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Ausblick

Invest Guide 2022: Die See wird rauer

Die steigenden Preise zwingen Notenbanken zur Zurückhaltung. Der Wirtschaftsboom dürfte im zweiten Halb­jahr enden – dann wird es stürmisch.

Erich Gerbl

sjfk

DIE LENKER: Die Notenbanker Christine Lagarde (rechts, hinten) und Jerome Powell (rechts, vorne) halten mit den Zinsen das alles entscheidende Instrument in der Hand. Chinas Präsident Xi Jinping (links, hinten) sorgt mit Reformen für Unruhe. US-Präsident Joe Biden (links, vorne) ist spendabel, was die Märkte freut.

Bilanz

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Traditionell sitzt der Senator von Pennsylvania am «Candy Desk». Das ist ein Arbeitsplatz im Capitol der Vereinigten Staaten, der seit den 1960er Jahren mit Süssigkeiten aus seinem Bundesstaat ausgestattet ist. Seit 2015 überwacht Pat Toomey diesen Schatz, aus dem sich die Politiker trotz des Essverbots bedienen können. Ganz und gar nicht süss waren die Fragen, mit denen Senator Toomey, streng über seine Lesebrille blickend, Jerome Powell bombardierte. Der Chef der mächtigsten Zentralbank der Welt wurde am letzten Novembertag in Washington, D.C., von Senatoren zur Geldpolitik und zur grassierenden Inflation befragt. Wie lange er denn angesichts der schon seit zwei Jahren hohen und zuletzt ausufernden Teuerungsraten denn noch an eine vorübergehende Inflation glaube, wollte Toomey wissen. Für einen Geldpolitiker wurde Powell überraschend deutlich. «Es ist wohl an der Zeit, das Wort ‹transitorisch› in den Ruhestand zu schicken», sagte er. Die Inflation dürfte länger hoch bleiben. Die Geldpolitik müsse schneller auf die Bremse treten.

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Schwere Verluste

Die Reaktion auf diese Kehrtwende liess an den Finanzmärkten nicht lange auf sich warten. Noch während die Befragung lief, rutschte der S&P 500 Index um 1,6 Punkte in die Tiefe. Selbst die Schweizer Börse machte eine halbe Stunde vor dem Schlusskurs noch einen Taucher. Die Renditen von US-Treasuries erhöhten sich von 1,4 auf 1,5 Prozent. Risikoanlagen wie Kryptowährungen erlitten noch Tage nach dem Statement schwere Verluste.

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Container

The Port of Charleston in Charleston, South Carolina, U.S., on Wednesday, Nov. 3, 2021. The supply crunch that has dogged the global shipping industry could worsen before it gets better, with new challenges ranging from crew retention to wage inflation. Photographer: Sam Wolfe/Bloomberg

CONTAINER: Die Pandemie hat die eng aufeinander abgestimmten globalen Lieferketten durcheinandergebracht. Engpässe wie an kalifornischen Containerhäfen trieben die Preise in die Höhe. Die Notenbanker steuern nun dagegen.

Bloomberg
The Port of Charleston in Charleston, South Carolina, U.S., on Wednesday, Nov. 3, 2021. The supply crunch that has dogged the global shipping industry could worsen before it gets better, with new challenges ranging from crew retention to wage inflation. Photographer: Sam Wolfe/Bloomberg

CONTAINER: Die Pandemie hat die eng aufeinander abgestimmten globalen Lieferketten durcheinandergebracht. Engpässe wie an kalifornischen Containerhäfen trieben die Preise in die Höhe. Die Notenbanker steuern nun dagegen.

