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Der Gadgethersteller wird vom Crash der Tech-Titel mitgerissen. Jetzt will er sich neu erfinden.
UNGEWOHNTE SITUATION Zum ersten Mal überhaupt in seiner Karriere muss Logitech-CEO Bracken Darrell ein Jahr des Rückgangs erleben. Jetzt ist er gefordert.
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Es ist ein festes Ritual: Seitdem er 28 Jahre alt war, hält Bracken Darrell (59) jeweils Anfang Januar seine Ziele für das kommende Jahr fest. Fein säuberlich notiert er dann in einer grossen Excel-Tabelle, was er in den folgenden zwölf Monaten erreichen will, beruflich, finanziell, mit der Familie, gesundheitlich. Sieben bis acht Bereiche insgesamt sind es mit jeweils zahlreichen Unterpunkten. «Wenn ich das jemandem zeige, denken die Leute normalerweise: Was für ein Spinner», sagt Darrell. «Aber Menschen ohne Ziele tun mir leid.» Mehr als 67 Prozent seiner Vorgaben hat er noch nie erreicht, «weil ich sehr hart in der Bewertung bin». Unter dem Jahr schaut er nicht nach, wie es läuft, und entsprechend ändert er die Vorgaben auch nicht. Aber heuer war schon im Herbst ist klar: Von seinen Zielen für 2022 wird Bracken Darrell wichtige verfehlen.
Denn unter den geschäftlichen Vorgaben hat der Mann mit der rauchigen Stimme und dem James-Dean-Look für dieses Jahr weiteres Wachstum in Sachen Umsatz und Gewinn notiert beim Gadgethersteller Logitech, den er seit 2013 leitet. Doch inzwischen erwartet der Konzern mit Sitz in Lausanne für das laufende Geschäftsjahr (es endet erst am 31. März) einen Umsatzrückgang von vier bis acht Prozent. Allein der Gaming-Bereich, mit 24 Prozent des Umsatzes die wichtigste Sparte, musste im ersten Quartal einen zweistelligen Umsatzrückgang hinnehmen. Der Betriebsgewinn wird im Gesamtjahr ebenfalls um bis zu 16 Prozent sinken. Für CEO Darrell ist das besonders hart: «Ich kann mich nicht erinnern, in meiner Karriere schon mal ein Jahr des Rückgangs erlebt zu haben», sagt der Amerikaner, der zuvor Altherren-Deo beim Kosmetikriesen Procter & Gamble, Rasierapparate bei Braun und Waschmaschinen bei Whirlpool verkauft hatte: «Mein ganzes Weltbild ist: Entweder du wächst, oder du stirbst. Dazwischen gibt es nichts.»
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Bei Logitech ist er immer nur gewachsen, seit er vor neun Jahren die Nachfolge des glücklosen Gerald Quindlen übernommen hatte. Darrell unterzog den Konzern einer Radikalkur, restrukturierte die Organisation, stellte das Design ins Zentrum.
So führte er Logitech aus der Krise: Die Umsätze wuchsen von 2,1 auf 3 Milliarden Dollar vor der Pandemie und das Ergebnis von minus 228 auf plus 450 Millionen. Während Corona explodierten die Ergebnisse dann: Weil alle Welt sich für die Arbeit im Homeoffice mit Webcams, besseren Tastaturen und Mäusen ausstatten musste und gleichzeitig die Leute mehr Zeit zum Gamen hatten, also auch mehr Joysticks und Kopfhörer kauften, schnellte der Umsatz auf 5,5 Milliarden hoch, der Gewinn auf zwischenzeitlich 947 Millionen. Der Aktienkurs hat sich in der Zeit mehr als verdreifacht. Das machte Darrell letztes Jahr zum fünftbestbezahlten Manager der Schweiz. Mit Gesamtbezügen von 10,5 Millionen Franken rangierte er vor Kalibern wie Mario Greco (Zurich), Jan Jenisch (Holcim) oder Björn Rosengren (ABB).
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Doch inzwischen sieht die Welt anders aus: Der Aktienkurs hat sich gegenüber dem Corona-Hoch halbiert. Damit befindet sich Logitech in guter – oder vielleicht sollte man besser sagen: schlechter – Gesellschaft: Die meisten grossen Tech-Konzerne mussten zuletzt ordentlich Federn lassen. Amazon ist seit dem Höchststand um rund 50 Prozent gefallen, Google-Mutter Alphabet um 35 Prozent, etwa so viel wie der US-Technologieindex Nasdaq, Netflix um 60, Facebook-Mutter Meta um 70, Snap und Zoom um 85 Prozent.
