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Luxus

Dior sorgt in Grasse für Aufbruchstimmung

In Grasse, der Welthauptstadt des Parfüms, herrscht ­Aufbruchstimmung. Und damit hat ein Mann besonders viel zu tun: François Demachy, Chefparfümeur von Dior. Ein Ortsbesuch.

Iris Kuhn Spogat

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SAVOIR-FAIRE: Carole Biancalana kultiviert die Blumenfelder ihrer Familie in vierter Generation mit dem Savoir-faire ihrer Vorväter. Was sie damit erreicht, ist heiss begehrt – und exklusiv für Dior.

Mirjam Kluka für BILANZ

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Der Besuch von Parfums Dior beginnt weder in einer Fabrik noch in einem Showroom, sondern auf einem Feld. Es befindet sich am Rand von Grasse, 20 Kilometer nördlich von Cannes, und gehört zur Domaine de Manon von Carole Biancalana. Die Frau steht mit dem Wind in den Haaren und einem Lächeln auf dem Gesicht mittendrin, winkt und ruft: «Venez, come!» Am linken Arm hat sie einen Weidekorb voll frisch gepflückten Jasminblüten hängen, den sie uns auf Nasenhöhe entgegenstreckt. Der Duft ist «oh!» und «ah!» und «wow!». Biancalana geniessts und stellt den Korb dann in den Schatten eines Olivenbaums. «Einmal gepflückt, vertragen sie keine Sonne mehr.»

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Die Patronne der Domaine de Manon ist seit Tagesanbruch mit ihrem zehnköpfigen Team daran, von den kniehohen Sträuchern die weissen Blüten zu pflücken. Eine um die andere von Hand. Die pinkfarbenen Knospen lässt sie stehen. Am Tag darauf und an jedem weiteren Tag während der Erntezeit, die von Juli bis Oktober dauert, wird das wiederholt. Eine Blüte wiegt knapp ein Gramm, geübte Hände pflücken etwa 330 Gramm pro Stunde. «Wir ernten an 120 Tagen die Blüten von jeder einzelnen Staude», rechnet sie vor und fügt an: «Der Jasmin riecht übrigens immer anders, heute nach Banane.» Sie holt den Korb von eben, hält ihn in die Höhe – «smell!». Tatsächlich: Banane. Biancalana sagt, die Nuancen changierten mit Wind und Wetter «von fruchtig bis animalisch». Und betont, dass es entscheidend sei, dass die Blumen am Tag eins ihres Blühens geerntet würden, «spätestens bis elf Uhr am Vormittag, wenn die Feuchtigkeit, die Kühle und der Wind der Nacht noch in ihnen stecken.»
 

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Demut und Geduld

Weil in Bezug auf Qualität und Intensität des Duftes die Zeit Schlüsselfaktor ist, chauffiert Biancalanas längst pensionierter Vater die Duftblumen fortlaufend zu Robertet, der alteingesessenen Destillerie, wo wie auf der Domaine de Manon sieben Tage die Woche Betrieb herrscht. Bei Robertet entsteht aus den Blumen ein Absolue, ein hoch konzentriertes Duftöl. Die Ausbeute ist minimal: 800 Kilo Blüten ergeben einen Liter Absolue. Dieser kostet dann bis zu 80 000 Franken.

Foto: Mirjam Kluka für BILANZ

Die 56-Jährige baut im Korridor zwischen Meer und Bergen auf dem Land ihrer Vorfahren ausser Jasmin auch Rosen und Tuberose an – mit dem Wissen und den Methoden der Ahnen. Sie pflanzt bestimmte Bäume, um Vögel anzulocken, die jene Insekten fressen, die ihren Pflanzen schaden. Sie verzichtet auf Kunstdünger, hält ihren Boden mit Fruchtfolgen und Pausen bei Kräften. Und sie achtet darauf, was der Mond grad macht, bevor sie ihre Gewächse zurechtstutzt. Die Rosen erntet sie jeweils im Mai, ab 18 Grad, «das ist manchmal um acht Uhr am Morgen oder auch später», Biancalana zuckt mit den Schultern, «wenn man mit der Natur arbeitet, ist man nun mal nicht der Boss, das braucht Demut und Geduld».

