Guten Tag,
Keine Hochschule in Europa produziert mehr Start-ups, keine schafft mehr Wert. Doch auf ein Google oder Facebook aus Zürich wartet man vergeblich. Bisher.
Halle des ETH-Hauptgebäudes an der Rämistrasse in Zürich.
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Irgendwie klingt es fast ein bisschen unanständig: Es blubbert, es surrt, es spritzt, dann setzt sich Proteus in Bewegung. Langsam gleitet der 42 Kilo schwere Roboter unter die Wasseroberfläche, sinkt kontrolliert Richtung Grund des Zürichsees. Seit vier Jahren arbeiten Jonas Wüst und seine sechs Kommilitonen an der Unterwasserdrohne. Mitstudent Florian Kümin lenkt Proteus von Land aus mit einem Joystick, den man von Computerspielen kennt.
Via Datenkabel sendet der Roboter auf die Steuerkonsole, was seine Kameras und Sonare erkennen. Proteus kann aber auch autonom navigieren, etwa um die Gegend unter Wasser zu kartografieren, und weicht dabei Hindernissen wie Stegpfeilern oder Bojenseilen aus.
Eines Tages, so träumt Wüst, wird dieses Vorgehen Standard sein und den Froschmann ersetzen. «Wir wollen Tauchen sicherer machen, indem wir die Tauchzeit von Menschen minimieren», sagt der Maschinenbauer. Sein Plan: ein Start-up zu gründen, um die von seinem Team an der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) Zürich entwickelte Technologie zu vermarkten.
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Seit 2019 arbeiten Jonas Wüst (rechts) und seine Kommilitonen von der ETH an der Unterwasserdrohne.
Dan Cermak für BILANZSeit 2019 arbeiten Jonas Wüst (rechts) und seine Kommilitonen von der ETH an der Unterwasserdrohne.
Dan Cermak für BILANZViele andere haben einen ähnlichen Plan bereits wahr gemacht. 545 Start-ups wurden von ETH-Studenten und -Alumni im Lauf der letzten 50 Jahre gegründet, 402 davon in den letzten 15 Jahren – keine andere Uni in Europa verzeichnet mehr. Letztes Jahr waren es 26, heuer werden es so viel wie nie zuvor: Bei 30 Spin-offs steht der Zähler bereits Anfang September. «Und da ist noch einiges in der Pipeline», sagt Vanessa Wood, als Vizepräsidentin der ETH für das Thema Start-ups zuständig. «Früher wollten unsere Absolventen entweder eine akademische Karriere machen oder bei einer der grossen Schweizer Firmen anheuern», sagt ETH-Präsident Joël Mesot: «Heute gehen viel mehr in die Start-up-Szene.»
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Sie träumen davon, ein Unicorn zu schaffen, ein Start-up mit Milliardenbewertung. So wie es Johannes Reck gelungen ist mit GetYourGuide, dem ersten Einhorn aus dem Stall ETH. Auch die CO2-Speicherfirma Climeworks ist heute Milliarden wert, ebenso die Klimaschützer von South Pole und die Scan-Experten von Scandit.
Bewertung: 2 Milliarden Franekn (Mai 2023), Mitarbeiter: ca. 800
GetYourGuide ist eigentlich ein untypisches ETH-Spin-out – aber eines der erfolgreichsten. Untypisch, weil sich zwar die fünf Gründer in der Vorlesung kennengelernt hatten, aber die Geschäftsidee nichts mit der Uni zu tun hatte, sondern in den Ferien entstand: «Als Naturwissenschaftler haben wir ein Tourismus-Start-up gegründet ohne wirtschaftlichen Background», erinnert sich CEO Johannes Reck: «Ich konnte damals nicht mal eine Bilanz lesen.» Er holte sich das Wissen beim Venture Lab und belegte im Masterstudiengang Kurse in Buchhaltung und General Management: «Das hat mir enorm geholfen.» Dass zwei der Mitgründer Co-Präsidenten der hochschuleigenen Unternehmensberatung ETH Juniors waren, war ebenfalls förderlich. Cloud-Dienste wie AWS gab es damals nicht, doch die fünf konnten 2009 ihre ersten Webdienste über die ETH-Server laufen lassen: «Das hätte man privat nur sehr teuer machen können.» Und ETH Transfer half, die ersten AGBs und den Aktionärsbindungsvertrag zu entwerfen. Die Firma hob ab, wurde im Mai 2019 das erste ETH-Einhorn. Die Uni müsse mehr helfen bei der Mitarbeiter-Rekrutierung für Spin-offs, sagt Reck: «Aber die Firma wäre nicht entstanden ohne die ETH.»
GetYourGuide vermarktet Urlaubsaktivitäten online – weltweit.
Alamy Stock PhotoGetYourGuide vermarktet Urlaubsaktivitäten online – weltweit.
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Drei weitere Spin-offs haben die Milliardengrenze erst nach dem Exit geknackt, gelten also streng genommen nicht als Unicorn: Die Softwarefirma AutoForm wurde 2016 für 640 Millionen Euro vom französischen Asset Manager Astorg übernommen, dann Ende 2021 für zwei Milliarden an die US-Beteiligungsgesellschaft Carlyle weiterverkauft. Der Sensorhersteller Sensirion ging 2018 an die Börse, derzeit ist er 1,11 Milliarden Franken wert.
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Chiphersteller U-blox, seit 2007 an der SIX kotiert, war zu besten Zeiten 1,75 Milliarden Franken wert, heute sind es noch 557 Millionen.
