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Frau des Monats

CSS-Chefin Philomena Colatrella ist eine Leitwölfin der Gesundheitsbranche

Sie hat den Staub vom Krankenversicherer CSS geschüttelt und dafür viel Applaus ­geerntet. Doch jetzt steht ihre grösste ­Bewährungsprobe an.

sdf

In den vergangenen sechs Jahren hat Philomena Colatrella die ­Innerschweizer Krankenversicherung modernisiert.

In den vergangenen sechs Jahren hat Philomena Colatrella die Innerschweizer Krankenversicherung modernisiert.

Marco Aste für Bilanz

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Der Tag beginnt für Philomena Colatrella um 5.30 Uhr. Sie studiert die ersten Berichte, geniesst einen Espresso und lässt sich den anbrechenden Tag durch den Kopf gehen. Dann macht sich die Chefin der CSS auf den Weg – je nach Wetter mit dem Velo oder dem ÖV. Um 7 Uhr betritt Colatrella ihr Büro im Zentrum von Luzern.

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In den vergangenen sechs Jahren als CEO hat Colatrella die CSS modernisiert, digitalisiert, umstrukturiert und das angestaubte Krankenversicherer-Image abgeschüttelt. So hat sie sich bei Wegbegleitern und Mitstreitern den Ruf als beste Managerin der Schweiz erarbeitet. Doch nun ziehen Wolken am Horizont auf. Steigende Gesundheitskosten belasten das Geschäft der Schweizer Krankenversicherer. Deutlich steigende Prämien, Verluste in der Grundversicherung und ein Abdriften vom Wachstumskurs werfen Schatten auf Colatrellas Erfolgsstory. Die 55-Jährige muss jetzt beweisen, dass sie auch in der Krise eine versierte Managerin ist.

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Weg mit dem Staub

Im September 2016 übernahm Colatrella mit 47 Jahren als erste Frau den CEO-Posten der grössten Schweizer Krankenversicherung und damit die Verantwortung für 2700 Mitarbeitende und 1,6 Millionen Versicherte. Die Juristin kennt die CSS wie kaum jemand sonst. 1999 trat sie als Teamleiterin Legal & Compliance bei der CSS ihren ersten Job an und legte in den folgenden Jahren eine Bilderbuchkarriere hin. Als CEO möchte sie die CSS modernisieren. Colatrella mag Veränderung und Innovation: «Wir mussten weg vom reinen Krankenversicherer. Wir können mehr.» Ihr zierliches, fast jugendliches Aussehen täuscht nicht über ihren Ehrgeiz, die grosse Disziplin und den Willen zum Gestalten hinweg. Für die Transformation der CSS gewann sie die nötige Unterstützung innerhalb und ausserhalb des Versicherers. Sie verpasste dem Unternehmen ein Update und heimste dafür viel Applaus aus der Branche ein.

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Ein wichtiger Schritt war die Erweiterung des Kerngeschäfts mit Plattformen, welche die Kunden loyalisieren und relevante Gesundheitsthemen adressieren. Colatrella prägte den – heute bei fast allen Krankenversicherungen beliebten – Begriff des Gesundheitspartners. In den vergangenen zwei Jahren wurden Gesundheitscoaches und -guides eingestellt, die CSS-Kunden bei Fragen rund um Spitalaufenthalte unterstützen. Hinzu kommen Onlineprogramme für Themen wie Ernährung, Schlaf oder psychische Gesundheit. Neben einer guten Versorgung sollen solche Angebote selbstredend auch Kosteneinsparungen und damit niedrigere Prämien bewirken. Nun muss diese digitale Versorgung verankert und skaliert werden. Colatrellas Vision ist es, dass sich derartige Plattformen als alternative Versicherungsmodelle etablieren können.

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Die Chefin der CSS

Seit 24 Jahren arbeitet Colatrella für die CSS.
Die CSS-Chefin stellt hohe Anforderungen an sich, fordert aber auch ihre Mitarbeiter. Dass sie das Gespräch sucht, kommt gut an.
In den vergangenen sechs Jahren als CEO hat Colatrella die CSS modernisiert, digitalisiert, umstrukturiert.
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Seit 24 Jahren arbeitet Colatrella für die CSS.