Teils variieren die Gründe, teils sind sie die gleichen: Während Corona, als die Digitalisierung einen Boost erlebte, waren Tech-Titel extrem gefragt. Mit dem Ukraine-Krieg und dem Energienotstand interessieren sich die Anleger nun viel mehr für Rohstoff- und Energietitel. «Der Markt hat dieses Jahr alle Covid-Gewinner verkauft und ist nun auf der Suche nach neuen Gewinnern», sagt Marc Saint John Webb von Quaero Capital. Kommt hinzu: Tech-Firmen finanzieren ihr rasantes Wachstum häufig durch geliehenes Geld, entsprechend stärker leiden sie nun unter den steigenden Zinsen. Auch die Finanzmathematik spielt eine Rolle: Künftige Unternehmensgewinne werden für die Bewertung einer Aktie auf den heutigen Barwert abdiskontiert. Entscheidend für die Berechnung ist dabei der Zinssatz für sichere Anlagen. Je höher der Zinssatz, desto niedriger der Barwert und damit der Aktienkurs.
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Hinzu kommen individuelle Faktoren: Meta, Alphabet und Snap leiden unter dem Rückgang des globalen Anzeigengeschäfts, verschärft durch die neue Politik von Apple, die diesen Firmen das Ausspionieren des Surfverhaltens von iPhone-Usern erschwert. Weil damit weniger relevante Anzeigen geschaltet werden können, rechnet alleine Meta mit einem Umsatzrückgang von zehn Milliarden Dollar. Zudem enttäuschten die Zahlen der Facebook-Mutter, die Firma setzt – bisher ohne Ertrag – Milliarden Dollar auf die unsichere Zukunftswette Metaverse und muss sich in den USA mit einer Klage wegen Monopolmissbrauchs herumschlagen. Netflix hat wiederholt die Erwartungen verfehlt, Amazon als zweitgrösster Einzelhändler der Welt leidet unter der verhaltenen Konsumentenstimmung. Zoom als Videokonferenz-Dienst profitierte – ähnlich wie Logitech – massiv von den Lockdowns; entsprechend heftig ist nun in Zeiten der Normalisierung der Rückgang.
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Die Reaktion ist bei allen Tech-Firmen die gleiche, und sie ist wenig einfallsreich: Um Kosten zu reduzieren, werden Stellen abgebaut. Bei Meta sind es mehr als 11'000 Entlassungen, was 13 Prozent der Belegschaft entspricht, Snap streicht jeden fünften seiner 6000 Arbeitsplätze, bei Amazon müssen 10'000 Mitarbeiter gehen, was auf 1,5 Millionen Angestellte allerdings nur einen Promilleanteil bedeutet. Auch Logitech setzt den Rotstift an: Wie viele der 8200 Stellen gestrichen werden, will Bracken Darrell nicht sagen, ausser dass die Gesamtkosten um 15 Prozent sinken sollen. Bereits letztes Jahr wurden in der Produktion 800 Mitarbeiter abgebaut. Vorsichtig ist man auch beim Rekrutieren: Einen formellen Einstellungsstopp gibt es zwar nicht. «Aber wir stellen sicher nicht viele neue Leute ein», so Darrell. Wenn schon, dann setzt man auf Temporärarbeiter.
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Besonders hart trifft es die Marketingabteilung, denn Logitech spart beim Branding. Statt auf Pull-Marketing, das den Kunden zur Marke führen soll, setzt Darrell nun auf Push-Marketing, will also die Produkte direkt zum Kunden bringen: «Das ist effizienter und bringt höhere Bruttomargen.» Und Logitech fokussiert ihr Sortiment. Etwa bei den Mäusen: Allein im mittleren Preissegment hatte die Firma neun verschiedene Modelle im Sortiment, jedes mit seinen eigenen Features. Sie wurden allesamt ersetzt durch eine neue Maus, welche die verschiedenen Produktvorteile kombiniert – und die es nur noch in drei Varianten gibt: in mittlerer und in grosser Ausführung sowie in einer Variante für Linkshänder. Mittlerweile ist die M650, so der Name, eines der meistverkauften Produkte von Logitech. «Wir haben unser Sortiment in den letzten beiden Jahren um 30 Prozent reduziert», sagt Delphine Donné, Leiterin der Produktgruppe Personal Workspace Solutions: «Das bringt mehr Klarheit ins Portfolio.» Vor allem aber senkt es den Aufwand und erhöht die Margen – eine Strategie, die Darrell jetzt noch akzentuieren wird. «Es ist schwer, ein Produkt abzuschiessen, weil damit jährliche Umsätze verbunden sind», sagt der CEO: «Aber wenn man es tut, geht dieser Umsatz normalerweise nicht verloren, sondern landet bei einem anderen Produkt – und man gewinnt Effizienz.»
