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Mann des Monats

Wie Hotelkönig Michel Reybier zum Herrn der Nobelherbergen aufstieg

Er ist der wichtigste Luxushotelier der Schweiz und der grösste Betreiber von Privatkliniken. Ihm gehören bedeutende Weingüter und zahlreiche ­Beteiligungen. Jetzt spricht Michel Reybier mit der Presse.

Marc Kowalsky

Mann des Monats Michel Reybier

ENERGIEBÜNDEL MIT 77 «Meine Frau sagt oft: Mit mir zu leben, ist, wie im Kern eines Atomreaktors zu leben.»

© Fred Merz | Lundi13

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Irgendwo ist der Elefant immer zu finden: Klein auf dem Flaschenhals seiner Weine und Champagner. Etwas grösser auf den Handtüchern und Wäschesäcken seines Hotels La Réserve Eden au Lac in Zürich. Noch grösser an der Wand seines Restaurants Le Tsé Fung in Genf. Riesig in der Einfahrt zu seinem Weingut Cos d’Estournel im Bordeaux. Und auch auf der Willkommensseite seiner Website kommt man nicht an dem Dickhäuter vorbei. «Er ist für mich ein Symbol der Robustheit, der Ruhe, der Sicherheit, der Langlebigkeit», sagt Michel Reybier.

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Der gebürtige Franzose und Wahlschweizer ist in der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt. Dabei ist er selber ein Elefant, sowohl in der Hotellerie wie im Gesundheitswesen. In der Schweiz gehören ihm Ikonen wie das «Victoria-Jungfrau» in Interlaken, er führt das «Bellevue Palace» in Bern, in Zermatt hat er unlängst gleich vier Häuser gekauft, darunter das Wahrzeichen «Mont Cervin Palace». Auch in London, Paris und an der Côte d’Azur ist Reybier mit Luxushäusern präsent. Zusammen mit seinem Kompagnon Antoine Hubert ist er zudem der wichtigste Player im Schweizer Gesundheitswesen mit 75 Betrieben, verteilt über das ganze Land. Und er sammelt bedeutende Weingüter.

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Die Energie hat Reybier auch mit seinen 77 Jahren nicht verloren. «Meine Frau sagt oft: Mit mir zu leben, ist, wie im Kern eines Atomreaktors zu leben», schmunzelt er. Im Lauf seiner Karriere hat er in 14 verschiedenen Branchen gearbeitet, immer als Unternehmer. Dabei hat er sich nie einen Rappen Salär ausbezahlt. Und kaum je mit der Presse gesprochen. Bisher.

Sinneswandel

Michel Reybier ist ein Selfmademan wie aus dem Bilderbuch. An der Uni war er nie, «Unternehmertum kann man lernen», ist seine Überzeugung. Mit 21 Jahren kauft er in seiner Heimatstadt Lyon mehrere Dutzend kleine Lebensmittelläden, die in Schwierigkeiten sind, und saniert sie. Gleichzeitig entwickelt er den ersten Hypermarché nahe Lyon. Als er mit 28 Jahren einen Schlaganfall erleidet, verkauft er seine Geschäfte. Das Geld steckt er in den kleinen Biskuit- und Schokoladenhersteller Cémoi. Als der auf fast 800 Mitarbeiter gewachsen ist, stösst er die Firma ab, weil er die Diskussionen mit den Gewerkschaften satthat. 1976, da ist er gerade mal 31 Jahre alt, gründet er den Fleischverarbeiter Aoste und macht mit Würsten, Schinken und Koteletts ein Vermögen. Auf 3000 Mitarbeiter ist der Konzern schon angewachsen, als das Schicksal ein zweites Mal zuschlägt: Beim Absturz seines Privatjets, einer Falcon 10, nahe Besançon ist Reybier der einzige Überlebende. «Im ersten Moment hat der Unfall gar nichts geändert. Aber im Lauf der Zeit hat mich das Geschehene völlig verwandelt», sagt er: «Vorher dachte ich, ich sei unersetzlich. Das war ein monumentaler Irrtum.» 1996, zwei Jahre nach dem Crash, verkauft er sein Imperium an die amerikanische Sarah Lee für mehrere hundert Millionen Dollar (heute gehört es zur mexikanischen Alfa-Gruppe).

