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Seit 144 Jahren entwerfen die angesagtesten Designer Stücke einzigartiger Machart für die älteste Schweizer Möbelmanufaktur.
Maximal reduziert: Die nach einer Idee der Basler Stararchitekten Herzog & de Meuron entworfenen Stühle sind bereit zum Abtransport.
Mirjam Kluka für BILANZWerbung
Rund alle vier bis sechs Wochen kommt ein Lastwagen aus Vendlincourt, einem 450-Seelen-Dorf im Jura. Geladen hat er Buchenholz, es stammt von einer familienbetriebenen Sägerei, der Groupe Corbat, die seit über 90 Jahren schon Zulieferer für Horgenglarus ist. Klar, auch im Glarner Bergtal gäbe es Holz, aber vor allem Nadel- statt Laubbäume, und die wachsen zudem an Hängen und reagieren auf das Gefälle, um gerade stehen zu können, was die Struktur der Stämme verkrümmt. Die Stämme aus dem Jura aber wachsen gerade und langsam – Holz in einzigartiger Qualität. Und nur die ist gut genug für einen Hersteller, der schon seit der Gründung vor 144 Jahren den Ruf hat, stets ein bisschen spezieller zu sein als andere Stuhl- und Tischhersteller.
1880 Möbelfabrikant Emil Baumann legt in Horgen am Zürichsee den Grundstein für die spätere Möbelmanufaktur. Hauptprodukte seiner umgebauten Schreinerei sind Kindermöbel, Stühle und Tische.
1902 Die Firma wird in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und um den Werkstandort Glarus erweitert. Am Kirchweg in Glarus werden vor allem Möbel in gebogenem Holz fabriziert, eine Technik, die um die Jahrhundertwende in Deutschland und Österreich entstanden war.
1925 Der Architekt, Maler und Möbeldesigner Le Corbusier (richtiger Name Charles-Édouard Jeanneret-Gris) präsentiert in seinem Pavillon an der internationalen Kunstgewerbeausstellung in Paris die Stühle von Horgenglarus als Beispiel zukunftsweisender Wohnkultur.
1934 Architekt und Möbelgestalter Werner Max Moser entwickelt für Horgenglarus den Stuhl und den Barhocker «Select», die heute als Meilensteine des Möbeldesigns gelten.
Der Pavillon L'Esprit Nouveau.
WikipediaDer Pavillon L'Esprit Nouveau.
Wikipedia1948 Der Standort Horgen wird geschlossen. Schon die Jahre zuvor waren durch eine Krise gekennzeichnet, der Zweite Weltkrieg hatte eine Zusammenlegung der beiden Standorte notwendig gemacht.
1999 Der Schweizer Unternehmer und CVP-Politiker Markus Landolt übernimmt die nahe am Konkurs befindliche Firma und saniert sie.
2011 Landolt verkauft Horgenglarus an die deutsche Unternehmerfamilie von Nordeck.
2024 Horgenglarus gibt Standortwechsel bekannt. Der Umzug nach Hätzigen GL soll 2027 stattfinden.
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Die 1880 in Horgen gegründete und 1902 um den Werkstandort Glarus erweiterte Möbelfabrik geniesst heute weit über die Schweiz hinaus Kultstatus. Der Ruf der Manufaktur basiert auf der Verbindung von althergebrachter Handwerkskunst und richtungsweisendem Design. Bis heute ist das so: Im Herbst kommt ein neues Modell auf den Markt, entwickelt nach den Ideen der Basler Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Diese haben einen alten Horgenglarus-Stuhl im Volkshaus Basel gesehen und sich gefragt, ob es möglich wäre, das Modell so zu reduzieren, dass es maximal filigran und vereinfacht würde, ohne seine Stabilität zu verlieren. Die Fachleute bei Horgenglarus beugten sich über die Pläne und fanden die Umsetzung darin, die Zarge – so nennt man den rahmenartigen Teil des Stuhls, an dessen Ecken die Beine angebracht sind – dünn und wellenförmig zu machen und nur dort viel Holz zu lassen, wo es für die Schrauben wichtig ist. Prototypen wurden hergestellt und eine kleine Serie produziert, die von Herzog und de Meuron für ein Weingut in Frankreich eingesetzt wurde. Im Herbst nun folgt der Einzug in die Horgenglarus-Kollektion. Der Entwicklungsprozess für ein neues Model dauert im Schnitt zwei bis drei Jahre.