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Die Mühe, die sie in ihre Blumen steckt, ist gross, der Unterschied, den sie damit macht, ist es auch: «Unsere Rosa centifolia hat bis zu 140 Duftmoleküle, andere nur zwischen 30 und 40.» Ihr Jasmin duftet intensiver und facettenreicher als die Massenware, die grosse Hersteller wie die beiden Schweizer Duftproduzenten Firmenich und Givaudan erzeugen. «Das ist das Gleiche wie mit den Tomaten aus dem eigenen Garten und denen aus dem Supermarkt», sagt Biancalana. Sie steht jeden Morgen spätestens um fünf Uhr auf, sagt, einen Wecker brauche sie nicht und müde sei sie auch nie, «wie das so ist, wenn man liebt, was man tut».
Biancalanas Output ist jeweils verkauft, bevor sie nach ihren Ferien im Dezember auf den Feldern zurück ist: «Alles geht an Parfums Dior.» Der Vertrag dazu datiert von 2008.

Damals lernte sie François Demachy am «World Perfumery Congress» kennen. Demachy war gerade Chefparfümeur von Dior geworden, nach 28 Jahren in dieser Funktion bei Chanel. Von Chanel weggelockt hatte ihn Bernard Arnault, Architekt und Lenker des französischen Luxusimperiums LVMH, zu dem auch Dior gehört, höchstpersönlich. Unwiderstehlich war für Demachy die Zusicherung von Freiheit, Mitteln und Verantwortung für den Aufbau einer eigenen Parfümproduktion. «François tauchte damals an meinem Stand auf, fragte dies und das und sagte dann, er suche exzeptionelle Rohmaterialien für neue Kreationen und wolle damit in Grasse anfangen», erzählt Carole Biancalana, «er begann hier mit mir.» Ein klassisches Win-win-Konstrukt: Ihr wird immer die ganze Ernte abgenommen, und er sichert sich mit dem Deal ihre hochklassigen Rohstoffe. Die Herstellungskosten schossen damit in die Höhe, führten dank hoher Qualität der Ingredienzen aber zu durchsetzbaren Preissteigerungen – und letztlich zu mehr Umsatz für Dior.

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Aus ihren vormals drei Feldern sind seither acht geworden, «dank der Partnerschaft habe ich meine Domaine entwickeln können», sagt sie. Unter anderem baut sie für Dior nun auch Tuberose an, die es früher in Grasse zwar schon gegeben hatte, die dann aber in Vergessenheit geriet. Tuberose ist ein Knollengewächs, stammt ursprünglich aus Mexiko und ist im Vergleich zum Jasmin noch ein paar Mühen fordernder: Die inzwischen 200 000 Knollen müssen im März in den Boden und im September wieder raus ins vor Frost geschützte Trockene. Geerntet wird auch hier Blüte für Blüte, aber am Abend. Der Duft der Tuberose, aka «Königin der Nacht», ist bei Einbruch der Dunkelheit maximal. Bei Robertet werden diese Blüten dann eine um die andere auf eine gläserne Unterlage, eine sogenannte Châssis, gelegt, die zuvor mit einem pflanzlichen Fett bestrichen worden ist. Nach 24  Stunden in einem Kühlraum klebt das Olfaktorische am Fett, das schliesslich zu einem Absolue weiterverarbeitet wird. Ein Tuberosefeld ist nach zwei Jahren ausgelaugt, «braucht zwei Jahre Pause mit …» Biancalana verstummt, lauscht und fragt: «Hören Sie die Grillen? Jetzt ist es 26 Grad warm.» Womit? «Mit Raps zum Beispiel.»