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Erst ein Schlaganfall in jungen Jahren, dann ein Flugzeugabsturz – das hat die Lebenseinstellung von Reybier auf den Kopf gestellt. Statt Konsum sind seither seine grossen Themen Genuss, Gesundheit und Vorsorge – und Ökologie: «Im Leben einen Sinn zu haben und nützlich zu sein, ist heute für mich der rote Faden», sagt er. So hat er sich im Lauf des letzten Vierteljahrhunderts Schritt für Schritt ein kleines, aber feines Imperium an Luxushotels zusammengekauft. Die edelsten Häuser der Michel Reybier Hospitality (MRH) firmieren unter dem Label La Réserve, so in Paris nahe der Champs-Élysées, in Ramatuelle an der Côte d’Azur, in Bellevue bei Genf und in Zürich, mit dem «Eden au Lac». Auch das «Victoria-Jungfrau» in Interlaken gehört zu Reybiers Reich, das «AlpenGold» in Davos (besser bekannt als «Goldenes Ei») sowie in Zermatt der «Schweizerhof», das «Monte Rosa» und das «Mont Cervin Palace» samt dessen Dependance «Petit Cervin». Zudem führt MRH das «Bellevue Palace» in Bern, das der Eidgenossenschaft gehört, sowie das ebenfalls im Drittbesitz befindliche «Crans Ambassador» in Crans-Montana. In der Luxushotellerie ist Michel Reybier damit der wichtigste Player der Schweiz.

Michel Reybier

INVOLVIERT «Ich bin an allem beteiligt, was das Produkt betrifft. Die finale Entscheidung treffe ich», sagt Reybier.

Fred Merz | Lundi13
Michel Reybier

INVOLVIERT «Ich bin an allem beteiligt, was das Produkt betrifft. Die finale Entscheidung treffe ich», sagt Reybier.

Fred Merz | Lundi13

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Der 77-Jährige ist Patron alter Schule, aber kein Polterer: Als «feinen Menschen mit bescheidenem Auftreten» beschreibt ihn ein langjähriger Weggefährte. «Er fordert enorm. Er gibt sich nie zufrieden mit dem Erreichten», sagt eine Person, die viel mit ihm arbeitet. Als etwa neben dem «La Réserve Ramatuelle» ein Konkurrenzhotel eröffnet wurde, das auf eine ähnliche Zielgruppe abzielt, liess Reybier in seinem Haus sofort das ganze Interieur ändern, um dem neuen Herausforderer wieder etwas voraus zu sein.

Er gilt als strenger Chef: «Ich kann nicht mit jemandem arbeiten, den ich nicht respektiere. Und das meine ich ernst», sagt er selber. Umgekehrt gilt: Zu wem er vertrauen gefasst hat, zu dem ist er sehr loyal; viele Mitarbeiter hat er an seinen Firmen beteiligt. Und er kümmert sich um seine Leute: «Wenn jemand kündigt, ist das ein Stich ins Herz», sagt er. Dann besetzt er die frei gewordene Stelle meist intern, um den Angestellten eine Perspektive zu geben. Und er ist stolz darauf, während Corona keine einzige Kündigung ausgesprochen zu haben.

Detailverliebt

Vor allem aber kümmert er sich um die Details in seinen Häusern, und das mit viel Herzblut: Für das «La Réserve Eden au Lac Zurich» etwa hat Reybier persönlich die Gläser ausgewählt, die Servietten, die Vasen und noch viel mehr – obwohl er mit Philippe Starck einen Stardesigner engagiert hatte. Ähnlich ist es bei den anderen Hotels. «Ich richte die Häuser hoffentlich mit Geschmack ein, aber nicht nach meinem Geschmack – ich respektiere die Lokalität.» Soll heissen, er will keine Kettenhotels, sondern es soll die jeweils lokale Klientel angesprochen werden: «Wenn die Zürcher ins Restaurant des ‹Eden au Lac› kommen, dann läuft auch das Hotel.» Deshalb setzt er auch auf Mundpropaganda statt auf klassische Werbung.