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Die Einführung der neuen Kollektion wird eine der Aufgaben für den neuen Geschäftsführer Josef Kaiser sein, der per 1. Juli Vorgänger Marc Huber ersetzt. Kaiser ist ein Möbelprofi mit langer Management-Erfahrung in der Branche. Der 57-Jährige war lange in Diensten der international tätigen Möbelgruppe Vitra mit Sitz in Birsfelden BL, 2007 als Schweiz-Chef, von 2008 bis 2014 als Leiter der US-Niederlassung und danach als Chief Sales Officer der Gruppe. Nach 2019 war er CEO des dänischen Möbelherstellers Fritz Hansen, wo er etwa den Kauf der Holzmanufaktur Skagerak verantwortete. Seine Pläne für Horgenglarus will er nicht verraten, dafür sei es zu früh, sagt er. Er trete seine Aufgabe aber «mit hohem Respekt für die traditionsreiche Geschichte» an und freue sich auf «die Zusammenarbeit mit dem hoch spezialisierten Team». Branchenkenner gehen davon aus, dass er den schon von Huber angestossenen Wachstumskurs fortsetzen wird. Der hatte sich zum Ziel gesetzt, den Umsatz um rund ein Drittel zu steigern, auch, um dadurch eine neue Stufe zu erreichen, sodass man aufgrund der Grösse gewisse besonders stark ausgelastete Stellen doppelt besetzen könne.
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Neuer Chef: Josef Kaiser, hier im Showroom von Horgenglarus in Glarus, ist ein Möbelprofi mit langer Erfahrung in der Branche.
Mirjam Kluka für BILANZNeuer Chef: Josef Kaiser, hier im Showroom von Horgenglarus in Glarus, ist ein Möbelprofi mit langer Erfahrung in der Branche.
Mirjam Kluka für BILANZGeholt hat ihn der Besitzer von Horgenglarus, Markus von Nordeck, Spross einer bekannten Unternehmerfamilie aus Deutschland. Die Familienholding ist vor rund 25 Jahren aus der Aufspaltung des Keks-Konzerns Bahlsen hervorgegangen. Die Schweizer Firmen hat die Familie heute in der Markus von Nordeck Holding zusammengefasst. 2011 kaufte die Holding die Firma vom bisherigen Besitzer, dem lokalen Unternehmer und Politiker Markus Landolt, der von 1988 bis 2000 für die CVP im Glarner Landrat sass. Der hatte 1999 die damals vor dem Konkurs stehende Firma gekauft und saniert. 2012, ein Jahr nach dem Verkauf an die Familie von Nordeck, zog er sich auch aus der Geschäftsführung zurück. Die Von-Nordeck-Unternehmerfamilie investiert gezielt in Firmen, die «hervorragendes Handwerk schätzen», wie es in einer Fallstudie heisst. Gesucht würden insbesondere Unternehmen, die «emotional angereicherte Produkte entwickeln und vermarkten». So hält die Markus von Nordeck Holding heute in der Schweiz auch Mehrheitsbeteiligungen am Unterwäschehersteller Zimmerli sowie an der auf Tourenskibindungen spezialisierten Firma Fritschi.
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Stärken des neuen operativen Chefs von Horgenglarus sind auch seine gute Vernetzung und seine Kontakte in die internationale Architektur- und Designszene. Damit bringt Kaiser gute Voraussetzungen mit, die Tradition der Manufaktur fortzuschreiben. Die angesagtesten Designer haben schon für Horgenglarus Modelle kreiert, etwa der Zürcher Architekt und Möbelgestalter Werner Max Moser (1896–1970) mit seinem Barhocker «Select» von 1934 oder der Zürcher Raumgestalter und ETH-Dozent Hannes Wettstein (1958–2008) mit seinem Stuhl «Lyra» von 2007. Doch das bis heute bekannteste Stück ist das Modell «Classic» aus dem Jahr 1918, das von einem internen Team entworfen wurde. Das Modell wird bis heute hergestellt, aber es gibt auch Exemplare aus den frühen Jahren, die immer noch in Betrieb sind – Stühle von Horgenglarus gelten als äusserst robust und sind gebraucht fast ebenso teuer (wenn nicht sogar teurer) als neu. Neu kostet der «Classic» in Buche natur oder schwarz gebeizt 588 Franken, in Eiche mit Polster ist er für rund 1000 Franken zu haben; ein «Lyra Szena»-Stuhl ist entsprechend für 698 Franken beziehungsweise 1082 Franken erhältlich (Endverkaufspreise im Einzelverkauf, im B2B-Geschäft gelten andere Konditionen).
