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Ursula Nold ist gefordert wie nie. Die Entmachtung der MGB-Zentrale steht bevor, die Supermärkte sollen in einer neuen Einheit gebündelt werden.
Bastian Heiniger
BALANCEAKT Migros-Präsidentin Ursula Nold muss im Machtkampf zwischen der Zentrale und den regionalen Genossenschaften schlichten.
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Als Ursula Nold im März 2019 zur Wahl schritt, war das kein Gang der Bescheidenheit. Es war eine Inthronisierung. So erzählt es eine Person, die dabei war. Hellblauer Hosenanzug, perfekt sitzende Frisur, Siegerlächeln, absolutes Selbstvertrauen. Erst eröffnete sie als Präsidentin der Delegiertenversammlung die Sitzung, trat dann in den Ausstand und kam als neue Migros-Präsidentin aus der Sitzung heraus. «Sie zog das eiskalt durch.»
Es ist ein gigantischer Aufstieg: von der höchsten Vertreterin der Kunden zur Vorsitzenden des höchsten unternehmerischen Organs im Konzern, der Verwaltung des Migros-Genossenschafts-Bunds (MGB). Auf einen Schlag stand sie damit aber auch einem Gremium vor, dessen Wahlausschuss mit Jeannine Pilloud eigentlich eine andere Person vorgeschlagen hatte. Doch die Delegierten wollten «ihre» Präsidentin im Zürcher Migros-Turm sehen und wählten Nold. Eine, die Duttis Werte hochhalten soll. Durchgesetzt hatte sie sich für das mit 420'000 Franken dotierte 50-Prozent-Amt als wilde Kandidatin gegen die ehemalige SBB-Managerin Pilloud, die man im Zimmer, wo sie aufs Wahlergebnis wartete, länger als nötig sitzen liess. Im ganzen Trubel ging sie schlicht vergessen.
Drei Jahre später brodelt es im Konzern. Die Inflation frisst die Margen, mit dem wiedererweckten Einkaufstourismus wandert Kaufkraft ab, und Konsumenten bevorzugen vermehrt kleinere Läden statt der grossen Supermärkte, wie sie Migros betreibt – laut einem Insider ist das Kerngeschäft dramatisch abgestürzt, acht von zehn Genossenschaften würden rote Zahlen schreiben. Obendrein kommt Digitec Galaxus in Deutschland kaum voran, gemäss «K-Tipp» hat Coop inzwischen einen günstigeren Warenkorb, laut «SonntagsBlick» ruft Migros im Vergleich mit anderen Detailhändlern am meisten Produkte zurück. Und die «grösste Innovation in der Unternehmensgeschichte» droht sich als Flop zu erweisen.
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Selbst einige Migros-Grössen zweifeln am Erfolg der kompostierbaren Kaffee-Bälle. Ein Debakel auch die Alkohol-Abstimmung: Konzernchef Zumbrunnen äusserte sich erst gar nicht dazu, Nold hingegen weibelte für eine Annahme – und lag ziemlich daneben. «Würde der Bundesrat eine Wahl derart stark verlieren, gäbe es einen Aufschrei», sagt ein ehemaliger Migros-Kader.
BIERIDEE Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen sagte nichts dazu, während sich Nold für ein Ja zum Alkohol-Verkauf einsetzte.
keystone-sda.chBIERIDEE Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen sagte nichts dazu, während sich Nold für ein Ja zum Alkohol-Verkauf einsetzte.
keystone-sda.chZumbrunnen muss nun das Schiff verlassen, nach 26 Jahren im Konzern. Er wollte die Genossenschaften enger zusammenbringen und effizienter machen. Gemäss einem Migros-Kenner hätte es ein Optimierungspotenzial von bis zu einer Milliarde Franken gegeben. Doch am Schluss wurde Zumbrunnen kaum noch ernst genommen, und auch das Verhältnis zu Nold erkaltete zusehends.