Marco Aste für Bilanz

«Wir sind nicht nur Krankenversicherer, sondern ein Player am Gesundheitsmarkt», betont die CEO regelmässig. Die Positionierung als Innovationstreiber spricht junge Leute an. Während CSS-Mitarbeiter früher vor allem in Luzern rekrutiert wurden, kommen neue Angestellte heute auch aus Zürich, St. Gallen und dem Ausland. Eine Verjüngung brachte ebenso die Lancierung von Swiss Health Ventures vor drei Jahren. Die CSS investiert über den 50-Millionen-Franken-Fonds als erste Schweizer Krankenversicherung direkt in Jungunternehmen aus dem Gesundheitsbereich, darunter Digital-Health-Start-ups wie OnlineDoctor für Hautprobleme, Flow für Depressionstherapie oder das ETH-Spin-off Pregnolia, das ein Messgerät zur Erkennung von Frühgeburten entwickelt hat.

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Auf Colatrellas Agenda stand zudem der Umbau der Konzernstruktur: eine Herkulesaufgabe, die sie im vergangenen Jahr abgeschlossen hat. «Wir haben vier Fusionen in den vergangenen fünf Jahren abgewickelt und nun die Mehrkassenstrategie vollständig verabschiedet. Das war Knochenarbeit», betont sie. 2021 wurden bereits die Gesellschaften Intras und Sanagate in die Arcosana integriert. Im vergangenen Jahr konnte die Integration dieser Gesellschaft in die CSS abgeschlossen werden. Ein Meilenstein war zudem der Verkauf des verlustträchtigen Firmenkundengeschäfts. Mitte 2020 übernahm die Zurich Schweiz rund 30'000 KMU-Kunden sowie 68 Mitarbeitende der CSS. «Es war zu Beginn nicht leicht, den Verwaltungsrat von diesem Schritt zu überzeugen», räumt Colatrella rückblickend ein. Doch sie wollte die Verluste, die sich in den letzten zehn Jahren auf 120 Millionen Franken summiert hatten, eliminieren. Diese hatten das Gruppenergebnis erheblich belastet.

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Nun steht die CSS vor der zweiten Transformationsphase. «Wir müssen jetzt das Unternehmen in die zweite Geländekammer führen», nennt es Colatrella. Dafür hat sie Rudolf Bruder in die Geschäftsleitung geholt. Der ehemalige Leiter Produkte & Leistungen sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Helsana-Gruppe soll die Funktion des CFO sowie des stellvertretenden CEO übernehmen. Sie verspricht sich von der Neubesetzung Stetigkeit in der Unternehmensführung und der Finanzpolitik. Mit dem neuen IT-Chef Thomas Kühne hat sie zudem einen Mitarbeiter mit viel Erfahrung mit Transformationen und Business-Agilisierung an Bord geholt. Kühne war zuvor IT-Chef und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Mobiliar.

Nach zwölf Jahren steht auch an der Spitze des CSS-Verwaltungsrates ein Wechsel an. Damit endet Colatrellas Zusammenarbeit mit dem langjährigen Präsidenten und Förderer Jodok Wyer. Er ist bereits aus seinem Büro neben Colatrella ausgezogen. Dort zieht nun der Unternehmer Bernard Rüeger ein.

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Im Fokus der Finma

In Colatrellas Amtszeit fällt ein Verfahren der Finanzmarktaufsicht Finma. Der CSS wurde im Sommer vergangenen Jahres vorgeworfen, über mehrere Jahre Verwaltungskosten falsch verbucht zu haben – und zwar zulasten der Zusatzversicherten. So sei es der CSS möglich gewesen, die Prämien in der Grundversicherung besonders niedrig zu halten, indem ein ungerechtfertigter Teil der Kosten für Marketing und Werbung auf die Kunden in der Zusatzversicherung abgewälzt worden sei. Tatsächlich sind niedrige Prämien in der Grundversicherung eines der wichtigsten Verkaufsargumente der CSS und Basis für das gute Image des Branchenprimus. Die Finma verpflichtete die Versicherung dazu, Prämien in Höhe von 129 Millionen Franken zurückzuzahlen. Die CSS lässt diese Verfügung nun vom Bundesverwaltungsgericht prüfen. Die Entscheidung steht noch aus.

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1,6 Millionen Versicherte

zählt die CSS – davon 1,5 Mio. in der Grundversicherung.

6,75 Milliarden Franken

an Prämieneinnahmen verbuchte die CSS 2022.

