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Firmenpleiten, Jobverlust, Steuerloch: Welche Ängste berechtigt sind – und welche nicht

Die verheerenden Folgen des Corona-Einschlags zeigen sich teilweise erst mit langer Verzögerung. Was alles noch auf uns zukommt.

Erik Nolmans

Corona Krise Wirtschaft Schweiz

Der Lockdown im März hat die Schweizer Wirtschaft tief getroffen. Die verheerenden Folgen für Arbeitsplätze und Firmen werden erst jetzt langsam spürbar.

Melk Thalmann für BILANZ

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Zunächst machte man mal dicht und wartete ab. Doch knapp sechs Monate nach der Corona-bedingten Schliessung von Anfang März zogen die Betreiber des Hotels X-tra in Zürich im August endgültig den Stecker: Das Hotel, das vor allem auf Gäste aus Asien spezialisiert war, nahm den Betrieb nicht wieder auf.

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Neun Angestellte verlieren ihre Arbeit. Das Beispiel reiht sich ein in unzählige ähnliche Fälle in den letzten Wochen. Industriekonzern Sulzer in Winterthur: minus 55 Stellen, Liftbauer Schindler in Luzern: minus 200 Stellen, die Uhrenhersteller Girard-Perregaux und Ulysse Nardin aus dem Kanton Neuenburg: minus 100 Stellen. Fast täglich prasseln derzeit neue Abbaumeldungen auf die Schweizer Wirtschaft ein.

Dabei sah man schon Hoffnungsschimmer, zeigte die Wirtschaft doch Tendenzen, sich nach dem historischen Rekordtaucher beim Bruttoinlandprodukt von minus 9,3 Prozent zu erholen und sich langsam wieder aufzurichten. So zeigte die Credit Suisse Mitte September in einer Studie, dass die Schweizer Privathaushalte zwei Drittel der Gelder, die sie während des Lockdowns angespart hatten, derzeit wieder ausgeben – es gilt, Verpasstes nachzuholen. Doch dies sei nur ein «Zwischenspurt»: «Die Nachholeffekte schwächen sich zusehends ab, sodass die Erholung in den kommenden Monaten an Schwung verlieren dürfte», so die Konjunkturexperten der Bank.

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Dies ist umso bedenklicher, als sich die Experten einig sind, dass das Nachbeben des Einschlags vom März erst bevorsteht: «Auch wenn sich die Wirtschaft im Herbst erholt, werden die Probleme auf dem Arbeitsmarkt erst noch kommen», sagt Martin Eichler, Chefökonom des Konjunkturforschungsinstituts BAK Economics. 

Arbeitslosenquote

Er rechnet bis Mitte des nächsten Jahres mit 40 000 bis 50 000 zusätzlichen Arbeitslosen. Bereits per Ende des zweiten Quartals ist die Zahl der Erwerbstätigen um 106 000 Personen geschrumpft. Fast die Hälfte davon – rund 50 000 – habe sich gar nicht erst um eine Stelle bemüht, sondern sich entmutigt zurückgezogen – wie viele davon jemals wieder in den Arbeitsprozess einsteigen werden, ist ungewiss. Insgesamt werde die Arbeitslosigkeit in der Schweiz bis 2021 auf rund 3,4 Prozent steigen, so die Prognostiker des Bundes.

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Verzögerte Probleme

Dass die Probleme erst mit Verzögerung auf uns zukommen, liegt daran, dass bisher ein doppelter Deckel daraufgehalten wurde: Kurzarbeit und Stützungsmassnahmen.

Auf dem Höhepunkt des Lockdowns lagen in der Schweiz für 1,9 Millionen (!) Angestellte Bewilligungen für den Bezug von Kurzarbeitsentschädigung vor. Das sind 13-mal so viele wie in der Finanzkrise nach 2008, als es 150 000 Bewilligungen gab.

Industrie und Gewerbe: -9,1 Prozent

Ein Mitarbeiter bearbeitet einen wichtigen Auftrag fuer den Energiesektor der Firma Tenconi, ein in der Metallverarbeitung taetiges Unternehmen, am Dienstag, 14. April 2020, in Airolo. Unter Einhaltung der Hygienemassnahmen und der Social Distancing-Regeln wird der Betrieb in Tessiner Industriebetrieben schrittweise wieder aufgenommen. (KEYSTONE/Ti-Press/Alessandro Crinari)

Die Industrie wurde im zweiten Quartal hart getroffen: Zwischen März und Juni gingen 139 Meldungen von Massenentlassungen ein, 8000 Personen verloren den Job. Mit dem Auslaufen der Kurzarbeit wird ein zweiter Schub erwartet.

