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Industrie

Geberit will noch stärker an der Produktivitätsschraube drehen

Der Sanitärhersteller aus Jona produziert in Hochlohnländern und glänzt zugleich mit Renditen wie die Pharmabranche. Wie ist das möglich?

Dirk Ruschmann

Dirk Ruschmann

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Blick in eine Roboter-Montagestrasse im Geberit-Hauptwerk in Pfullendorf.

Florian Generotzky

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Isabelle, Svenja und Carolin montieren das Spülventil – es wird später, hinter der Wand im Badezimmer, die Wassermenge in den formschönen Keramikschüsseln regulieren. Einen Gang weiter verbindet Gollum die «Spülbögen» mit den Wasserkästen, zucken Frodo, Gimli und Gandalf mit ihren Armen, macht sich ein einzelner Ork nützlich, und sogar die ganz Bösen packen ohne Widerrede an: Obergangster Sauron kümmert sich um die blauen Metallträger, die hinter der Wand die komplette Installation festhalten, und Drache Smaug gebührt die Aufgabe, Kartons mit fertig gepacktem Toiletten-Equipment nach zuvor festgelegtem «Stapelbild» auf eine Palette zu schichten, die dann ins Lager wandert und auf ihren Abtransport wartet.

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Hier also schlägt das Herz der Schweizer Industrieperle Geberit, und hier liegt das Geheimnis ihrer fabulösen Renditen: Die Betriebsgewinnmarge etwa amtiert klar oberhalb von 25 Prozent, in Sphären, wo sich Halbleiterhersteller oder Pharmagrössen aufhalten – und selbst davon lässt Geberit einige hinter sich, darunter die Schweizer Lonza oder Novartis. Direkt vergleichbare Unternehmen für Geberit, Europas Marktführer in Sanitärausstattung, existieren keine.

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Am ehesten kann die finnische Uponor als Peer herhalten; sie ist zwar nur ein Drittel so gross wie Geberit, agiert jedoch in einem ähnlichen Segment: Infrastruktur für die häusliche Wasserversorgung. Uponor allerdings schafft es kaum über die Zehn-Prozent- Marge-Hürde, und auch das erst seit Kurzem. Wie also kann Geberit mit ihren sicherlich ausgefeilten Toilettenspülungen, die aber kaum als profitträchtige Hightech durchgehen, bei den Renditen Big Pharma hinter sich lassen?

Und, mehr noch, wie kann Geberit diese Profitabilität aus Produktionswerken schöpfen, die an Hochlohnstandorten wie Baden-Württemberg oder dem sankt-gallischen Jona stehen? Ein Blick zu den anderen Schweizer Bauzulieferern zeigt: Diese Gruppe, von den Heizungs- und Lüftungsspezialisten Arbonia und Belimo über Schliesstechniker Dormakaba und Bodenbelagshersteller Forbo bis zu Liftbauer Schindler oder Hausgeräteproduzent V-Zug, kommt im Schnitt auf knapp halb so hohe Margen wie Geberit.

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Die Werkhallen

ALBERT M. BAEHNY
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Geberit-Konzernpräsident Albert Baehny, hier vor einem kleinen Zwischenlager, hat in seiner CEO-Zeit den Umbau beschleunigt.

Florian Generotzky

Wie das geht, lässt sich «hier» besichtigen: in der süddeutschen Kleinstadt Pfullendorf. Diese geniesst auch im Nachbarland überschaubare Bekanntheitsgrade, ist allenfalls für die ortsansässige Kaserne berüchtigt, wo Spezialkräfte der deutschen Bundeswehr gedrillt werden. Geberit betreibt hier jedoch die grösste ihrer weltweit 27 Produktionsstätten, zugleich das europäische Zentrallager. Warenmengen im Umfang von bis zu 6000 Euro-Paletten schlägt die Logistik Tag für Tag um; 60 Paletten passen in einen Lastwagen, da entsteht viel Fahrbetrieb. 1850 Mitarbeitende sind hier beschäftigt, darunter auffallend viele Frauen in den Werkhallen.