2700 Mitarbeiter

sind bei der CSS angestellt, die Mehrzahl am Hauptsitz in Luzern.

98 Agenturen

umfasst das schweizweite Agenturnetz der CSS.

Zu Colatrellas Stärken zählt das Netzwerken. Sie ist Mitgründerin und Vizepräsidentin des Branchenverbands Curafutura, dessen Präsident während vieler Jahre der heutige Bundesrat Ignazio Cassis war. Mit ihm versteht sich Colatrella in zahlreichen Fachfragen blind. «Ich lernte Philomena Colatrella vor über zehn Jahren kennen. Ich habe rasch gemerkt, dass sie den richtigen Namen trägt. ‹Philomena› kommt aus dem Griechischen und bedeutet ‹Freundin des Mutes›. Und diesen Mut hat sie in ihrer Karriere immer wieder unter Beweis gestellt – auch als CEO der CSS», erinnert sich der FDP-Politiker. Die beiden arbeiteten bei Curafutura zusammen. Er schätze ihren gesunden Pragmatismus und ihre Art, Probleme analytisch und lösungsorientiert anzugehen, betont der Aussenminister. Colatrella und ihn verbindet auch die gemeinsame italienische Sprache und Kultur. «Ich schätze zudem, dass sie Klartext spricht, auch in Bezug auf das Gesundheitswesen. Sie ist eine wahre Freundin des Mutes», fügt Cassis hinzu.

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Am 1. Juni übernimmt der ehemalige Ständerat der Mitte-Partei aus Luzern, Konrad Graber, das Amt des Curafutura-Präsidenten – FDP-Ständerat Josef Dittli tritt nach mehr als fünf Jahren zurück. Bis 2017 war Graber Verwaltungsrat und Vizepräsident der CSS und ein wichtiger Mitstreiter Colatrellas. Zusammen mit den anderen Verbandsmitgliedern von Helsana, Sanitas und KPT werden sie sich weiter für die Reform zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen einsetzen. Fast noch wichtiger ist die Reform des veralteten Abrechnungssystems Tarmed. Colatrella und ihre Verbandsmitstreiter entwickelten zusammen mit einer Ärztevereinigung und den Unfallversicherern das neue System Tardoc. Es wird dem Bundesrat in der zweiten Jahreshälfte zur Genehmigung vorgelegt.

Die CSS-Managerin kennt und versteht den Markt wie kaum eine andere. «Ich habe Philomena Colatrella während unserer gemeinsamen Arbeit in den letzten sechs Jahren im Schweizerischen Versicherungsverband SVV kennen- und schätzen gelernt», sagt Rolf Dörig, Verwaltungsratspräsident der Swiss Life. Colatrella gehöre zweifellos zu den Persönlichkeiten, die das Gesundheitswesen in der Schweiz am besten kennen. «Mit ihrem enormen Fachwissen und ihrem Netzwerk in der Versicherungsbranche hat sie viel zu den Arbeiten des SVV beigetragen.» Seit diesem Mai ist sie Mitglied des Verwaltungsrats der Swiss Life. «Ich schätze ihre Teamfähigkeit, aber auch, dass sie eine klare persönliche Meinung hat und diese mit Überzeugung vertritt», sagt Dörig. Es freue ihn sehr, dass Colatrella mit ihrer Führungserfahrung und ihrem profunden Fachwissen den Verwaltungsrat der Swiss Life ergänze.

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Colatrellas Netzwerk geht aber über die Versicherungsbranche hinaus. Als Vorstandsmitglied des Verbands Economiesuisse steht sie im Austausch mit einer langen Liste von Schweizer Wirtschaftslenkern. Eine ihrer Wegbegleiterinnen ist Suzanne Thoma, Executive Chairwoman bei Sulzer, die sie seit zehn Jahren kennt und sehr schätzt. Thoma erinnert sich daran, wie Colatrella bei einem Vortrag bei der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft des Kantons Bern spannende Lösungsansätze aufzeigte. Dabei ging es darum, wie die Qualität und die Notwendigkeit der Kosteneindämmung im Gesundheitswesen angegangen werden könnten. «Sie treibt die Digitalisierung der CSS voran und leistet damit auch einen Beitrag zur Reform des Gesundheitswesens», unterstreicht Thoma die Leistungen Colatrellas.