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Ganze Produktkategorien stehen derzeit aber nicht auf der Abschussliste – auch wenn etwa das Lautsprechergeschäft nur noch drei Prozent zum Umsatz beiträgt und immer wieder als Streichkandidat genannt wird. In der Vergangenheit hatte Logitech regelmässig Bereiche abgestossen, die sich nicht mehr lohnten, etwa das Geschäft mit Handy- und Tablethüllen, Smarthome-Produkte oder Fernbedienungen. «Lautsprecher liegen mir weiter am Herzen, weil wir dort viele Innovationen zeigten», sagt Darrell. «Aber wir werden uns nicht darauf fokussieren.»
STUDENTENSTIMMUNG 430 Angestellte arbeiten am Logitech-Hauptsitz an der EPFL in Lausanne, 250 davon in Design und Entwicklung.
PDSTUDENTENSTIMMUNG 430 Angestellte arbeiten am Logitech-Hauptsitz an der EPFL in Lausanne, 250 davon in Design und Entwicklung.
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Sakrosankt sind für ihn auch die Investitionen in Forschung und Entwicklung. Rund 250 Designer und Entwickler tüfteln am Logitech-Hauptsitz auf dem Gelände der EPFL in Lausanne an neuen Produkten, und es werden nicht weniger, getreu dem Mantra des Firmengründers (und heutigen Chairman Emeritus) Daniel Borel, wonach Logitech nie wegen eines zusätzlichen Ingenieurs pleitegehen wird.
Ansonsten aber ist die gegenwärtige Situation für Darrell «eine Gelegenheit, alles, was wir tun, in Frage zu stellen – wie wir arbeiten, aber auch wie ich arbeite.» So hat er etwa die Konzernstruktur geändert. Bislang war Logitech nach sieben Produktgruppen organisiert, von Gaming über Lautsprecher bis Webcams.». Neu stehen nicht mehr Produkte im Zentrum, sondern Benutzer: Die Gruppe Personal Workspace Solutions unter Delphine Donné kümmert sich um den User im Homeoffice. Gaming/Streaming/Creators unter Ujesh Desai spricht Gamer und Influencer an. Die Gruppe B2B wiederum wird geleitet von Scott Wharton, und soll dafür sorgen, dass Büroarbeiter an ihrem Arbeitsplatz vernünftige Videoconferencing-Lösungen vorfinden. Auch seine Führungsspanne hat Bracken Darrell drastisch reduziert: Rapportierten bis anhin 23 Manager direkt an ihn, sind es jetzt noch 13. «Das sieht jetzt mehr wie bei einer normalen Firma aus», sagt er. Der Grund: Früher arbeiteten die verschiedenen Teams unabhängig vor sich hin, weil sie keine Angst haben mussten, sich in die Quere zu kommen – Darrell behielt den Überblick. Mit dem rasanten Wachstum während der Pandemie aber näherten sich die Bereiche an. Die Teams mussten kollaborativer werden und sich absprechen. Und eine enge Koordination – das gilt auch für den CEO – ist nur dann möglich, wenn man nicht zu viele Ansprechpartner hat. Für diese begreift sich Darrell nun auch mehr als Coach denn in der Vergangenheit: «Darin war ich vermutlich bisher nicht gut, oder längst nicht so gut, wie ich hätte sein können», sagt er. Und er nimmt auch nicht mehr jedes Produkt persönlich ab, bevor es auf den Markt kommt, sondern hat diese Aufgabe an die drei Spartenleiter delegiert.
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Von einem «Reset-Jahr» spricht Darrell für 2022: «Wir organisieren uns jetzt neu, um für langfristiges Wachstum gerüstet zu sein.» Denn trotz der Negativmeldungen, die derzeit aus Lausanne an die Öffentlichkeit dringen, sieht er dafür Möglichkeiten genug. Von «temporären Anpassungen wegen der makroökonomischen Weltlage» spricht er: «Ich bin superoptimistisch!»