Keystone
Ein Mitarbeiter bearbeitet einen wichtigen Auftrag fuer den Energiesektor der Firma Tenconi, ein in der Metallverarbeitung taetiges Unternehmen, am Dienstag, 14. April 2020, in Airolo. Unter Einhaltung der Hygienemassnahmen und der Social Distancing-Regeln wird der Betrieb in Tessiner Industriebetrieben schrittweise wieder aufgenommen. (KEYSTONE/Ti-Press/Alessandro Crinari)

Die Industrie wurde im zweiten Quartal hart getroffen: Zwischen März und Juni gingen 139 Meldungen von Massenentlassungen ein, 8000 Personen verloren den Job. Mit dem Auslaufen der Kurzarbeit wird ein zweiter Schub erwartet.

Keystone

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Doch damals waren nur wenige Branchen – vor allem die Finanzindustrie und das verarbeitende Gewerbe – betroffen, der Grossteil der restlichen nicht. Dass heute praktisch alle Branchen betroffen sind, bedeutet, dass es vergleichsweise wenige offene Stellen hat, weil es in vielen Branchen kriselt und es keine Jobs gibt: «Man muss davon ausgehen, dass die Abgangsrate aus der Arbeitslosigkeit auch in den kommenden Monaten relativ tief bleiben wird», sagt Michael Siegenthaler, Arbeitsmarktexperte bei der Konjunkturforschungsstelle KOF.

Kurzarbeit ist zudem eine typische Überbrückungsmassnahme. So stellt man sich denn auch in der stark betroffenen Industrie darauf ein, dass gegen Ende Jahr vielerorts grundsätzlich über die Bücher gegangen wird: «Man kommt an den Punkt, wo man sich sagt: Mit Kurzarbeit können wir das nicht weiter überbrücken», sagt Hans Hess, Präsident des Industrieverbandes Swissmem.

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Kurzarbeit sei ein super Mittel für kurze Krisen von bis zu zwölf Monaten. «Doch wenn eine Firma nur noch zwei oder drei Tage pro Woche arbeitet, fällt sie mit der Zeit auseinander.»

««Man kommt an den Punkt, wo man sich sagt: Mit Kurzarbeit können wir das nicht weiter überbrücken.» »

Hans Hess, Swissmem Präsident

Kein Wunder, rechnen die meisten Experten mit einer Zunahme der Firmenpleiten im letzten Quartal dieses und im ersten Quartal des nächsten Jahres. Bisher sind – und dies ist ein weiteres Paradoxon dieser Krise – die Konkurse noch deutlich tiefer als zu den Zeiten vor der Krise.

So sind zwischen März und Juli 21 Prozent weniger Firmen in Konkurs gegangen als in der Vorjahresperiode. Als Grund gelten die Unterstützungsmassnahmen, vor allem die Notkredite, die der Bund zusammen mit den Banken entwickelt hat. Zudem galt bis April ein Betreibungsstopp.

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Unterstützung ist sinnvoll für jene Firmen, die im Grunde gesund sind und einfach durch den Schock in Liquiditätsnot geraten sind. Doch die Gelder stützen auch Firmen, denen schon ohne Corona das Wasser bis zum Hals stand und bei denen nicht die Liquidität, sondern das grundsätzlich nicht lebensfähige Geschäftsmodell das Problem ist. Mit dem Auslaufen der Überbrückungskredite dürften in den kommenden zwei Jahren die Konkurse wieder steil nach oben schnellen.

Düstere Szenarien

Dass die jetzigen Zahlen die Situation nicht richtig widerspiegeln, zeigt sich auch daran, dass die Unternehmer selber düstere Szenarien malen: Laut einer Studie sahen Anfang August 14 Prozent der Unternehmen ihre Existenz gefährdet oder stark gefährdet. Diese bislang aufgestauten negativen Effekte dürften vor allem auch in der Gastrobranche, dem am stärksten vom BIP-Einbruch getroffenen Segment, zu spüren sein.

