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Trend

Die Handschrift erlebt ein Comeback

Mitten im digitalen Zeitalter ist Schreiben von Hand wieder en vogue – ein Zeichen der Wertschätzung und des guten Stils.

sdf

Füller in Lederköcher

ÜBERRASCHENDER TREND Immer mehr werden Notizen, Nachrichten und Einladungen von Hand geschrieben.

PD

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«Nur ein einfaches ‹Ja› verlangen Sie? So ein kleines Wörtchen – so wichtig! Doch – sollte nicht ein Herz so voll unaussprechlicher Liebe, wie das meine, dies kleine Wörtchen von ganzer Seele aussprechen können? Ich tue es, und mein Innerstes flüstert Ihnen ewig zu …» Heimlich und gegen den Willen ihres Vaters schreibt Clara Wieck diese leidenschaftlichen Zeilen an Robert Schumann. Es gab 1837 weder E-Mails noch WhatsApp, weshalb die Pianistin den Liebesbrief mit Feder und Tinte auf Papier verfasst. Undenkbar im Zeitalter von Snapchat und TikTok? Ganz und gar nicht. Inmitten der Digitalisierung lässt sich ein überraschender Trend erkennen: Von Hand geschriebene Notizen, Nachrichten und Einladungen erleben ein Comeback. Sogar die Digital Natives schätzen wieder Feder und Papier – vielleicht eine Art Rebellion gegen die digitalen Anforderungen unserer Zeit.

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«Eine analoge Agenda wäre für Digital Natives wohl nicht denkbar, denn dafür nutzen sie ihre Computer und Smartphones», sagt Martina Zimmerli, Geschäftsführerin der Zürcher Traditionspapeterie Landolt-Arbenz. Aber sie stellt fest, dass junge Kundinnen und Kunden wieder sehr gerne von Hand schreiben. Und zwar dann, wenn es sich um einen besonderen Anlass oder einen geschätzten Empfänger handelt. Dann geben sie für hochwertige Glückwunschkarten gerne bis zu 100 Franken aus. «Das ist ein Ausdruck der Wertschätzung», betont Zimmerli. Während in der Arbeitswelt die Digitalisierung voranschreitet, bleiben von Hand verfasste Zeilen die persönlichste Art, sich mitzuteilen. Mit Sorgfalt geschriebene Briefe sind ein Ausdruck von Wertschätzung und auch von gutem Stil. «Mit all den digitalen Geräten sind zwar Geschwindigkeit und Produktivität höher, aber von Hand zu schreiben, zeigt Kreativität, Persönlichkeit und Eleganz», davon ist Carole Hübscher, Verwaltungsratspräsidentin von Caran d’Ache, überzeugt.

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Carole Hübscher, Vorsitzende des VR von Caran d'Ache, in der Fabrik

SCHREIBWAREN-DYNASTIE Carole Hübscher übernahm 2012 den Vorsitz des Caran-d’Ache-VR von ihrem Vater.

David Wagnières
Carole Hübscher, Vorsitzende des VR von Caran d'Ache, in der Fabrik

SCHREIBWAREN-DYNASTIE Carole Hübscher übernahm 2012 den Vorsitz des Caran-d’Ache-VR von ihrem Vater.

David Wagnières

Die Leidenschaft der Millennials und der Gen Z für Schreibwaren lässt sich – wo sonst? – in der virtuellen Welt erkennen. Ideen und Trends werden selbstverständlich nicht auf Papier, sondern auf Instagram oder TikTok ausgetauscht. Unter dem Hashtag #stationeryaddict (schreibwarensüchtig) findet man auf Instagram 2,7 Millionen Beiträge, und mehrere Millionen User folgen Influencern auf TikTok, um ihnen dabei zuzuschauen, wie sie die Schönschreibkunst praktizieren. Von 2016 bis 2020 stand der globale Markt für traditionelle Schreibwaren vor der Stagnation. Füller, Bleistifte und Notizbücher wurden in immer mehr Bereichen durch Laptops und Smartphones ersetzt. Nun rechnen Branchenexperten mit einem anziehenden Wachstum. Ende 2021 wurde der Markt auf 24 Milliarden Dollar geschätzt, bis 2031 soll er 30 Milliarden erreichen. Gefragt sind auch exklusive Schreibwaren. So wird erwartet, dass der Markt für Luxusschreibgeräte 2022 ein Plus von gut vier Prozent verzeichnen wird.

