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Die Berufung von Adalbert Lechner zum CEO sorgt in Teilen der Konzernspitze für Unmut.
Marc Kowalsky
MARATHON-MANN Seit fast 30 Jahren regiert Ernst Tanner den Schokoladenkonzern.
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Sein erster Arbeitstag als CEO war spektakulär unspektakulär: Nachdem Adalbert Lechner den Hauptsitz von Lindt & Sprüngli am Morgen des 3. Oktober erstmals als Chef betreten hatte, schickte er ein kurzes Vorstellungsvideo an die Mitarbeiter, versandte einen Welcome Letter und absolvierte eine Reihe von Meetings, um seine neuen Mitarbeiter, die aktuell laufenden Themen sowie die gängigen Abläufe kennenzulernen.
Die Berufung auf den CEO-Posten nach 30 Jahren im Konzern ist der Karrierehöhepunkt für Adalbert Lechner, den sie beim Schokoladenhersteller alle nur «Bertl» nennen. Angekündigt wurde die Amtsübergabe des bisherigen CEO Dieter Weisskopf (er hat das Rentenalter erreicht) an den gebürtigen Österreicher Lechner schon Mitte März, die Öffentlichkeit nahm sie damals eher gleichgültig zur Kenntnis.
Doch so geräuschlos der Chefwechsel nach aussen vor sich ging, so umstritten war er intern. Zwei Lager gab es an der Spitze von Lindt: Die einen unter Führung von Executive Chairman Ernst Tanner wollten den langjährigen Deutschland-Chef Lechner als neuen Konzernleiter. Die anderen unter CEO Dieter Weisskopf fanden Lechner zu schwach und seinen Rucksack zu klein. Sie wollten lieber Alain Germiquet an der Spitze sehen, Verkaufsleiter für die internationalen Märkte.
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Am Schluss setzte sich Tanner durch. Dass der Wille des amtierenden CEO bei der Bestimmung seines Nachfolgers übergangen wird, ist ungewöhnlich und sorgt in Teilen der Konzernspitze für Unmut. Denn Lechner ist bereits 61 Jahre alt, sein Mandat ist auf vier Jahre beschränkt – eine ähnliche Konstellation wie bei der Wahl von Dieter Weisskopf 2017.
Germiquet hätte mit seinen 51 Jahren einen Generationswechsel bedeutet. Die Chance auf eine Erneuerung hat Lindt damit verpasst. Externe Kandidaten für den Chefposten und damit richtig frischer Wind sind beim Konzern sowieso unvorstellbar – auch wenn manche an der Lindt-Spitze selbstkritisch sagen, dass frisches Blut der Firma guttun würde.
Tanner sieht das anders. Lechner und Weisskopf sind beide langjährige Weggefährten: «Der macht nur mit denen, die er gut kennt», sagt ein Vertrauter. Mit Lechner geht Tanners Verbundenheit sogar bis zur gemeinsamen Zeit bei Johnson & Johnson Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre zurück.
CHEFPOSTEN Adalbert Lechner ist neuer CEO bei Lindt & Sprüngli.
Lindt & Sprüngli, SwitzerlandCHEFPOSTEN Adalbert Lechner ist neuer CEO bei Lindt & Sprüngli.
Lindt & Sprüngli, SwitzerlandKlar, Lechner ist kein ungeeigneter Kandidat: 25 Jahre lang hat er Lindt Deutschland geführt, die grösste Einzelgesellschaft im Konzern, «strategisch fehlerfrei», wie ein Weggefährte konstatiert. Unter dem Juristen hat sich der Umsatz mehr als vervierfacht, war das Wachstum überdurchschnittlich, wurden die Marktanteile stetig erhöht.
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Von einer schwarzen Null hat er den deutschen Markt in einen konzernintern ungewöhnlich rentablen Bereich geführt. Und Lechner hat in Eigenverantwortung Produkte lanciert, die später von anderen Ländergesellschaften übernommen wurden, den Goldhasen etwa, die Minipralinen oder die Früchtekugeln «Sensation Fruit».
