Guten Tag,
Heike Bruch lehrt Leadership an der Universität St. Gallen – und ist in Corona-Zeiten besonders gefragt. Die Professorin über ratlose Kapitäne und moderne Führung.
Heike Bruch doziert keine graue Theorie: Sie forscht in der Praxis, fühlt den Puls der Corporate World und berät die Führungsriege.
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Sie sitzt gut gelaunt und morgenfrisch vor einem Green Screen. Der virtuelle Hintergrund besteht aus Flipchart-Blättern, die übersät sind mit Post-it-Zetteln, Zahlen, Handnotizen und Leuchtstiftmarkierungen. «Das Ergebnis eines Think Tanks zum Thema New Work», erklärt sie. Da wurde 30, 40 Jahre in die Zukunft gedacht. Ganz anders im folgenden Gespräch: Es dreht sich um das anspruchsvolle Hier und Jetzt.
Frau Bruch, Energie in Firmen ist eines Ihrer Forschungsgebiete. Dank der Pandemie erleben Sie derzeit wohl einen ziemlichen Hype?
Heike Bruch: Unsere Themen Leadership, New Work und Energie sind derzeit tatsächlich noch relevanter und für viele Unternehmen auch dringender geworden. Auf wesentliche Fragen, die Unternehmen derzeit an uns richten, haben wir dank Forschung und Praxis auch Antworten, aber längst nicht auf alle. Alle betreten Neuland.
Das heisst?
Dass es nun gilt, gemeinsam neue Lösungen zu suchen, was ich höchst spannend finde. Grundsätzlich bietet die Krise Unternehmen jetzt eine einzigartige Chance für die Neuausrichtung ihrer Leadership, Kultur und Zusammenarbeit wie auch für Business-Transformation und Digitalisierung.
Was sind die brennendsten Fragen, die an Sie herangetragen werden?
Es sind vor allem zwei, die zusammen dann einen doch recht aussergewöhnlichen Mix ergeben: Zum einen gibt es eine kollektive Erschöpfung und damit verbunden die Frage, wie damit umgegangen werden soll, insbesondere wenn auch Führungskräfte erschöpft sind. Zweitens, wie man es genau jetzt hinbekommt, Gas zu geben, um Chancen zu nutzen und die Transformationen anzuschieben.
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Was haben Sie da für ein Rezept?
Rezept? Das klingt, als bräuchte es dafür nur ein kleines Tool. Wäre schön, ist aber anspruchsvoller. Wir haben die Massnahmen unter das Motto «(Re-)Energize» gestellt: Es gilt, die Erschöpfung zu überwinden und Energie zu mobilisieren. Das erfordert einerseits ein Bündel von Massnahmen, eine zukunftsgerichtete Roadmap etwa. Neben den richtigen Werkzeugen braucht es aber vor allem auch Führungskräfte mit der richtigen Haltung und den richtigen Leadership-Strategien, um ihre Mannschaft durch diese Zeit zu führen. Ich denke hierbei nicht an den «Kapitän auf der Brücke», denn jetzt sind offensichtlich moderne Führungsformen gefragt. Aus meiner Sicht sind New Work und moderne Führung natürlich nicht erst durch die Pandemie quasi alternativlos geworden.
36 Prozent der Führungskräfte bezweifeln, dass sie fürs Führen gemacht sind. Der Anteil von Selbstzweiflern ist im Topmanagement am höchsten.
5 Prozentchen der Unternehmen haben bereits eine moderne Führungskultur und nutzen New Work. In der aktuellen Situation ein Riesenvorteil.
New Work setzt Loyalität und Liebe zur Firma voraus, nicht wahr? Das haben diverse Unternehmen in jüngerer Vergangenheit kaum verdient.
Das ist teilweise auch das Problem. Der Erfolg von New Work ist untrennbar mit «New Culture» verbunden, wo Aspekte wie eben Vertrauen, Eigenverantwortung und Selbstkompetenz zentral sind, aber auch Topmanager, die das vorleben. Unternehmen, die es ernst meinen mit New Work, haben eine «neue Kultur» bereits entwickelt und nun einen riesigen Vorteil. Ich rate allen, das Thema anzugehen und sich dabei bewusst zu sein, dass ein Kulturwandel kein Kurz-Projekt ist. Wenn man New Work ohne echte Kulturentwicklung versucht, fliegen einem salopp gesagt die Dinge um die Ohren.
