Guten Tag,
Sascha Zahnd war bis vor Kurzem einer der engsten Mitarbeiter von Elon Musk. Ohne den Berner gäbe es Tesla wohl nicht mehr.
Marc Kowalsky
Bodenständiger Weltenbummler: Sascha Zahnd in seiner neuen alten Heimat Biel.
Oliver Oettli für BILANZWerbung
Wie in Zeitlupe kommen Sascha Zahnd diese Wochen vor. Der gebürtige Berner hat viereinhalb Jahre strübste Achterbahnfahrt hinter sich. Nun nutzt er die neuen, ungewohnten Momente der Ruhe «zum Verarbeiten und Einordnen dessen, was ich erlebt habe», sagt der 45-Jährige. Und was er erlebt hat, kann er selber noch gar nicht richtig glauben.
Bis Ende Dezember war Zahnd einer der engsten Mitarbeiter von Elon Musk. Und es ist nicht übertrieben zu sagen: Ohne Sascha Zahnd gäbe es Tesla in dieser Form heute vermutlich nicht mehr. Jahrelang galt Zahnd als Phantom: Man wusste, dass er sehr wichtig ist beim intransparenten Autobauer, viel mehr nicht. Vor neun Wochen hat Zahnd Tesla verlassen. Jetzt spricht er erstmals über die Zeit an Musks Seite.
Dabei wäre seine Tesla-Karriere um ein Haar gescheitert. Im Oktober 2015 kontaktiert eine HR-Managerin Zahnd per E-Mail, er hält das Schreiben für Spam. Erst als er in den Weihnachtsferien sein Postfach aufräumt, liest er die Mail noch einmal durch, verifiziert die Existenz der Absenderin – und meldet mit zwei Monaten Verspätung sein Interesse an, «für das nächste Mal».
Zu Zahnds Überraschung ist der Job noch frei: Gesucht wird der VP Global Supply Chain, der die gesamte Wertschöpfungskette vom Rohstofflieferanten bis zum Endkunden verantworten soll. Es folgen eine Handvoll Skype-Interviews, dann Vorstellungsgespräche am Hauptsitz in Palo Alto: Nicht weniger als zwölf Interviews in zwei Tagen mit den verschiedensten Topmanagern vom Technikleiter über den Finanzchef bis zum Chefjuristen. «Sie wollen herausfinden, wie schnell man denkt, was man zur Problemlösung beitragen kann, ob man in die Firmenkultur passt», sagt Zahnd.
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Jeder der Interviewer lässt ihn weiter, bis Zahnd schliesslich Elon Musk gegenübersitzt. Der filtert erfahrungsgemäss noch einmal 80 bis 90 Prozent der verbleibenden Bewerber aus. Nach 20 Minuten ist das Gespräch vorüber. Man unterhält sich über die bisherigen Arbeitgeber, die Einkaufserfolge von Zahnd: «Eigentlich war es gar nicht so speziell, ausser dass es Elon Musk war», sagt er. Am gleichen Abend steigt er in den Flieger zurück. Bei der Landung in Zürich liegt das Jobangebot bereits in seinem E-Mail-Postfach. Später warnt man ihn noch einmal vor der sehr speziellen Firmenkultur.
Zahnd weiss, dass er eine schwierige Situation antreffen würde, als er im Mai 2016 nach Kalifornien reist, die ersten drei Monate ohne Familie, «um zu sehen, ob ich danach dort überhaupt noch arbeite». Doch wie schwierig genau die Situation ist, kann er nur ahnen. In den letzten neun Monaten hatten sich vier andere Topmanager an der Aufgabe versucht und waren gescheitert, die Mannschaft ist demotiviert.
Vom Model S werden pro Woche ein paar hundert Stück produziert statt der geplanten mehreren tausend. Für das Model X sind bereits zahlreiche Bestellungen eingegangen, doch die Produktionskapazitäten dafür sind viel spät und zu langsam hochgefahren worden. Es fehlen wichtige Bauteile, von anderen hat es zu viel. Sie können nicht verwendet werden, müssen aber trotzdem bezahlt werden – gefährlich bei der sehr engen Liquiditätslage von Tesla.