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Gastrobranche: -62,3 Prozent

A waiter of "La Brasserie de Montbenon" restaurant brings dishes food to customers during the spread of the pandemic Coronavirus (COVID-19) disease in Lausanne, Switzerland, Monday, May 11, 2020. In Switzerland from today, the Swiss authorities lifted second part of the lockdown. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

Für Restaurants, Cafés und Bars war der Lockdown ein Debakel: Ging die Gesamtwirtschaft im zweiten Quartal um 9,3 Prozent zurück, waren es hier 62,3 Prozent. Einige konnten sich auffangen, doch viele werfen nun endgültig das Handtuch.

Keystone
A waiter of "La Brasserie de Montbenon" restaurant brings dishes food to customers during the spread of the pandemic Coronavirus (COVID-19) disease in Lausanne, Switzerland, Monday, May 11, 2020. In Switzerland from today, the Swiss authorities lifted second part of the lockdown. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

Für Restaurants, Cafés und Bars war der Lockdown ein Debakel: Ging die Gesamtwirtschaft im zweiten Quartal um 9,3 Prozent zurück, waren es hier 62,3 Prozent. Einige konnten sich auffangen, doch viele werfen nun endgültig das Handtuch.

Keystone

Dass in der Gastrobranche jedes Jahr Tausende von Betrieben zugehen, sei im Grunde schon vorher so gewesen und daher nichts Aussergewöhnliches, sagt Stephan Thalmann vom Beratungsunternehmen Gastroconsult. «Doch die Frage ist nicht, wie viele gehen zu, sondern wie viele bleiben zu», betont er.

Vorher habe man bei vielen Restaurants, Bars oder ähnlichen Betrieben relativ schnell jemanden gefunden, der einen maroden Betrieb übernahm, um selber sein Glück zu versuchen – selbst an Standorten, wo eigentlich für jeden die Alarmglocken läuten müssten.

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«Viele versuchten gar nicht, tiefer zu ergründen, warum der Vorgänger eigentlich gescheitert war», so Thalmann. Jetzt würden erste Tendenzen zeigen, dass dieser über lange Zeit eingespielte Effekt nicht mehr wirke – viele Betriebe bleiben zu: «Damit könnte es infolge von Corona nun in der Tat zur schon lange vorhergesagten grundsätzlichen Strukturbereinigung in der Gastrobranche kommen.»

««Die Frage ist nicht, wie viele Betriebe zugehen, sondern wie viele Betriebe zubleiben.»»

Stephan Thalmann, Gastroconsult

Doch auch in jenen Branchen, die bisher glimpflich davongekommen sind – die Finanzindustrie konnte sogar während des Rekordabsturzes noch um ein Prozent zulegen –, befürchten die Experten gegen Jahresende einen Jobabbau. Überall dürften die Budgets restriktiver werden und angesichts unsicherer Aussichten weniger Einnahmen eingeplant werden.

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Um diese Ausfälle zu kompensieren, müssen die Kosten runter. Die Integration der Neuen Aargauer Bank (NAB) in den Mutterkonzern Credit Suisse, verbunden mit dem Abbau von bis zu 500 Arbeitsplätzen bis 2022, setzt hier ein deutliches Signal.

 

Finanzindustrie: +1,0 Prozent

Paradeplatz square with the tram stop "Paradeplatz and the headquarters of the two Swiss banks UBS, left, and Credit Suisse, right, in Zurich, Switzerland, on February 4, 2019. (KEYSTONE/Gaetan Bally)Der Paradeplatz mit Tramstation "Paradeplatz und dem Hauptsitz der Schweizer Grossbanken UBS, links, und Credit Suisse, rechts, am 4. Februar 2019 in Zuerich. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

In der letzten grossen Krise kam die Finanzindustrie unter die Räder, nun konnte sie sogar noch zulegen. Doch gegen Ende Jahr drohen restriktive Budgets

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Paradeplatz square with the tram stop "Paradeplatz and the headquarters of the two Swiss banks UBS, left, and Credit Suisse, right, in Zurich, Switzerland, on February 4, 2019. (KEYSTONE/Gaetan Bally)Der Paradeplatz mit Tramstation "Paradeplatz und dem Hauptsitz der Schweizer Grossbanken UBS, links, und Credit Suisse, rechts, am 4. Februar 2019 in Zuerich. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

In der letzten grossen Krise kam die Finanzindustrie unter die Räder, nun konnte sie sogar noch zulegen. Doch gegen Ende Jahr drohen restriktive Budgets

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Pascal Scheiwiller hat als Chef der Outplacement-Dienstleistungsfirma Rundstedt direkt mit Personen zu tun, die ihre Jobs verlieren; er skizziert das Bild von drei Schüben. Der erste Schub, unmittelbar nach dem Lockdown im März, habe viele Temporärangestellte in kleinen Betrieben betroffen, etwa in Bars oder Reisebüros.