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Ziel des Herstellers ist, dass ein Stuhl mindestens 80 Jahre hält. 80 Jahre – das ist genau die Zeit, die eine Buche braucht, um nachzuwachsen. Inzwischen ist man in der Wirtschaft ja generell zur Erkenntnis gelangt, dass Nachhaltigkeit am besten durch möglichst lange Lebenszyklen von Produkten erreicht wird. So gesehen war Horgenglarus schon nachhaltig, als noch niemand über Nachhaltigkeit sprach.
Heute findet man Horgenglarus-Stühle oder -Tische ebenso in der schicken Wohnung eines Doppelverdiener-Pärchens in einem städtischen Trendquartier wie in einer einfachen Firmenkantine oder einem Krankenhaus-Café, wo die Möbelstücke aufgrund ihrer Langlebigkeit auf die Dauer das beste Preis-Leistungs-Verhältnis für die Inneneinrichtung bieten.
Auch viele Restaurants und Bars setzen auf das Konzept der «Neuen Einfachheit», das Horgenglarus ins 21. Jahrhundert übertragen hat und das bis heute ebenso elegant wie zeitlos wirkt. So hat etwa die Bar im 2021 eröffneten Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich ihre Theke mit Horgenglarus-Barhockern und -Stühlen ausgerüstet, es ist das Modell «Select» des erwähnten Werner Max Moser. In vielen angesagten Bars und Restaurants findet man auch den Tisch «Gloria» nach der Werkskizze von 1925 mit seinen verschnörkelten gusseisernen Beinen, dessen Vorbildmodell schon in Zeitungsinseraten aus dem Jahr 1900 von der Möbelfabrik Horgen beworben wurde. Die Preisspanne für einen neuen «Gloria» liegt heute zwischen 2500 in Buche natur für das kleinere Modell und 6000 Franken für das Modell aus Nussbaumholz in der grossen Ausführung.
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Zahlen zu Umsatz oder Gewinn gibt das Unternehmen nicht bekannt, einzig die Stückzahlen werden verraten. So produziert die Manufaktur pro Jahr rund 15'000 Stühle und Barhocker sowie rund 500 Tische. Ein wichtiger Bereich ist auch die Restaurationsabteilung, etwa 400 gebrauchte Stücke sind der Firma derzeit anvertraut. Branchenkenner schätzen den Umsatz auf rund zehn Millionen Franken jährlich. 45 Mitarbeiter beschäftigt die Firma und ist damit im Grunde ein Kleinbetrieb geblieben.
Das Humankapital ist im doppelten Sinne teuer für die Firma. Erstens wegen des hohen Anteils an Handarbeit, zweitens, weil es für die Arbeit die besten Berufsleute und Spezialisten braucht, und die sind nicht einfach zu finden – auch im Schreinerberuf herrscht Fachkräftemangel, und als Arbeitsort ist Glarus recht abgeschieden. In der Region um Glarus heisst es aber, die Mitarbeiter bei der «Möbeli», wie die Einheimischen das Unternehmen nennen, seien ausgesprochen stolz auf ihren Job, wohlwissend um den Ruf der Produkte, welche sie herstellen.
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Handkehrum sind das Wissen und das Können der Handwerker ein wichtiges Kapital für das Unternehmen. Ein Alleinstellungsmerkmal hebt die Manufaktur besonders gerne hervor, und zwar «das über 100-jährige Können, auch schwere und grosse Hölzer zu biegen», wie auf der Webpage nachzulesen ist. Die Holzbiegerei gilt als das Herzstück von Horgenglarus. Die Kunst ist, das Holz so biegsam zu machen und so vorsichtig zu bearbeiten, dass es bei der Verarbeitung nicht bricht. Bei einem Rundgang durch den Betrieb kann man sehen, wie das funktioniert. Zuerst werden die zugeschnittenen Holzlatten in einem Metallofen in heissem Wasserdampf geschmeidig gemacht, dann warm und feucht herausgenommen und an eine Alugussform gelegt, um die eine Maschine das Holz langsam biegt. Mit der Metallform in der Mitte wird die so entstandene Zarge dann während einer Woche zum Trocknen abgelegt. Es braucht viel Fingerspitzengefühl, dass die Sache wie gewünscht klappt, und ebenso viel Erfahrung – viele Mitarbeiter sind schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten dabei. So wissen sie um die Tücken der Produktion: Man höre es beim Biegen des Holzes, sagt Abteilungsleiter René Landolt: «Wenn es knorzelet, ist es nicht gut.»
