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Für Firmenich endet eine Ära. Mit dem fusionierten Konzern könnte eine neue beginnen. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg.
Grossbaustelle Am neuen Hauptsitz von DSM-Firmenich in Kaiseraugst entsteht ein Campus mit 250 Arbeitsplätzen. Hier sollen alle in der Forschung tätigen Mitarbeiter unter einem Dach arbeiten.
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Alles ist vorbereitet. Die Aktionäre haben die Fusion einstimmig abgenickt. Verwaltungsrat und Geschäftsleitung sind benannt. Das Headquarter ist bestimmt. Das neu formierte Team für die Umsetzung des Megadeals steht Gewehr bei Fuss. Seine Aufgabe: die Zusammenführung von zwei Konzernen, die wenig gemein haben – Firmenich und DSM. Auf der einen Seite das Schweizer Familienunternehmen, auf der anderen der ehemalige Staatskonzern aus den Niederlanden. Die einen seit 127 Jahren in privater Hand, die anderen seit Jahrzehnten börsenkotiert. Hier die Hersteller von Aromen und Duftstoffen höchster Qualität, dort der Chemiekonzern mit Wurzeln im Bergbau. Massgeschneiderte Kreationen auf der einen, Massenprodukte auf der anderen Seite. Noch haben nicht alle Wettbewerbshüter die Fusion abgesegnet. Doch dann geht es los. Der Arbeitstitel: «A Merger Of Equals». Eine irreführende Formulierung, finden Branchenkenner. Treffender wäre: Gegensätze ziehen sich an.
Schon seit Jahren wurde über die Zukunft von Firmenich spekuliert. Börsengang, Verkauf oder Fusion – welchen Weg würde die Eigentümerfamilie Firmenich einschlagen? Marktbeobachter wie der Analyst Andreas von Arx von Helvea hatten mit einem Fusionspartner aus der Branche gerechnet. Umso grösser war die Überraschung, als ein Player aus einem völlig anderen Geschäftsfeld als neuer Partner bekannt gegeben wurde. Entsprechend vielfältig sind nun die Herausforderungen für den Zusammenschluss: unterschiedliche Kulturen und Arbeitsweisen, Kundenbasen, Produktportfolios, Standorte, Lieferketten, Rechts- und Regulierungslandschaften. Schwierigkeiten könnten zudem bei der Integration von Unternehmensprozessen und -systemen entstehen. Und schliesslich sind Unwägbarkeiten bei der Verhandlung von Partnerschaften und Verträgen denkbar. Zur Unterstützung bei dieser Mammutaufgabe hat man das Beratungsunternehmen McKinsey & Company ins Haus geholt.
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Den Deal überhaupt eine Fusion zu nennen, finden viele aus der Branche unpassend – Firmenich ist eindeutig der kleinere Koalitionspartner. «Es ist wohl eher eine Übernahme durch DSM, wenn man das neue Management und das ganze Set-up anschaut», urteilt von Arx. Die neue Führungsmannschaft von DSM-Firmenich steht bereits fest. Das CEO-Duo von DSM, Geraldine Matchett und Dimitri de Vreeze, wird auch das neue Unternehmen leiten. Verwaltungsratspräsident wird Thomas Leysen, derzeitiger Vorsitzender des Aufsichtsrats von DSM – Patrick Firmenich sein Stellvertreter. Die Firmenich-Aktionäre, darunter zahlreiche Familienmitglieder, erhalten 34,5 Prozent der Anteile an dem neuen Unternehmen sowie 3,5 Milliarden Euro in bar.
Geraldine Matchett wird gemeinsam mit Dimitri de Vreeze auch das neue Unternehmen leiten.
PDGeraldine Matchett wird gemeinsam mit Dimitri de Vreeze auch das neue Unternehmen leiten.
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Zusammen erwirtschaften die beiden Konzerne einen Jahresumsatz von elf Milliarden Euro. 63 Prozent davon stammen von DSM, der deutlich kleinere Anteil von 37 Prozent von Firmenich. Bis 2026 sollen Synergien 350 Millionen Euro pro Jahr einspielen – eher unspektakulär. Der neue Name des Konzerns lautet DSM-Firmenich. Von den zwei Hauptquartieren in Kaiseraugst und Maastricht aus sollen schon in wenigen Monaten die 28'000 Mitarbeitenden geführt werden.