Bloomberg

Die Worte von Fed-Chef Powell werden wesentlich bestimmen, wie erfolgreich das neue Jahr für Investoren wird. Und 2022 verspricht ein besonders spannendes Jahr zu werden. Denn vor den Augen der Analysten, Fondsmanger, Grossanleger wie Pensionskassen und Privatanleger beginnt eine neue Ära. «Die Zinswende ist da, der Zinsanstieg hat begonnen», sagt Thomas Stucki, der Chefanleger der St. Galler Kantonalbank (SGKB). Wenige Tage bevor der Bundesrat die Regeln verschärfte, hatte er in einem Zürcher Hotel noch einen Ausblick auf 2022 gehalten.
Genau 40 Jahre lange wanderten die Zinsen immer weiter in den Keller, viel tiefer, als es Experten für möglich hielten. Nun gibt es zumindest eine Bodenbildung und vielleicht gar eine Kehrtwende. Und das sogar in der Schweiz. «Die Zinskurve in der Schweiz ist seit Anfang Jahr deutlich steiler», sagt Stucki. Noch lange bevor die Zentralbanken die Zinsen anheben, preisen sie die Investoren in die Kurse und Renditen der Obligationen ein. Die US-Notenbank Fed wird wohl die erste der grossen Zentralbanken sein, die den Leitzins erhöht. In US-Treasuries sind zwei Zinschritte à 25 Basispunkte bis Ende 2022 enthalten. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die hoch verschuldeten südeuropäischen Länder im Nacken und dürfte 2022 mit Zinsschritten noch zögern. Aber auch EZB-Chefin Christine Lagarde fährt die Wertpapierkäufe bis Ende 2022 voraussichtlich auf null zurück. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) muss Anlagen in Franken immer ein Stück unattraktiver gestalten und liegt bei Zinsschritten nach oben stets einen Schritt hinter der EZB zurück. Geht es nach SGKB-CIO Stucki, könnte die SNB die Aktion der US-Kollegen nutzen und die Zinsen noch vor der EZB heben. Eine interessante, aber nicht verbreitete Theorie.
«Zentral ist die Art und Weise, wie die Fed die Zinsen anhebt», sagt Stucki. Die heftigen Zinsschritte der inflationären 1970er und frühen 1980er Jahre sind das Negativbeispiel. Im Juni 1981 sprangen die Fed Funds Rates von 10,9 auf 19,1 Prozent, um kurz darauf wieder zu sinken. «Das waren Zinsschwankungen, die jede Wirtschaft und die Finanzmärkte in die Knie zwingen», sagt Stucki. Aber es gibt auch jüngere und weniger extreme Beispiele. 2004 liess die US-Notenbank die Wirtschaft zu lange laufen. Es brauchte 17 Zinsschritte (von 1,00 auf 5,25 Prozent), um die heisslaufende Wirtschaft wieder einzubremsen.

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Chips

SANMENXIA, CHINA - JULY 15: An employee works in the workshop of a chip manufacturing enterprise on July 15, 2021 in Sanmenxia, Henan Province of China. (Photo by Sun Meng/VCG via Getty Images)

CHIPS: China bekam die Folgen des Halbleitermangels deutlich zu spüren und baut jetzt selbst Produktionskapazitäten auf. Eines von vielen Beispielen für die zunehmende Deglobalisierung.

VCG via Getty Images
SANMENXIA, CHINA - JULY 15: An employee works in the workshop of a chip manufacturing enterprise on July 15, 2021 in Sanmenxia, Henan Province of China. (Photo by Sun Meng/VCG via Getty Images)

CHIPS: China bekam die Folgen des Halbleitermangels deutlich zu spüren und baut jetzt selbst Produktionskapazitäten auf. Eines von vielen Beispielen für die zunehmende Deglobalisierung.

VCG via Getty Images

Jetzt ist Tapering angesagt, also eine Reduktion der Anleihenrückkaufprogramme. Powell fährt den Anleihenankauf rasch zurück. Doch das ist nur ein erster und nicht besonders wirkungsvoller Schritt. «Der Einfluss des Taperings wird überschätzt», sagt Stucki. Die Bilanzsumme der Fed mache weniger als 40 Prozent der US-Wirtschaftsleistung aus. Die EZB hält sogar nur Wertpapiere von weniger als zehn Prozent des BIP der Eurozone. «Tapering ist nicht Tightening, reduzieren ist nicht straffen. Tapering ist einfach weniger Lockerung», sagt Julian Brigden. Der Chef des Research-Dienstleisters Macro Intelligence 2 Partners verwendet das Beispiel eines Autos, das statt mit 120 mit 105 km/h gegen eine Mauer fährt. «Das macht kaum einen Unterschied», sagt er. Für Brigden ist die grosse Frage, wie weit die Zinssätze in einem Umfeld nach oben wandern müssen, in dem die Nachfrage in seinen Augen «buchstäblich aus dem Ruder läuft».
 