Die Migros zu führen, ist anspruchsvoll und undankbar. Denn faktisch haben die zehn Genossenschaften mit ihren regionalen Geschäftsführern und Verwaltungspräsidenten das Sagen. Jede Genossenschaft schickt einen Vertreter in die MGB-Verwaltung, die Zentrale in Zürich. Dem Vernehmen nach wurde dort eine konsultative Abstimmung aufgesetzt, in der über Zumbrunnen befunden wurde. Das Ergebnis war klar: Der feingeistige Mann aus La Chaux-de-Fonds hatte den Rückhalt verloren. Zumbrunnen blieb also kaum etwas anderes übrig, als zu kündigen.
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Es gibt Quellen, wonach Nold damit den Druck von sich habe nehmen wollen. Von anderen Insidern lässt sich dies jedoch nicht bestätigen. Sicherlich aber hat sie Zumbrunnen nicht mehr den Rücken gestärkt. Bereits vor ihm hatte Sarah Kreienbühl gekündigt. Die Chefin des Departements HR, Kommunikation, Kultur und Freizeit gilt als eine seiner engsten Mitarbeiterinnen. Sie hat im Frühling ein Angebot des Logistikriesen Kühne+Nagel erhalten und angenommen. Auch ihr direkter Untergebener, Personalchef Reto Parolini, kündigte auf Ende Januar. Es dürfte nicht die letzte Kündigung sein.
Die Abgänge stehen alle im Licht der anstehenden Transformation. Die Genossenschaften wollen den MGB entmachten. Zumbrunnen stemmte sich dagegen und verlor den Machtkampf. Dem Romand wird zwar analytische Stärke attestiert, er ist aber keiner, der Allianzen schmiedet. Vor allem sei er in der Migros schlicht zu wenig präsent gewesen, wie zu hören ist. Genau das wäre aber nötig gewesen. Denn hinter den Kulissen bahnt sich in der Migros eine Revolution an.
Wie BILANZ von mehreren voneinander unabhängigen Quellen erfahren hat, sollen die Supermärkte aus dem MGB ausgegliedert und in einer neuen Einheit vereint werden. Angedacht ist eine Aktiengesellschaft, eine Supermarkt AG; wobei die Rechtsform letztlich nicht entscheidend sei. Am Samstag, 19. November, veröffentlichte BILANZ via Onlinekanal bereits einen Teil der Recherche, weil «CH Media» ebenfalls von dem geheimen Migros-Projekt erfahren hatte. Am Montag darauf erhielten die Migros-Mitarbeiter im Intranet eine Erklärung dazu: «Die Verwaltung der zehn regionalen Genossenschaften sowie des Migros-Genossenschafts-Bundes haben einstimmig entschieden, ein Projekt zu starten mit dem Ziel, das Supermarktgeschäft der Migros zu vereinfachen und effektiver zu organisieren.»
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Offenbar hat man sich Migros-intern inzwischen geeinigt. Davor soll es jedoch starken Widerstand vom MGB gegeben haben, der rund 90 Prozent des Einkaufs verantwortet und in der Werbung federführend ist. Er soll in die Rolle des reinen Dienstleisters zurückgedrängt werden. «Wir könnten viele Doppelspurigkeiten verhindern», erklärt eine involvierte Kaderperson. Das Problem der Migros ist vor allem die komplexe Kostenstruktur mit MGB einerseits und den zehn Genossenschaften andererseits. Jede Genossenschaft betreibt eine eigene Logistik und hat eigene Abteilungen für Finanzen, Marketing, HR und teils IT. Das mindert die Effizienz und drückt auf die Margen. «Es wird immer schwieriger zu argumentieren, dass die ganzen Overheads in den Regionen so weiterbestehen sollen», sagt eine andere Person aus dem Management. «Die Schweiz ist zu klein, um sich mehrere Mikroregionen zu leisten.»
Die Macht liegt bei den zehn Genossenschaften.
Im Machtkampf haben sich nun die Regionen durchgesetzt. In der Intranet-Nachricht heisst es, dass die regionalen Präsidenten Auftraggeber des Projekts seien, was sich mit den Recherchen deckt. Das Projekt läuft inzwischen unter dem Namen «Fit pour le Futur» und stammt ursprünglich nicht aus dem MGB. Zwar hatte Nold laut einer Quelle bereits früher ein gleichnamiges Massnahmenpaket angestossen. Ziel war es, Varianten auszuarbeiten, wie sich die Migros in Zukunft entwickeln könnte. Sie ist jedoch im Frühling 2022 damit gescheitert: Es hätte den MGB als Besitzer der Genossenschaften zementiert.