Er gilt als immer minutiös vorbereitet in den Sitzungen, als strukturiert und bedacht, als teamfähig und loyal gegenüber seinen Leuten sowie als jemand, der gut zuhört. Intern ist Bertl ob seines Steirer Schmähs beliebt, gilt als eloquent und kontaktfreudig: «‹Küss die Hand, gnädige Frau› beherrscht er ebenso, wie er den ‹Anton aus Tirol› singen kann», sagt ein Weggefährte.
Was ihm fehlt, so die Kritiker, sei der internationale Background. Lechner war für den österreichischen und den deutschen Markt zuständig, hat nur in diesen beiden Ländern gelebt, während etwa Tanner vor seiner Lindt-Zeit in London, Brüssel, Texas und New Jersey aktiv war.
Dass man Lechner 2016 die Verantwortung für die osteuropäischen Lindt-Stores übertrug, änderte nur wenig. Und so wundert es nicht, dass manche im Konzern befürchten, die grossen internationalen Handelsketten wie Carrefour, Tesco oder Walmart würden mit dem neuen CEO Schlitten fahren. «Ihm fehlt das internationale Verständnis», bringt es jemand auf den Punkt, der ihm eigentlich wohlgesonnen ist.
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Das kann dafür Germiquet bieten. Noch 2017 wurde der Romand von Weisskopf vor den Medien als «Rookie» bezeichnet, dabei war er damals schon zehn Jahre im Konzern. Germiquet hat die englische und die französische Ländergesellschaft erfolgreich geleitet, in den letzten Jahren war er auch für exotischere Märkte wie Japan, Australien oder Südafrika zuständig, die ganz anders zu führen sind.
«Er denkt sehr global, ist ein erfolgreicher internationaler Manager», beschreibt ihn ein langjähriger Kollege. Germiquet gilt als erfolgshungrig und zuverlässig, als sehr smart, lebensfroh und angenehm im Umgang – aber als weniger fit in HR und PR als Lechner. «Da bräuchte er Unterstützung», hört man.
Germiquet wäre nicht nur der jüngere, sondern zweifelsohne auch der unbequemere CEO für Tanner gewesen – einer, der auch Grundsätzliches hinterfragt: «Wenn man diskutieren würde, wie man die Maître-Chocolatier-Kampagne verbessern könnte, würde Bertl viele konstruktive Vorschläge bringen. Alain würde fragen: Macht die Kampagne überhaupt Sinn?», beschreibt es ein langjähriger Weggefährte. «Bertl ist eher der Bewahrer», nennt es ein anderer: «Mit ihm ist Tanner die sichere Lösung eingegangen.» Klar ist auch: Eine Konstellation Lechner unter Germiquet wäre nicht einfach gewesen für den Österreicher.
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VERLIERER Alain Germiquet konnte sich im Rennen um den Chefsessel nicht gegen Adalbert Lechner durchsetzen.
Lindt & Sprüngli, SwitzerlandVERLIERER Alain Germiquet konnte sich im Rennen um den Chefsessel nicht gegen Adalbert Lechner durchsetzen.
Lindt & Sprüngli, SwitzerlandDass Germiquet auf den Job spekuliert hat, ist ein offenes Geheimnis bei Lindt (bei der Wahl von Weisskopf vor fünf Jahren konnte er sich noch keine Chancen ausrechnen). 2026, wenn der Nachfolger von Lechner bestimmt wird, dürfte er in der Poleposition sein. Die Frage ist, ob Germiquet so lange warten will. Oder ob er bis dahin nicht längst weggegangen ist zu einem anderen Konzern (und im Zweifelsfall ein paar Topleute mitgenommen hat), wie nun viele bei Lindt befürchten.
Wer aber aller Voraussicht nach dann immer noch da sein wird, ist Ernst Tanner. Dass er den Chefposten auch gegen den Willen von Weisskopf und Teile der Konzernleitung so besetzen konnte, ist Folge einer beispiellosen Machtballung. Seit er im März 1993 (ja, das war vor fast 30 Jahren!) CEO und Vizepräsident wurde, verfährt Tanner nach dem Motto: Ein bisschen mehr Ernst würde der Firma guttun.
