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Kelly, Birkin & Co.

Hermèsʼ Traumfabrik – wo die zeitlosen Taschen hergestellt werden

Sie folgen keinem Trend und fallen nie aus der Zeit, hergestellt werden sie wie anno dazumal. Besuch im Pariser ­Lederatelier Saint-Antoine.

Iris Kuhn Spogat

Hermès

Für sie und ihn: Die Hermès-Klassiker Bolide 28 (links) und Bolide à Dos.

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Es ist Ende September. Im Pariser Hermès-Atelier Saint-Antoine ist Lindy-Time. Die Tasche ist eine Hommage an den Lindy Hop, diesen swingenden Tanzstil aus den 1930er Jahren. 2007 eingeführt, ist die Tasche so konstruiert, dass sie Hüpfer und Pirouetten spielend mitmacht: Der Clou sind zwei ungewöhnliche Griffe, die an der Seite festgemacht sind. Mit einem Gürtel verbunden und geschultert, wird die Tasche zum entspannten Begleiter.

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Im Atelier ist die Lindy ein beliebtes Monatsende-Modell, weil sie den Taschenmacherinnen und -machern relativ leicht von der Hand geht, zumindest im Vergleich zu den Klassikern wie der Kelly oder der Birkin Bag. Die komplexen Taschen nehmen sich die Kunsthandwerkerinnen und -handwerker jeweils zu Beginn jedes Monats vor – nachdem sie mit der Lindy den Kopf etwas gelüftet und die Batterien wieder aufgeladen haben. Derjenige, der dies erzählt, ist seit 40 Jahren bei der Maroquinerie d’Hermès beschäftigt und antwortet auf die Frage, welche Tasche er am liebsten herstelle: «Ich finde alle schön und mache alle gern.»

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easy lindy Lindy, eingeführt 2007, ist ein entspanntes Modell, sowohl zum Herstellen als auch zum Dabeihaben.

Easy Lindy: Lindy, eingeführt 2007, ist ein entspanntes Modell, sowohl zum Herstellen als auch zum Dabeihaben.

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easy lindy Lindy, eingeführt 2007, ist ein entspanntes Modell, sowohl zum Herstellen als auch zum Dabeihaben.

Easy Lindy: Lindy, eingeführt 2007, ist ein entspanntes Modell, sowohl zum Herstellen als auch zum Dabeihaben.

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Traditionelles Handwerk

Mit dem Rücken zu ihm steht Caroline. Sie hat eine ganz besondere Kelly in Arbeit: eine, die nicht aus Leder ist, sondern aus Korbgeflecht. Sie verbindet gerade die beiden Taschenhälften mit einem Lederband, eine zähe Arbeit. Es reicht freilich nicht, dass die beiden Teile zusammenhalten, das Lederband muss im immer gleichen Winkel und mit der gleichen Spannung und absolut ebenmässig ins Geflecht rein und wieder raus. «Dafür muss man wirklich ausgeschlafen sein», sagt sie und lacht. Sie ist nur noch ein paar wenige Stiche vom (Wochen-)Ende entfernt.

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 Kelly picnicDie beiden Teile der Kelly aus Korbgeflecht werden mit einem schmalen Lederband vernäht.

Kelly Picnic: Die beiden Teile der Kelly aus Korbgeflecht werden mit einem schmalen Lederband vernäht.

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 Kelly picnicDie beiden Teile der Kelly aus Korbgeflecht werden mit einem schmalen Lederband vernäht.

Kelly Picnic: Die beiden Teile der Kelly aus Korbgeflecht werden mit einem schmalen Lederband vernäht.

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Vom Luxus, der hier hergestellt wird, fehlt im Atelier selbst jede Spur. Bis 1990 wurde auf dem Areal Holz verarbeitet. Hermès hat die Liegenschaft, zu der auch ein 32 Meter hoher Kamin gehört, der alles überragt, damals gekauft. Über die Jahre wurden dort insgesamt fünf Lederateliers untergebracht, die der französische Luxushersteller eines nach dem anderen akquirierte – und damit vor der Schliessung bewahrte. Heute arbeiten auf dem Areal Saint-Antoine 135 höchst qualifizierte Handwerksleute, und zwar so, wie schon ihre Vorväter gearbeitet haben, mit traditionellem Werkzeug und von Hand. Das Modernste im Atelier ist Strom, und der wird auch nur für die Beleuchtung gebraucht – oder um Handys zu laden. Die Werkbänke sind massiv, ausgerüstet mit allem, was es 2024 bei Hermès zur Taschenherstellung braucht. Die Arbeitsplätze in Vierergruppen im ungefähr 150 Quadratmeter grossen Raum sind nahe beisammen, geschätzte 20 an der Zahl. An jedem steht ein Mann oder eine Frau tief versunken ins Tun – eine Stimmung wie in einem Yogasaal.