Das Inflationsgespenst

Vorsichtige Zinsschritte können sowohl die Realwirtschaft als auch die Finanzmärkte verdauen. Noch dazu, wenn sie von einem kräftigen Wirtschaftswachstum begleitet sind. Doch es besteht die Gefahr, dass die Notenbanken, allen voran die Fed, ungewollt zu heftigeren Bremsmanövern gezwungen sind. Denn unverhofft lief den Hütern der Währungsstabilität das viele Jahre nicht gesichtete Inflationsgespenst über den Weg. Vor allem in den USA, Grossbritannien und Deutschland ist die Teuerung mit Raten von rund sechs Prozent beängstigend hoch. Glaubten die Notenbanker bisher an ein vorübergehendes Phänomen, wird diese Hoffnung nicht nur von US-Senatoren hinterfragt.

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Nasdaq

NEW YORK, NEW YORK - DECEMBER 06: BuzzFeed is displayed in front of the Nasdaq market site as the media company goes public on the Nasdaq through a merger with a special-purpose acquisition company on December 06, 2021 in New York City. Shares of the digital media company, trading under the new ticker “BZFD,” rose 12.7% to $10.84 as markets opened Monday. (Photo by Spencer Platt/Getty Images)

NASDAQ: Steigende Zinsen sind für Wachstumsaktien ein Problem. Weil künftige Gewinne mit höheren Zinssätzen abdiskontiert werden, sind sie in der Gegenwart weniger wert.

Getty Images
NEW YORK, NEW YORK - DECEMBER 06: BuzzFeed is displayed in front of the Nasdaq market site as the media company goes public on the Nasdaq through a merger with a special-purpose acquisition company on December 06, 2021 in New York City. Shares of the digital media company, trading under the new ticker “BZFD,” rose 12.7% to $10.84 as markets opened Monday. (Photo by Spencer Platt/Getty Images)

NASDAQ: Steigende Zinsen sind für Wachstumsaktien ein Problem. Weil künftige Gewinne mit höheren Zinssätzen abdiskontiert werden, sind sie in der Gegenwart weniger wert.

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Selbst Experten, die davon ausgehen, dass sich die Inflationsraten aufgrund der Basiseffekte wieder reduzieren (der Ölpreis wird sich 2022 wohl nicht erneut verdoppeln), rechnen nun mit einem Inflationsniveau, das anhaltend über dem Zwei-Prozent-Ziel der meisten Notenbanken liegt. Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, in denen die Inflation mit 1,5 Prozent keine grosse Rolle spielt. Der starke Franken verbilligt den Import und ist ein wesentlicher Grund dafür.