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Vor allem will Reybier genau informiert sein, was läuft: Besucht er ein Hotel, spricht er nicht nur mit dem General Manager, sondern auch mit dem Küchenchef und der Servicebrigade, mit dem Rezeptionisten und dem Concierge. Sogar der Begriff «Control Freak» fällt in seinem Umfeld. Er selber sieht sein Detailengagement natürlich anders: «Wir sind nicht rein renditegetrieben. Das heisst nicht, dass ein Geschäft nicht auch Gewinne abwerfen soll. Aber wenn man nichts Inhaltliches beiträgt, hat man in der Branche nichts zu suchen.» Und er sagt, er lasse den Leuten grosse Freiheiten, sobald sie verstanden hätten, wohin er wolle.An Geld für seine Projekte mangelt es nicht: «Er ist kein Sparfuchs, er ist kein Big Spender: Er investiert das, was nötig ist», sagt jemand, der eng mit ihm zusammenarbeitet. Das «La Réserve» in Paris hat sich Reybier 150 Millionen kosten lassen plus 100 Millionen an Renovationen. Das «Victoria-Jungfrau» und das «Eden au Lac» hat er 2014 nach hartem Bieterkampf gegen die Zürcher Hotelière Ljuba Manz gekauft für 87 Millionen, die danach nötigen Investitionen beliefen sich auf eine ähnliche Summe. Für die vier Häuser in Zermatt soll er 220 Millionen hingelegt haben, und auch dort gibt es noch Investitionsbedarf (siehe «Family Business» auf Seite 104). Gut möglich, dass auch das «Mont Cervin Palace» in die La-Réserve-Gruppe aufgenommen wird.

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In Zermatt reizt ihn, der einst in der französischen Armee als Gebirgsjäger diente, zum einen die Natur: «Wenn man seine erste Skitour im Angesicht des Matterhorns macht, ist das ein unglaubliches Erlebnis. Dieses Bild behält man sein ganzes Leben», sagt er. Und zum anderen die «omnipräsente Nachhaltigkeit», wie er es ausdrückt: «Seit 20 Jahren könnte ich in Courchevel investieren, unter Renditeaspekten wäre das fantastisch. Aber ich mache es nicht, denn Courchevel entspricht nicht meinen Werten. Wenn in einem Jahrhundert auf der ganzen Welt noch eine Skistation existiert, wird es Zermatt sein.»

Reybiers Ambitionen sind auch mit 77 enorm. Er will mit La Réserve eine der drei, vier grossen weltweiten Hotelmarken werden. Er sucht dabei aber Qualität statt Grösse: «In der Hotellerie kann man eine Weltmarke mit zehn Häusern aufbauen. Und dann bleiben die Dimensionen noch familiär», sagt er. Diesen März übernahm Reybier für 76 Millionen Franken das «L’Oscar» in London, ein Luxushaus in Bloomsbury mit 39 Zimmern auf 5200 Quadratmetern. Zwar nicht seine Wunschadresse, aber so hat er schon mal einen Fuss in der Tür zur britischen Hauptstadt. Weitere Übernahmen sollen folgen. Das Problem: Es ist sehr schwierig, die richtigen Häuser zu finden. «Es gibt in diesem Markt sehr viele Unternehmer, gerade aus dem Mittleren Osten, für die Geld keine Rolle spielt. Die überzahlen die Objekte», sagt Reybier.

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Der Clan

Familie Reybier
Karen und Michel Reybier
1 / 2

FAMILIENTREFFEN Reybiers drei erwachsene Kinder Aude, Raphaël und Anne-Flore helfen mit ihren Partnern und den Enkeln immer mal wieder bei der Weinernte mit.