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Vom ersten Tag an rapportiert Zahnd direkt an Musk, und die Supply Chain ist dessen rotes Tuch: Nur Probleme gebe es damit. Nach einer Woche steht die Produktion schon wieder still, weil Teile fehlen. «Ich habe das Gefühl, du hast deinen Job nicht im Griff», faucht Musk seinen neuen Mitarbeiter an. Dass Zahnd erst seit einer Woche am Bord ist, interessiert den Firmenchef nicht: «Excuses are for losers!», so die knappe Antwort auf den Einwand. «Da wusste ich: Jetzt muss ich einfach die Probleme lösen und schauen, dass Elon mit der Supply Chain nichts mehr zu tun hat», erinnert sich Zahnd.
Milliardenprojekt: Beim Standortentscheid für die Gigafactory in Berlin-Brandenburg spielte Zahnd eine Schlüsselrolle.
Getty ImagesMilliardenprojekt: Beim Standortentscheid für die Gigafactory in Berlin-Brandenburg spielte Zahnd eine Schlüsselrolle.
Getty ImagesEr löst das Problem, indem er Ingenieure, Einkäufer, Logistiker aus ihren Silos an einen Tisch holt und die Nachfrage- sowie Angebotsplanung koordiniert. Unperfekt angelieferte Teile lässt er nicht zurückschicken, sondern von der eigenen Mannschaft korrigieren. Und Zahnd geht mit seinen Leuten in die Werke der Lieferanten oder sogar Unterlieferanten, mit denen Tesla gar keine Verträge hat, um die Probleme dort am Band zu lösen.
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Noch dramatischer wird die Lage ein Jahr später beim Model 3. Musk hat den Produktionsstart um ein Jahr vorgezogen – es ist nicht das erste Mal, dass das Management operativ ausbaden muss, was Visionär Musk sich im stillen Kämmerchen ausgedacht und der Welt via Twitter verkündet hat. Für das Model 3 liegen bereits 400'000 Bestellungen vor. Zahnd muss die Bauteile ordern, ohne dass es überhaupt Designzeichnungen gibt. Deshalb schliesst Zahnd nur mit jenen Lieferanten Verträge ab, die sich zu maximaler Flexibilität verpflichten. Die Verkäufer interessieren ihn dabei nicht, er interviewt vorher den CFO, den Chefingenieur, den Produktionsleiter – und bei wichtigen Teilen sogar das Board. Dennoch türmen sich die Probleme.
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Es sind die dunkelsten Stunden von Tesla, als Musk von einer «Produktionshölle» twittert und PR-wirksam in der Fabrik schläft. Das Geld reicht nur noch für ein paar Wochen, Musk versucht erfolglos, die Firma an Apple zu verkaufen. Auch hier hat Zahnds Krisenmanagement massgeblichen Anteil daran, dass Tesla schliesslich an der Pleite knapp vorbeischrammt. «Sascha leitete die globale Supply Chain, bei einem voll vertikal integrierten Geschäftsmodell wie dem von Tesla ist diese Rolle gleichzusetzen mit der operativen Verantwortung eines COO», sagt Laura Rudas, ehemalige österreichische Nationalrätin, heute bei der Softwarefirma Palantir und im Valley eine von Zahnds engsten Freundinnen.
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Bei Tesla gehört Zahnd als erster Europäer auch dem Leadership-Team an, einer Art erweiterter Konzernführung mit wechselnder Besetzung von rund einem halben Dutzend Leuten. Hier werden die wichtigen Fragen quer durchs Unternehmen diskutiert. «Ich kneife mich heute noch regelmässig, dass ich das erleben durfte», sagt Zahnd. Es ist das einzige operative Gremium mit regelmässigen Sitzungsterminen. Sonst werden Meetings bei Tesla ad hoc und möglichst selten durchgeführt, mit möglichst wenig Teilnehmern. Immer wieder kommt es vor, dass Musk eine Sitzung platzen lässt, weil ihm zu viele Leute dabei sind. Musks Denkweise, alles in Frage zu stellen, hat Zahnd nach etwa einem Jahr verinnerlicht: «Ich frage mich heute bei Alltagsproblemen auch nicht mehr, was Best Practice ist, sondern: Wie kann man das sonst noch lösen?», sagt er.