Ein Merger dieser Grössenordnung – Dealvolumen 20,7 Milliarden Dollar – wird die Branche umkrempeln. Sollte man meinen. «Auf unser Unternehmen hat die geplante Fusion keinen Einfluss», kommentiert ein Sprecher des deutschen Konkurrenten Symrise. Auch bei Givaudan gibt man sich trotz der Grösse des Deals gelassen: «Diese Fusion hat keinerlei Auswirkungen auf uns», betont Gilles Andrier, CEO des Genfer Riechstoff- und Aromenherstellers Givaudan. Die neuen Geschäftsbereiche von DSM-Firmenich hätten nichts mit dem Kerngeschäft zu tun, weshalb sich für die Duft- und Aromenbranche nichts ändere.
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Es ist schon lange ein offenes Geheimnis, dass sich die inzwischen weitverzweigte Eigentümerfamilie Firmenich nicht einig war, wie es mit der Firma weitergehen sollte. Zahlreiche Nachkommen des Gründers Charles Firmenich sind nach wie vor selbst im Unternehmen tätig. Allen voran Patrick Firmenich. Nach dem Jurastudium an der Universität Genf und einem Masterstudiengang an der Elite-Uni Insead in Fontainebleau trat er mit knapp 30 Jahren in das Familienunternehmen ein. Dort leitete er gut ein Jahrzehnt die strategische Entwicklung des internationalen Luxusparfumgeschäfts in New York und Paris, bevor er 1999 in die Geschäftsleitung berufen wurde. Drei Jahre später wurde er CEO – in vierter Generation. Er folgte auf seinen Vater Fred-Henri. Patrick Firmenich behielt die operative Leitung des Unternehmens bis 2014, wenig später übernahm er den Vorsitz des Verwaltungsrats. Neben ihm ist sein Bruder Antoine VR-Mitglied, andere Verwandte arbeiten in unterschiedlichen Geschäftsbereichen der Firma in der Schweiz und im Ausland.
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Patrick Firmenich Der Patron gibt seinen Vorsitz ab und wird Vizepräsident des neuen Verwaltungsrats von DSM-Firmenich.
lucien FORTUNATIPatrick Firmenich Der Patron gibt seinen Vorsitz ab und wird Vizepräsident des neuen Verwaltungsrats von DSM-Firmenich.
lucien FORTUNATIDoch die Stimmen derjenigen, die sich nicht in das Family Business einbringen wollten, wurden zuletzt immer lauter und konnten nicht länger ignoriert werden. Zusätzliche Unruhe entstand im vergangenen Jahr, als klar wurde, dass CEO Gilbert Ghostine, inzwischen 62, in den Ruhestand gehen wollte oder sollte. Mehrere Mitglieder aus der Geschäftsleitung brachten sich für den begehrten CEO-Posten in Position. Ghostine wurde vor neun Jahren der erste CEO, der nicht aus der Familie Firmenich stammt. Doch es kam alles anders. Am 31. Mai vergangenen Jahres wird die Fusion mit DSM bekannt gegeben. Die Überraschung ist gross – in der Branche und auch bei Firmenich selbst.
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Die Verhandlungen mit den Niederländern hatten unter grösster Geheimhaltung stattgefunden. Bis Ende Februar wussten auf Firmenich-Seite nur vier Personen von dem anstehenden Deal. Ghostine wird nach Abschluss des Mergers von seinem Amt zurücktreten. Der wichtigste Job in der neuen Geschäftsleitung, der an Firmenich geht, ist die Leitung des Parfümerie- und Schönheitsgeschäfts sowie der weltweiten Forschung in den Bereichen Parfümerie, Ingredienzen und Lebensmittel. Chefin des Bereichs wird Ilaria Resta und ihr Vize Amaury Roquette, beide kommen aus den eigenen Reihen.
Fred Firmenich, Philippe Chuit und Martin Naef, Schwarz-Weiss-Bild.