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Der zweite Schub, der Ende Juli angefangen habe, habe eine Häufung von Massenentlassungen gebracht bei Firmen, die vom Wirtschaftseinbruch direkt betroffen waren, etwa in der Industrie. Gegen Jahresende erwartet er noch einen dritten Schub an Jobabbau, und zwar bei all jenen Firmen, die aufgrund der anhaltenden Unsicherheit und eingeschränkten Planbarkeit in den aktuellen Budgetrunden für nächstes Jahr präventiv Kostenkorrekturen vornehmen.

Nervöse Ü-50-Angestellte

Die Besorgnis und die Angst seien derzeit grösser als in anderen Krisen der Vergangenheit, sagt der langjährige Arbeitsmarktexperte: «Besonders verunsichert und nervös sind ältere Angestellte über 50 Jahre», hat er beobachtet. Zu Recht? «Nein, eigentlich nicht», sagt Scheiwiller. Es gehe einfach länger, bis diese Personen wieder Arbeit fänden: «Richtig schwierig wird es erst ab 60 Jahren.»

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Zu den stark betroffenen Verlierern der derzeitigen Krise gehören aber auch die ganz Jungen. Bei den eingangs erwähnten 50 000 Menschen, die sich einfach aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, war der Anteil der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen besonders gross.

BIP-Wachstum

Das jährliche «Jugendbarometer» der Credit Suisse, veröffentlicht Mitte September, zeigt, dass die Pandemie in der Schweiz für rund jeden fünften Jugendlichen «eine Verschlechterung der privaten und finanziellen Situation» gebracht hat.

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Den Lehrabgängern oder anderen Schulabsolventen, die sich zum ersten Mal ins Arbeitsleben eingliedern mussten, bot sich ein denkbar schlechter Start, weil es kaum freie Jobs gibt und, wenn doch, diese eher mit Abgängern aus der Kurzarbeit aufgefüllt werden.

Bildungsökonomen betonen, dass ein schlechter Einstieg in den Arbeitsmarkt sehr langfristige Auswirkungen haben kann. Laut «NZZ» sind Krisengenerationen noch Jahre nach dem Eintritt in den Arbeitsmarkt schlechter gestellt als andere Kohorten. In den USA etwa verdienen jene Menschen, die zur Zeit der Finanzkrise 2008 zwischen 15 und 27 Jahre alt waren, auch heute, also über zehn Jahre nach der Krise, noch immer weniger als die vorherige Generation im selben Alter.

Mit der jetzigen Krise sind weitere sehr spezifische Nachteile verbunden. So führt das Social Distancing dazu, dass sich Leute schlechter vernetzen können. Während gestandene Mitarbeiter, die sich schon ein berufliches Netzwerk aufgebaut haben, auch viele Vorteile im Homeoffice sehen dürften, fehlen den Jungen die Kontakte und auch die persönliche Betreuung durch erfahrene Kollegen.

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Fehlende Innovation

Das Magazin «Economist» geht davon aus, dass mit der Pflicht zum Social Distancing auch die Innovation leidet. In den letzten 30 Jahren habe sich gezeigt, dass Innovation stark darauf basiere, dass Leute an öffentlichen und quasi-öffentlichen Plätzen Ideen austauschen können, sei es im Café, in den Gängen der Uni oder auch an einer Kundgebung.

All diese Nachteile müssen die Jungen auf sich nehmen, obwohl sie direkt von den gesundheitlichen Gefahren von Corona kaum betroffen sind. In der gesamten Schweiz gibt es seit dem Ausbruch der Pandemie und auch in all den Wochen danach weder in der Altersgruppe der 10- bis 19-Jährigen noch in der Altersgruppe der 19- bis 29-Jährigen auch nur einen einzigen Toten.