Langfristiges Wachstum sieht er vor allem für den Game-Markt, der nach der Pandemie wieder deutlich zurückgegangen ist. Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft lanciert Logitech daher eine tragbare Spielkonsole, die vor allem Gelegenheitsgamer ansprechen soll. Hochgerüstete und teure Hardware braucht es – anders als bei Xbox, PlayStation und Co. – dafür nicht, die Rechenleistung kommt ebenso wie die Software aus der Cloud. Und anders als bei der Konkurrenz ist der User nicht an eine Plattform gebunden, sondern kann für eine Monatspauschale Inhalte von verschiedenen Anbietern wie Microsoft Xbox oder Steam herunterladen. Dass Google ihr – sehr ähnliches – Angebot Stadia soeben nach nur drei Jahren im Markt wieder einstellt, ficht Darrell nicht an: «Das ist das Netflix des Gamings», sagt er. Vorerst allerdings nur in Nordamerika: Erst wenn die Konsole dort abhebt, soll sie in anderen Teilen der Welt verkauft werden – eine Lehre aus früheren Flops, die zu hohen Lagerbeständen unverkäuflicher Produkte rund um die Welt und damit zu hohen Abschreibungen geführt hatten.
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Viel erhofft man sich auch im Bereich Videoconferencing. Bisher, so weiss man bei Logitech, sei erst jeder zehnte Büroraum mit professionellen Konferenzkameras ausgerüstet. Und die Arbeitgeber würden in den nächsten Jahren viel Geld in ihre Offices stecken, um diese für hybrides Arbeiten zu optimieren. Weshalb Logitech nun wieder eine formelle B2B-Abteilung aufgebaut hat.
Ebenfalls noch viel Potenzial soll der Bereich Personal Workspace bieten – obwohl die meisten User bereits in der Pandemie ihr Homeoffice upgradeten. «Viele Leute haben ihr Zuhause mit Produkten ausgerüstet, die nicht wirklich das sind, was sie brauchen. Sie haben genommen, was sie noch bekamen», sagt Darrell: «Das ist für uns eine Monstergelegenheit in den nächsten drei bis fünf Jahren.» Positiver Nebeneffekt: Weil die Verbreitung dieser Produkte in der Pandemie stark gestiegen ist, wird mit der Zeit auch das Ersatzgeschäft entsprechend wachsen.
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Und dann ist da noch Airica, jenes Zürcher Start-up, das Logitech diesen Sommer übernommen hat. Die beiden Gründer haben ein System entwickelt, das die Luftqualität misst – präziser gesagt, die CO2-Konzentration, ausserdem Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, die Menge an flüchtigen organischen Verbindungen und an Feinstaub. «Die Qualität eines Meetings nimmt deutlich ab, wenn die CO2-Konzentration ein gewisses Mass übersteigt», sagt Darrell: «Und wir wollen alles tun, um Meetings besser zu machen.» Weshalb Logitech auch schon selbst an entsprechenden Messgeräten bastelte, diese bisher aber nur intern einsetzte – um dann feststellen zu müssen, das Airica deutlich weiter ist. Nun soll deren Technologie in Logitech-Produkte integriert werden. Ein typisches Beispiel übrigens für Akquisitionen, von denen Logitech pro Jahr drei bis vier macht: «Wir kannten die Produktkategorie schon recht gut», sagt Darrell: «Wir wollen nichts kaufen, wovon wir keine Ahnung haben.»
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Es gibt viele Unwägbarkeiten mit Logitechs neuer Strategie. Die Analysten zumindest glauben an sie: Knapp 80 Prozent empfehlen die Logitech-Aktie derzeit zum Kauf, die Konsensus-Schätzung für den Kurs in einem Jahr liegt zwölf Prozent höher als der jetzige Preis.
Für seine diesjährigen Ziele wird das Darrell freilich nichts mehr nützen. Dennoch dürfte seine Excel-Tabelle ihm an diesem Jahresende Anlass zur Freude geben. Grund sind die Familienziele: Darrell hat einen 25-jährigen bipolaren Sohn, der auf dem Höhepunkt der Pandemie letztes Jahr eine Psychose entwickelt und den Kontakt zur Realität verloren hatte – «ein Albtraum!». Jede Woche setzten und setzen sich die beiden zusammen und definieren gemeinsam Massnahmen, um die Situation zu verbessern. «Jetzt hat er es überwunden, kann alleine leben und geht zur Schule», sagt Darrell: «Ich bin stolz auf ihn!» Die Tochter hat gerade geheiratet, die renommierte Stanford University abgeschlossen und in einem Start-up zu arbeiten begonnen. Und der älteste Sohn, der sich hauptsächlich Gesundheitsziele setzte und auch da vom Vater unterstützt wird, ist in der Form seines Lebens. «Jeder ist auf dem richtigen Weg», sagt Darrell, «das ist wirklich gut!»
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