Füller als Statussymbol

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«Ein wertvoller Füllfederhalter ist auch ein Statussymbol. Er unterstreicht den eigenen Stil, ist Teil des Outfits und wird von anderen wahrgenommen», sagt Carole Hübscher, die Caran d’Ache in vierter Generation leitet. Immer mehr junge Menschen erkennen den Wert eines edlen Schreibgeräts. Nach der Matur oder dem Lehrabschluss wollen viele den banalen Kugelschreiber gegen einen richtigen Füllfederhalter tauschen und machen sich auf die Suche nach dem passenden Stift. «Am populärsten sind nach wie vor die Füller von Montblanc», sagt Zimmerli. Das liege zum einen am hohen Wiedererkennungswert, aber auch an der sehr guten Qualität. Von Hand eingeschriebene Goldfedern sind beim Hamburger Traditionshaus, das seit Anfang der 1990er Jahre zur Richemont-Gruppe gehört, Standard. Die Auswahl an Füllfederhaltern ist heute fast grenzenlos. Die Preise für exklusive Schreibgeräte liegen zwischen 600 und 5000 Franken, es gibt aber auch Modelle für fünfstellige Beträge. Auf der Suche nach Füllfederhaltern bester Qualität wird man fündig bei Herstellern wie Namiki, AP Limited Edition, Montegrappa, S.T. Dupont, Nakaya, Graf von Faber-Castell, Montblanc oder Caran d’Ache.

Federführend

Matterhorn Füllfeder
Victoria Füllfeder
Emperor Elephant Füllfeder
Varius Rainbow Füllfeder
1 / 4

MATTERHORN von AP Limited Edition.

Japanische Maki-e-Lackkunst mit 14-Karat-Goldfeder.

3900 Franken.

PD

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Letztgenannte werden, ebenso wie die wohl noch bekannteren Farbstifte, seit 1915 im Kanton Genf hergestellt. In der Manufaktur in Thônex duftet es nach dem Zedernholz, das für die Produktion der Farbstifte eingesetzt wird. In grossen Papiersäcken lagert das Pigment in leuchtenden Farben, das später zu den zahlreichen Schattierungen gemischt wird. Unter demselben Dach wird die «Haute Ecriture» gefertigt – die edlen Schreibgeräte wie Kugelschreiber, Tintenroller und Füllfederhalter. Die Hüllen aus Messing werden teilweise vergoldet oder mit Palladium überzogen, einige Modelle werden mittels Diamantschliff oder Laser mit Mustern oder Schriftzügen graviert. An zahlreichen Tischen sind Mitarbeitende nur damit beschäftigt, die fertigen Stifte zu prüfen und zu polieren, bevor sie von Thônex aus in die ganze Welt verschickt werden. «Seinen Füller sollte man niemals verleihen», warnt Hübscher und schliesst ihre Faust scherzhaft um den versilberten und mit Rhodium überzogenen Varius Rainbow aus einer limitierten Edition. Jeder habe seine eigene Art, den Stift zu halten. So werde die Feder beim Schreiben geformt, erklärt Hübscher, die 2012 den Vorsitz des Verwaltungsrats von ihrem Vater übernahm und während der vergangenen zwei Jahre auch die operative Verantwortung für Caran d’Ache innehatte.

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blaue, gelbe und orange Farbe für die Produktion in der Fabrik von Caran d'Ache

IM RAUSCH DER FARBEN In der Fabrik von Caran d’Ache in Thônex im Kanton Genf werden die bekannten Farbstifte und die Schreibgeräte unter einem Dach produziert.

PD
blaue, gelbe und orange Farbe für die Produktion in der Fabrik von Caran d'Ache

IM RAUSCH DER FARBEN In der Fabrik von Caran d’Ache in Thônex im Kanton Genf werden die bekannten Farbstifte und die Schreibgeräte unter einem Dach produziert.