Keine Toten bei den Jungen

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Umso beachtlicher ist es, welch grosse Solidarität die Jungen insgesamt in diesen Zeiten zeigen und wie duldsam sie die ihr Leben stark einschränkenden Corona-Massnahmen ertragen. «Von einer Totalopposition gegen alles Etablierte sind sie weit entfernt», heisst es im «Jugendbarometer» der CS.

Dass sich die Jugendlichen in der repräsentativen Umfrage wünschen, es möge in unsicheren Zeiten «starke Führungsfiguren, die Massnahmen auch gegen Widerstand durchsetzen», geben, weckt angesichts der erschreckenden Beispiele aus der Geschichte allerdings auch Besorgnis.

««Auch wenn sich die Wirtschaft im Herbst erholt, werden die Probleme auf dem Arbeitsmarkt erst noch kommen.»»

Martin Eichler, BAK Economics

Immerhin zeigen sich die Jungen in der Schweiz im Vergleich zu ihren Altersgenossen in den USA, Singapur und Brasilien relativ bieder: Die Pandemie ist erst auf Platz zwei der Hauptsorgen, ganz oben bei den befragten 16- bis 25-Jährigen steht – man höre und staune – die «Sicherung der Altersvorsorge».

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Gut möglich allerdings, dass diese fast biedere Vernunft auch eine Stärke der Schweiz darstellt. Angesichts des betont disziplinierten Haushaltens der Vorjahre konnte die Schweiz mit deutlich stärkeren Reserven in die Krise gehen. Die Milliardenhilfen, die der Bund in der Corona-Krise gesprochen hat, wären sonst kaum möglich gewesen. So steht die Schweiz mit ihrem Einbruch von im Vorjahresvergleich minus 9,3 Prozent im zweiten Quartal im internationalen Vergleich noch gut da.

Im Mittelfeld

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Bemerkenswert ist, dass oft jene Länder, die es schafften, ihre Wirtschaft gut zu schützen, auch diejenigen waren, die das Leben ihrer Bewohner gut zu schützen wussten. Besonders gut abgeschnitten haben dabei asiatische Länder wie Taiwan; Nationen wie die Schweiz oder Deutschland liegen im Mittelfeld.

Während Länder wie die USA oder die Niederlande ähnliche Wirtschaftseinbrüche wie die Schweiz aufweisen, aber viel mehr Tote zu beklagen hatten, gab es in Grossbritannien beides: einen Rückgang der Wirtschaft um mehr als 20 Prozent und mit über 600 Toten pro Million Einwohner dreimal so viele wie in der Schweiz.

Starke Pharma

So ist eine der positiven Erfahrungen dieser Krise, dass die Schweiz zwar heftig getroffen wurde, aber trotz allem einmal mehr besser dasteht als viele andere Länder. Das hat auch mit der vielschichtigen Branchenstruktur zu tun. In der jetzigen Lage kommt hinzu, dass hierzulande die Pharma- und Chemieindustrie sehr stark ist, sorgt doch allein dieser Zweig schon bisher für rund 50 Prozent der Exporte des Landes.

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Pharmafirmen gehören als Produzenten von Medikamenten oder Corona-Tests zudem weltweit zu den Gewinnern der derzeitigen Krise. Roche etwa veröffentlichte in diesen Tagen erneut positive Studienergebnisse, die zeigen, dass ihr Anti-Entzündungsmittel Actemra bei Corona wirkt – der Kurs schoss prompt um fast zwei Prozent nach oben. Und dass die beiden Basler Konzerne Roche und Novartis für über 50 Prozent der Marktkapitalisierung im Schweizer Aktienindex SMI sorgen, wirkt auch auf die Börse stabilisierend.

Doppelte Widerstandskraft

Doppelte Widerstandskraft: Volkswirtschaften, die ihre Wirtschaft stärker schützen konnten, konnten auch ihre Bevölkerung stärker vor Todesfällen bewahren.

Doppelte Widerstandskraft: Volkswirtschaften, die ihre Wirtschaft stärker schützen konnten, konnten auch ihre Bevölkerung stärker vor Todesfällen bewahren.

European CDC, OECD und nationale Statistikämter
Doppelte Widerstandskraft: Volkswirtschaften, die ihre Wirtschaft stärker schützen konnten, konnten auch ihre Bevölkerung stärker vor Todesfällen bewahren.

Doppelte Widerstandskraft: Volkswirtschaften, die ihre Wirtschaft stärker schützen konnten, konnten auch ihre Bevölkerung stärker vor Todesfällen bewahren.

