionen Franken aus dem Vertrag erlaubten es, den Entwicklungsprozess fortzuführen.
Bald zeichnete sich ab, dass das Geld vom Bund nicht genügen würde – ein grosser Partner musste her. Amstutz fand seinen Gegenpart in Vas Narasimhan, dem CEO von Novartis. Der ermöglichte den Quantensprung: Im Oktober schoss Novartis 60 Millionen ein, 40 Millionen davon via Kauf von Aktien, was den Basler Konzern mit rund 6 Prozent auf einen Schlag zu einem der zehn grössten Teilhaber machte. Im Rahmen der bei solchen Investments üblichen Milestone-Zahlungen wurde auch vereinbart, dass weitere 150 Millionen Franken von Novartis fällig werden, sollten die finalen Daten die Tauglichkeit des Produkts nachweisen.
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Mit dem Konzern aus Basel hatte das Start-up aus Schlieren nun auch einen Partner zur Seite, der fundierte Erfahrung mit klinischen Studien, ein breites Netz von Produktionsanlagen und ein weltweites Vertriebsnetz bieten konnte: «Die Kernkompetenzen von Molecular Partners und Novartis ergänzen sich fast idealtypisch», sagt Lutz Hegemann, operativer Leiter Global Health von Novartis. Für Novartis sei das Engagement zudem Teil der generellen Strategie in Sachen Covid-19 des Konzerns: «Wir sehen es auch als Beitrag im weltweiten Kampf gegen die Pandemie.» Die Vorbereitung für die Massenproduktion des Wirkstoffs laufe auf Hochtouren, so Hegemann. Wo produziert werden soll – ob in der Schweiz oder im Ausland –, sei noch nicht bestimmt.
Auch zu Roche, dem anderen grossen Basler Konzern, gibt es einen Bezug. Verwaltungsratspräsident von Molecular Partners ist seit 2019 ein Schwergewicht der Branche: William Burns, der von 2001 bis 2009 für die Pharmasparte von Roche zuständig war. Burns sieht ausgezeichnete Chancen für das Covid-19-Therapeutikum. Zwar stimme es, dass viele Studien auch in späten Phasen noch scheitern, aber positiv sei, dass bei Viren die Erkenntnisse aus den Tierversuchen direkter auch auf den Menschen anwendbar seien als etwa bei Krebs oder Autoimmunkrankheiten: «Die Daten aus den Tierversuchen sind daher aussagekräftiger.» Burns sieht das sich in Entwicklung befindliche Mittel als «wichtige Ergänzung zu einem Impfstoff». Die hohe Wirksamkeit, welche die bisherigen Ergebnisse zeigten, stimme zudem zuversichtlich, nicht nur die einmal ausgebrochene Krankheit zu bekämpfen, sondern auch damit verbundene Ansteckungen zu verhindern.
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Patrick Amstutz: Selbst in späteren Entwicklungsphasen können Wirkstoffkandidaten noch scheitern.
Phil Müller für BilanzPatrick Amstutz: Selbst in späteren Entwicklungsphasen können Wirkstoffkandidaten noch scheitern.
Phil Müller für BilanzDas System, mit dem die DARPins das Virus blockieren, ist im Grunde simpel – wie eine Art winzige Knetstücke heften sie sich auf der Oberfläche des Spike-Proteins fest (das ist jenes Protein, das dem Coronavirus sein typisches Aussehen gibt) und blockieren so das Andocken an die Zelle. Um die Wirksamkeit zu erhöhen, schickt das Medikament gleich mehrere DARPins los, um an unterschiedlichen Stellen des Spike-Proteins anzudocken. Dies ist auch wichtig, um der Mutationen Herr zu werden. Der Ansatz verspricht bei den neuen Formen zu wirken - zumindest ist die Wahrscheinlichkeit höher als bei einzelnen Antikörpern oder nur einem DARPin.
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Das Therapeutikum kann nicht nur bei bestehender Infektion eingesetzt werden, sondern auch prophylaktisch, also um eine Infektion zu verhindern. Doch braucht es all das überhaupt noch, jetzt, da die grossen Impfkampagnen starten, mit denen dem Virus der Garaus gemacht werden soll? «Wir sehen uns nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu den Impfstoffen», betont auch Amstutz. Der Nachteil eines Impfstoffs im Vergleich zu einem Medikament sei, dass man den Impfstoff einem Gesunden verabreiche, ein Medikament aber einem Erkrankten. Es gebe zudem grundsätzliche Impfskeptiker und auch Leute, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, etwa wegen eines geschwächten Immunsystems oder Allergien. Da könne Ensovibep eine wichtige Rolle spielen.