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Produziert wird auch im Atelier Saint-Antoine nach dem Hermès-Prinzip, eine Person stellt eine Tasche her, von A bis Z – im eigenen Tempo: «Es gibt hier keinen Druck», sagt ein Mitarbeiter, «schnell ist keine Priorität, on travaille tranquillement.» Im Schnitt, so ist zu erfahren, brauchen sehr geübte Hände für die Herstellung einer Hermès-Tasche 15  Stunden, drei allein für einen ledernen Handgriff – er ist eine hochkomplexe Angelegenheit.

handgriffGeübte Hände brauchen für einen Handgriff drei Stunden.

Fleissarbeit: Geübte Näher brauchen für einen Handgriff drei Stunden.

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handgriffGeübte Hände brauchen für einen Handgriff drei Stunden.

Fleissarbeit: Geübte Näher brauchen für einen Handgriff drei Stunden.

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Wenn Mitarbeiter sagen, dass sie keinen Druck haben, dann freut das einen Menschen im Atelier ganz besonders: die Atelierchefin. Auf ihr lastet durchaus eine Menge Druck, den sie meistert, indem sie die Aufträge an ihre Leute entsprechend deren Fähigkeiten und Vorzügen verteilt. Sie selbst bekommt aus der Zentrale sogenannte «Quoten», die als «sacs à plat» angeliefert werden: blaue Plastikboxen, in denen alle Bestandteile enthalten sind, die es für die Herstellung eines bestimmten Taschenmodells braucht. Sie verteilt die Boxen so in ihrem Team, dass alle immer genug Schnauf haben. Gemessen wird sie an der Erfüllung der Quote, und für die Quote zählt am Ende nur die Summe der Leistung von allen, nicht die des Einzelnen.

Grösste Sorgfalt

Der Taschenmacher, der sein ganzes Arbeitsleben bei Hermès gearbeitet hat, hat drei Lindys gleichzeitig in Arbeit. Statt eine nach der anderen macht er erst Arbeitsschritt  1 und dann Arbeitsschritt  2 an jeder der drei. Es ist ein Freitagmorgen – und alles deutet für ihn darauf hin, dass er den Nachmittag freinehmen kann, sein Soll ist erfüllt.

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Der neugierige Besuch wird von den konzentriert Arbeitenden freundlich beäugt, darf auch nähertreten, «regarder, mais pas toucher». Vorsicht wird hier grossgeschrieben, Fehler darf es keine geben, die Taschen, die Tausende Franken kosten, müssen absolut makellos sein, wenn sie das Atelier verlassen. Jasmine, eine der Jüngeren im Atelier, arbeitet nicht an einer Lindy, sondern am Finish der Kanten einer Birkin, die sie mit einem Pinsel einfärbt. Vom Täschchen selbst ist nicht viel zu sehen, denn um zu schützen, was sie bereits vollendet hat, hat sie für die letzten Arbeitsschritte alles verpackt, den goldenen Verschluss in Papier, den Griff in Schaumstoff, und das Täschchen selbst hat sie mit einer Housse aus Stoff bedeckt. Ohne Aufforderung hebt sie diese mit spitzen Fingern leicht an, um zu zeigen, was sich darunter verbirgt. Es sind wunderschöne Perlenpatches, die sie zuvor appliziert hat. Die glänzenden Kunstwerke sind etwas vom Wenigen, was Hermès nicht selber herstellt, sondern von einem Lieferanten in Indien bezieht. Die Sujets sind wunderschön. Das «Wow!», das jetzt durch den Raum huscht, zaubert der jungen Frau ein Lächeln ins Gesicht.

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Nur das Beste ist gut genug

Beim Design lässt man sich bei Hermès von Trends weder hinreissen noch dominieren. Die Kreation steht auf drei Pfeilern: Handwerk, exquisite Materialien und Kreativität machen den Hermès-Stil aus. Heisst: Erst werden die Taschen gemacht, dann die Kunden gesucht, wobei letzteres keinerlei Mühe bereitet.

die tasche der taschenDie Kelly Bag mit ihrer schönen Geschichte gehört zum Begehrtesten, was Hermès zu bieten hat.

Die Tasche der Taschen: Die Kelly Bag mit ihrer schönen Geschichte gehört zum Begehrtesten, was Hermès zu bieten hat.

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die tasche der taschenDie Kelly Bag mit ihrer schönen Geschichte gehört zum Begehrtesten, was Hermès zu bieten hat.