Eine neue Ordnung

Gemäss Werner Krämer, seit 22 Jahren bei Lazard Asset Management und dort ein auf die grossen ökonomischen Zusammenhänge spezialisierter Analyst, findet derzeit ein Paradigmenwechsel statt. Die Weltwirtschaft befinde sich in einem Wandel. Der Neoliberalismus büsse nach 40 Jahren an Bedeutung ein. Leitbegriffe wie offene Märkte, mehr Wettbewerb, Globalisierung und unabhängige Zentralbanken verlören an Gültigkeit. Ein neuer Keynesianismus, wie er in der Periode der steigenden Zinsen von 1941 bis 1981 praktiziert wurde, verbreite sich. «Schlägt man deutsche Zeitungen auf, ist alles neo-keynesianisch. Verbreitet gibt es Forderungen, dass der Staat wieder mehr Verantwortung übernehmen muss», sagt Krämer. Für die Zinspolitik ist das relevant. Wirkte der Neoliberalismus etwa durch Produktion im günstigen Ausland deflationär, wäre ein auf die Heimatmärkte fokussierter Keynesianismus nachhaltig inflationär. «Mit dem Strukturbruch von neoliberal zu neo-keynesianisch wachsen die Inflationsrisiken», so Krämer. Eine sinkende Zahl von Arbeitskräften und die erstmalige Weitergabe von Umweltkosten an Industrie und Konsumenten kommen als langfristige inflationäre Trends dazu. «Wir werden in Zukunft keine Hyperinflation haben, aber eine höhere. Das Thema Inflation bleibt uns in diesem Jahrzehnt erhalten», sagt Krämer.Auch wenn Virusvarianten noch die eine oder andere Verzögerung in der Pandemie bringen können, scheint die Zeit der Geldflut vorbei zu sein. Für die Märkte sind das keine guten Nachrichten. «Die Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik wird nicht reibungslos vonstattengehen. Jede noch so sinnvolle Liquiditätsverknappung und jede Zinsanhebung zur Bekämpfung inflationärer Tendenzen werden monetäre Entzugserscheinungen an den Märkten auslösen», prognostiziert Heinz-Werner Rapp, CIO der FERI-Gruppe. Und sind die Märkte auf Entzug, werden sie nervös. Die Schwankungen steigen, Korrekturen werden häufiger.

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Mit Zinsschritten kommen die Märkte vor allem dann zurecht, wenn sie von hohem Wirtschaftswachstum begleitet sind. Zumindest fürs erste Halbjahr 2022 wird von Experten wie Daniel Hartmann, dem Chefökonomen des Asset Managers Bantleon Bank, ein regelrechter Wirtschaftsboom prognostiziert. Mit seinen Vorhersagen trifft Hartmann häufig ins Schwarze. Bloomberg zufolge zählt er seit 2011 weltweit zu den sieben besten Prognostikern für die Eurozone. 2018 und 2019 belegte er den zweiten, 2020 sogar den ersten Rang. Die Industrieländer, allen voran die USA, haben 2020/21 die grössten geld- und fiskalpolitischen Impulse aller Zeiten lanciert. Der Ökonom prognostiziert, dass diese Geldflut das globale Wachstum auch 2022 noch ankurble. «Die schlummernden Aufschwungskräfte sollten vor allem im ersten Halbjahr 2022 zur Geltung kommen, wenn die Pandemie erneut an Schrecken verliert», sagt der Deutsche. Er rechnet für die USA und Europa in den ersten sechs Monaten noch mit Wachstumsraten von fünf Prozent. Entladen sollte sich der aufgestaute Konsum – Sparer sitzen weiterhin auf riesigen Rücklagen.

Die in der Pandemie erzwungene Zurückhaltung beim Konsum hat allein in den USA, Kanada und der Eurozone zu überschüssigen Ersparnissen von 4000 Milliarden Dollar geführt. Besonders fett sind die Sparschweine in den USA, wo Millionen von Barschecks verschickt wurden und der Konsum die tragende Säule der Wirtschaft ist. Dieser Wirtschaftsboom und das viele Notenbankgeld, welches noch durch das System wabert, dürften die Märkte Anfang des Jahres weiter nach oben treiben. Hartmann traut dem SMI in der ersten Jahreshälfte 14 000 Punkte zu. Der DAX könne auf 18 000, der S&P 500 auf 5200 Punkte klettern. Die Schwellenländer-Börsen hätten sogar noch ein etwas grösseres Aufholpotenzial. Viele Banken geben für das gesamte Jahr grünes Licht: «Solides globales Wachstum und attraktive Erträge an den globalen Aktienmärkten» sagt etwa die Credit Suisse für 2022 voraus.

