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Kosmetik

Estée Lauder-Regionenchefin Nadine Graf über «leadership from every chair»

Nadine Graf ist bei dem Kosmetikriesen zur EMEA-Chefin aufgestiegen. Die Zürcherin über virtuelles Verkaufen und kulturelle Unterschiede.

Iris Kuhn Spogat

Nadine Graf

VORWÄRTSGERICHTET: Nadine Graf hat in der Krise dank Online ein zweistelliges Wachstum geschafft.

ZVG

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Das hat vor ihr noch keine Frau geschafft: Am 1.  Februar wurde die Zürcherin Nadine Graf beim weltgrössten Luxuskosmetikkonzern Estée Lauder Companies (ELC) Chefin über die Region EMEA. Diese umfasst Europa, Afrika und den Mittleren Osten (inklusive Indien).

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Mit diesem Karrieresprung wird die 39-Jährige zu einem der einflussreichsten weiblichen Leader im Imperium mit über 30 Marken, darunter Tom Ford, Clinique und La Mer.

Frau Graf, wie viele Hierarchiestufen haben Sie noch über sich?
Ich berichte an den internationalen Präsidenten und er an den CEO.

Was bedeutet Ihnen Ihr jüngster Aufstieg?
Ich fühlte mich sehr geehrt, als man mich gefragt hat, diese Region zu führen.

Geehrt?
Ja. Hätten Sie mich vor fünf Jahren gefragt, wo ich in fünf Jahren sein werde, hätte ich nie gesagt, ich werde EMEA führen, eine Region, die fast die halbe Weltbevölkerung umfasst.

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Warum?
Weil ich nicht so ticke, was an meiner Erziehung liegen mag: Ich bin aufgewachsen mit dem Credo, die Dinge gut, heisst besser zu machen, als man es von mir erwartet. Ich bin immer auf das fokussiert, was gerade ansteht, nicht auf das, was als Nächstes vielleicht kommt. In den vergangenen zwei Jahren haben wir viel lernen müssen – und auch gelernt: Wir sind in gewissen Aspekten des Business extrem vorangekommen.

In welchen?
Zum Beispiel in Bezug auf Virtual Selling. Es waren ja von einem Tag auf den andern alle Verkaufsgeschäfte zu und Tausende Mitarbeitende zu Hause eingesperrt. Zwei Fragen drängten: Wie halten wir sie engagiert? Wie behalten und sichern wir ihre Nähe zu unserer Kundschaft, die ja nach wie vor Produkte kaufen und auch beraten werden wollte?

Ein Fall fürs Digitale.
Basis vom Ganzen war, dass wir die ganze Organisation auf das ausgerichtet haben, was wir tun können, und nicht auf das, was wir nicht können. Dank digitalen Tools konnten wir ab Tag eins sehr intensiv und unmittelbar mit unseren Leuten kommunizieren und so sicherstellen, dass sie das Gefühl nicht verloren, dass sie dazugehören, auch wenn sie nicht aktiv arbeiten. Zeitgleich haben wir damit angefangen, sie umzuschulen. Wir haben virtuelle Verkaufsteams aufgebaut, die Leute ausgebildet und signifikant ins Equipment investiert. Es war sehr wichtig, dass unsere Leute bestens ausgerüstet sind, die richtigen Tools bei sich haben und das richtige Licht, um Kunden online bedienen zu können. So ist aus der Not in kurzer Zeit ein drittes Standbein für unser Geschäft entstanden. So gesehen hat diese Krise der Organisation einen Riesenschritt in Sachen Innovation ermöglicht, der weit über den reinen Wettbewerb hinausreicht. Das wird bleiben.

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Eine dufte Karriere

Nadine Graf (39) hat ihre Karriere in der Beauty-Industrie absolviert. Sie war in verschiedenen Funktionen und Positionen bei den beiden spezialisierten Retailern Nuance Group und Parfümerie Douglas, bevor sie im Herbst 2016 als Regional Director EMEA zum Kosmetikmulti Estée Lauder Companies wechselte. Knapp fünfeinhalb Jahre später übernimmt sie die Gesamtverantwortung fürs Business in dieser Weltregion. Graf ist verheiratet, Mutter einer Tochter und lebt mit ihrer Familie in Zürich.

In Zahlen?
Unseren Onlineumsatz haben wir in der Zeit verdreifacht. Er macht inzwischen 25  Prozent unseres Markenumsatzes aus.

Und was ist die Zielmarke des Onlineumsatzes?
Habe ich nicht. Wir erfinden die Zukunft des virtuellen Verkaufens ja erst. Ich sage immer, lasst das mit den Benchmarks, denkt einfach gross.