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Gigantischer Ausstoss

Die sind ansonsten eher spärlich bevölkert – sieht man von den rund 100 Produktionsmaschinen ab, die Kunststoffgranulat zu Bauteilen veredeln: vor allem im Spritzgussverfahren, wo das Plastik in heisse Metallformen gepresst wird, und beim sogenannten Blasen, wo ein heisser Plastikschlauch von innen an die Aussenseite einer gekühlten Form mit Luft gedrückt wird, bis er fest ist. Der Ausstoss ist gigantisch: «Bis drei zählen, und ein Spülkasten ist fertig», sagt Produktionsleiter Markus Heim, während er die Anlage erklärt. Sie läuft 24 Stunden lang, je nach Auftragslage sieben Tage in der Woche. Wer auf dem Transportband an der Decke die unendliche Reihe an Spülkästen sich zur Montage schlängeln sieht, muss einen Bau-Boom bisher unbekannten Ausmasses in Europa vermuten – jeder Spülkasten ein Badezimmer. Die Kästen verschwinden hinter der Wand und überdauern Jahrzehnte, bevor eine Renovierung anstehen könnte. Kästen und weitere Kleinteile werden in der Montage von orangefarbenen Industrierobotern übernommen; vertreten sind die Hersteller Kuka und Yaskawa, damit sie sich auch Geberit-intern ein wenig Konkurrenz machen können.

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Rund 200 Roboter unterschiedlichster Grössen werken in Pfullendorf, darunter eben Isabelle und Carolin, aber auch Frodo und Gandalf, flankiert von Sauron: «Wir haben jedem Roboter einen Namen gegeben», sagt Heim. Verewigt sind unter anderem die Frauenfussballnationalmannschaften Deutschlands, wo Pfullendorf liegt, sowie der Schweiz, wo Geberit Heimat und Konzernsitz hat, dazu die Namen der Geschäftsleitungsmitglieder sowie das Personal der «Herr der Ringe»-Trilogie und weiterer Tolkien-Schriften.
 

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Methoden aus Japan

Während die Roboter immer neue Kleinteile zugeführt bekommen, teilweise von Hand, holen sich die Produktionsmaschinen ihren Rohstoff, das Kunststoffgranulat, selbst ab: über ein Leitungssystem saugen sie es aus einem Vorratssilo an. So genügt ein einzelner Mitarbeiter, um sechs Maschinen im Auge zu behalten und die neu hergestellten Teile gelegentlich in den berühmten blauen «Kanban»-Boxen abzulegen. Diese wandern in ein kleines Zwischenlager, bevor sie in den Roboterstrassen gebraucht werden.

Die gewaltigen Guss- und Blasmaschinen hat Produktionsleiter Heim vor einiger Zeit umsetzen lassen, um sie an die Roboter heranzurücken, die Lieferanten bewegen sich also auf ihre Kunden zu – auch das gehört zum Kanban- System, das auf einem Pull-Prinzip basiert, auf Bedienung interner Nachfrage: Die vorgelagerten Schritte der Produktion sind dafür verantwortlich, dass den nachgelagerten nie die benötigten Teile ausgehen. Entwickelt wurde Kanban vor Jahrzehnten bei Effizienz-Champion Toyota.

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Zumindest seit gut einem Jahrzehnt existiert bereits das GPS 2.0 – die zweite Stufe des «Geberit Produktionssystems». Kanban ist nur ein kleiner Teil davon. Ein weiteres Element ist die weit getriebene Spezialisierung der einzelnen Werke, zum Beispiel auf bestimmte Materialien wie die im Bad sichtbare Keramik oder, wie in Pfullendorf, die hinter der Wand versteckte Wassersteuerungstechnik aus Kunststoffen, zum Beispiel auch auf die Erfüllung regionaler Marktnachfrage. Ausserdem hat auch Geberit, wie die Autoindustrie, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess «KVP» eingerichtet, in den Vorschläge der Mitarbeiter einfliessen und je nach erzielten Effizienzgewinnen belohnt werden, zum Ende eines Jahres veranstaltet das Werk Pfullendorf zudem eine Tombola für alle, die Ideen eingereicht haben; zuletzt gab es ein iPad als Hauptgewinn.

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Bäder machen

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MARTIN ZIEGLER, Leitung Konzernbereich Operations
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Geberit erzielt neun Zehntel ihrer Umsätze in Europa. In der Folge lösen Werk und Zentrallager Pfullendorf viel Transportverkehr aus.