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Die Stühle gehen durch mehrere Bearbeitungsschritte wie das Zuschneiden, das Beugen, das Einsetzen der Sitzfläche, das Anbringen von Lehne und Beinen. Auch das Flechten der Sitzfläche bei den entsprechenden Modellen erfolgt in Handarbeit. Nur das Fräsen von Teilen wie der Rückenlehne oder den Beinen, exakt in Form, Breite und Länge, überlassen die Schreiner einer modernen CNC-Maschine. Die weiteren Arbeitsschritte wie das Lackieren werden dann wieder von Hand gemacht. In jedem einzelnen Stuhl stecken mindestens drei Stunden reine Handarbeit, betont die Firma.
Eine umfangreiche logistische Aufgabe steht dem neuen Geschäftsführer noch bevor: 2027 soll die Manufaktur umziehen – nach über hundert Jahren am alten Ort wird der ganze Betrieb ins rund acht Kilometer weiter südlich gelegene Hätzingen transportiert. Dort, auf dem Areal der ehemaligen Wolltuchfabrik Hefti, soll die Manufaktur in gleicher Art wieder aufgebaut werden. Eine schwierige Sache, denn einzelne der Maschinen sind schon fast 100 Jahre alt und dürfen beim Transport nicht kaputtgehen. Wie lange der grosse Umzug dauert und wie lange die Produktion in dieser Zeit ausfällt, ist noch in Abklärung, klar ist aber, dass die Kosten dafür in die Millionen gehen.
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Seit 1902, als die in Horgen gegründete Firma sich um den Werkstandort Glarus erweiterte, ist die Möbelmanufaktur am Kirchweg in Glarus domiziliert. Im Frühling 2027 soll der Umzug erfolgen: Dann wird sich die «Möbeli», wie die Einheimischen das Unternehmen nennen, etwas weiter südlich auf dem Areal der einstigen Wolltuchfabrik Hefti in Hätzingen einrichten. Der Umzug wurde nötig, weil Horgenglarus mit den Besitzern des bisherigen Areals, die für das Gelände in Zukunft neue Nutzungspläne entwickelt haben, keine Einigung gefunden hatte.
Die «Möbeli» ist seit 1999 auf dem Areal nur in Miete. Unternehmer Markus Landolt, der damals die kurz vor dem Konkurs stehende Firma übernahm und sanierte, kaufte nur das Unternehmen, nicht aber das Areal und die Gebäude, die weiter in Besitz des damaligen Firmeneigners, der Familie Aschmann, verblieben. Die AG Möbelfabrik Horgen-Glarus war 1976 in den Besitz von Hans Aschmann gelangt, 1999 verkaufte er die Aktien an Landolt. Dieser verkaufte das Unternehmen 2011 an den heutigen Besitzer Markus von Nordeck. Der Mietvertrag für das Areal läuft 2027 aus.
Baulich verkörpert der neue Standort in Hätzingen, der ebenso geschichtsträchtig ist wie das bisherige Gelände, gut den Geist von Horgenglarus. So gilt die säulenfreie Halle, die nun renoviert werden soll, als markantes Zeichen der industriellen Vergangenheit der Region. Der Einzug der «Möbeli» per 2027 ist Teil der Pläne, auf dem Areal einen zukunftsweisenden Ort zu schaffen. Auf dem Gelände finden unter anderem auch ein neues Wasserkraftwerk, eine Brauerei und eine Fischzucht Platz.
Neuer Standort: Am zukünftigen Firmensitz in Hätzingen GL ist die industrielle Vergangenheit des Glarnertals sichtbar.
ZVGNeuer Standort: Am zukünftigen Firmensitz in Hätzingen GL ist die industrielle Vergangenheit des Glarnertals sichtbar.
ZVGDer neue Standort – das alte Fabrikgebäude gilt als architektonisches Juwel – passt aber gut zum Charakter von Horgenglarus, weil er fast ebenso geschichtsträchtig ist. Die Nähe zum bisherigen Standort wurde zudem bewusst gewählt, denn so bestehen gute Chancen, die hoch spezialisierten und qualifizierten Mitarbeiter im Unternehmen halten zu können.
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