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Denn gemäss einem Gutachten, das auf Nold-Vorgänger Andrea Broggini zurückgeht, sei eigentlich das Umgekehrte der Fall: Die Genossenschaften besitzen den MGB. Von ihnen wurde er 1941 gegründet. Der Plan zur Bündelung der Supermärkte wurde Mitte 2020 als Erstes von einer regionalen Genossenschaft angestossen, die das Papier zusammen mit McKinsey erarbeitet hatte. Bald einmal sprangen alle mächtigen Genossenschaften auf. Zürich, Aare, Ostschweiz, Luzern und auch kleinere, wie die Tessiner, treiben nun das Projekt gemeinsam voran.
Wie zu hören ist, tat sich lange Neuenburg-Freiburg schwer damit. Dem Vernehmen nach hat nun auch Nold als oberste Konzernstrategin eingelenkt. Darauf deutet auch der Namenswechsel zu «Fit pour le Futur» hin. Als Geheimprojekt trug es in den Anfängen noch Namen wie «Oranges Feuer» oder «New M». Inzwischen habe Nold gesehen, dass sich die Pläne kaum verhindern liessen, sagt eine Kaderperson. Aufgrund der schwierigen Geschäftsentwicklung sei allen klar, dass sich etwas ändern muss. «Nold könnte am Schluss sogar als jene Präsidentin dastehen, die den Konzern reformiert und den gordischen Knoten löst», sagt ein Regional-Präsident.
Wie sich die Migros reformieren könnte, ist eine Frage, die seit Jahren auch die Medien stark beschäftigt. In unzähligen Artikeln ist zu lesen, dass man die Strukturen nicht anpassen könne. Zumindest nicht so, wie das Coop 2001 gelungen ist, als sich die 15 Genossenschaften zusammenschlossen. Die Konkurrentin aus Basel hat Migros umsatzmässig inzwischen überholt. Eine Einheitsgenossenschaft wird es bei der Migros jedoch nicht geben. Gegen solche Pläne war der Widerstand zu gross. Die regionalen Chefs und die regionalen Präsidenten hätten ihre Macht dann völlig aufgeben müssen. Noch schwieriger wären die demokratischen Prozesse geworden. Eine Mehrheit dafür im Migros-Parlament finden? Kaum möglich. Eine Abstimmung mit allen Genossenschaftsmitgliedern? Chancenlos.
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ANKÜNDIGUNG Wie die Migros den Umbau des Konzerns im Intranet bekannt gab.
BilanzANKÜNDIGUNG Wie die Migros den Umbau des Konzerns im Intranet bekannt gab.
BilanzSchliessen sich die Regionen aber in einer AG zusammen, müssen die Regionalfürsten zwar auch viele Kompetenzen an die neue Einheit abgeben, sie behalten jedoch die Kontrolle via Verwaltungsrat. Und auch die Struktur mit den zehn Genossenschaften bleibt erhalten. Wann die Gründung der neuen Supermärkte-Einheit erfolgen soll, ist noch unklar. Jedenfalls nicht mehr in diesem Jahr. Das Projekt werde aber rasch vorangetrieben, heisst es. Zu klären gibt es noch vieles: etwa die Frage, welche Genossenschaft wie viele Anteile und VR-Sitze im neuen Konstrukt haben wird.
Als Vorbild dafür dient die Ausgliederung der Fachmärkte in eine Aktiengesellschaft, die 2020 im Handelsregister eingetragen wurde und im Januar 2021 ihre operative Tätigkeit aufnahm. Damit habe der Niedergang des MGB begonnen, sagt ein Ex-Kader. Die Fachmarkt AG vereint die Migros-Töchter Do it + Garden, Melectronics, Micasa, SportX und OBI und wird vom ehemaligen Dosenbach-Chef Patrik Pörtig geführt und von Jörg Blunschi, Chef der Migros-Genossenschaft Zürich, präsidiert. Gesteuert wird sie via Verwaltungsrat von den Genossenschaften: Neben Blunschi sitzen darin Migros-Genf-Chef Philippe Echenard, Ostschweiz-Chef Peter Diethelm und die neue Basel-Chefin Anita Weckherlin. Als MGB-Vertreter ist nur Marketingchef Matthias Wunderlin dabei. Es ist zu hören, dass der MGB in diesem Fall nicht unglücklich war, die Verantwortung über die teils defizitären Geschäfte an die Genossenschaften abzugeben. Die Hoffnung ist nun, dass die zentralisierten Fachmärkte mit schlankeren Strukturen an Effizienz gewinnen und sich Synergien besser nutzen lassen.