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Wie viele Unternehmen sind New-Work-erprobt?
Gemäss unserem Radar sind es derzeit nur gerade fünf Prozent, die New Work erfolgreich nutzen.
Wie reagieren Sie, wenn ratlose Kapitäne Sie um Rat zu ihrer eigenen Rolle fragen?
Ich ermutige Führungskräfte dazu, authentisch zu sein und nicht vorzugeben, sie wüssten allein den Kurs. Wer sich so verhält, setzt sich unter unmenschlichen Druck, ist einsam. Wir befinden uns ja wie beschrieben gerade in unbekannten Gewässern, wo noch nie jemand war. Da ist es unrealistisch, alle Antworten zu kennen. Das wissen die Kapitäne selbst am allerbesten.
Steckenpferde der St. Galler Professorin Heike Bruch sind unter anderem New Leadership und New Work – und die Energie, die damit freigesetzt wird.
Maxime RicheSteckenpferde der St. Galler Professorin Heike Bruch sind unter anderem New Leadership und New Work – und die Energie, die damit freigesetzt wird.
Maxime RicheAlso hinstehen und zugeben, nicht weiterzuwissen?
Das passt nicht. Führungskräfte müssen Zuversicht, Mut und eine positive Einstellung vorleben. Ratlosigkeit ist das Gegenteil davon. Jedoch sollten sie die Menschen einbeziehen und Fragen stellen. Konkret geht es darum, dass Führungskräfte ihre Mannschaft ernst nehmen, mit ihr in den Dialog gehen und gemeinsam die Zukunft gestalten. Das ist authentisch, macht sie nahbar und stärkt das Vertrauen.
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Das klingt wohl einfacher, als es für viele ist.
Das ist für viele nicht leicht. Allerdings gibt es wunderbare Vorbilder von Führungskräften und Unternehmen, die moderne Führung mit den Strategien und Werkzeugen gelernt haben. Das kann man effektiv lernen. Wir erleben es bei Coaching- und Leadership-Development-Programmen.
Was braucht es dazu?
Ehrliche Offenheit. Man kann und muss Leadership lernen, muss sie auch lernen wollen. New Leadership und Kulturtransformation sorgen dann in vielen Unternehmen für Energie und Dynamik, insbesondere in Bezug auf Inhalt und Form von Führung. Die Pandemie hat dem allem fraglos Dringlingkeit verliehen, aber auch Aufwind: Und der kommt nicht zuletzt daher, weil man festgestellt hat, dass gewisse Dinge trotz Lockdown und Zwangs-Homeoffice sehr gut laufen und die Mitarbeitenden im Homeoffice wider alle Bedenken gut arbeiten. Es ist bemerkenswert, wie viele Menschen bereit sind, derzeit Besonderes zu leisten, weil es eine Ausnahmesituation ist. Und wissen Sie was? Die Produktivität ist in den meisten Unternehmen im Jahr 2020 sogar gestiegen.
Echt?
Ja, insbesondere bei Aufgaben, bei denen es vor allem um eingespielte Dinge und das Aufrechterhalten des Betriebs geht. Führungskräfte sollten dies jetzt merkbar wertschätzen und das Vertrauen ausbauen.
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Heike Bruch (54) ist seit 2001 Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Leadership an der Universität St. Gallen und dort auch Direktorin am Institut für Führung und Personalmanagement. Ihre Forschungsthemen sind unter anderem Energie & Engagement und Neue Führungs- und Arbeitsformen sowie etwa Fragen, inwiefern Leadership und Kultur Unternehmen innovativ, schnell und wandlungsfähig machen. 2006 hat sie die Beratungsfirma Energyfactory gegründet mit inzwischen elf Mitarbeitern und unzähligen Kunden von ABB über BMW bis SBB.
Es gab unzählige Firmen, die ihre Mitarbeiter nach dem Lockdown wieder ins Büro befehligt haben.