Molecular Partners ist nicht der einzige Medikamenten-Entwickler, der das Virus jagt – das Rennen läuft weltweit. Bisher allerdings mit eher bescheidenem Ergebnis. Rund ein Dutzend Medikamente kommen derzeit spezifisch gegen Covid-19 zum Einsatz. Da ist etwa Remdesivir von Gilead, ein Wirkstoff, der ursprünglich gegen das Ebola-Virus entwickelt wurde. Bekannt wurde es, weil Donald Trump bei seiner Corona-Erkrankung damit zusätzlich behandelt wurde. Doch das Medikament überzeugt nur teilweise – zwar wird damit die Erkrankungszeit verkürzt, aber ein Rückgang der Mortalität ist nicht eindeutig nachweisbar. Dann gibt es Stoffe, die auf künstliche Kopien von Antikörpern setzen wie der von Regeneron (auch den bekam Trump) oder Etesevimab von Eli Lilly. Die künstlichen Antikörper wirken tatsächlich, und beide Firmen haben Notfallzulassungen erhalten. Sorgen bereiten den Forschern bei den Medikamenten dieser Kategorie aber die Mutationen des Virus. So soll laut Forschungsberichten bei der sich derzeit ausbreitenden südafrikanischen Variante die Neutralisation mit Etesevimab von Eli Lilly um über 70 Prozent tiefer liegen als bei den ursprünglichen Virenvarianten. Von anderen Stoffen, auf die man ganz zu Beginn der Pandemie noch Hoffnungen setzte, wie das Malariamittel Hydroxychloroquin, ist man inzwischen abgekommen – Studien haben gezeigt, dass diese Wirkstoffe nicht gegen Covid-19 helfen. Für das Therapeutikum von Molecular Partners ist also noch genug Platz. «Wir sind nicht die Ersten, vielleicht aber dann die Letzten, die noch stehen», sagt Amstutz.
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Die den DARPins zugrunde liegende Technik erarbeiteten Amstutz und seine Mitstreiter schon in Uni-Zeiten. Einzelne wie Michael Stumpp, heute COO, sind immer noch dabei. 2004 wagten die jungen Forscher den Schritt in die Selbstständigkeit und gründeten Molecular Partners als Spin-off der Uni Zürich. Die ersten drei Jahre seien hart gewesen, erinnert sich Amstutz. Man zahlte sich wenig Lohn und arbeitete fast rund um die Uhr. 2007 gab es die erste Finanzierungsrunde, die etwas Druck von der Firma nahm. Später kamen vor allem amerikanische Venture-Gesellschaften und Biotech-Investoren dazu. Weitere prominente Investoren wie der Schweizer Milliardär Hansjörg Wyss brachten sich ein.
«Ausgezeichnete Chancen»: In nur wenigen Monaten hat die Biotech-Firma einen Wirkstoff gegen Covid-19 entwickelt.
ZVGTeure Dosis: Das Medikament wird intravenös verabreicht. Kostenpunkt: 1000 bis 2000 Franken pro Injektion.
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CEO war bis 2016 Mitgründer Christian Zahnd. Doch er starb an einem Hirntumor. Amstutz sprang in die Lücke. Seither ist die Freizeit für den verheirateten Vater einer siebenjährigen Tochter noch spärlicher. Er nutzt sie nebst dem Fischen auch mit Wandern und Skitourengehen – «Hauptsache, draussen». Finanziell sieht es inzwischen besser aus als in den frühen Start-up-Jahren. Amstutz und die Gründer halten zusammen heute zwischen 10 und 12 Prozent, Amstutz allein etwas unter 3 Prozent. Angesichts des Börsenwerts der Firma ist sein Anteil also rund 15 Millionen Franken wert.
Als Kursrakete gilt die Aktie aber nicht – im Gegensatz zu Impfstoff-Start-ups wie Moderna. Nur 4,6 Prozent konnte die Molecular-Partners-Aktie seit Anfang Jahr zulegen. Vor 52 Wochen lag die Aktie sogar um rund vier Prozent höher als heute (Stand 26. Januar). Analysten erklären die verhaltene Entwicklung vor allem mit dem Scheitern des Augenmedikaments im letzten Sommer – Molecular Partners hat damit an der Börse viel Vertrauen eingebüsst.
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So gesehen war der Corona-Ausbruch zumindest unternehmerisch gesehen für die Firma auch ein Glücksfall, bietet er doch die Chance, die Delle wieder wettzumachen. «Wir gehören zu den Corona-Gewinnern», räumt Amstutz ein. Noch offen ist die Frage, wie viel der Patient dereinst für das Medikament bezahlen muss. Absehbar aber ist: Es wird teuer werden, sehr teuer. Experten gehen von einem Preis von 1000 bis 2000 Franken pro Injektion aus. Das Medikament wird zunächst intravenös verabreicht, idealerweise wird es in einer weiteren Verabreichungsform subkutan gespritzt werden. Der Vorteil: Es ermöglicht die unkomplizierte Verabreichung beim Hausarzt, etwa unmittelbar im Anschluss an ein positives Testergebnis. Nebenwirkungen sind bist jetzt nicht aufgetaucht, aber auch da ist es für ein endgültiges Urteil noch zu früh und müssen die Resultate der klinischen Phasen abgewartet werden.
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Parallel zu den Covid-19-Medikamenten führt Molecular Partners auch ihre Forschungen für Medikamente gegen Krebs weiter, ein Mittel gegen Knochenkrebs ist heute bereits in der klinischen Stufe II (siehe Tabelle «Gut gefüllte Pipeline» auf Seite 61). Klar ist aber, dass die Biotech-Firma erst durch Covid-19 in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt ist. Umso wichtiger für die Zukunft der Firma wird es sein, mit dem Medikament einen Treffer zu landen.
Wie geht Amstutz mit dem Erwartungsdruck um? «Entspannt», sagt er. Mit den neuen Investoren und der Kapitalerhöhung vom letzten Jahr sei man jetzt bis mindestens 2023 finanziert, habe also auch den nötigen unternehmerischen Spielraum. Covid-19 habe auch bei seiner Firma zu einem weiteren Innovationsschub geführt, die Firma wächst, was ihn, aber auch die Mitarbeitenden beflügle. «Es sind», sagt Amstutz, «für einen Unternehmer spannende Zeiten.»
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