Guten Tag,
In seinem «Plädoyer für den coolen Mann über fünfzig» liefert der Schriftsteller Alex Capus Antworten für die Lebensfragen des Mannes der Jetzt-Zeit.
Alex Capus
Der reife Stilgott: Pierce Brosnan.
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Das Wichtigste zuerst, Freunde: Fröhlich bleiben. Lächeln. Das ist ja nicht auszuhalten, was für sauertöpfische Leichenbittermienen manche von uns spazieren führen. Vor allem wir Männer. Wir Alten und Mittelalten sind ja leider in der Mehrheit, deshalb prägen wir das Strassenbild. Wir hätten da eine Verantwortung, die wir aber nicht wahrnehmen. Geht raus und überzeugt euch selbst – überall Griesgrame und Miesepeter, so weit das Auge reicht.
Ich frage euch: Was soll das? Was sollen die anderen von uns denken? Die jungen Leute, und die Damen? Weshalb sollten die, wenn sie noch halbwegs bei Trost sind, sich mit uns herumschlagen wollen? Mit uns faden, abgelöschten Muffeln?
Darum sage ich euch: Lasst uns fröhlich bleiben, während wir älter werden. Freundlich. Neugierig und hilfsbereit. Absichtslos charmant. Und lasst uns auch mal fremdem Glück zulächeln.
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Alex Capus, Autor.
Maurice Haas / 13 PhotoAlex Capus, Autor.
Maurice Haas / 13 PhotoAlex Capus (61) ist einer der wichtigsten Schweizer Autoren der Gegenwart. Zu seinen bekanntesten Werken gehören die Romane «Eine Frage der Zeit» und «Das Leben ist gut».
Schaut euch George Clooney an, der ist ja auch keine zwanzig mehr. Warum sieht der so gut aus? Wegen seiner Lachfalten. Warum lieben ihn die Frauen? Doch nicht wegen der breiten Schultern, des markanten Kinns, und auch nicht wegen des flachen Bauchs. Na ja, ein bisschen vielleicht schon auch. Aber vor allem, weil er aussieht, als würde das Leben an seiner Seite Spass machen.
Nun kann man natürlich einwenden, dass George gut lachen hat. Er wohnt in einer Villa am Comersee und hat ein paar hundert Millionen auf dem Konto, und seine Frau heisst Amal und ist Menschenrechtsanwältin in London. Da sieht unser Leben vergleichsweise ein bisschen anders aus. Wir wohnen in Lenzburg oder Arbon, und die Frau heisst Sabine oder Brigitte und ist Sachbearbeiterin bei der Helsana.
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Das Role Model: George Clooney.
PDDas Role Model: George Clooney.
PDKein Wort gegen Lenzburg oder Arbon, auch nichts gegen die Helsana und erst recht nichts gegen Brigitte oder Sabine. Aber manchmal, das ist schon wahr, müssen wir Männer über fünfzig ein bisschen tapfer sein. Beruflich geht es nicht mehr voran, die wenigen freien Jobs sind für Frauen ausgeschrieben, wegen der Quote; nicht mehr lange, dann wird man uns den frühzeitigen Ruhestand anbieten. Auch als Familienväter haben wir ausgedient. Die Kinder sind ausgeflogen und rufen nie an. Und die Freunde, die wir mal hatten? Die sind uns irgendwie abhanden gekommen. Thomas ist an Darmkrebs gestorben, und Reto sieht seit Corona nur noch Echsenmenschen, und Tim hat jetzt einen Sportwagen und eine Geliebte, die halb so alt ist wie er.
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Zum Glück ist Brigitte oder Sabine noch da. Zumindest war sie das heute Früh noch, bevor sie aus dem Haus ging. Sie ist jetzt oft ausser Haus, denn sie holt ihren Master in BWL nach und geht an drei Abenden die Woche ins Yoga. Und alle paar Monate unternimmt sie eine Städtereise mit ihren Freundinnen.
Seltsam, das alles. Ein bisschen fühlen wir uns im Stich gelassen. Haben wir das verdient? Mag sein, dass wir hie und da geschwächelt haben, und ein paar Mal, kein Zweifel, haben wir richtig Mist gebaut. Aber übers Ganze haben wir doch unser Bestes gegeben. Die Welt könnte uns sogar ein wenig dankbar sein. Stattdessen stehen wir allein im Regen, während der Abend anbricht.
Der Freundlichste: Keanu Reeves.
PDDer Freundlichste: Keanu Reeves.
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Aber ist das ein Grund, so sauertöpfisch aus der Wäsche zu gucken? Wir haben doch zielstrebig darauf hingearbeitet, dass es genau so herauskommt, wie es nun herausgekommen ist. War es nicht der Zweck der ganzen Schufterei, dass wir es beruflich irgendwann würden ruhiger angehen können? Haben wir nicht die Kinder zwanzig Jahre lang gefüttert und gepampert, damit sie flügge werden und uns nicht mehr brauchen? Und Brigitte oder Sabine: Das ist doch schön, dass sie neue Ziele hat und das Leben geniesst, warum freuen wir uns nicht mit ihr? Was schliesslich die verlorenen Freunde betrifft: Tja. So ist das Leben nun mal. Wege trennen sich, Freundschaften gehen auseinander. In unserem Alter sollte man das begriffen haben.