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Zu keiner anderen Zeit im Jahr wird so viel von Hand geschrieben wie in der Vorweihnachtszeit. Jetzt werden Neujahrs- und Weihnachtsgrüsse an Familie, Freunde, Nachbarn und Geschäftspartner verschickt. Wer hierbei Stil – und grossen Fleiss – beweisen möchte, notiert die Adresse des Empfängers auf dem Couvert per Hand. Gedruckte Adressetiketten findet Martina Zimmerli stillos. Bei der Wahl einer geschmackvollen Karte ist in der Weihnachtszeit Nostalgie erlaubt. Klassische Motive in Rot und Grün, verziert mit Gold und Glitzer, finden sich ebenso auf handgefertigten Karten wie auf günstigeren gedruckten Versionen. Auch die sehr beliebten personalisierten Weihnachtskarten mit Fotos der Kinder oder Haustiere lassen sich in jeder Preisklasse drucken – dies lohnt sich ab etwa 50 Stück. Entscheidend ist die Wahl des Papiers. Schneeweisses Papier macht einen weniger wertigen Eindruck als eines in Crème oder Ecru, selbst bei gleichem Gewicht. Während für Briefe das Papier nicht mehr als 120 Gramm wiegen sollte, liegt bei Karten das Minimum bei 280 Gramm – 300 Gramm sind bei Anzeigen zur Vermählung und Geburt üblich. Der Rolls-Royce unter den Sorten ist nach wie vor handgeschöpftes Büttenpapier.

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Weihnachtskarte und ein roter Stift liegen zum Schreiben bereit.

ZEIT FÜR NOSTALGIE Weihnachtsgrüsse an Freunde und Familie werden von Hand auf hochwertige Karten geschrieben.

PD
Weihnachtskarte und ein roter Stift liegen zum Schreiben bereit.

ZEIT FÜR NOSTALGIE Weihnachtsgrüsse an Freunde und Familie werden von Hand auf hochwertige Karten geschrieben.

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Handschrift: ungenügend

Andreas Zimmerli, der zusammen mit seiner Frau Martina die Papeterie Landolt-Arbenz in fünfter Generation leitet, macht Handschrift-Amateuren Mut: «Schon durch kleine Veränderungen und etwas Übung ist eine Verbesserung der Handschrift möglich.» Der erste Schritt auf dem Weg zur Schönschrift ist die Auswahl des richtigen Stifts. Dieser soll angenehm in der Hand liegen, sowohl die Griffzone wie auch Gewicht und Balance müssen stimmen. Wenn nötig kann die Feder von Andreas Zimmerli individuell angepasst werden. Männer sind bei der Wahl ihres Füllfederhalters eher zurückhaltend bei Farben und entscheiden sich öfter für technisch verspielte Stifte mit breiter Feder. Frauen wählen auch farbige Schreibgeräte, ziehen aber feine Federn vor. Welches Gewicht und welche Grösse der Füller haben sollte, kann man nur durch Ausprobieren herausfinden. Martina Zimmerli selbst, die zierlich ist, schreibt am liebsten mit grösseren Stiften, die entsprechend mehr wiegen.

Martina und Andreas Zimmerli von Landolt-Arbenz sitzen auf einer Treppe

FAMILY BUSINESS Martina und Andreas Zimmerli leiten Landolt-Arbenz, die Traditionspapeterie nahe dem Zürcher Paradeplatz, in fünfter Generation.

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Martina und Andreas Zimmerli von Landolt-Arbenz sitzen auf einer Treppe

FAMILY BUSINESS Martina und Andreas Zimmerli leiten Landolt-Arbenz, die Traditionspapeterie nahe dem Zürcher Paradeplatz, in fünfter Generation.

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Ganz entscheidend ist die Schreibhaltung. Der Begriff sagt es bereits: Ein Stift soll gehalten – nicht gedrückt – werden. Nur so lässt er sich zwischen den Fingern beugen und drehen. Dafür lehnt der Stift am langen Knochen des Zeigefingers an, während er mit dem Daumen gehalten wird. Bei alledem sollte man möglichst locker bleiben und die Finger nicht verkrampfen, denn so leidet nicht nur die Schriftführung, sondern auch die Freude am Schreiben. Leider geht es nicht ohne Übung. Zimmerli empfiehlt, auf einem Rasterlinienblatt möglichst viel zu probieren, und zwar beginnt man mit dem Buchstaben «u». «Sobald Sie das Gefühl haben, dass Sie das u beherrschen, wagen Sie sich an die Buchstaben w, v, y, i und l», erklärt er. Eine aufrechte und entspannte Sitzhaltung sowie ein langsameres Schreibtempo tragen ebenfalls dazu bei, dass nicht nur der Inhalt, sondern schon der Anblick eines Briefs den Empfänger verzückt.