Das Netzwerk

Colatrella und den ­Bundesrat verbindet die  italienische Sprache.
Als Präsident von Curafutura kämpfte Dittli an Colatrellas Seite.
Der ehemalige Ständerat ist ein wichtiger Mitstreiter bei Reformen.
Die VR-Präsidentin von Sulzer schätzt Colatrellas visionäres Denken.
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Colatrella und den Bundesrat verbindet die italienische Sprache.

Keystone

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Langweiliges Unternehmen

Der Zugang zu ausgesuchten Netzwerken wurde der Tochter italienischer Einwanderer nicht in die Wiege gelegt. Doch Colatrella ist es gelungen, diese Systemgrenzen zu knacken und im Laufe ihrer Karriere selbst Teil des Systems zu werden. Dabei ist es ihre Maxime, sich selbst immer treu zu bleiben. Kaum wurde sie CEO, bat man sie, Mitglied des Luzerner Rotary Clubs Wasserturm zu werden. Nach anfänglicher Skepsis sieht sie heute die Vorteile und hat Freude an dem regelmässigen Austausch.

Ein besonderes Interesse an Versicherungen hatte Colatrella als junge Frau nicht – ganz im Gegenteil. «Mein Problem war, dass ich vielfältig interessiert war», erinnert sie sich. Wirtschaft, Jura, Literatur, Biologie – sich nach der Schule für ein Studium zu entscheiden, fiel ihr schwer. Diese Unschlüssigkeit war auch für ihre Eltern sehr anspruchsvoll. Um seine Tochter zu unterstützen, schrieb der Vater sie ohne ihr Wissen an der Universität von Bologna für Recht ein. Doch sie entschied sich für das Jura-Studium an der Universität Fribourg und erwarb danach das Anwaltspatent des Kantons Luzern. Logisches Denken und Argumentieren – das sind die Fähigkeiten, die sie sich im Jura-Studium angeeignet hat und von denen sie bis heute profitiert.

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1999 schaltete die CSS ein Inserat, in dem eine italienisch sprechende Juristin gesucht wurde. Peter Stucki, der damalige Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Zürich und Vater ihrer besten Freundin, empfahl ihr, sich für die Stelle zu bewerben. Sie folgte seinem Rat, doch schon während der Probezeit schrieb sie die Kündigung. «Ich fand das Unternehmen zu langweilig», schmunzelt Colatrella. Doch dann wurden ihre Vorgesetzten auf die ambitionierte Juristin aufmerksam und boten ihr die Mitarbeit bei anspruchsvollen Projekten und Themen an. Sie stellte ihre Leistungsbereitschaft immer wieder unter Beweis und zeigte, dass sie Führungsaufgaben übernehmen kann. Der damalige Generalsekretär Josef Barmettler erkannte ihr Potenzial und unterstützte sie. Aber auch VR-Präsident Wyer und sein Vorgänger Pierre Boillat förderten die ehrgeizige junge Managerin.

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«Du musst jetzt einspringen!»

2012 wurde sie Generalsekretärin und Mitglied der Geschäftsleitung, zwei Jahre später stellvertretende Vorsitzende. Dann erhielt Colatrella an einem Sonntagabend einen Anruf des damaligen VR-Präsidenten Jodok Wyer: «Du musst jetzt einspringen!» Der damalige CEO Georg Portmann hatte einen Unfall und fiel für einige Monate aus. Von Juni bis Oktober konnte sie den CEO-Posten «üben», wie sie es heute beschreibt. «Es gefiel mir, zu entscheiden und zu lenken.» So war es für sie klar, dass sie sich zwei Jahre später, als Portmann seinen Rücktritt erklärte, für den Job bewarb. Sie setzte sich gegen zahlreiche Mitbewerber durch – genauso wegen ihrer Fachkompetenz wie ihrer Führungsqualitäten. Colatrella wird von Mitarbeitern als nahbar beschrieben. Es sei ein Ruck durch das Unternehmen gegangen, als sie den CEO-Posten übernommen hatte, sagt eine Mitarbeiterin. Sie stellt hohe Leistungsansprüche an sich selbst, fordert aber auch die Mitarbeiter. Dabei ist sie stets zugänglich und sucht das Gespräch. Das wird geschätzt.