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NEU GEBÜNDELT Erst wurden Fachmärkte wie SportX, Micasa und Melectronics in einer AG gebündelt. Dieses Jahr waren die Klubschulen an der Reihe.
PDNEU GEBÜNDELT Erst wurden Fachmärkte wie SportX, Micasa und Melectronics in einer AG gebündelt. Dieses Jahr waren die Klubschulen an der Reihe.
PDNach einem ähnlichen Modell hat der Konzern dieses Jahr auch die Klubschulen zentralisiert und in eine Aktiengesellschaft gepackt. Sie wurden aus den regionalen Genossenschaften gelöst und in der Miduca AG gebündelt.
Doch wieso wehren sich die regionalen Chefs überhaupt gegen eine Stärkung des MGB? Wieso sollte eine Supermärkte-Einheit nicht einfach dort angesiedelt werden? Es ist vor allem der damit einhergehende Machtverlust. «Man muss sich fragen, wo die Kompetenzen im Kerngeschäft liegen», sagt einer der Antreiber. «Wer baut die Läden und führt sie? Es sind die Genossenschaften.» Der MGB soll künftig für die Supermärkte lediglich jene Dienstleistungen ausführen, wie er es für Denner oder andere Töchter erledigt. Doch auch die Regionalchefs müssen bereit sein, das Kerngeschäft unter eine gemeinsame Führung zu stellen, die dann unter anderem Einkauf, Logistik, Marketing und IT verantwortet.
Die Vorteile überwiegen: Kosten sinken, Entscheidungen werden beschleunigt, und Innovationen, die oft aus den einzelnen Regionen kommen, können gesamtschweizerisch ausgerollt werden. Zudem würden die Investitionen für die Läden vereinheitlicht. Denn heute klafft eine gewaltige Lücke. Zum Vergleich: Migros Zürich setzte letztes Jahr mehr als vier Milliarden Franken um, Migros Wallis kam auf 486 Millionen. Es stehen also ganz andere Summen bereit, um die Supermärkte laufend zu modernisieren. Und so gibt es schweizweit extreme Unterschiede – von völlig veralteten Läden bis zu Weltklasse-Stores.
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Das stärkste Argument für den Machtanspruch der Regionalchefs sind die Zahlen: Die Genossenschaften erzielen allein mit dem Schweiz-Geschäft rund die Hälfte des gesamten Migros-Umsatzes von fast 29 Milliarden Franken. Zudem hängt auch ein Grossteil des Umsatzes der Migros Industrie (5,7 Milliarden Franken) von ihnen ab. Auch die Fachmärkte könnten ohne die Lebensmittelläden nicht bestehen, sorgen sie doch für die Frequenzen. «Hat der Supermarkt den Husten, haben andere die Grippe.»
setzte die gesamte Migros-Gruppe im letzten Jahr um.
setzten letztes Jahr allein die zehn regionalen Genossenschaften um.
Gewinn erzielte die Migros-Gruppe 2021. Davon erzielte alleine die Migros Bank 240 Millionen.
Auf Ursula Nold lastet nun die Verantwortung. Sie muss die Verhärtungen zwischen MGB und den Regionen lösen. Kommt das Projekt einer Supermarkt AG durch, braucht es neben einer Nachfolge für Fabrice Zumbrunnen auch einen Chef für die neue Einheit. Möglich wäre etwa, dass ein Regionalchef den Posten für die neue Supermärkte-Einheit übernimmt. Auch Marketingchef Matthias Wunderlin wird als möglicher Kandidat gehandelt.