European CDC, OECD und nationale Statistikämter

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Derlei Dinge dürften dazu beigetragen haben, dass die Börse bis jetzt nicht in Panik abgestürzt ist. So geben sich die meisten Börsenauguren auch für die Zukunft nicht sehr pessimistisch: Einen Börsencrash sehen sie nicht im Anmarsch, wenn einen Rückgang, dann eine vorübergehende Korrektur.

Es bleibt zu hoffen, dass sie damit recht haben. Denn ein Börsencrash würde auch das Anlagevermögen und damit die Rücklagen für die AHV oder die Pensionskassen schmälern. Dies würde zum denkbar schlechtesten Moment kommen, denn die Sozialwerke und der Staat werden durch die Massnahmen im Rahmen der Corona-Krise richtiggehend ausgeblutet.

Foto: Melk Thalmann für BILANZ

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Dabei summieren sich die negativen Effekte: Die Ausgaben schiessen in die Höhe, die Einnahmen sacken in sich zusammen. Wenn Leute nicht arbeiten und Firmen weniger Gewinn machen, kommt nichts herein in die Kassen. Die Konjunkturauguren gehen davon aus, dass Bund, Kantone und Gemeinden aufgrund der negativen Entwicklungen durch die Corona-Krise in den kommenden Jahren mit einem Rückgang der Steuereinnahmen von über 25 Milliarden Franken rechnen müssen. Vor allem 2021 und 2022 fallen die grossen Ausfälle an: 8 Milliarden sind es jeweils.

40-Milliarden-Loch

Gleichzeitig steigen die Verpflichtungen für Sozialleistungen allerorts an. Allein in diesem Jahr dürften die Ausgaben der Arbeitslosenversicherung um rund 20 Milliarden Franken ansteigen, wobei rund drei Viertel davon auf die Kurzarbeit zurückzuführen sind.

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Steuerausfälle

Insgesamt dürften laut der Konjunkturforschungsstelle KOF die Defizite über alle Staatsebenen hinweg im laufenden und im nächsten Jahr zusammen mehr als 40 Milliarden Franken betragen, was 3,5 Prozent des BIP entspricht. Bundesrat Ueli Maurer, einst so stolz auf seinen erfolgreichen Sparkurs, sieht die Verschuldung in Rekordzeit wieder ansteigen. Und dabei ist noch nicht einmal klar, wie gross der Anteil der durch den Bund im Rahmen der Notkredite geleisteten Bürgschaften sein wird, der eingelöst werden muss.

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Wird also nur schon die Lösung der Probleme im Innern zu einer happigen Aufgabe, so dürften auch im für die Schweiz wichtigen Exportbereich die Probleme eher wieder zunehmen. So betonte Wirtschaftsminister Guy Parmelin jüngst an einer Tagung, dass die Erholung der Schweizer Wirtschaft stark auch von den Lockerungsmassnahmen im Ausland abhängig sein wird: «Solange es Weltgegenden gibt, die gesperrt oder blockiert sind, kann man so viele Massnahmen ergreifen, wie man will, die Konsequenzen werden erheblich sein.»

Die Reisebeschränkungen und Quarantänevorschriften wurden nach vorsichtigen Lockerungen im Sommer zuletzt eher wieder verschärft. Betroffen sind die stark exportorientierten Industriebetriebe. «Maschinen oder Anlagen muss man oft vor Ort beim Kunden installieren», sagt Swissmem-Präsident Hess. Wegen Reisebeschränkungen sei das oft nicht möglich. «Erst wenn die Anlage installiert ist, kann man aber die Rechnung stellen. So kommt über Monate nichts rein», so Hess.