Und noch ein bisschen mehr. Und noch ein bisschen mehr. So hatte er über 23 Jahre lang das hierzulande verpönte Doppelmandat von CEO und VR-Präsident inne. Seit 2016 ist er Executive Chairman, also VR-Präsident, der auch ins Tagesgeschäft reinredet.
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Dieses Doppelamt ist in der Schweiz nicht gern gesehen, auch wenn es in letzter Zeit zweimal neu aufgelegt wurde (OC Oerlikon, Sulzer). Nur während einer Übergangszeit von ein bis zwei Jahren wolle er Weisskopf dort unterstützen, wo er mehr Erfahrung habe, liess Tanner damals verlauten. Inzwischen läuft das siebte Jahr, und Weisskopf ist nicht mehr im Amt.
Zudem leitet Tanner die Finanzierungsstiftung für die Vorsorgeeinrichtungen sowie den Fonds für Pensionsergänzungen von Lindt & Sprüngli. Sie sind mit zusammen 20,7 Prozent der Stimmen grösster Aktionär des Schokoladenkonzerns – und der einzige, für den die Stimmrechtsbeschränkung von vier Prozent nicht gilt.
Tanner als Privatperson ist mit 2,3 Prozent der Aktien ausserdem der grösste Einzelaktionär nach Blackrock. Und er fungiert als Stiftungsratspräsident der Lindt Chocolate Competence Foundation: Sie betreibt das Schokoladenmuseum in Kilchberg – ein Denkmal, das sich Tanner für über 100 Millionen Franken selber hat setzen lassen und das inzwischen mehr als eine halbe Million Touristen an die Zürcher Pfnüselküste gelockt hat.
TOURISTENMAGNET Das Schokoladenmuseum in Kilchberg.
imago/GeisserTOURISTENMAGNET Das Schokoladenmuseum in Kilchberg.
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Echte Schwergewichte, die ihm Paroli bieten könnten, hat Tanner im VR nie zugelassen. Luxusunternehmer Silvio Denz, seit 2018 mit dabei, ist das höchste der Gefühle. Von einem «zusammengewürfelten Haufen» spricht ein ehemaliger Topkader: «Vor diesen Verwaltungsräten habe ich null Respekt. Die hat Tanner unter seiner Knute.» Zwischen 2009 und 2016 gab es im Board einen Lead Director, der Tanners Allmacht kontrollieren sollte. Theoretisch.
Den Zusatz «Independent», der normalerweise den Titel eines Lead Director begleitet, liess man wohlweislich gleich weg. Denn Antonio Bulgheroni, der diese Rolle spielen durfte (er sitzt weiterhin im VR), war und ist als Präsident der italienischen Töchter Caffarel und Lindt S.p.A. im Tagesgeschäft Tanner unterstellt – der Kontrollierte kontrollierte also den Kontrolleur.
Das Konstrukt war ebenso absurd wie wirkungslos. Seit sechs Jahren gibt es den Lead Director nicht mehr – obwohl Tanners Macht seither nicht kleiner geworden ist. «In einem Unternehmen dieser Grösse braucht es eine starke Person an der Spitze. Wir sind kein Jekami-Club», sagte Tanner vor 20 Jahren einmal in einem Interview. Damals war Lindt nur ein Drittel so gross wie heute.
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Also führt er den Laden wie ein Patron («Das muss man auch!», sagte er einst), Nepotismus inklusive. So ermöglichte er seinem Sohn eine Karriere im Konzern: Derek Tanner war für die Lindt-Stores weltweit zuständig sowie Japan-Chef, bevor er sich nach sieben Jahren selbstständig machte. Bis heute ist er unter seinem Vater Stiftungsrat der Lindt Chocolate Competence Foundation.
All das widerspricht der Good Corporate Governance. Auf den entsprechenden Rankings liegt Lindt & Sprüngli seit vielen Jahren denn auch auf einem der hintersten Plätze (was Tanner nicht im Geringsten stört). Die Rangliste von Inrate etwa setzt Lindt derzeit auf Platz 166 von 171 Schweizer Konzernen. Inrate verortet Schwächen besonders bei den Mitwirkungsrechten der Aktionäre und beim Vergütungs- und Beteiligungsmodell für Verwaltungsräte und Geschäftsleitung.