Privat

Kongenial

Geführt werden seine Hotels von der MRH, die der Familie Reybier zu 100 Prozent gehört. Die Immobilien jedoch gehören der börsenkotierten Aevis Victoria (aktueller Börsenwert: 1,6 Milliarden). Diese kontrolliert Reybier zu 74,6 Prozent zusammen mit Antoine Hubert (56), seinem wichtigsten Vertrauten: «Sie sind sehr symbiotisch» sagt einer, der mit beiden viel zu tun hat, auch das Wort «Ziehsohn» fällt. Kennengelernt hatten sich die beiden 2002, als Hubert in Reybiers neu erstandenem Hotel La Réserve Genf übernachtete, angefreundet hatten sie sich, als Reybier nach einem Skiunfall längere Zeit in Huberts neu erstandener Klinik Genolier verbringen musste. 2011 taten sie sich zusammen, übernahmen gemeinsam die Klinikgruppe Genolier Swiss Medical Network und brachten sie später als Aevis Victoria an die Börse. Dank zahlloser Übernahmen – hauptsächlich von Spitälern in finanziellen Schwierigkeiten – hat sie sich inzwischen zum Marktführer bei den Schweizer Privatkliniken entwickelt. 652 Millionen Franken setzten die 22 Spitäler, 28 medizinischen Zentren, 9 Notfallzentren und 16 Augenkliniken zuletzt um (der Gesamtumsatz des Konzerns lag bei 895 Millionen). In Zürich gehören etwa die Klinik Bethanien oder die Pyramide am See zum Konzern, in Genf die Clinique Beaulieu, in Lausanne die Clinique de Montchoisi. Der Fokus liegt auf Privatkunden, gerne im Bereich Beauty und Lifestyle, aber auch Kardiologie ist ein Thema, Lungenzentren oder Geburtskliniken.

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Die Aufgabenteilung bei Aevis Victoria ist klar: Reybier kümmert sich um die Hotels, Hubert um die Kliniken, Akquisitionen und strategische Projekte machen sie gemeinsam. «Wir teilen die gleichen Werte und Prinzipien im Unternehmertum», sagt Hubert: «Wir haben beide schon viel erreicht, deshalb gibt es auch keine Ego-Probleme zwischen uns.» Beide teilen den Willen und die Fähigkeit, schnelle Entscheidungen zu treffen, beide sind pragmatisch und konkret.

Portrait of Antoine Hubert, delegated administrator AEVIS Victoria, pictured on Wednesday, November 6, 2019 at the clinic in Genolier in the canton of Vaud, Switzerland. (KEYSTONE/Cyril Zingaro)
Keystone
Portrait of Antoine Hubert, delegated administrator AEVIS Victoria, pictured on Wednesday, November 6, 2019 at the clinic in Genolier in the canton of Vaud, Switzerland. (KEYSTONE/Cyril Zingaro)
Keystone

Der Partner

Antoine Hubert beherrscht zusammen mit Reybier 74,6 Prozent von Aevis Victoria und kümmert sich dort um die Kliniken.

Klar ist jedoch: Der Markt für Privatkliniken ist in der Schweiz leer gekauft, die Branche konsolidiert, die Wachstumschancen sind gering. Zunehmend versucht Aevis Victoria daher auch, sich dem Grundversorgungsmarkt zu nähern. Doch die öffentliche Hand tut sich schwer, ihre Spitäler privaten Playern zu überlassen. Zumal immer wieder Kritik laut wird, wie der Konzern die Kosten drückt: Personal abbauen bis zur Schmerzgrenze, outsourcen, was geht. «Wer sagt, dass die Hirslanden-Gruppe gewinnoptimiert ist, der hat Aevis Victoria nicht gesehen», sagt eine hochrangige Fachperson aus dem Schweizer Gesundheitswesen: «Die sind die schlauesten aller Füchse.» Bisweilen gehe das bin an die Grenze der Patientensicherheit und führe zu Diskussionen mit den Behörden. Ein Vorwurf, den Reybier wie Hubert nachdrücklich bestreiten: «Die Spitäler konzentrieren sich auf ihre Kernkompetenzen und auf die Verpflegung, weil die zur Gesundheit beiträgt», sagt Hubert: «Wenn man die Zimmerreinigung oder die Wäscherei outsourced, ist das kein Risiko für den Patienten.»