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Kunst und Erholung: -26,1 Prozent

Marco Solari, Festival President, at the opening of the special edition of the Locarno Film Festival, "For the Future of Films", in Locarno, Switzerland, Wednesday, August 5, 2020. Due to the security measures inflictet because of the global coronavirus disease (COVID-19) pandemic, this years edition of the festival will mainly be presented online, with some occasional events and screenings in Locarno. The Festival runs from 7 to 15 August 2020.(KEYSTONE/TI-PRESS/Samuel Golay)

Es bleibt schwierig für Theater, Kinos und Konzerte: Ein Drittel der Bevölkerung will Kulturevents erst wieder besuchen, wenn die Corona-Krise endgültig vorbei ist.

keystone-sda.ch
Marco Solari, Festival President, at the opening of the special edition of the Locarno Film Festival, "For the Future of Films", in Locarno, Switzerland, Wednesday, August 5, 2020. Due to the security measures inflictet because of the global coronavirus disease (COVID-19) pandemic, this years edition of the festival will mainly be presented online, with some occasional events and screenings in Locarno. The Festival runs from 7 to 15 August 2020.(KEYSTONE/TI-PRESS/Samuel Golay)

Es bleibt schwierig für Theater, Kinos und Konzerte: Ein Drittel der Bevölkerung will Kulturevents erst wieder besuchen, wenn die Corona-Krise endgültig vorbei ist.

keystone-sda.ch

Noch dramatischer könnte es werden, wenn es eine zweite Welle geben sollte und die Einschränkungen weltweit wieder drastisch zunehmen. Als erstes Land der Welt hat Israel zum zweiten Mal einen Lockdown verhängt und auch in anderen Ländern werden regionale Lockdowns diskutiert.

Wenig Todesfälle

Für die Schweiz wichtige Wirtschaftszweige wie die Tourismusindustrie könnten zusätzlich getroffen werden. Bereits jetzt stellen sich die Wintersportorte auf schwierige Zeiten ein. Man setzt vermehrt auf Schweizer Gäste und rüstet mit neuen Dienstleistungen auf, etwa im Wellnessbereich. Doch noch ist unklar, welche Schutzkonzepte genau gelten werden. Wie früher wird es nicht sein: Ob das umsatzstarke Après-Ski-Geschäft mit Maske und Social Distancing in Schwung kommen wird, darf bezweifelt werden.

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Immerhin: Trotz auch in der Schweiz steigenden Fallzahlen bleiben die Todesfälle hierzulande auf sehr tiefem Niveau. Ob die Sterberate im Winter wieder zunimmt oder sich die Pandemie abgeschwächt hat, wie einzelne Experten vermuten, bleibt abzuwarten. Die Wirtschaft aber, so viel ist klar, ist tief verletzt. Auch wenn bereits für 2021 wieder ein Plus von 3,7 Prozent beim BIP-Wachstum erwartet wird und es danach mit positiven Wachstumszahlen weitergehen soll, werden uns die Folgen des Einschlags noch über Jahre beschäftigen.

««Die Krise hat uns rund zwei Jahre Wirtschaftswachstum gekostet.» »

Michael Siegenthaler, KOF

So hat das Loch, das die Corona-Krise in die Wirtschaft geschlagen hat, einen «permanenten Wohlstandsverlust» zur Folge, so KOF-Experte Siegenthaler: «Das Niveau des Wohlstands, das wir ohne Corona-Krise Ende 2020 erreicht hätten, werden wir wohl erst Ende 2022 erreichen. Die Wirtschaftskrise hat uns also rund zwei Jahre Wirtschaftswachstum gekostet.»

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Auch das Staatssekretariat für Wirtschaft geht davon aus, dass die Krise das Produktionspotenzial der Schweizer Wirtschaft nachhaltig beschädigen wird, was für die kommenden zehn Jahre einen Einkommensverlust von 3400 bis 6900 Franken pro Kopf und Jahr bedeuten könnte.

 

«Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise werden nun nach und nach sichtbar. Sie sind dramatisch», resümierte Heinz Karrer, scheidender Präsident des Wirtschaftsverbandes Economiesuisse, Anfang September am Tag der Wirtschaft. Er appellierte an die Vertreter von Politik und Wirtschaft, sich auf die «wirtschaftspolitischen Erfolgsfaktoren» zurückzubesinnen.

Doch was diese denn sind, ist umstritten: Für das rechte politische Spektrum sind es vor allem bestehende Werte wie Wirtschaftsfreiheit, die Linke will die Krise nutzen, um grundsätzlich Korrekturen einzuleiten – und beide Seiten werden ihre Position mit Corona begründen.

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Auch das dürfte eine Folge der Krise sein: Der Richtungskampf könnte in Zukunft eher an Vehemenz zulegen. Dass er mit zunehmend leeren Staatskassen geführt werden muss, dürfte den Spielraum für kostspielige Neuerungen allerdings einschränken.

Über die Autoren
Erik Nolmans

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