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Obwohl mit Colatrella eine Frau an der Spitze der CSS steht, lässt die Zusammensetzung der Geschäftsleitung hinsichtlich Diversität zu wünschen übrig. Auch die zwei neuen Mitglieder in der Führungsriege sind Männer. «Glauben Sie mir, auf meiner Shortlist für diese Stellen waren 50 Prozent Frauen», beteuert sie. Trotzdem hat es wieder nicht geklappt. Woran scheitert es? Am Schluss müsse man die Person wählen, die am geeignetsten sei, meint sie.

«Sie denkt visionär, behält aber die Bodenhaftung», sagt Suzanne Thoma über Colatrella. Die beiden Frauen kennen sich seit über zehn Jahren, beide engagieren sich im Vorstand des Wirtschaftsverbands Economiesuisse. Colatrellas Bodenständigkeit wird von vielen Seiten bestätigt. Sie selbst schreibt diese ihrer Erziehung zu. Ihre Eltern kamen 1967 aus Avellino, einer Stadt östlich von Neapel, in die Schweiz. Ein Jahr später wurde Philomena geboren. Neben der Bodenständigkeit legten die Eltern Wert auf Leistungsorientierung – und gute Italienischkenntnisse. «Darauf hat mein Vater immer sehr geachtet», erinnert sich Colatrella. Mit den Eltern spricht sie nur italienisch, mit dem drei Jahre jüngeren Bruder aber ausschliesslich deutsch. Genesio Colatrella machte sich als Fussballprofi einen Namen; einst stand er als Spieler für den SC Kriens und den FC Thun unter Vertrag, bevor er 2002 eine Karriere als Trainer einschlug. Heute ist der 51-Jährige Cheftrainer der U-21 des FC Zürich. Ihren italienischen Pass möchte die Doppelbürgerin auf jeden Fall behalten. «Ich finde es gut, einen EU-Pass zu haben», erklärt Colatrella, die zweisprachig aufgewachsen ist und drei weitere Sprachen fliessend beherrscht. Ihr ist es wichtig, dass sich diese Offenheit auch in ihrer Identität spiegelt.

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Colatrellas Ehemann ist ebenfalls Italiener. Die beiden lernten sich zu Studienzeiten auf einer Reise kennen – er war damals Architekturstudent in Italien. Doch für die Liebe verliess er seine Heimat und zog in die Schweiz. «Ich wäre nicht nach Italien gegangen», sagt die Managerin, ohne zu zögern. Das Ehepaar lebt im Luzerner Wesemlin-Quartier, in der Nähe der Hofkirche. Bei ihren Freunden sind sie bekannt als gute Gastgeber. Bei Pasta aglio, olio e peperoncino wird bis spät in die Nacht diskutiert – über Anspruchsvolles und Alltägliches. «Das sind schöne Momente, aus denen ich viel Energie schöpfe», sagt Colatrella.

Auch auf Reisen lädt sie ihre Batterien auf. Dabei zieht es sie ebenso ans Meer wie in die Berge. In Sils Maria geniesst sie den Winter, dort fährt sie Ski und Langlauf. Ein anderer Rückzugsort ist das italienische Städtchen Varigotti an der ligurischen Küste mit seinen pastellfarbenen Häusern und langen Stränden. Ein Ausgleich zu ihrer Arbeit ist zudem die Musik. Colatrella hat während 15 Jahren Gesangsunterricht genommen. Seit zwei Jahren hat sie ein neues Klavier, kommt aber nur wenig zum Spielen. Sobald sie weniger operativ tätig sein wird, möchte sie wieder Stunden nehmen.

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Reizthema Prämien

Das abgelaufene Geschäftsjahr lief harzig für die CSS. Nur das gute Ergebnis bei den Zusatzversicherungen konnte das Abrutschen in die roten Zahlen verhindern. Der Verlust in der sogenannten Grundversicherung, der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, fiel mit 79,2 Millionen Franken sogar noch höher aus als budgetiert. Der Grund sind die höheren Gesundheitskosten, die laut Santésuisse auch in den ersten zwei Monaten dieses Jahres bereits um 7,5 Prozent pro Kopf gestiegen sind. Vermutlich handelt es sich um Nachholeffekte im Anschluss an die Pandemie. Wahleingriffe waren sistiert und teilweise verboten, wegen des Lockdowns sind viele Menschen weniger zum Arzt gegangen. Jetzt steigen die Kosten im ambulanten Bereich – etwa für Physio- und Ergotherapie. Aber auch im stationären Bereich gehen die Kosten hoch; ganz zum Ärger der Versicherer, die seit Jahren die Ambulantisierung vorantreiben wollen.