Den Reflex, «die Zügel in die Hand zu nehmen» und die Leute wieder an den Arbeitsplatz zu holen, gab es. Mitunter verursacht durch den wirtschaftlichen Druck und die Tatsache, dass eben vieles noch nicht eingespielt war und ist. Aber: Die Rückkehr zur Command-and-Control-Führung ist für diejenigen, die vertrauensvoll, gewissenhaft und eigenständig im Homeoffice gearbeitet haben, wie ein Schlag ins Gesicht. Das ist das Gegenteil von Wertschätzung, und Führungskräfte machen mit solchem Verhalten viel kaputt. Sie schädigen die Kultur. Ich fordere daher sehr explizit, jetzt die Chancen zu ergreifen, mit Herz, Mut und System eine Führungs- und Kulturtransformation anzugehen. Es gilt, nicht trotz, sondern wegen der Krise in Führung, Kultur und New Work zu investieren.
Was sind dazu Ihre Schlagworte?
New Culture – und das umfasst Vertrauen, Leadership mit Inspiration und Selbstkompetenz der Mitarbeitenden. Zusätzlich ist in der Praxis eines besonders wichtig: die Überwindung der Input-Kultur, wo es darum geht, wie lange, wie hart und wie engagiert gearbeitet wird. Was echtes New Work aber braucht, ist eine Output-Kultur, bei der zählt, welchen Beitrag jemand leistet, welche Ergebnisse erzielt werden. Führung wird damit weitaus anspruchsvoller, weil es um viel mehr geht, als nur sicherzustellen, dass alle präsent sind. Es ist Zeit, einige alte Führungsinstrumente im Sinn eines Unbossing-Prozesses beiseitezulegen und neue Werkzeuge zu nutzen, etwa bei Zielvereinbarungen Beiträge ins Zentrum zu rücken statt klassischer Kennzahlen. Ausserdem empfehle ich, beidhändig zu führen.
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Beidhändig führen?
Es gilt zu unterscheiden zwischen Aufgaben, die eher mit Innovation zu tun haben, und anderen, bei denen es mehr um Effizienz geht. Das eine braucht viel Freiheit und Empowerment, das andere Präzision und ergebnisorientierte Führung. Dies mündet in sehr unterschiedliche Arbeitsformen in ein und derselben Firma, da die unterschiedlichen Bereiche auch unterschiedliche Führung verlangen. Bei Porsche Motorsport an der Rennstrecke braucht es Präzision, rigide Prozesse und auch Top-down-Führung. In der Fahrzeugentwicklung aber arbeitet man auf Augenhöhe, flexibel, und es dürfen auch Fehler gemacht werden. Eine beidhändige Führung ist in modernen Unternehmen unabdingbar, um mit Speed zu arbeiten. Sie führt jedoch nur zum Erfolg, wenn Führungskräfte übergeordnete Ziele und eine Vision vermitteln und so vorleben, dass sich alle identifizieren und zusammen auf das Gleiche hinarbeiten. Sonst verstärken sich die Silos in Unternehmen, man arbeitet nebeneinanderher oder gegeneinander, und das ist in netzwerkartigen Strukturen mit viel virtueller Arbeit noch kontraproduktiver als ohnehin schon.
▶︎ «NZZ» oder «Tages-Anzeiger»? «NZZ».
▶︎ Wein oder Bier? Ich trinke kaum Alkohol, doch wenn, dann Rotwein.
▶︎ Brat- oder Currywurst? Was für eine Frage: Ich komme zwar aus Berlin, aber an eine Olma-Bratwurst kommt eine Currywurst nicht ran.
▶︎ BMW oder Porsche? Ich arbeite zwar mit beiden Firmen zusammen, fahre selber aber einen Audi.
▶︎ Berge oder Strand? Strand.
▶︎ Homeoffice oder Office? Beides, das gehört für mich heute zum Selbstverständnis.
▶︎ Beraten oder dozieren? Dito, in unserer Arbeit fliesst das eine aus dem andern und das andere zurück in das eine. Gehört für mich eng zusammen.