PDFred Firmenich, Philippe Chuit und Martin Naef, Schwarz-Weiss-Bild.
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Firmenich erhoffe sich aufgrund der Grösse und der neuen Innovationskraft des künftigen Bereichs Perfumery & Ingredients einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz, heisst es von Konzernseite. Für DSM ist dieser Geschäftsbereich vor allem wegen der hohen Margen attraktiv. Da wollen die Niederländer wohl auch nicht reinreden. Er wird als einzige der vier Sparten auch zukünftig von Genf aus geführt. Der Standort bekommt zudem noch ein Upgrade durch einen 200 Millionen Franken teuren Campus. Dort wird künftig in drei Produktionsstätten mit angrenzenden Labors an neuen Düften und Aromen getüftelt.
Während Resta und ihre Abteilung in Satigny bleiben, siedeln die übrigen Geschäftsleitungsmitglieder ins neue Headoffice nach Kaiseraugst über. DSM ist dort seit 2002 präsent. Die Niederländer hatten damals die Vitaminsparte von Roche mit 7500 Mitarbeitern für 3,4 Millionen Franken erworben. Roche war zu der Zeit die führende Anbieterin von Vitaminen und in einen Skandal um Preisabsprachen verwickelt. Die EU-Kommission hatte das Basler Unternehmen in dem Zusammenhang zu einer rekordhohen Kartellstrafe verdonnert. Für DSM war die Akquisition nicht nur der Schritt in die Schweiz, sondern auch in die Tierfutter-, Nahrungsmittel- und Kosmetikindustrie. Nur wenige Monate zuvor hatte sich das Unternehmen, das 1902 von der niederländischen Regierung als Bergbauunternehmen gegründet worden war, von seinem Petrochemie-Geschäft getrennt und den Fokus auf Spezialchemie gelegt.
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Inzwischen ist DSM mit über 3300 Mitarbeitern in der Region Basel und 200 Angestellten im Wallis vertreten. Die Schweiz ist ein wichtiger Standort für die weltweite Forschung und Entwicklung sowie die Produktion. Auch Geraldine Matchett, Co-CEO von DSM-Firmenich und verantwortlich für die Finanzen des neuen Konglomerats, hat Wurzeln in der Schweiz. Bevor sie 2014 zu DSM ging, arbeitete die schweizerisch-französisch-britische Staatsbürgerin bei SGS, zuletzt als Chief Financial Officer.
Im Vergleich zur übrigen Chemiebranche präsentiert sich das Geschäft mit Feinchemikalien und Vitaminen robust. Trotzdem steht die gesamte Industrie unter Margendruck. Die Aromen- und Duftstoffbranche ist profitabel, global aufgestellt und daher attraktiv als Fusionspartner für Player aus anderen Industrien. Dass Firmen wie DSM ein Auge darauf werfen, überrascht daher nicht. Auch der deutsche Konkurrent Symrise wird von Analysten als attraktiver Fusions- und Übernahmekandidat bezeichnet. Ein Kenner der Branche merkt allerdings an, dass Fusionen dieser Art nicht einfach seien: «Den neuen Partnern, wie im Fall von DSM-Firmenich, fehlt das spezielle Aromen-Gen. Neu werden DSM-Leute das Unternehmen führen, ohne Erfahrung in diesem hoch spezialisierten Markt. Das wird ein schwieriger Prozess.» Damit spielt er nicht nur auf das CEO-Duo an, sondern auch auf VR-Präsident Thomas Leysen. Der 62-Jährige steht seit 2020 dem Supervisory Board von DSM vor. Der Belgier hat einen sehr guten Leistungsausweis bei Umstrukturierungen und Erfahrung in zahlreichen Branchen. Mit Aromen und Duftstoffen kam er im Laufe seiner abwechslungsreichen Karriere aber noch nicht in Berührung.