Was folgt daraus? Dass es an der Zeit ist, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Zeit, unsere frei gewordenen Kapazitäten einer guten Sache zu widmen. Es darf gern etwas Sinnvolles und Schönes sein - der Kampf für ein Quartierkino zum Beispiel, oder der Schutz der Hochmoore, oder fairer Handel mit Bio-Kaffee – oder auch etwas komplett Sinnloses. Hauptsache, uns geht das Herz wieder auf.
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Ich selber würde gern mit vier Freunden ein fünfplätziges Tandem entwerfen und dieses eigenhändig konstruieren, um damit nach Gibraltar zu radeln; wir wären schnell wie der Wind, würden aber mehrtägige Stationen in Carcassonne, Pamplona, Madrid und Malaga machen.
Oder ich gehe Meteorite suchen vor abschmelzenden Alpengletschern. Ich könnte mir vorstellen, dass sich da einiges angesammelt hat seit der letzten Eiszeit.
Der mit dem besten Gesicht: Lance Reddick.
Contour by Getty ImagesDer mit dem besten Gesicht: Lance Reddick.
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Vielleicht nutze ich meine Zeit auch, um auf einem möglichst abseitigen Gebiet akademisches Fachwissen zu erwerben. Sowjetische Briefmarken der sechziger Jahre. Der Kontrapunkt bei Jimi Hendrix. Das Geschlechtsleben der Gletscherflöhe. Katholizismus und Kirchenhass bei Frank O’Connor. Oder noch etwas Schrägeres. Es ist angenehm, in irgendwas Experte zu sein. Wichtig ist, sein Fachwissen nur sparsam aufblitzen zu lassen, sonst rollen die Leute bald mal mit den Augen.
Man könnte auch die Kunst des Segelfliegens erlernen oder als Discjockey an Ü-50-Partys auftreten oder sich einem Gesangsverein anschliessen; alle Chöre auf der Welt suchen händeringend nach Bässen und Tenören. Zahllos sind die Möglichkeiten, die Wahl ist reine Geschmackssache.
Eines aber sollte jeder von uns unbedingt tun: sich eine richtig schöne und kostspielige, zeitlos elegante Reisetasche kaufen; eine aus Leder. Diese Plastik-Rollkoffer sind doch für Flight Attendants.
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Ist die Reisetasche erst mal zur Hand, müsste man Brigitte oder Sabine zu einem Ausflug einladen, zum Beispiel an den Neuenburgersee. Sie ist ja das Wichtigste in unserem Leben, wir sollten ihr dankbar sein, dass sie uns immer noch erträgt nach all den Jahren. Vielleicht erinnert sie sich ja daran, dass das Leben an unserer Seite Spass machen kann. Man könnte über Flohmärkte schlendern, mit dem Raddampfer ans gegenüberliegende Ufer fahren, abends einheimischen Pinot noir trinken. Am nächsten Morgen hinauf zum Creux du Van wandern und vor der Felsenarena der Liebsten ein Lied singen. «I met my love by the gas works wall …» zum Beispiel. Und zwar volle Kanne. Von ganzem Herzen.
Der Coolste: Mads Mikkelsen.
Contour by Getty ImagesDer Coolste: Mads Mikkelsen.
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Und hier sind die Dinge, die wir Männer über fünfzig lassen sollten:
Wir sollten uns kein teures Sportauto kaufen, das wäre langweilig und albern. Sportautos sehen nur an jungen Männern (und Frauen) gut aus. Die haben das Geld dafür zwar noch nicht, aber trotzdem. Für uns ist es zu spät.
Auch sollten wir uns nicht die Haare färben, das würde nach Trickserei aussehen. Die Leute würden sich fragen, was wir sonst noch für falsche Asse im Ärmel haben. Ebenso wenig sollten wir uns Tattoos oder Piercings stechen lassen und auch nicht ins Solarium gehen.
Ganz wichtig: Lasst die jungen Frauen in Frieden, die wollen nichts von uns. Zwar gibt es welche, die doch etwas von uns wollen, aber die haben einen an der Waffel. Solche Geschichten führen zu nichts Gutem. Und machen uns ganz gewiss nicht jünger.
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Auch sollten wir keinen Jugendslang verwenden, nicht mal unseren eigenen von damals, und keine eng anliegende Kleidung tragen; selbst dann und erst recht nicht, wenn wir den Body dafür noch hätten.
Hingegen sollten wir unsere Füsse pflegen, vor allem die Nägel und die Fersen. Manche von uns, liebe Freunde, haben schlimme Füsse.
Der sportliche Schelm: Jason Statham.
Trunk ArchiveDer sportliche Schelm: Jason Statham.
Trunk ArchiveSo!