««Rückblickend hätte ich bezahlt, für Elon Musk arbeiten zu dürfen.»»
Sascha Zahnd
Zahnd stammt eigentlich aus dem Einzelhandel: Der Vater war Manager bei Pick Pay, als Jugendlicher half Sascha bei der Eröffnung von Märkten. «Ich möchte die HWV machen und dann Unternehmer oder Manager werden», liess er früh seinen Lehrer wissen. Nach dem Abschluss als Speditionskaufmann in Basel heuerte Zahnd bei Ikea an, weil er möglichst schnell Führungserfahrung im Ausland sammeln wollte – «und das geht am besten in einem schnell wachsenden Konzern», so Zahnd.
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Die ersten neun Monate jettete er in der Welt herum, um den Konzern vom Sägewerk bis zur Kasse kennenzulernen, wurde dann Logistikchef für Südeuropa, anschliessend wirkte er jahrelang in Mexico City, New York und Shanghai, hatte auch immer wieder mal mit Firmengründer Ingvar Kamprad zu tun. Zahnd war auf dem Weg in die Konzernleitung, als ihn Ikea an den schwedischen Hauptsitz in Älmhult beordern wollte, im Niemandsland zwei Stunden hinter Malmö.
Darauf hatten weder er noch seine Frau Lust, und so kehrte er 2010 zurück ins heimische Biel zur ETA, dem Uhrwerkhersteller der Swatch Group – auch sie damals nach überstandener Finanzkrise schnell wachsend. Erst leitete er die Logistik, später eine Fabrik, die mit 500 Mitarbeitern und ebenso vielen Maschinen pro Tag 15 Millionen Uhrenkomponenten fabrizierte. «Er hat sich schnell an die neue Branche und die neue Aufgabe angepasst, das ist seine grosse Fähigkeit», erinnert sich der damalige ETA-Präsident. Zahnd fühlte sich wohl: «Als Seeländer für die Swatch Group zu arbeiten, ist ein Bubentraum», sagt er. Nebenher engagierte er sich in der Parteileitung der Berner FDP.
Bis die E-Mail von Tesla kam. Die Firma suchte jemanden, der Nordamerika, China und Europa kennt und Erfahrung hat in vertikal integrierten, schnell wachsenden Konzernen – «ich war beeindruckt, wie gut sie recherchiert hatten», so Zahnd. Er sagte zu, weil ihn die Herausforderung reizte, aber vor allem: «Es war die einmalige Gelegenheit, für Elon Musk zu arbeiten und dafür auch noch Geld zu bekommen. Rückblickend hätte ich dafür bezahlt!»
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Der Preis dafür war ein bedingungsloser, 200-prozentiger Arbeitseinsatz. Sitzungen finden bei Tesla häufig auch noch nach Mitternacht statt, Ferien und Wochenenden gibt es nie. Als sich Zahnd nach einem Jahr erstmals mit der Familie für ein Wochenende nach Disneyland traut, kommt prompt der Anruf von Musk, der seine volle Aufmerksamkeit fordert. «Danach haben wir die Wochenenden nur noch in Palo Alto verbracht», erinnert sich Zahnd.
Der Belastung standhalten konnte er nur, weil er seine eigene, sehr frugale Arbeitsethik hat. Franz Julen, der Zahnd vor zwei Jahren wegen dessen breiten Kompetenzen und der internationalen Erfahrung ins Valora-Board holte und letztes Jahr zum Vizepräsidenten machte, sagt über ihn: «Er hat strategischen Weitblick und den Innovations- und Transformationsspirit aus dem Silicon Valley, ist pragmatisch, solide, hemdsärmelig, kein Blender – auf den Typ kann man sich verlassen.»