Foto: Mirjam Kluka für BILANZ

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Neue Dynamik

Als Blumenbäuerin ist sie inzwischen eine Ikone in Grasse. Seit sie «vor vielen Jahren» (Biancalana) ihren Job bei einer Bank an den Nagel gehängt und gegen Gummistiefel und Feldarbeit eintauschte, hat sie etwas in Gang gebracht, was schon immer da war: Vor hundert Jahren wurden auf Gemeindeboden auf 1800 Hektaren Blumen angepflanzt, heute sind es noch rund 70 Hektaren. Die Nachfrage war mit der Erfindung synthetisch hergestellter Duftstoffe und der erstarkenden Konkurrenz in Tieflohnländern wie der Türkei, Tunesien oder Indonesien eingebrochen. Da zugleich die Bodenpreise stiegen, verkauften viele Bauern ihr Land, sodass statt endloser Blumenfelder heute üppige Privatanwesen mit Swimmingpool das Landschaftsbild im Hinterland der Côte d’Azur prägen. Allein für Dior beackern zehn Bauern das Land, viele von ihnen ermutigt und unterwiesen von Biancalana. «Bref», sagt sie, «Dior hat hier einiges verändert, nun kommen auch andere Marken zurück.» Auch dass die Parfümkunst von Grasse seit 2018 Unesco-Weltkulturerbe ist, lockt an.

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Auf die Frage «Warum Grasse?» antwortet François Demachy: «Ich musste etwas für diesen Ort tun.» Er wartet, bis der Satz im grossen, kahlen Sitzungszimmer verhallt ist und fügt an, «er verdient es». Hier ist er aufgewachsen, hier wurde er zum Parfümeur. Allerdings nicht, weil er sich dazu berufen fühlte, sondern wegen des Jobs, den er in einer Parfümfabrik angenommen hatte, um sein Zahnarztstudium zu finanzieren. Statt Zahnarzt ist er einer der grössten Parfümeure geworden.Demachy kann Hunderte Düfte unterscheiden und hat ein olfaktorisches Gedächtnis, in dem er 3000 Moleküle abrufbar abgelegt hat. Talent? «Nein», echot es im Raum, «es gibt vielleicht 0,0001 Prozent, die extrem gut riechen können, alle anderen brauchen wie ich Training.» Damit stösst er die Schwingtür zur Terrasse auf und strebt aus dem ebenerdigen Sitzungszimmer hinaus in den Garten, der an den Hügeln von Grasse angelegt wurde – als Krone der «Fontaines Parfumées»: So heisst das Anwesen mit Bürgerhaus, das LVMH vor zehn Jahren gekauft und für Demachy und sein Pendant bei Louis Vuitton, den Parfümeur Jacques Cavallier-Belletrud, aufs Feinste wiederherrichtete.

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Die Kunst

Gemächlichen Schrittes begeht Demachy den Kiesweg, greift hier in den Lavendel, streicht dort über Verveine oder zerreibt Myrrhe zwischen den Fingern. Jedes Mal nimmt er eine Nase voll, will riechen, was er berührt, auch das Wasser der Quelle hinterm Haus. Den Garten mit über 300 verschiedenen Pflanzen bezeichnet er als «Ort der Inspiration». Es ist einer von vielen, wie im jüngst erschienenen Film «Nose» erzählt wird. Zwei Jahre lang hat ein Filmteam Demachy auf dessen Suche nach Ideen und Ingredienzen begleitet – ein weltumspannendes Unterfangen.