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Skeptisch präsentieren sich auch die Aktionäre des niederländischen Chemiekonzerns. Der Aktienkurs von DSM hat seit Bekanntgabe der Fusion gut 21 Prozent nachgegeben – das ist viel schlechter als der Vergleichsindex Stoxx Europe 600, der in diesem Zeitraum fünf Prozent gewonnen hat. Der Zusammenschluss der Firmen erfolgt durch ein öffentliches Angebot für DSM-Aktien im Tausch gegen DSM-Firmenich-Titel – das Umtauschverhältnis ist eins zu eins – und Einbringung von Firmenich-Valoren in die neuen, ab Februar in Amsterdam gelisteten DSM-Firmenich-Titel.
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Analysten geben der Fusion überwiegend gute Noten. «Trotz des kurzfristigen Drucks glauben wir, dass der Merger eine bedeutende längerfristige Chance zur Wertsteigerung darstellt», urteilt Samuel Perry von der Credit Suisse. Aus strategischer Sicht werde Firmenich in mehreren Bereichen an Grösse gewinnen, ermöglicht durch ein umfassenderes Angebot. Wie die Fusionspartner erwartet Perry für DSM-Firmenich jährliche Synergien von rund 350 Millionen Euro – rund acht Prozent des Firmenich-Umsatzes.
Genau wie Firmenich ist auch Givaudan einem steigenden Margendruck ausgesetzt. Höhere Kosten für Rohstoffe von rund 300 Millionen Franken und steigende Energie- und Transportkosten waren ebenso eine Belastung wie teilweise unterbrochene Lieferketten. Trotzdem konnte der Nettobetriebsgewinn für das abgelaufene Geschäftsjahr gegenüber 2021 um 4,2 Prozent gesteigert werden. Die Nettogewinnmarge schrumpfte von 12,3 auf 12 Prozent. Um die Margen wieder aufzubessern, sollen nun bei Givaudan die Kosten gedrosselt werden – insgesamt um 60 Millionen Franken. Teil des Programms, das dieses Jahr umgesetzt wird, sind Stellenstreichungen. 300 Jobs sollen verschwinden, heisst es am Markt.
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Einige Branchen-Insider haben eine klare Meinung zu den Massnahmen: Der Stellenabbau habe nicht allein das Ziel, die Profitabilität zu steigern. Givaudan wolle sich vielmehr auf einen grossen Merger vorbereiten. Davon will Gilles Andrier nichts wissen. Givaudan habe bewusst einen anderen Weg eingeschlagen als ihre Wettbewerber. Während sich Firmenich – und vor drei Jahren bereits US-Konkurrent International Flavors & Fragrances (IFF) mit dem Kauf des Nahrungsergänzungsmittel-Business von DuPont – neu zu breit aufgestellten Konglomeraten wandeln, bleibt Givaudan fokussiert auf das Kerngeschäft. In den vergangenen vier Jahren hat Givaudan zwar 20 Firmen übernommen – teilweise auch in angrenzenden Geschäftsfeldern wie Gesundheit und Wellness. Übernahmen oder Fusionen von Firmen mit gänzlich anderen Produkten und Kunden sowie ohne Fusionssynergien passen laut Andrier aber nicht mit der langfristigen Strategie zusammen. «Nur mit individuellen Produktkreationen können wir einen zusätzlichen Nutzen für die Kunden und somit für unsere Investoren generieren», betont Andrier, der seit 2005 den weltweit grössten Hersteller von Riechstoffen und Aromen leitet.
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Während einige Branchenbeobachter Konkurrenten wie Givaudan oder Symrise jetzt unter Druck wähnen, sehen andere in der Grossfusion Opportunitäten. Die Phase der Unsicherheit und Unruhe sei günstig, Kunden und Mitarbeitende abzuwerben. «Natürlich ist das eine Chance, weiterhin als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden», sagt Andrier.
Aus dem neunköpfigen Firmenich-VR sitzen neben Patrick Firmenich noch dessen Bruder Antoine Firmenich sowie André Pometta und der ehemalige Lonza-CEO Richard Ridinger im Aufsichtsgremium von DSM-Firmenich. Ob je wieder ein Familienmitglied den 1895 gegründeten Konzern leiten wird, ist unwahrscheinlich. Patrick Firmenichs Tochter ist Doktorandin der Medizin in England, sein Sohn hat vor einem Jahr sein eigenes Unternehmen gegründet. So endet in diesem Jahr die Ära des Familienunternehmens Firmenich.
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