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Herzensangelegenheit

Wachstumspotenzial sieht Reybier daher vor allem in den Bereichen medizinische Vorsorge und Wellness – ein Thema, das ihm besonders am Herzen liegt: «Der Mensch ist gemacht, um 120 Jahre alt zu werden», so seine Überzeugung: «Jeder Tod davor ist vorzeitig.» Deshalb hat er Anfang dieses Jahres die Clinique Nescens in Genolier VD lanciert. Sie bietet ein Gesundheitsangebot vergleichbar etwa mit dem «Chenot Palace» in Weggis oder dem deutschen «Lanserhof»: Detox, Abnehmen, Revitalisation. Sie wird – schliesslich geht es ja um die schönen Seiten des Lebens – wie die Hotels von der MRH gemanagt. Dazu kommen Nescens Spas in inzwischen acht MRH-Hotels. Und dort werden natürlich eigene Nescens-Beautyprodukte verabreicht.

Reybier hält zahllose andere Beteiligungen. Etwa zehn Prozent an Global Jet, einer der grössten europäischen Chartergesellschaften für Privatjets, gegründet von Reybiers ehemaligem Piloten. Die Flotte umfasst 44 Flugzeuge vom Pilatus PC-12 bis zum umgebauten Airbus A330. Oder an zwei Schweizer Start-ups: zum einen an der Batgroup, deren Putzfrauenvermittlung Batmaid mit Martina Hingis wirbt, zum anderen an der Genfer Wecan Group. Sie hat mittels Blockchain-Technologie eine Plattform geschaffen, mit der Privatbanken wie Julius Bär, Pictet oder Lombard Odier sowie Vermögensverwalter die Einhaltung von Compliance-Vorgaben kontrollieren können. Nun soll die Technologie auch in der Hotellerie und im Gesundheitswesen Anwendung finden, etwa um vertrauliche Patientendossiers sicher verschicken zu können. Und auch für NFTs interessiert sich Reybier.

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Sein Herz hängt aber vor allem an seinen Weingütern. Allen voran an Cos d’Estournel, einem der renommiertesten Güter im Bordeaux, das er im Jahr 2000 gekauft hat. «Es war Cos oder gar nichts.» Hier kam Reybier auch zu seinen Elefanten: Der Gründer Louis-Gaspard Estournel verkaufte seine Weine im 19. Jahrhundert nach Arabien und Indien und kam von dort mit Pferden und Hölzern zurück – und dem Elefanten als Symbol. Reybier hat das 64 Hektar grosse Gut nach seinen Vorstellungen weiterentwickelt. So machte er nach dem Kauf erst einmal eine genaue Bodenanalyse, weil pro Parzelle zwei bis drei verschiedene Gesteinsarten anzutreffen sind, und konnte so die Standorte der Rebsorten optimieren. Und er schaffte 2008 als einer der Ersten die Pumpen ab und nutzt stattdessen die Schwerkraft zum Transport der Trauben und der Maische bei der Verarbeitung, was schonender ist und für sortentypischere und extraktreichere Weine sorgt. Heute folgen die meisten Weinbauern seinem Vorbild.

Mehrere Monate verbringt Reybier jedes Jahr auf Cos, ist bei jeder Etappe der Weinverarbeitung präsent: «Ich bin an allem beteiligt, was das Produkt betrifft. Die finale Entscheidung treffe ich.» Und er lässt es sich nicht nehmen, jeden Frühling rund 2000 Profis und Journalisten zur Degustation des jeweils neuen Jahrgangs zu empfangen. Lohn all der Mühen: Der Jahrgang 2009 wurde von Robert Parker, dem weltweit wichtigsten Weinkritiker, mit 100 von 100 Punkten bewertet – eine sehr seltene Ehre. Und so ist Cos d’Estournel Reybiers Hinterlassenschaft an die Nachwelt. «Wenn meine Enkel das je verkaufen, werde ich sie vom Himmel aus anbrüllen», sagt er.

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Auch den Vertrieb hat er revolutioniert: Dass Bordeaux-Weine traditionell nur von 40 örtlichen Grosshändlern weltweit verteilt werden, passt dem umtriebigen Franzosen gar nicht – er will direkt an den Konsumenten. So hat er 2015 mit Dominique Mottas den Onlineshop Arthur’s Cellar gegründet, mit 3500 Referenzen (neben Bordeaux-Weinen auch Champagner, Spirituosen und Exklusivitäten) einen der grösseren Internet-Marktplätze in diesem Bereich.