▶︎ WhatsApp oder E-Mail? WhatsApp.
▶︎ Cash oder digital bezahlen? Digital.
▶︎ iPhone oder Samsung? iPhone.
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Was sind für Sie No-Gos in Sachen New Work?
Typische Fehler sind, dass Unternehmen das Thema New Work rein technisch-strukturell angehen. Und ein verbreiteter Fehler ist auch, dass man Führung schwächt.
Haben Sie vorher nicht genau dafür plädiert?
Nein. Dank Selbstorganisation und flacheren Hierarchien kann man zwar Management reduzieren. Leadership muss jedoch bei New Work eher gestärkt werden. Sonst besteht die Gefahr von Laisser-faire. Unternehmen mit diesem Ansatz sind mit New Work rasch einmal überfordert und in der Konsequenz dann langsamer, überhitzt und verunsichert. Wir beobachten das bei rund 30 Prozent der Firmen, wir nennen sie «die modern Überforderten».
Weniger Management, mehr Leadership – ist das erreichbar mit der jeweils bestehenden Führungsriege?
Natürlich, falls die Bereitschaft besteht, Neues zu lernen und Altes zu entlernen. Wir arbeiten hier mit einem Konsortium aus einem guten Dutzend Unternehmen, das sich unter dem Titel «Pioneering Future Leadership and Work» regelmässig austauscht. Die einen sind weiter in Sachen Arbeitszeiten, die anderen mit dem Performancemanagement oder in der Kultur. Die Art von Austausch empfehle ich auch Führungskräften innerhalb eines Unternehmens. Fragen wie «Was ist meine neue Rolle?» und «Wie gelingt mir der Sprung in die Zukunft?» zu diskutieren, ist wichtig. In unseren umfassenden Umfragen, die wir seit vielen Jahren regelmässig durchführen, gaben schon vor der Pandemie 36 Prozent der Führungskräfte an, sich nicht sicher zu sein, ob sie führen können oder sollten. In Zeiten des Umbruchs wie gerade jetzt steigt dieser Wert auf über 70 Prozent.
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Als die Räume an der Uni zu klein wurden, hat Bruch eine Kirche zugemietet – und so den Präsenzunterricht weiter gepflegt.
Maxime RicheAls die Räume an der Uni zu klein wurden, hat Bruch eine Kirche zugemietet – und so den Präsenzunterricht weiter gepflegt.
Maxime RicheDie Konsequenz?
Führungskräfte mit Selbstzweifeln führen nicht inspirierend, nicht im Dialog und auch ohne Mut. Sie tendieren zu Command and Control oder Laisser-faire. Beides können wir gegenwärtig nicht gebrauchen.
Wie halten Sie es selbst mit Ihren Mitarbeitern? Und wie die Uni mit den Studierenden?
Das ist ein grosses Thema. In meinem Team unternehmen wir viel, um unseren sehr guten Zusammenhalt bewusst zu pflegen und auch zu schützen. Wir haben intensivierte Kommunikation, regelmässige Meet-ups, wo wir uns austauschen, fragen, wie es geht, und checken, ob jemand Hilfe braucht. Zudem haben wir ein Buddy-System entwickelt. Jeder hat einen Buddy, trifft sich mit dem einmal am Tag zum Beispiel zu einem virtuellen Kaffee oder Spaziergang. Ich selbst habe die bilateralen Gespräche intensiviert.
Und bei den Studierenden?
Ich habe so lange wie möglich den Präsenzunterricht gepflegt. Das ging so weit, dass wir hier in der Stadt eine Kirche gemietet haben, als die Räume an der Uni von der Grösse her nicht mehr ausreichten. Der Effort wurde von den Studierenden sehr geschätzt, und ich werde auch zum Präsenzunterricht zurückkehren, sobald das wieder erlaubt und ohne Gefahr für die Gesundheit möglich ist. Bis dahin versuche ich die Online-Lehre so persönlich und offen wie möglich zu gestalten. Das gelingt gut, und so entstehen auch virtuell Nähe und Inspiration. Beides ist mir und dem gesamten Team sehr wichtig und für unsere Themen ja auch absolut zentral.
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