50  Prozent?
Wir wollen uns nicht festlegen. Was wir in unseren Marken selber machen, ist ja nur das eine. Wenn wir unsere Errungenschaften, wie virtuelle Konsultationen und Masterclasses, auch auf den Plattformen grosser Retailer anbieten können, sehe ich grosse Opportunitäten.

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Zum Beispiel bei Mytheresa?
Wir waren der erste Prestige-Kosmetik-Anbieter auf Zalando. Und wir haben ein Auge auf Plattformen mit einer Klientel mit Affinität zu unserem Geschäft.

Aber?
Wir brauchen nicht einfach weitere Distributionskanäle. Was interessiert, sind langfristige Wachstumsmöglichkeiten. Das heisst, wenn wir irgendwo einsteigen, dann wollen wir dort das Prestige-Beauty-Business aufbauen.

Was treibt Sie eigentlich an?
Der Unterschied, den man machen kann. Daran und an der Performance meines Teams werde ich auch gemessen.

Hat die Pandemie Sie verändert?
Ich bin vor der Pandemie sehr viel gereist. Und dann auf einen Schlag nicht mehr. Aus der Ferne zu führen, war für mich allerdings nichts Neues. Ich verantworte inzwischen ein Business mit einem Volumen von mehreren Milliarden Franken und über 11 000 Mitarbeitern in über 80 Ländern. Ohne die Möglichkeit, auch virtuell zu interagieren, wäre das gar nicht führbar. Mein Stil aber hat sich nicht geändert.

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Wie ist der?
Ich führe mit Herz und Verstand.

Und die bringen Sie immer in Einklang?
Das ist die Voraussetzung. Für mich muss eine Entscheidung nicht nur rational aufgehen, sondern auch gefühlsmässig richtig sein. Eine Stärke von Frauen sind gute Instinkte. In unserem Unternehmen ist Führen nichts, was von oben nach unten geschieht. Unsere Philosophie heisst «leadership from every chair».

««Ich führe mit Herz und Verstand.»»

Nadine Graf

Das heisst?
Wir machen zum Beispiel regelmässig virtuelle Marktbesuche. Ich will in diesen Meetings jeweils nicht nur die obersten Verantwortlichen in den Märkten dabeihaben, sondern auch die Leute, die an den Projekten arbeiten, über die wir sprechen.

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Welches ist Ihr grösster aktueller Challenge?
Sicherzustellen, dass die ganze Organisation mehr Zuversicht als Angst hat und den Mut, neue Dinge auszuprobieren und zu experimentieren. Das Geschäft wird immer mehr kundenzentriert. Alles dreht sich um Fragen, wie und wo kauft jemand ein, wo will jemand bedient und beraten werden? Daran müssen wir unsere Strategien anpassen. Es läuft heute nicht mehr so, dass wir sagen, wo jemand einkaufen soll. Die Trennung Online–Offline gibt es für uns nicht mehr, Omnichannel is the only channel.

Sie überschauen Europa, Afrika, den Mittleren Osten – taugen Ihre Produkte denn für alle Frauen auf der Welt?
Nein. Es gibt Unterschiede bezüglich Hautfarben und -texturen. In Südafrika zum Beispiel haben viele Frauen eher ölige Haut und brauchen daher eine andere Pflege. Das muss natürlich in unsere Innovationen einfliessen.

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Hauttypen sind das eine, Kulturkreise das andere.
Grösser als in der Region EMEA könnten die Unterschiede gar nicht sein. In Dubai zum Beispiel sind über 80  Prozent der Kunden Expats. In Saudi-Arabien sind die grosse Mehrheit Arabisch sprechende Einheimische. Aus diesem Grund haben wir da einen eigenen Standort aufgebaut mit einer Frau als General Manager.

Einer Araberin?
Ja. Und dass wir die Führung dort einer Frau übertragen haben, ist ganz klar auch ein Commitment unsererseits: Wir wollen die aufkeimende Emanzipation der Frauen in dieser Region unterstützen und fördern.

Weibliche Emanzipation in Saudi-Arabien?
Es hat sich in den letzten fünf Jahren einiges getan. Immer mehr sind Frauen in der Berufswelt in Businesskleidung unterwegs, schätzen unsere Produkte.

Dann blüht Ihr Geschäft?
Wir sehen grosse Wachstumschancen.

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Da kann man auch viel falsch machen.
Wir gehen mit Bedacht und Respekt vor. Wir analysieren einerseits den Markt, andererseits stützen wir sehr auf unsere lokalen Mitarbeitenden ab und stellen die jeweiligen Teams so zusammen, dass sie die Diversität unserer Konsumenten in den Ländern widerspiegeln. Wie sonst kämen wir zu einer griffigen Strategie?

Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Iris Kuhn-Spogat

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