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Fokus auf Industriebetriebe

Die neuen Migros-Chefs packen an

Peter Diethelm und Mario Irminger wollen die Produktions­betriebe auf Effizienz trimmen und das Sortiment straffen.

Erich Bürgler, Redaktor BILANZ - fotografiert im September von Paul Seewer für BILANZ

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Peter Diethelm (l.) und Mario Irminger wollen, dass sich die Migros-Industrie in Zukunft voll auf die Bedürfnisse der eigenen Supermärkte ausrichtet. Das war bisher zu wenig der Fall.

Dan Cermak für BILANZ

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Die Vanilleglace mit dem Seehund, das orange Handy-Spülmittel oder die Tourist-Schokolade: Viele Eigenmarken der Migros sind ikonisch. Oft steckten sie seit Jahrzehnten in der gleich aussehenden Verpackung. Die Industriebetriebe der Migros sind für Schweizer Verhältnisse riesig: Fast sechs Milliarden Franken Umsatz erzielen sie, von der Hühnerschlachterei bis zum Waschmittelproduzenten. Der Multi Nestlé erreicht im Vergleich dazu in der Schweiz Einnahmen von unter zwei Milliarden Franken.

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Doch Grösse allein reicht nicht. Die neuen Migros-Chefs Mario Irminger und Peter Diethelm sind mit den hauseigenen Betrieben unzufrieden. Sie wollen nicht nur das Kerngeschäft der Supermärkte auf mehr Effizienz trimmen, sondern auch in der Industrie aufräumen. «Wir müssen die Industrie straffen und vereinfachen. Sie soll wieder zu alter Stärke zurückfinden», sagte Migros-Chef Mario Irminger im Gespräch mit BILANZ im August. Dies zu erreichen, sei ein wichtiger Teil seiner Aufgabe. Irminger ist im Mai angetreten.

Kein Zufall: Industrie-Chef Armando Santacesaria hat jüngst seinen Rücktritt bekannt gegeben. Es sei nun der richtige Zeitpunkt, die Geschicke der Migros-Industrie «für die kommende Entwicklungsphase» in neue Hände zu übergeben, sagte er laut Medienmitteilung. Irminger ist dort voll des Lobes für Santacesaria. Dieser habe die Industriebetriebe näher an das Supermarktgeschäft herangeführt und die Produktivität erhöht.

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Ikonische Hülle: Der Seehund steht für Vanilleglace. Das weiss in der Schweiz jedes Kind.

PD
dfg

Ikonische Hülle: Der Seehund steht für Vanilleglace. Das weiss in der Schweiz jedes Kind.

PD

Doch die Geschäftszahlen des vergangenen Jahres sind ernüchternd. Bei über 5,8 Milliarden Umsatz erreichte die Migros-Industrie 2022 lediglich neun Millionen Betriebsgewinn und schrammte damit nur knapp an einem Verlust vorbei. Santacesaria liess sich davon wenig beeindrucken. In einem Interview im «Migros-Magazin» im Juni zeigte er sich vom Geschäftsverlauf der Industrie – einem Minus beim Betriebsgewinn von 93 Prozent zum Vorjahr – jedenfalls wenig beunruhigt. «Unser Ziel ist nie die Gewinnmaximierung», sagte er mit Bezug auf die gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten.

Vor seinem Wechsel zur Migros war der schweizerisch-italienische Doppelbürger Santacesaria verantwortlich für das Nordeuropa-Geschäft des Cornflakes-Produzenten Kellogg’s.

Verluste im Ausland

Santacesaria habe die Industriebetriebe der Migros wie eine kleine Unilever oder Nestlé geführt, sagt ein ehemaliges Migros-Kadermitglied. Das Auslandgeschäft sei ihm wichtig gewesen. Das betonte er auch im Interview mit dem Hausmagazin. «2022 erzielten wir im Ausland erstmals einen Umsatz von einer Milliarde Schweizer Franken», sagte er dort. Das habe auch Auswirkungen auf den Schweizer Markt. «Je mehr wir im Ausland verkaufen, desto besser sind unsere Produktionsanlagen ausgelastet. Dies wiederum senkt die Stückkosten für alle.»