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Die Party geht zu Ende

Doch Anleger sollten vorsichtig sein. Es besteht die Gefahr, dass die Party an den Börsen im kommenden Jahr massiv gestört wird und zumindest vorübergehend zu Ende geht. Denn auch wenn im ersten Halbjahr alles noch sehr gut läuft, droht in der zweiten Jahreshälfte ein konjunktureller Dämpfer. «Ab dem zweiten Halbjahr 2022 wird der Rückenwind nachlassen und sich das Expansionstempo der Weltwirtschaft sukzessive abschwächen», prognostiziert Daniel Hartmann. Seine weit vorauslaufenden Frühindikatoren deuten auf einen Abwärtstrend der Konjunkturkräfte hin. Nachholeffekte laufen aus, die Reise ist gemacht, der Freizeitpark besucht. Nach und nach brauchen sich die Ersparnisse der Konsumenten auf – die kostspieligen fiskalischen Impulse verlieren ihre Wirkung. Während sich die Wirtschaft abkühlt, steigen die Zinsen und Renditen auf den Anleihenmärkten. Denn auch für Hartmann ist die Inflation kein vorübergehendes, sondern ein nachhaltiges Phänomen. Mit den steigenden Zinsen gewinnen neu emittierte Anleihen an Anziehungskraft. Die Geldströme von Anleihen zu Aktien lassen nach und ändern irgendwann gar die Richtung.Auf die Rückkehr verschreckter Anleger zu warten, macht keinen Sinn. Denn die sind bereits zurück. Laut der Bank of America wanderten 2021 rund 900 Milliarden Dollar in aktive und passive Fonds – so viel wie in den vorangegangenen 19 Jahren zusammengerechnet.

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Die grüne Welle

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GRÜNE WELLE: Der Klimawandel ist auch an den Finanzmärkten ein grosses Thema. Der Umbau der Wirtschaft verschlingt Tausende Milliarden. Der Finanzierungsbedarf ist entsprechend gross. Das hindert die Notenbanken an zu starken Interventionen.

AFP
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GRÜNE WELLE: Der Klimawandel ist auch an den Finanzmärkten ein grosses Thema. Der Umbau der Wirtschaft verschlingt Tausende Milliarden. Der Finanzierungsbedarf ist entsprechend gross. Das hindert die Notenbanken an zu starken Interventionen.

AFP

Durch die starke Nachfrage nach Aktien sind in den Kursen kräftig steigende Gewinne für 2022 enthalten. Doch diese sind in Gefahr. «Während sich das Wachstum der Weltwirtschaft abzuflauen beginnt, bleibt der Kostendruck hoch», sagt Hartmann. Löhne steigen, Rohstoffe bleiben teuer, die Kreditkosten wachsen an. Das drückt auf die Profitabilität. Steigen die Zinsen, wirken Aktien ohnehin teurer. «Aufgrund des Rückzugs der Geldpolitik und des Renditeanstiegs wird es 2022 in allen Assetklassen schwierig, positive Erträge zu erzielen. In den Portfolios wird es entscheidend sein, im Laufe des Jahres die Aktienquoten zu reduzieren», so Hartmann. Er erwartet im zweiten Halbjahr eine moderate Korrektur. Diese sieht er jedoch nicht als Einstiegsmöglichkeit. «2023 wird wahrscheinlich noch schwieriger als 2022, weil sich die Trends aus dem zweiten Halbjahr 2022 fortsetzen dürften», sagt er. Eine unheilvolle Mixtur aus steigenden Renditen, hoher Inflation und nachlassendem Wachstum. «Wir gehen davon aus, dass sich die mittelfristigen Perspektiven an den Aktienmärkten eintrüben», sagt Hartmann und trifft eine für einen Vermögensverwalter ungewöhnlich düstere Prognose.
 

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Ein restriktiverer Kurs

«Die Zentralbanken werden zunehmend vorsichtig und damit restriktiver. Das dürfte bis Ende 2022 zu einer rascheren Konjunkturverlangsamung führen», sagt auch Sébastien Galy, in Luxemburg stationierter Makro-Stratege bei Nordea AM. Fürs erste Halbjahr sagt Galy noch ein Rally bei populären Stilen wie Growth und Quality vorher. Das finde jedoch «mit der konjunkturellen Schwächephase ein abruptes Ende». Er erwartet an den Märkten bis spätestens Ende 2022 einen regelrechten «Schock» und «in sämtlichen Anlageklassen eine starke Korrektur». Die Märkte stellen sich dann auf eine Phase tieferen Wachstums ein. Anders als Hartmann erwartet Galy einen Rebound, diesen aber auch nur in Teilen. Eine schnelle Erholung traut er Aktien von Unternehmen zu, die auf Nachhaltigkeit, Innovation und Disruption eingestellt sind.