652 Mio. Fr.

setzten Reybiers Gesundheitsbetriebe zuletzt in der Schweiz um.

183 900 Übernachtungen

verzeichneten seine Hotels im Corona-Jahr 2021.

15 Tausend

12-er Kartons des Cos d'Estournel werden durchschnittlich pro Jahr produziert, ebenso wie vom Zweitwein Pagodes de Cos.

25 Tausend Euro

kostet eine Übernachtung in «La Chartreuse de Cos d’Estournel».

Im Herzen des Weinguts befindet sich auch sein exklusivstes Hotel: «La Chartreuse de Cos d’Estournel». Es umfasst sechs Zimmer und zwei Suiten, hat auf 1500 Quadratmetern einen Innen- und einen Aussenpool, Hammam und Gym. Auch hier hat Michel Reybier die Details von den Türgriffen bis zu den Dekorationstellern an den Wänden selber ausgewählt. Die Miete für das Gut beläuft sich pro Nacht auf 25 000 Euro – Essen, Weinbegleitung, Butlerservice und eine Führung durch das Weingut inbegriffen.

Reybier besitzt zwei weitere Weingüter im Bordeaux, das Château Marbuzet quasi nebenan sowie Goulée, eine halbe Autostunde weiter nördlich im Médoc. Ausserdem gehören ihm 75 Prozent des Champagnerhauses Jeeper. 2008 wollte er für mehr als 100 Millionen Dollar das kalifornische Weingut Montelena übernehmen. Der Deal scheiterte, weil, wie es heisst, Reybier seine finanziellen Verpflichtungen in der Finanzkrise nicht erfüllen konnte. Ein Jahr später tröstete er sich mit dem ungarischen Gut Hétszölö, das für seine Tokajer bekannt ist und auf eine 500-jährige Geschichte zurückblicken kann. Grosse Pläne hat er mit seinem Weingut La Mascarone in der Provence, das er 2020 nach siebenjähriger Suche übernommen hat: Nicht weniger als ein globaler Wein soll der dort produzierte Rosé werden – und die Provence zu einer grossen Destination im Önotourismus machen. Wohl für die Vermarktung hat er deshalb kürzlich Basketballlegende Tony Parker mit an Bord geholt.

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Wahlheimat

Und in der Schweiz? Wenn er hier etwas mit Weinen machen würde, dann nur im Wallis oder im Waadtland, lässt er durchblicken. Reybier verliess Frankreich 1978, lebte in Verbier, lange Jahre in Bellevue GE, zügelte dann, als ihm Genf zu französisch wurde, nach Coppet VD. Die Liebe ist gross zu seiner Wahlheimat: «Ich bin hier nicht nur auf der Durchreise. Ich bin hier seit 40 Jahren integriert», sagt er. Auch seine Frau Karen (52), mit der er in zweiter Ehe verheiratet ist, ist Schweizerin: Sie stammt – der Zufall will es – aus dem Bordeaux und wuchs in Genf auf. Nur er selber hat den roten Pass noch nicht. Den Antrag hatte er vor ein paar Jahren gestellt, die Formalien durchlaufen, den Einbürgerungstest bestanden, alles schien auf guten Wegen, bis die Genfer Behörden plötzlich das Verfahren wegen einer vier Jahre alten, eigentlich harmlosen Verkehrsbusse stoppten. Nächstes Jahr könnte Reybier einen neuen Anlauf nehmen. Ob er dazu noch Lust hat, lässt er offen. Aber er sagt weiterhin: «Ich bin sehr stolz auf dieses Land.»

Luxushotels, Wellness, Gesundheit, Wein – Michel Reybier hat mit den schönen Seiten des Lebens ein Vermögen aufgebaut. Dabei hatte er auch an der Börse einst sein Glück versucht. «Es war eine Katastrophe», sagt er: «Ich bin dafür nicht gemacht.»

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Kein Wunder: Die schnelllebigen Aktienmärkte auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Robustheit, die Ruhe, die Sicherheit, die Langlebigkeit des Elefanten – das passt so gar nicht zusammen.

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