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Unerwähnt blieb im Interview ein wichtiges Detail: Verdient hat die Migros im Ausland im vergangenen Jahr nichts. Das räumte der abgetretene Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen an seiner letzten Medienkonferenz ein. Wegen Kostensteigerungen und des starken Frankens sei das Auslandgeschäft im Jahr 2022 nicht profitabel gewesen.

Wie hart dieses Geschäft für die Migros im Ausland ist, zeigt das Beispiel des Schokoladenproduzenten Frey. Die Migros-Tochter produziert vor allem Eigenmarken für ausländische Supermarktketten, die ihrer Kundschaft Schweizer Schokolade anbieten wollen. Detailhändler aus Ländern wie Deutschland und Spanien drücken die Preise. Die gleiche Schokolade kostet in ausländischen Supermärkten als Resultat nur etwa halb so viel wie im Regal der Schweizer Migros-Läden. Laut einem Insider versuchten Entscheidungsträger der Migros-Industrie mit aggressiven Offerten, den Umsatz im Ausland im Bereich der Süsswaren zu erhöhen. Der Gewinn blieb dabei offensichtlich auf der Strecke.

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Armando Santacesaria tritt als Industrie-Chef ab. Er war stolz auf das Umsatzwachstum im Auslandgeschäft. Obwohl diese Expansion der Migros zuletzt Verluste brachte.

Nik Hunger
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Armando Santacesaria tritt als Industrie-Chef ab. Er war stolz auf das Umsatzwachstum im Auslandgeschäft. Obwohl diese Expansion der Migros zuletzt Verluste brachte.

Nik Hunger

Nun nimmt sich das neue Führungsduo dem Migros-Sorgenkind an. Die Industrie steht im Verantwortungsbereich von Mario Irminger. «Die Industrie kann nur erfolgreich sein, wenn sie sich auf massentaugliche Produkte fokussiert. Alles andere wäre verheerend», sagt er. Der mit Abstand grösste Abnehmer der Erzeugnisse wird die neue Supermarkt AG unter der Leitung von Peter Diethelm sein. Auch er sieht Handlungsbedarf. «Wir müssen die Industrie wieder effizienter aufstellen», sagte er. «Wir brauchen unsere Eigenindustrie. Sie muss aber konkurrenzfähig sein. Da gibt es die eine oder andere Herausforderung.»

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Offenbar haben sich die Betriebe mit einer überbordenden Sortimentsvielfalt verzettelt. Dafür sind laut Diethelm aber nicht nur die Industriebetriebe selbst verantwortlich. «Ein Problem in der Vergangenheit war, dass die Industrie die unterschiedlichsten Wünsche der Genossenschaften und des Marketings erfüllen musste. Das geht so nicht mehr. Das Sortiment muss gestrafft werden.» Dieses ist in der Tat umfangreich: 20 000 Produkte sind es insgesamt.

Druck durch Marken

Zu schaffen macht den Industriebetrieben aber auch die Markenoffensive der Migros der vergangenen Jahre. Egal ob Haarshampoos von L’Oréal, Persil-Waschmittel, Lindt, Toblerone oder Ovomaltine: Markenartikel erhalten zunehmend einen prominenten Platz in den Regalen der Migros-Supermärkte und verdrängen die Eigenmarken. Als Verfechter dieser Markenstrategie gilt der neue mächtige Mann der Migros, Peter Diethelm. «Es gibt Fremdmarken, die der Kunde erwartet. Daran kommen wir als Migros nicht vorbei», sagte Diethelm.

Er lobbyierte laut mehreren Quellen intern stark für die Einführung von Lindt. Damals noch Chef der Migros Ostschweiz, drängten Diethelm und auch Jörg Blunschi, Leiter der Genossenschaft Zürich, darauf, Lindt ins Sortiment aufzunehmen. Vor allem als Geschenk für Freunde und Verwandte kaufte die Kundschaft Frey-Schokolade weniger gern als die Konkurrenzprodukte aus Kilchberg – und die gab es bei Denner oder Coop. Seinerzeit, unter Migros-Chef Herbert Bolliger, waren die Regionalfürsten mit ihrem Anliegen nicht durchgekommen. Erst mit Fabrice Zumbrunnen gelang das Vorhaben 2021. Das war eine Art Dammbruch. Danach folgten zahlreiche weitere Markenprodukte. Diese dominieren in den Regalen der Migros-Supermärkte immer mehr. Eigenmarken, wie die noch von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler ins Leben gerufene Ovomaltine-Kopie Eimalzin, müssen weichen oder landen nicht selten in der «Bückzone» im unteren Bereich der Regale.