Für Zumbrunnens Nachfolge wäre die einfachste Lösung, dass der 60-jährige Jörg Blunschi als Übergangschef die Migros leiten, sie in etwas ruhigere Gewässer steuern und gleichzeitig eine Nachfolge aufgebaut würde. «Blunschi hat Power und versteht die Migros», sagt ein Migros-Kenner. Die Frage ist, ob er sich das eher undankbare Amt, das nicht dieselbe Entscheidungsgewalt mitbringt wie übliche CEO-Posten, überhaupt noch antun will. Blunschi hätte nämlich schon 2017 Migros-Chef werden sollen: Noch am Abend vor der Abstimmung hatte er die Mehrheit in der Verwaltung. Weil aber seine Präsentation nicht bei allen gut angekommen sei, entschieden sich einige Verwaltungsräte um – Zumbrunnen gewann schliesslich mit 12 zu 10 Stimmen.
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Falls es Blunschi nicht wird, gibt es wohl einen offenen Prozess für interne und externe Kandidaten. Die Verwaltung hat zumindest schon einen Ausschuss zusammengestellt, der sich um die Suche kümmert. In einem Punkt sind sich aber alle Migros-Insider einig: Ein externer Kandidat wird an der Migros-Spitze keinen Erfolg haben. «Migros muss man lernen, spüren, verstehen.» Allein um die Komplexität und die unterschiedlichen Kulturen in den Regionen zu kennen, brauche es gut zwei Jahre.
HIMMEL UND HÖLLE Zwischen den Supermärkten aus der Deutschschweiz und der Romandie gibt es teils gewaltige Unterschiede.
Marvin Zilm / 13 PhotoHIMMEL UND HÖLLE Zwischen den Supermärkten aus der Deutschschweiz und der Romandie gibt es teils gewaltige Unterschiede.
Marvin Zilm / 13 PhotoKommt es zur Gründung einer Supermarkt AG, wird Fabrice Zumbrunnens Nachfolger eine andere Rolle haben. Die neue Person ist dann nur noch Chef einer Holding-Organisation, ein Portfoliomanager mit verschiedenen Töchtern: Supermärkten, Fachmärkten, Industrie, Migros Bank und dem Handelsdepartement mit Denner, Migrolino, Migrol und Digitec Galaxus. Er oder sie hätte kaum noch relevanten Einfluss, wie ihn einst Herbert Bolliger hatte, der gegen aussen als Migros-Gesicht bekannt war und gegen innen auf den Tisch hauen konnte und den Rückhalt der Genossenschaften genoss.
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Verkommt der neue Migros-Chef zum Portfoliomanager, könnte dafür die Strahlkraft von Ursula Nold als Präsidentin zunehmen. Bisher trat sie zwar etwas mehr in Erscheinung als ihr Vorgänger Andrea Broggini, doch auch sie hält sich zurück mit öffentlichen Auftritten. Für diesen Artikel lehnte sie ein Gespräch ab und beantwortete Fragen nur schriftlich.
Andererseits: Sie hat es intern mit starken Widerständen zu tun. Es wird kolportiert, dass ihr von einem Regionalchef auch schon der Rücktritt nahegelegt worden sei. Eine andere ehemalige Kaderperson geht davon aus, dass sie es bei den Gesamterneuerungswahlen von 2024 schwieriger haben werde als 2020, als sie von der Verwaltung einstimmig zur Wiederwahl vorgeschlagen wurde; damals war sie neu im Amt. «Es wäre am klügsten, wenn sie nun die Reformen anstösst und dann erfolgreich zurücktritt.»
WIDERSTAND Anders als hier bei der Wahl zur Präsidentin der Verwaltung 2019, könnte es Ursula Nold bei den Wiederwahlen 2024 schwieriger haben.
KeystoneWIDERSTAND Anders als hier bei der Wahl zur Präsidentin der Verwaltung 2019, könnte es Ursula Nold bei den Wiederwahlen 2024 schwieriger haben.
KeystoneEs gibt mehrere Migros-Insider, die sagen, Nold sei überfordert. Man merke, dass sie davor noch nie ein Unternehmen geleitet oder einen Verwaltungsrat angeführt habe. Zwar präsidiert sie seit 2018 den Verwaltungsrat der Berner Start-up- und KMU-Beratung Be-advanced, doch dieser Posten eignet sich kaum als Vorbereitung auf den Migros-Job. «Es ist für sie nicht einfach, den Anforderungen gerecht zu werden.»