Enorme Umwälzungen

David Eiswert managt bei T.  Rowe Price zweistellige Milliardenbeträge in einem Global Focused Growth Equity Fund. Schon Jahre predigt er, dass sich die Welt durch die Digitalisierung in Gewinner und Verlierer teile. Diese Theorie hat nun in der Covid-Krise an Bedeutung gewonnen. «Die Welt erlebt durch die Pandemie enorme Umwälzungen und Innovationen in allen Sektoren», sagt er. Das Verhalten der Menschen ändere sich nachhaltig. Es werde Firmen geben, die sich erfolgreich der neuen Welt anpassten, aber auch solche, denen dies nicht gelinge. Geht es nach Eiswert, gilt es, Unternehmen zu identifizieren, die diese Veränderungen gut überstehen. Zoom zählt für ihn zu den bekannten Nutzniessern der Pandemie, sei aber auch ein Unternehmen, das «die Kluft überquert hat» und ein langfristiger Gewinner der hybriden Arbeitsumgebung sei.

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Shopping

NEW YORK, NY - DECEMBER 24: With Christmas only one day away, holiday shoppers make a last-minute trip to department stores in Midtown, Manhattan on December 24, 2020 in New York City. Despite persisting social distancing recommendations and many turning to online retailers, large crowds filled the streets of New York City's commercial districts Thursday. (Photo by Scott Heins/Getty Images)

SHOPPING: 4000 Milliarden Dollar an Ersparnissen wurden in der Pandemie in den USA, Kanada und der Eurozone aufgebaut. Zumindest Teile davon werden nun investiert. Das sollte die Wachstumsraten im ersten Halbjahr noch kräftig unterstützen.

Getty Images
NEW YORK, NY - DECEMBER 24: With Christmas only one day away, holiday shoppers make a last-minute trip to department stores in Midtown, Manhattan on December 24, 2020 in New York City. Despite persisting social distancing recommendations and many turning to online retailers, large crowds filled the streets of New York City's commercial districts Thursday. (Photo by Scott Heins/Getty Images)

SHOPPING: 4000 Milliarden Dollar an Ersparnissen wurden in der Pandemie in den USA, Kanada und der Eurozone aufgebaut. Zumindest Teile davon werden nun investiert. Das sollte die Wachstumsraten im ersten Halbjahr noch kräftig unterstützen.

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Für die UBS sind Nachhaltigkeit und Technologie sogar übers ganze kommende Jahrzehnt die Renditebringer. Das UBS Global Wealth Management um CIO Mark Haefele sieht für diesen Zeitraum Chancen, die sich aus dem Übergang zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft und zu disruptiven Technologien ergeben. Sektoren wie künstliche Intelligenz, Big Data und Cybersicherheit wird besonders viel zugetraut. Für die Phase der Verlangsamung im zweiten Halbjahr rät die UBS zu defensiveren Marktsegmenten wie Healthcare. Gesundheitsaktien seien nicht nur wegen der Stabilität, sondern auch aufgrund der vorhergehenden «klaren Underperformance» interessant. Die Diskussion über Preiskontrollen im US-Markt belasteten die Kurse. Handelten Aktien aus dem Gesundheitssektor in den vergangenen 20 Jahren mit einem zehnprozentigen Aufschlag über dem Markt, ist dieses Premium auf zwei Prozent geschmolzen. Besonders günstig sehen Pharmaaktien aus, deren KGV im Vergleich zum globalen Markt so tief wie seit 20 Jahren nicht mehr ist.
Nordea-Experte Galy prognostizert nicht nur die Korrektur, sondern im Anschluss bei Hochzins- und Finanztiteln «eine grossartige, aber rasch vorübergehende Kaufgelegenheit». Der Markt fokussiere sich dann schnell auf eine Welt, in der festverzinsliche Wertpapiere stärker nachgefragt würden. Unabhängig davon, ob die Korrektur kommt, zählen Finanztitel im Umfeld höherer Zinsen zu den Profiteuren.
Eine Dekade lang hatten die USA, was die Börsenperformance angeht, die Nase vorn. 2022 könnten europäische und japanische Aktien stärker gefragt sein. Denn dort dominieren Zykliker. Diese sind günstiger bewertet und könnten von der Erholung profitieren. Auch schlagen sich Zykliker in einem Inflationsumfeld meist gut. Rückblickend betrachtet haben Aktien bei Inflationsraten von einem bis vier Prozent die höchsten Renditen gebracht. Stefan Kreuzkamp, CIO der Deutsche-Bank-Tochter DWS, setzt auf Japan und Europa als eine Art «Absicherung gegen höhere Zinsen». Auch FERI-CIO Rupp favorisiert Japan und Europa, hat aber den Glauben an die grossen US-Technologiewerte nicht aufgegeben. Aufgrund ihrer Preissetzungsmacht können diese «erneut positiv überraschen».