Dass der abtretende CEO Weisskopf direkt ins Board wechselt, widerspricht ebenfalls allen Empfehlungen und wäre in anderen Ländern wie Deutschland oder Grossbritannien gar nicht zulässig. Aber Weisskopfs unbestrittene Kompetenz in Sachen Admininistration, Finanzen und Einkauf nicht zu verlieren, war Tanner wichtiger.
Leisten kann sich das der 77-Jährige alles nur, weil seine Erfolge als Unternehmer unbestritten sind – und beispiellos. Unter ihm hat sich der Aktienkurs mehr als ver-28-facht. Rechnet man die Dividenden mit ein, hat sich ein Investment in Lindt seither mehr als ver-42-facht. Der Umsatz stieg von damals 821 Millionen auf heute 4,62 Milliarden Franken. Das Unternehmen, bei Tanners Amtsantritt ein Übernahmekandidat, strotzt heute vor Finanzkraft. Nur ein strategischer Fehler unterlief Tanner: der Kauf des maroden amerikanischen Pralinenherstellers Russell Stover.
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Die Erfolgsserie hat sich auch für ihn gelohnt: Mit Salären von sechs bis über zehn Millionen Franken war der Schaffhauser Bauernsohn viele Jahre lang unter den Top 10 der bestbezahlten Manager der Schweiz. Heute beträgt sein Salär 2,02 Millionen. Ein Vermögen von insgesamt 600 bis 700 Millionen Franken hat Tanner im Lauf seiner Karriere angehäuft. Damit ist er der zweitreichste Manager der Schweiz.
LEGENDE Auch mit 92 hält Warren Buffett das Ruder als CEO noch fest in der Hand.
KeystoneLEGENDE Auch mit 92 hält Warren Buffett das Ruder als CEO noch fest in der Hand.
KeystoneEr könnte sich also seiner Autosammlung widmen, an seinem Golf-Handicap arbeiten, sein Boot auf dem Lago Maggiore ausfahren oder mehr Zeit in der Ferienwohnung in Celerina verbringen. Dennoch zeigt Tanner bis heute keinerlei Zeichen von Amtsmüdigkeit: Gerade erst feierte er seinen 77. Geburtstag mit einer grossen Party an der Côte d’Azur, auch mit Geschäftsfreunden. «Er wird aller Voraussicht nach auch in fünf Jahren noch aktiv sein», sagt ein Weggefährte.
Zwei Vorbilder hat Tanner: Zum einen Warren Buffett, der auch im stolzen Alter von 92 Jahren bei seiner börsenkotierten Holdinggesellschaft Berkshire Hathaway (372 000 Mitarbeiter) als CEO das Ruder fest in der Hand hält. Die beiden sind verbunden: Sie schreiben sich regelmässig Briefe – auch weil Tanner Buffett schon seit Langem See’s Candies abkaufen will, einen kalifornischen Pralinenhersteller.
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VORBILD Tanner bewundert auch den verstorbenen Swatch-Group-Gründer Nicolas G. Hayek.
Gamma-Rapho via Getty ImagesVORBILD Tanner bewundert auch den verstorbenen Swatch-Group-Gründer Nicolas G. Hayek.
Gamma-Rapho via Getty ImagesDas zweite Vorbild ist der 2010 verstorbene Nicolas G. Hayek senior. Seit 1291, pardon, 1995 ist Tanner Mitglied im VR der Swatch Group, nach Hayeks Tod wurde er Vizepräsident. Er bewundert den Uhrenpatron als Unternehmer – und die Tatsache, dass sein letzter Arbeitstag jener war, als man ihn mit den Füssen voraus aus dem Büro tragen musste.
«Er war eine beeindruckende Persönlichkeit bis zu seinem Tod im Alter von 82 Jahren und hat der Firma viel gebracht», sagte Tanner einst über ihn: «Der Rücktritt darf keine Frage des Alters sein.» Das sieht er zweifelsohne auch für sich so.
Und so dürfte, wenn nichts dazwischenkommt, in vier Jahren Ernst Tanner auch noch seinen Nachnachnachfolger bestimmen. Gleich drei Kronprinzen gekürt zu haben, das wäre dann in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte eine wirklich einmalige Leistung.
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