Die Tasche der Taschen: Die Kelly Bag mit ihrer schönen Geschichte gehört zum Begehrtesten, was Hermès zu bieten hat.

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Das funktioniert tadellos, sagen die Zahlen: Lederwaren spielten bei Hermès 2023 rund 5,5 Milliarden Euro ein, also gut 40  Prozent des Jahresumsatzes von 13,5 Milliarden Euro. Für gewisse Modelle, die Kelly etwa, gibt es Wartelisten wie für Rolex-Uhren, und es kursieren dazu auch ziemlich ähnliche Gerüchte. Zum Beispiel, dass man sich eine Kelly verdienen muss – mit anderweitigen Einkäufen im Haus. Schwerfallen würde das nicht: Hermès stellt heute von Mode über Uhren und Porzellan bis Seide und Parfum Hunderte verschiedene Produkte her, alle absolut hochstehend. Angefangen hat damit Thierry Hermès 1837. Er stellte Sättel und Zaumzeug her – ein Metier, das im Stammhaus an der Rue du Faubourg Saint-Honoré bis heute gepflegt wird. Taschen kamen Ende des 19. Jahrhunderts dazu, damals, um Sättel zu transportieren – Ironie der Geschichte. Heute besitzt der Konzern mit über 23'000 Mitarbeitenden weltweit 60 Produktions- und Ausbildungsstätten in Frankreich und 300 Boutiquen in 45 Ländern.

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23 Werkstätten sind reine Ledermanufakturen wie Saint-Antoine. Hergestellt werden 50 verschiedene Taschenmodelle in über 40 verschiedenen Lederarten. «Wir verwenden nur das beste Leder, das es gibt», so Fulconis, «zudem ist alles Handarbeit von absoluten Könnern, und unsere Taschen sind innen so schön wie aussen – und werden mit dem Altern immer noch schöner.» Der grösste Teil der Häute, aus denen Birkins, Kellys und Lindys hergestellt werden, stammt aus französischer Zucht, eigene Farmen unterhält Hermès keine.

Ansonsten ist Hermès in Sachen Wertschöpfung weitgehend unabhängig und macht alles inhouse. Das gilt insbesondere auch in Bezug auf den Nachwuchs. Ausgebildet werden die Youngsters in den eigenen Lernmanufakturen. Sie heissen «Écoles Hermès des savoir-faire» und bieten eine Berufsausbildung zum staatlich anerkannten Lederhandwerker. In Paris wird für alle Lehrlinge demnächst eine einzige Lehrstätte eröffnet.

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Ein Nagel, zwei Köpfchen

Im Atelier ist es gerade vorbei mit der Ruhe, von der die Handarbeit mehrheitlich begleitet ist. An einem der hintersten Werkbänke wird der Verschluss am Riemen einer «nata»-farbenen Kelly angebracht. Das Verfahren ist bei allen Taschenverschlüssen das gleiche und eine Spezialität des Hauses. Es heisst Perlage, braucht einen Nagel, einen Metallbolzen, einen Hammer – und sehr viel Fingerspitzengefühl: Der Stachel des Nagels wird, nachdem er durch das Leder und das Schloss durch ist, abgezwackt und der Stummel dann so lange bearbeitet, bis er genau gleich rund ist wie das Nagelköpfchen. Die Handwerkerin braucht pro Nagel heute nur ein paar Minuten. Gelernt hat sie es während vieler Stunden in ihrer 18-monatigen Ausbildung.

schulterriemenAuch der Schulterriemen der Kelly ist handgenäht.

Schulterriemen: Auch der Schulterriemen der Kelly ist handgenäht.

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schulterriemenAuch der Schulterriemen der Kelly ist handgenäht.

Schulterriemen: Auch der Schulterriemen der Kelly ist handgenäht.

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Zum Schluss zum Thema Verschluss noch ein Aperçu, das hier im Atelier Saint-Antoine jede und jeder kennt: Wir verdanken Hermès den Reissverschluss. Eingeführt hat ihn Émile Hermès, Enkel des Firmengründers, und zwar aus Kanada. Dort hatte er 1922 den Zipper auf einer Reise am Verdeck eines Militärfahrzeugs entdeckt und sich das Schliesssystem sofort mit einem Exkusivvertrag gesichert – allerdings nur für 20 Jahre.

PS: Vom 6. bis zum 14. November 2024 von 10 bis 19 Uhr zeigen Hermès-Kunsthandwerkerinnen und -handwerker in der Ausstellung «Hermès in the Making» in der Lichthalle Maag in Zürich ihr Handwerk. Eintritt: luxuriöse null Franken.

Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Iris Kuhn-Spogat

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