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xcv

Breites Sortiment: Vom Abwaschmittel über Hühnerfleisch bis zu Kosmetik: Die Industriebetriebe sind vielfältig.

PD
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Breites Sortiment: Vom Abwaschmittel über Hühnerfleisch bis zu Kosmetik: Die Industriebetriebe sind vielfältig.

PD

Einen langen Atem braucht der Grossverteiler derweil bei einem Produkt, das die Verantwortlichen zu einer Neuerung historischen Ausmasses hochstilisiert haben. Bei dem portionierten Coffee B, der nach eigenen Angaben «grössten Produktinnovation in der Geschichte der Migros», läuft es nicht wirklich rund. Die kompostierbaren Kaffeebälle, die Nespresso Konkurrenz machen sollen, verkauft die Migros-Industrie-Tochter Delica auch in Deutschland. Sie funktionieren nur auf Coffee-B-Maschinen. Die Geräte hätten beim Detailhändler Edeka zuerst «wie Blei in den Regalen» gelegen, berichtete die «Lebensmittel Zeitung». Erst nach massiven Preisnachlässen griff die deutsche Kundschaft zu. Dabei bekamen sie die Maschinen praktisch geschenkt.

Auch in der Schweiz gab es die Maschinen jüngst zum Schleuderpreis von 99.90 Franken inklusive Gutscheinen und Gratis-Kaffeebällen im Wert von 85 Franken. Mit solchen Aktionen bekommt auch das von der Migros ausgelobte Verkaufsargument der Nachhaltigkeit Kratzer. Zeitlich limitierte Sonderangebote animieren zum raschen Kauf einer neuen Maschine – auch wenn zu Hause noch ein funktionstüchtiges Gerät steht. Landet dieses im Müll, ist es mit der Nachhaltigkeit vorbei.

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Die Migros-Medienstelle wiederholt auf Anfragen zum Geschäftsverlauf von Coffee B jeweils mantrahaft, man sei mit den Verkaufszahlen zufrieden. Euphorisch klingt das nicht. Immerhin: Mehr als jede zehnte neu verkaufte Kaffeemaschine in der Schweiz war laut Migros-Angaben eine Coffee B. Bei den grossen Schweizer Onlinehändlern ist die Maschine allerdings kein Renner: Beim grössten Schweizer Anbieter, Digitec Galaxus, liegt die Coffee-B-Maschine, gemessen am Umsatz, gerade mal auf Rang 34 aller verkauften Kaffeemaschinen. Bestseller war ein kleines Nespresso-Gerät. Und auch die meistverkaufte Sorte von Coffee B erreicht weniger als ein Zehntel der Volumen der beliebtesten Kapseln anderer Systeme. Die angebliche Kaffeesensation lancierte die Migros noch unter Fabrice Zumbrunnen. Bleibt abzuwarten, wie viel Zeit das Duo Irminger und Diethelm dem Kaffeesystem noch gibt. Die Maschinen und Kugeln nehmen in den Supermärkten Platz weg, den man auch mit umsatzstarken Produkten belegen könnte.

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Lindt gegen Frey: Der Schoggiproduzent der Migros geriet mit der Einführung von Lindt unter Druck. Im Ausland verkauft Frey ihre Produkte zu Tiefpreisen.

PD
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Lindt gegen Frey: Der Schoggiproduzent der Migros geriet mit der Einführung von Lindt unter Druck. Im Ausland verkauft Frey ihre Produkte zu Tiefpreisen.