Im Sommer 2019 will Zahnd bei Tesla kündigen, um mit der Familie nach Europa zurückzukehren: Die beiden Töchter sollen in der Schweiz eingeschult werden statt in den USA. Das sei kein Kündigungsgrund, bescheidet ihm Musk und bietet ihm den Posten des Europachefs an. Fortan pendelt Zahnd jede Woche von Biel zur Europazentrale nach Amsterdam. Die Organisation dort hatte über die Jahre ein Eigenleben entwickelt, ein Reich im Reich. Zahnd soll Kultur und Prozesse näher an jene der Firmenzentrale bringen. Er räumt in Amsterdam auf, löst die Regionenmärkte auf, baut mehrere Hierarchiestufen ab. Ausserdem skaliert er die Serviceinfrastruktur – unverzichtbar, um mit dem Massenmodell 3 Erfolg haben zu können.
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Und Zahnd hat noch eine weitere Aufgabe, die vielleicht wichtigste: in Europa ein Design- und Entwicklungscenter aufzubauen und eine Fabrik, in der pro Jahr 500 000 Fahrzeuge des Kompakt-SUV Model Y sowie die nötigen Batterien hergestellt werden können. Eine Investition in Höhe von 4,4 Milliarden Dollar. Für so eine wichtige Standortentscheidung beziehen Autobauer typischerweise Dutzende Mitarbeiter ein.
Bei Tesla besteht das Evaluationsteam aus Musk, Finanzchef Zach Kirkhorn und Zahnd. Über 50 Standorte prüfen sie auf Kriterien wie Kosten, Auswirkungen auf die Umwelt, die Verfügbarkeit von Arbeitskräften etc., grenzen die Suche immer mehr ein. «Am Schluss hat Berlin-Brandenburg alle Kriterien erfüllt», so Zahnd. Vor allem gelingt es, die dafür nötige Allianz über das gesamte politische Spektrum inklusive der Umweltschützer zu bilden und in Rekordzeit alle – zumindest provisorischen – Bewilligungen einzuholen. Auch weil Tesla hier, ähnlich wie bei den Lieferanten, jeden Entscheidungsträger im Vorfeld persönlich evaluiert hat.
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Am 31. Dezember verliess Zahnd den Automobilhersteller endgültig. «Viereinhalb Jahre ohne Ferien und Wochenende sind genug», sagt er, und damit hat er für Tesla-Verhältnisse sehr lange durchgehalten: Der CFO etwa wechselte in dieser Zeit drei Mal. «Dass Sascha so lange bei Tesla blieb und zum Schluss noch die Gigafactory aufgleiste, hat ihn im Silicon Valley endgültig in den Olymp aufsteigen lassen», sagt Rudas.
Seither verbringt Zahnd deutlich mehr Zeit mit seiner Frau Géraldine (sie wurde letztes Jahr von BILANZ als «Digital Shaper» ausgezeichnet) und den drei Kindern sowie beim Skifahren in den Schweizer Bergen. Über ein Dutzend Anfragen für VR-Mandate hat Zahnd seit Herbst bekommen, angenommen hat er neben seiner Aufgabe bei Valora nur eine: jene des deutschen Luxus-Online-Retailers Mytheresa, der für demnächst einen Börsengang in New York plant.
Zudem bringt Zahnd Geld und Know-how in eine Bieler Firma ein, die nachhaltiges To-Go-Geschirr auf Holzbasis entwickelt. Daneben ist er als Berater mit einem anderen Autobauer im Gespräch und hilft zwei grösseren Silicon-Valley-Firmen, in Europa Fuss zu fassen. Mit seinem Track Record könnte er heute bei jeder Firma anheuern. «Aber ich hätte Mühe, wieder operativ bei einem traditionellen Konzern zu arbeiten», sagt er. In seiner Garage stehen weiterhin ein Model X und ein Model 3. «Ich werde immer Tesla-Enthusiast bleiben», sagt Zahnd.
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Dieser Text wurde das erste Mal am 05. März 2021 publiziert.
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