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Charts 1

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Bloomberg, SGKB
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Bloomberg, SGKB

Charts 2

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Bloomberg
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Bloomberg

Von China geht derzeit einiges an Verunsicherung aus. Während Immobiliengiganten wie Evergrande bedrohlich wanken, sorgt Präsident Xi Jinping mit zahlreichen Eingriffen für Beunruhigung. Regulierungszyklen sind in China nichts Neues. In der Vergangenheit habe die Regierung immer dann Reformen eingeleitet, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen im Land günstig waren. «Sie reparieren das Dach, solange die Sonne scheint», sagt David Eiswert. Gemäss dem Fondsmanager hat der derzeitige Regulierungszyklus wohl seinen Höhepunkt erreicht. Er denkt, dass die neuen Massnahmen die chinesische Volkswirtschaft längerfristig widerstandsfähiger machen. Die aktuelle Ungewissheit sieht er als Chance, sich die attraktivsten chinesischen Aktien ins Depot zu legen. Eine davon sei Tencent. Das IT-Konglomerat verfüge über einen soliden Investitionsplan, der erhebliche Mittel für die Förderung des Gemeinwohls vorsehe. Genau das dürfte das oberste Ziel der Zentralregierung sein. Die Chancen stehen gut, dass Tencent aus dem Regulierungszyklus als Gewinner hervorgeht.
Schweizer Immobilien waren in den vergangenen Jahren der grosse Renner. 2021 sind die Preise für Einfamilienhäuser regelrecht explodiert. Betongold dürfte auch 2022 gefragt sein. Voraussetzung ist, dass die Zinsen in der Schweiz am Boden bleiben. Die tiefen Inflationsraten sprechen dafür. Kräftig steigende Hypozinsen wären für die Immomärkte Gift, denn viele Eigentümer, die Hypotheken nur mit einer Null vor dem Komma kennen, würden rasch verkaufen.
Weniger als Betongold war 2021 echtes Gold gefragt. Obwohl das Edelmetall traditionell eine wichtige Rolle als Inflationsschutz spielt, dürfte sich die Nachfrage weiterhin in Grenzen halten. Denn mit den Renditen bei den US-Treasuries steigen die Opportunitätskosten. Zudem dämpft ein starker Dollar, mit dem 2022 zu rechnen ist, die Nachfrage und damit den Kurs.

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Im Umfeld steigender Zinsen mit Bonds Geld zu verdienen, ist eine Kunst. Bereits emittierte Obligationen verlieren mit ihren tieferen Coupons im Vergleich zu den Neuemissionen an Attraktivität – die Kurse gehen in den Keller. Fonds verursachen zwar höhere Kosten, diese können sich bei Bonds aber rechnen. Aktive Fondsmanager setzen etwa auf eine Hochstufung von Junk auf Investment Grade. In der Covid-Krise wurden Tausende Firmen abgestuft. Normalisieren sich die Dinge, kehren viele ins Investment-Grade-Universum zurück.

Über die Autoren
Erich Gerbl

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