Auch bei traurigen Anlässen sind handgeschriebene Briefe die richtige Wahl. Es versteht sich von selbst, dass eine Beileidsbekundung niemals auf elektronischem Weg verschickt wird. Bei der Wahl des richtigen Briefpapiers macht man nichts falsch, wenn man eine neutrale, weisse Karte wählt. Couverts und Briefbögen mit schwarzem Rand sind den Angehörigen vorbehalten und werden nur für die Todesanzeige verwendet. Oft sind diese Anzeigen auf einen gefalteten Briefbogen gedruckt. Die leere zweite Seite war ursprünglich für Beileidsbekundungen gedacht. Sie darf für diesen Zweck abgetrennt werden. Beileid ist für die Hinterbliebenen ein grosser Trost, und schon wenige Zeilen der Anteilnahme können den Schmerz lindern. Kondolenzschreiben sollten aber so rasch wie möglich versandt werden. Briefe, die erst Wochen nach dem Todesfall bei den Hinterbliebenen eintreffen, können alte Wunden aufreissen. Wer sich wegen einer unleserlichen Handschrift nicht wohl dabei fühlt, das Kondolenzschreiben von Hand zu verfassen, kann den Brief auf dem Computer schreiben und ausdrucken. Anrede und Grussformel sollten mit Füllfederhalter von Hand hinzugefügt werden.

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Schreibtisch mit diversen Schreibutensilien: Tintenfässer, Brieföffner, vergoldeter Locher, Schreibunterlage, Köcher aus Leder und ein Fotorahmen mit Bild eines Mannes in den Bergen.

SPIEGEL DER PERSÖNLICHKEIT Die Tintenfässer und Brieföffner, der vergoldete Locher, die Schreibunterlage und der Köcher aus Leder sowie ein Fotorahmen mit Bild der oder des Liebsten – ein Schreibtisch verrät viel über den Besitzer.

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Schreibtisch mit diversen Schreibutensilien: Tintenfässer, Brieföffner, vergoldeter Locher, Schreibunterlage, Köcher aus Leder und ein Fotorahmen mit Bild eines Mannes in den Bergen.

SPIEGEL DER PERSÖNLICHKEIT Die Tintenfässer und Brieföffner, der vergoldete Locher, die Schreibunterlage und der Köcher aus Leder sowie ein Fotorahmen mit Bild der oder des Liebsten – ein Schreibtisch verrät viel über den Besitzer.

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Eine besondere Aufmerksamkeit sind handschriftlich verfasste Dankesschreiben, sei es für Einladungen, Geschenke oder einen Gefallen. Auch hier gilt, sich nicht zu viel Zeit zu lassen. Personalisiertes Briefpapier ist ebenso passend wie beliebige Motivkarten oder ganz neutrale Briefbögen auf wertigem Papier. Der Dank sollte konkret und kompakt formuliert sein – zwei Sätze sind völlig ausreichend.

Ende gut, alles gut

Wer am Ende seines Briefes angelangt ist, muss nur noch eine letzte Hürde nehmen: die Grussformel. Welche Formulierung hier die richtige ist, hängt von Anlass und Beziehung zum Empfänger ab – geschäftlich oder privat –, sie ist aber auch Ausdruck von Nähe und sollte entsprechend sachlich oder herzlich gewählt werden. Mit einer gelungenen Grussformel können Absender Kreativität und Stilsicherheit beweisen. Es lohnt sich also, etwas Mühe auf die letzten Zeilen zu verwenden, statt sich einfach mit «lieben Grüssen» zu verabschieden. Abkürzungen wie MfG oder LG passen nicht zu einem handgeschriebenen Brief. Wer sich trotzdem kurz fassen möchte, kann es machen wie Heinrich Heine in einem Brief an den Publizisten Karl August Varnhagen: «Leben Sie wohl. Das Papier ist zu Ende.»

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Über die Autoren
sdf

Anne-Barbara Luft

Anne-Barbara Luft

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