Foto: Mirjam Kluka für BILANZ

Für Demachy ist Inspiration das eine, Kreation etwas ganz anderes. Regeln folge er dabei keinen, sagt er, aber es sei auch nicht so, dass er einfach ein paar Rohmaterialien mixe und schaue, was geschehe. «Zuerst braucht es die Idee, wo man hinwill», sagt er, «sie wird zum roten Faden bei der Kreation.» Dafür hat er dann Tausende Gerüche zur Auswahl. Sie stehen in flüssiger Form, abgefüllt in Glasfläschchen, in Regalen und Kühlschränken in seinem Labor im Dachstock der «Fontaines Parfumées». Alles ist hier oben blitzblank und angeschrieben. Der Laie versteht «Magnolia», «Vanille», «Bergamotte» und stolpert über «Dihydromyrcenol», «Firsantol» und «Dimetol».
Eine Etage darunter das Kontrastprogramm: Demachys Büro. «Das sind alles Projekte», sagt er mit Blick auf seinen mit Fläschchen und Papier übersäten Schreibtisch. Er netzt einen Papierstreifen in einem Fläschchen an und reicht ihn zum Riechen. Sommer, Vespa und Hugo! Demachy lacht ein bisschen darüber, bei ihm weckt der Duftstreifen Herbstgefühle.

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Bis so aus der Probe, von Demachy als «14MSC» formuliert, etwas Fixfertiges wird, wie das jüngst neu lancierte «Miss Dior» mit der Muse Natalie Portman, werden Monate vergehen, vielleicht Jahre.Ein Parfüm braucht eine Geschichte, ein Flakon, eine Kampagne. Gar ein Schloss: Einige Kilometer Bergwindungen von den «Fontaines Parfumées» entfernt liegt das Château de La Colle Noire, das Christian Dior 1952 als Feriendomizil gekauft hatte. Es wurde aufwendigst restauriert und eingerichtet. Entstanden ist ein würdevoller Erinnerungsort mit Riesengarten. Ihm hat Demachy in seiner Collection privée mit knapp 30 Kreationen auch einen eigenen Duft gewidmet. «Der Duft ‹Colle Noire› ist meine Vision vom Ort», sagt der Parfümeur. Das Château ist prächtig, üppig und voll, aber nicht überladen. Der Duft ist warm, pudrig, blumig, aber nicht süss.

Rosiges Schlussbouquet

Dem Zufall wird im knallharten Parfümgeschäft nichts überlassen. Dem Chefparfümeur auch nicht. «Wenn wir etwas Neues planen, schlage ich jeweils drei sehr unterschiedliche Richtungen vor», sagt Demachy. Diese werden dann im Markt – auf der ganzen Welt – getestet, justiert, getestet, auf zwei reduziert, getestet, justiert, getestet. Den finalen Entscheid fällt schliesslich der Big Boss: «Das letzte Wort hat Bernard Arnault.»

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Demachy will nicht als «Künstler» bezeichnet werden, sondern als «Kunsthandwerker»: «Ich mache das ja nicht für mich, sondern für Dior.» Für die Maison sind ihm indes schon Kunststücke gelungen, für die er in der Branche bewundert und gefeiert wird: «J’adore» zum Beispiel. Oder «Dior Sauvage». 2015 eingeführt, gehört dieser Herrenduft zu den erfolgreichsten ever; alle fünf Sekunden wird noch heute irgendwo auf der Welt ein Flakon gekauft. Gross sind die Erwartungen ans neue «Miss Dior». Ausgangspunkt für die Neuauflage dieser Dior-Ikone war übrigens eine Rose, die ihm Carole Biancalana vorletzten Frühling unter die Nase hielt. «Ihr Duft überraschte mich, war mein kreativer Ausgangsort für dieses neue Eau de Parfum.» Kurz nach der Lancierung wird klar: «Miss Dior» reloaded war sein Schlussbouquet.

Im Oktober liess sich François Demachy 72-jährig offiziell pensionieren. Der neue Perfume Creation Director ist Francis Kurkdjian. Der 52-jährige französische Parfümeur mit armenischen Wurzeln gilt als Ausnahmetalent, seit er als 25-Jähriger für Jean Paul Gaultier «Le Mâle» kreierte und danach diverse weitere Dufthits für grosse Brands wie Yves Saint Laurent und Giorgio Armani. Daneben hat er sich einen Namen gemacht mit eigener Maison, wo er unter anderem auch Düfte massanfertigt. 2017 schluckte LVMH die Maison Francis Kurkdjian und bringt den Parfümeur nun ein paar Grössen grösser gross heraus.

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Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

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