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Die Migros wollte ihre Industriebetriebe schon früher fit trimmen. Vor drei Jahren lancierte das Management ein Effizienzprogramm, das intern den Namen «Mind-Fit» erhielt. Schon damals kündigten die Verantwortlichen in internen Dokumenten eine Bereinigung des Produktportfolios und eine «kompromisslose Kosteneffizienz» an. Unzufrieden war man vor allem mit dem Segment, das Süsswaren, Kaffee und Backwaren herstellt. Das Programm sollte das Ergebnis der Industrie 2022 insgesamt um 100 Millionen Franken verbessern. Das Vorhaben scheiterte. Stattdessen gab es Rückschläge in anderen Bereichen: Anfang 2022 verlor der Migros-Getränkehersteller Aproz die Lizenz zur Produktion von Pepsi und 7Up. Diese Süssgetränke stellt nun Feldschlösschen her.

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Als «Big Bets» für die Zukunft machte die alte Führungsriege der Migros das internationale Geschäft mit Kaffee und Schokolade aus. Die Neuen an der Spitze der Migros dürften den Fokus stärker aufs Inland legen. Die Industrie soll in erster Linie massentaugliche Produkte zum besten Preis-Leistungs-Verhältnis für die heimischen Supermärkte liefern. Das gelang bisher zu wenig.

Auch von Produkten aus pflanzlichem Fleischersatz erhoffte man sich viel. Die Migros sprang mit ihrer Eigenmarke V-Love zwar eher spät auf den Trend zu Burgern, Poulet und anderem aus Erbsen- und Sojaprotein auf. Man lancierte dafür aber eine breite Palette an Fleisch- und Fischkopien. Mittlerweile hat sich der Hype um solche Produkte gelegt. Die Umsätze mit Fleischersatz waren in der Schweiz im vergangenen Jahr erstmals rückläufig. Laut einer Migros-Sprecherin sei die Nachfrage nach diesen Produkten weiterhin steigend. «Wir sind mit der Entwicklung zufrieden», sagt sie.

Migros macht Coop-Pasta

Zuletzt gab es innerhalb der Migros-Industrie auch gute Nachrichten. Die Teigwarenfabrik hat einen wichtigen Auftrag an Land gezogen: Der neue Grosskunde ist ausgerechnet der Rivale Coop. Die Konkurrenz aus Basel hat ihre eigene Pastaproduktion schon länger aufgegeben und liess Eigenmarken bisher auch im Ausland herstellen. Neu kommen Hörnli, Nudeln und andere Teigwaren von Coop-Eigenmarken aus den Produktionsbetrieben der Migros, wie Coop bestätigt. Davon profitiert auch Coop. Das Mehl für diese Schweizer Pasta bezieht die Migros dafür von Swissmill, der Mühle von Coop. Das wird die Auslastung beider Betriebe erhöhen.

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Lauwarme Kaffeeneuheit: Die kompostierbaren Kaffeekugeln Coffee B kündigte die Migros als grossartige Innovation an. Doch der Verkauf läuft schleppend. Aktionen sollen das Geschäft ankurbeln.

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Lauwarme Kaffeeneuheit: Die kompostierbaren Kaffeekugeln Coffee B kündigte die Migros als grossartige Innovation an. Doch der Verkauf läuft schleppend. Aktionen sollen das Geschäft ankurbeln.

PD

Ein Schritt in die richtige Richtung. Das Sorgenkind der Migros dürfte Mario Irminger allerdings noch einige Zeit beschäftigen. Eine Nachfolge für Armando Santacesaria, der noch bis Ende März im Amt bleiben wird, hat der Grossverteiler mit seinem Abgang noch nicht verkündet. Der Rücktritt des Industrie-Chefs stehe im Zusammenhang mit der Neuausrichtung, sagt ein Migros-Kenner. Nun muss ein neuer Kopf her, der die Produktionsbetriebe voll auf die Bedürfnisse der Migros-Supermärkte ausrichtet. Auf mittlere Sicht dürften die Industriebetriebe in den Verantwortungsbereich von Supermarkt-Chef Peter Diethelm übergehen. In den nächsten zwei bis drei Jahren will Irminger aber schaffen, woran andere vor ihm gescheitert sind: die Migros-Industrie endlich auf Erfolgskurs bringen.

Über die Autoren
Erich Bürgler, Redaktor BILANZ - fotografiert im September von Paul Seewer für BILANZ

Erich Bürgler

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