Florian Generotzky

Die Flexibilität der Mitarbeiter trägt ebenfalls zur Produktivität bei: Während der Woche wird in drei Schichten gearbeitet, wobei gewisse Schichten, je nach Bedarf, auch einmal früher oder später enden können. Bestellungen sollen innerhalb von Tagen ausgeliefert werden, daher macht sich die Leitung oft donnerstags auf die Suche nach Mitarbeitern für Sonderschichten am Wochenende. Freiwillige zu finden, «ist kein Problem», sagt Heim. Erstens bedeutet Zusatzarbeit auch Zusatzlohn, zweitens greift die kooperative Geberit-Kultur, die Konzernpräsident Albert Baehny in allen Ecken ausgebreitet hat – man respektiert sich gegenseitig, alle ziehen am selben Strick und wissen genau: Geht es der Firma gut, sind die Arbeitsplätze gesichert. Baehny kennt am Hauptsitz in Jona praktisch alle Reinigungskräfte und Kantinenhelfer mit Namen.

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Überdies schrauben die Werksleiter unter Konzern-Operationschef Martin Ziegler immer weiter an jenem Teil der Arbeitsabläufe, der nicht unmittelbar Wertschöpfung erzielt: Transporte, interne Bewegung von Teilen, Überproduktion, Lagerhaltung, Defekte oder Umbauten – dank einem inhouse entwickelten Schnellverbindungssystem können die schweren Gussformen in den Maschinen innert Minuten getauscht werden.

Was der Produktion recht ist, kann der Konzernlogistik nur billig sein: Chef Gerd Hailfinger hat seine Mitarbeiter im Kleinteilelager mit Barcode-Lesegeräten am Handrücken ausgestattet, sodass sie stets beide Hände frei haben zum Greifen der Ware oder zum Steuern ihres Gabelstaplers. Auch Hailfinger setzt, wie Heim, immer wieder auf selbst entwickelte Problemlösungen statt auf Stangenware.

An den Packstationen etwa lässt sich die Abstellfläche der Euro-Paletten hochund runterfahren, damit es keine ungesunden körperlichen Verrenkungen braucht; hier tragen die Mitarbeiter Headsets, mit denen sie Informationen vom Zentralcomputer empfangen, aber auch eingeben können. Im monströsen Hochregallager verkehren erst gar keine Menschen, sondern vollautomatisierte Ladekrane nach computerberechnet idealen Fahrwegen. Abgesehen vom nicht vorhandenen Lager ist die Produktionsstätte in Jona genauso automatisiert wie das Werk Pfullendorf.

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Baehny war es, der Geberit diese weitgehende Automatisierung verordnet hat. Mitte der sogenannten nuller Jahre, 2005 war er zum CEO avanciert, startete er zwei einschneidende Initiativen. «In fünf Jahren haben wir keine Hände mehr in den Anlagen», war die erste, getrieben auch von dem Plan, die Werke in Deutschland und der Schweiz nicht schliessen zu müssen. Denn «damals war der Druck von externen Beratern, aber auch in unserem Verwaltungsrat, enorm», sagt Baehny, die Produktion in kostengünstigeres Ausland zu verlagern. Baehny überwand die Widerstände, «obwohl mir manche gesagt haben: Du spinnst». Zugleich liess er die zahlreichen dezentralen Lager schliessen und die Logistik in einem einzigen Zentrallager in Pfullendorf bündeln.

Böse Unterstützer

Rendite sei nicht seine erste Triebfeder gewesen, sagt Baehny. Vielmehr habe er gewusst: Die Nachfrage nach Neu- und Renovierungsbauten wachse. Und die ohnehin starke Marktstellung von Geberit verfestigt sich dank dem ausgeklügelten Geschäftsmodell stetig weiter: In eigenen Schulungszentren bildet Geberit Installateure an den Produkten des Hauses aus. Diese bestellen dann bei den Grosshändlern, den eigentlichen Kunden von Geberit, möglichst diese Produkte, zumal sie die Kosten an die Bauherren weiterreichen können. «Mir war klar», sagt Baehny: «Wenn wir durch Automatisierung Effizienz gewinnen und die Qualität hoch halten, können wir weiter zu Hause produzieren – und die Rendite wird dann folgen.»

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Eine interne Auswertung weist eine Produktivitätssteigerung seit 2014 um durchschnittlich 3,8 Prozent pro Jahr aus. Doch das soll nicht das Ende sein: Im Geschäftsfeld mit Badkeramik, das Geberit erst 2015 mit der Übernahme der finnischen Sanitec betrat, ist die Automatisierung «noch nicht so weit», sagt Albert Baehny. Sein Ziel sind jährliche Zunahmen von fünf Prozent. So es gelingt, dass Smaug und Sauron weiter Seite an Seite mit Frodo und Gandalf arbeiten, dürften die Perspektiven rosig bleiben. Und dazwischen wäre sicher Platz für einen Roboter namens «Albert». Der fehlt in Pfullendorf noch.

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