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Die christlichen Wurzeln der CSS

Der Priester Johann Baptist Jung war nicht nur Gründer der Christlichsozialen Arbeiterbewegung, sondern legte auch den Grundstein für die heutige CSS. 1899 gründete er in St. Gallen die Krankenkasse des Katholischen Arbeitervereins, die damals eher eine Selbsthilfeorganisation mit 60 Mitgliedern war. In den folgenden Jahren entstanden schweizweit mehrere Sektionen, die sich 1905 zur Christlichsozialen Kranken- und Unfallkasse der Schweiz (CKUS) zusammenschlossen. 1914 wurde die CKUS vom Bundesrat anerkannt und verlegte 1919 den Hauptsitz nach Luzern, wo er sich bis heute befindet. Die politischen und konfessionellen Auflagen der Krankenversicherung wurden 1958 aus dem Regelwerk gestrichen.Die Umwandlung in die CSS Versicherung AG erfolgte 2001. Mit mehr als 1,6 Millionen Versicherten zählt die CSS heute zu den grössten Krankenversicherern der Schweiz – bei der Grundversicherung ist sie mit 1,5 Millionen Kunden Branchenprimus.

«Die steigenden Gesundheitskosten beunruhigen mich natürlich. Aber ich versuche, einen kühlen Kopf zu bewahren», sagt Colatrella, die mit den Themen Versorgung und Kosten jahrelange Erfahrungen besitzt. Das Augenmerk liegt jetzt auf rigiden Kostenkontrollen. Dabei geht es sowohl um Rechnungskontrollen als auch um die Inspektion der Betriebskosten – die Digitalisierung ist dabei ein wichtiges Instrument zur Effizienzsteigerung. Diese beiden Hebel stehen Colatrella zur Verfügung. In die Prüfung der 25 Millionen Rechnungen, die jedes Jahr eingehen, wurde im vergangenen Jahr erneut investiert. Gut angelegtes Geld: 743 Millionen Franken an ungerechtfertigten Ausgaben konnten so verhindert werden. Wachsamkeit ist auch beim Thema Versicherungsmissbrauch nötig. Laut Colatrella konnten im vergangenen Jahr dank sorgfältiger Kontrollen 233 Fälle aufgedeckt werden. Sollte hinter dem aktuellen Anstieg der Gesundheitskosten mehr als der vermutete Nachholbedarf stecken, werden Reformen umso dringender. Das nötige Netzwerk, um diese weiter voranzutreiben, hat Colatrella bereits aufgebaut.

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Spiegel der Gesundheitskosten sind die Prämien. Von 2022 auf 2023 haben sich diese schlagartig um durchschnittlich 6,6 Prozent erhöht. Die mittlere Prämie für Erwachsene liegt laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) nun bei 397.20 Franken. Colatrella betont immer wieder, wie wichtig ihr angemessene Prämien für die Versicherten sind: «Wir wollen jeden Herbst eine moderate Prämie anbieten. Deswegen mache ich diesen Job.» Trotzdem hat die CSS die Prämien im vergangenen Jahr durchschnittlich um 7,5 Prozent angehoben – mehr als der Branchendurchschnitt. Doch CSS-Kunden sind trotzdem treu. Zum Teil wohl deswegen, weil die Prämien des CSS immer noch unter dem Marktdurchschnitt liegen. Nur etwa 10'000 Versicherte in der obligatorischen Versicherung haben ihre Verträge gekündigt. Bei der Konkurrentin Helsana sind im vergangenen Jahr 84'000 Kunden in der Grundversicherung abgesprungen. Die Treue der CSS-Kunden ist in anspruchsvollen Marktphasen wie dieser Gold wert.

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Obwohl Colatrella die CSS fit für die Krise gemacht hat, bleibt es eine wirklich schwierige Phase für die CEO. Wenn sie am Abend den CSS-Hauptsitz verlässt und sich auf den Heimweg ins Wesemlin-Quartier macht, lässt sie den Tag Revue passieren und fragt sich selbstkritisch: «Was lief heute gut? Was lief schlecht? Habe ich alles richtig gemacht?»

Über die Autoren
sdf

Anne-Barbara Luft

Anne-Barbara Luft

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