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Das Problem: Migros-Präsidenten werden von den Delegierten gewählt. Und die sind in der Regel weit weg vom Kerngeschäft. Für die Delegierten sei es schwierig, wirklich abzuschätzen, was einen VR-Präsidenten qualifiziere. Im Anforderungsprofil, das vor ihrer Wahl erstellt worden ist und das BILANZ vorliegt, sind unter anderem folgende Punkte aufgeführt: mehrjährige Führungserfahrung, Erfahrung in Gremien wie Verwaltungsräten oder Konzernleitungen, gute Kenntnisse des Handels, internationale Erfahrung. Das bringt Nold freilich nicht mit. Ihr Werdegang ist dennoch beachtlich. In den neunziger Jahren berichteten Lokalmedien regelmässig über ihre Siege als aufstrebendes Tennistalent. In den frühen nuller Jahren trat sie dann bereits als Migros-Gesicht in Erscheinung: Nach vier Jahren als Vizepräsidentin und Delegierte im MGB wurde sie 2004 Präsidentin des Genossenschaftsrats Migros Aare. Vier Jahre später wurde Nold mit 39 Jahren zur Präsidentin der Delegiertenversammlung gewählt – als erste Frau.
Heute hat sie vier erwachsene Kinder, ist mit Vincens Nold verheiratet, der als Staatsanwalt bei der Bundesanwaltschaft arbeitet, und sie wirkt an der Pädagogischen Hochschule Bern als Dozentin für Kader- und Systementwicklung. Zudem hat sie einen MBA der Universität St. Gallen im Rucksack. Was Nold an Konzernerfahrung fehlt, macht sie mit Überzeugung und Ehrgeiz wett. Und so hat sie neben den Kritikern ebenso Unterstützer – auch in den Genossenschaften. «Sie ist ein loyaler, ehrlicher Mensch – eine sehr intelligente Frau», sagt ein Regionalchef. Gelobt werden etwa auch ihre «integrative» Art und ihr Talent zum Netzwerken. «Man kann ihr nicht die Schuld geben, dass es Unstimmigkeiten gab und sich die Verwaltung letztlich gegen Fabrice Zumbrunnen entschied.»
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LANGJÄHRIGES PAAR Ursula Nold mit ihrem Ehemann Vincens Nold.
Adrian MoserLANGJÄHRIGES PAAR Ursula Nold mit ihrem Ehemann Vincens Nold.
Adrian MoserAls positiv gesehen wird auch, dass sie nach der Affäre um Damien Piller, den ehemaligen Präsidenten der Migros Neuenburg-Freiburg, die Governance anpackte. So brachte sie «in Rekordzeit» einige Anpassungen durch alle Gremien: Die Amtszeit in der Verwaltung wurde von 16 auf 12 Jahre verkürzt, künftig kann ein Regionalchef nicht direkt Präsident in derselben Genossenschaft werden, und zudem gibt es neu einen Governance-Ausschuss. Nold ist eine, die sich richtig reinkniet: So soll sie weit über dem offiziellen Pensum jede Woche präsent sein, im Migros-Turm in Zürich und in ihrem Büro in Bern.
Zur Kritik, dass ihr in Themen wie Logistik, Flächenbewirtschaftung und IT das nötige Fachwissen fehle, sagt sie: «Kein Unternehmen braucht Spezialisten an der strategischen Spitze.» Auch bei der Migros sei das entsprechende Fachwissen reichlich vorhanden. «Was es braucht, sind strategische Einschätzungen und richtige Weichenstellungen.»
Eine wichtige Weichenstellung wird die Wahl von Zumbrunnens Nachfolger sein. Ein profunder Migros-Kenner sagt, er sei enttäuscht. In der Pandemie sei keine spezielle Initiative gekommen, etwas, das in dieser Notlage dem Migros-Geist von «Dutti» entsprochen hätte. «Wenn man die Migros zum gewöhnlichen Unternehmen herabstuft, kann man ebenso gut bei Aldi oder Lidl einkaufen.» Der neue Chef muss also nicht nur im Gespann mit Nold die anstehende Transformation über die Bühne bringen, es sollte wieder jemand sein, der den orangen Riesen verkörpert. Mit Haut und Haar.
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