Nachdem das nun alles gesagt ist, sollten wir eigentlich bereit sein, uns wieder als zumutbare Akteure in menschlicher Gesellschaft zu bewegen. Einige Fallstricke gilt es noch zu beachten; zum Beispiel das Faktum, dass der Zeitgeist uns alternden weissen Männern die Schuld gibt an allem, was gerade schiefläuft auf der Welt. Wer hat die ganzen Kriege angezettelt? Der alte weisse Mann. Wer macht das Klima kaputt? Wer ist schuld am Elend der Dritten Welt? Wer diskriminiert Frauen, Homosexuelle und Non-Binäre? Wer hat die Ozeane überfischt, zahllose Tierarten ausgerottet, Wiesen und Felder überdüngt, die Globalisierung in den Kollaps getrieben? Der alte weisse Mann. Es ist eine veritable Revolte gegen uns im Gang. Wir sind an allem schuld. Wir Männer über fünfzig.
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Das ist gewiss nicht ganz falsch, aber doch ein wenig ungerecht. Der Klimawandel ist nicht Folge unseres persönlichen Fehlverhaltens, sondern Resultat von zweihundert Jahren Industrialisierung. Die Fische im Ozean haben wir nicht alleine aufgegessen, und auch das viertausend Jahre währende Diktat heterosexueller Männer haben weder du noch ich in unserer Lebenszeit angezettelt.
Aber wir profitieren davon. Niemand profitiert so sehr wie unsereiner von Kriegen, Katastrophen und Ungerechtigkeiten, wir stehen immer noch an der Spitze der Pyramide. Deswegen ist es richtig und unvermeidlich, dass die Revolte der Benachteiligten sich nicht nur gegen das System, sondern auch gegen uns persönlich richtet. Das müssen wir aushalten und gutheissen, um der guten Sache willen.
Der Wiederauferstandene: Robert Downey Jr.
PDDer Wiederauferstandene: Robert Downey Jr.
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Denn es wird auch zu unserem Nutzen sein, wenn mehr Gleichheit und Freiheit und Gerechtigkeit in die Welt einzieht. Wir über Fünfzigjährigen sind noch mit den Zwängen und Verboten des alten Patriarchats aufgewachsen. Wir erinnern uns, was für ein gesellschaftlicher Mief bis in die achtziger Jahre herrschte. Furchtbar war das, kein Mensch möchte dorthin zurück. Unsere Rollenmodelle waren Paola und Kurt Felix oder Kliby und Caroline. Na gut, es gab auch Sean Connery und Ingrid Steeger – aber waren die etwa nicht gefangen in entsetzlich engen Korsetts?
Wir alle – Frauen und Männer jedweder sexuellen Ausrichtung – leben heute unvergleichlich freier, glücklicher und fröhlicher als damals. Schlage sich einer an die Brust und sage, das sei nicht wahr. Und diesen Zuwachs an Lebensglück – auch das ist nun mal wahr – verdanken wir ganz wesentlich dem Befreiungskampf der Frauen und der Homosexuellen.
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Es ist ein gesellschaftlicher Fortschritt, den wir miterleben dürfen. Wir sollten uns über ihn freuen und uns nicht ärgern über die skurrilen Blüten, die er zuweilen treibt. Manche von uns haben es sich angewöhnt, wie die Rohrspatzen zu schimpfen über Gendersternchen, Binnen-I und sogenannte Cancel Culture. Altmännergekeife ist uncool, Freunde, lasst das sein. Mir gefällt das zwanghafte Gendern auch nicht, wie es heute betrieben wird. Aber Sprache verändert sich mit dem gesellschaftlichen Wandel, das ist unvermeidlich und richtig. Die Zukunft wird weisen, wohin die Reise geht. Die Details können wir getrost mal den jungen Leuten überlassen.
Der edle Alterspräsident: Patrick Stewart.
ShutterstockDer edle Alterspräsident: Patrick Stewart.
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Das führt mich zu einem letzten Punkt: Es ist gar nicht nötig, dass wir zu allem immer eine Meinung haben. Und wenn wir eine haben, brauchen wir sie der Welt nicht ständig kundzutun. Kein Mensch will ungebeten belehrt werden; insbesondere die Belehrungen älterer Männer stehen aktuell bei jungen Leuten und den Damen nicht sonderlich hoch im Kurs.
Deshalb ist es wohl ganz gut, wenn wir einfach mal die Klappe halten und zuhören. Junge Leute sind interessant. Die Rotzlöffel, die uns heute ihre Red-Bull-Dosen vor die Füsse werfen, werden das 22. Jahrhundert erleben. Sie sind die Zukunft und die Gegenwart. Und wir? Wir sind die Vergangenheit.
Wir sollten neugierig sein darauf, was sie zu sagen haben, und versuchen zu verstehen. Wahrscheinlich werden wir nicht mit allem einverstanden sein. Dann sollten wir uns nicht trotzig und lauthals aufs Rechthaben versteifen, selbst wenn wir hundertmal recht haben sollten. Man kann ja auch mal höflich schweigen. Und wohlwollend lächeln. Und für die Zukunft das Beste hoffen. Wird schon alles gut werden.
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