Bewertung: 1,11 Mrd. Fr. (börsenkotiert), Mitarbeiter: 1275
Felix Mayer und Moritz Lechner lernten sich schon im ersten ETH-Jahr kennen, als beide sowohl den Vorlesungen in Physik als auch in Unternehmensführung folgten. Und schon damals beschlossen sie, eines Tages gemeinsam eine Firma aufzubauen: «Obwohl Start-up und Spin-off damals noch Fremdwörter waren», sagt Mayer. Am Ende der Doktorarbeit entschieden sie, sich auf das zu konzentrieren, was sie am besten können: Sensoren. 1998 gründeten sie Sensirion. Von der ETH konnten sie Räumlichkeiten und Prozessmaschinen mieten und hatten Zugang zum Reinraum. «BWL haben wir uns im Wesentlichen selber mit Bücherlesen beigebracht», so Mayer. Nach zwölf Monaten, als die Firma bereits 20 Mitarbeiter hatte, zog Sensirion aus. Das Wichtigste an der ETH für Mayer: die gute Ausbildung in Studium und Doktorat. «Was die Person dann daraus macht, liegt an ihr!»Mayer und Lechner machten daraus eine Erfolgsstory. Sensirion wuchs rasch, übernahm andere Firmen, ging 2018 an die Schweizer Börse. Heute setzt sie 321 Millionen Franken um und hat Tochtergesellschaften auf drei Kontinenten. «Die ETH ist eine wirklich fantastische Schule», sagt Mayer: «Die Schweiz weiss gar nicht, was sie da für ein Juwel hat!»
Sensirion setzt in der Sensorentwicklung immer wieder neue Massstäbe.
ZVGSensirion setzt in der Sensorentwicklung immer wieder neue Massstäbe.
ZVGAnderen wird ein zukünftiger Unicorn-Status zugetraut: der Drohnensoftwarefirma Auterion, Synhelion und Planted, die naturschonenden Treibstoff bzw. Fleischersatz herstellen, der Big-Data-Firma Teralytics oder der Softwareschmiede Beekeeper. Und auch wenn die Anzahl dieser Milliardenfirmen überschaubar ist: Keine andere Uni in Europa generiert mit ihren Start-ups einen so hohen Wert wie die ETH.
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Die Präsenz der Hochschule ist fühlbar in ganz Zürich. Wie eine Festung thront das Hauptgebäude mit der markanten Kuppel und den riesigen Hallen im Renaissance-Stil auf einem Hügel, Panoramablick über die Metropole inklusive. Sechs der 16 Departements sind auf den Campus Science City auf dem Hönggerberg am östlichen Stadtrand ausquartiert, Biotech findet mehrheitlich im Vorort Schlieren statt.
Auch in Singapur hat die ETH eine Niederlassung, die sich mit der nachhaltigen Entwicklung von Städten und ihren Infrastrukturen befasst. Das Herz der Alma Mater von Albert Einstein und Wilhelm Conrad Röntgen jedoch schlägt an der Rämistrasse, unweit vom Stadtzentrum. Eine besonders beliebte Anlaufstelle: das Student Project House, ein Maker Space vollgestopft mit Hightech. Über 50 3-D-Drucker, drei CAD-Stationen, vier Lasercutter, eine Holz- und eine Elektronikwerkstatt, aber auch App-gesteuerte Nähmaschinen stehen hier den Studenten und Doktoranden zur freien Verfügung. Sogar im Lift hängt ein Whiteboard, um spontane Ideen festzuhalten oder für den sprichwörtlichen Elevator Pitch.
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Nur dass man in dem historischen Gebäude – einem ehemaligen Kohlekraftwerk – kaum Handyempfang hat, ist etwas peinlich für ein Hightech-Center.
Bewertung: dreistellig in Mio. (2021), Mitarbeiter: 90
«Unser kompletter kommerzieller Erfolg ist powered by ETH», sagt Lorenz Meier. Dabei war seine Geschäftsidee – Steuerungssoftware für Drohnen – gar kein Vorlesungsstoff, sondern hat ihn persönlich interessiert. Seinen Mitgründer Kevin Sartori lernte er 2009 an der ETH kennen, 2017 nach dem Doktorat gründeten sie Auterion. Die Hochschule stellte ihnen die nötigen Labors zur Verfügung, betreute die Studentenarbeiten der ersten Mitstreiter. Auch den Kontakt zu Seed-Investor Klaus Hommels hat die ETH hergestellt. Inzwischen dürfte Auterion einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag umsetzen: Ihre Software gilt als Branchenstandard, das US-Militär vertraut darauf ebenso wie der Einzelhandelsriese Walmart. Und auch wenn sie nicht auf IP der ETH basiert: Viel verdanken Meier und Sartori ihren Professoren Marc Pollefeys, Roland Siegwart, Davide Scaramuzza und Raffaello D’Andrea. «Ohne das, was ich bei ihnen gelernt habe, ohne ihre Unterstützung und die Freiheit, die sie uns gelassen haben, wäre Auterion nicht möglich gewesen», sagt Meier. Nur eines stört ihn an der ETH: «Es fehlt der Mut zum Risiko», sagt er: «Bisher achtet man zu sehr darauf, dass möglichst wenige Start-ups scheitern, statt grosse Würfe zu wagen.»
Lorenz Meiers Software setzt den Branchenstandard.
Markus Bertschi / 13 PhotoLorenz Meiers Software setzt den Branchenstandard.
Markus Bertschi / 13 PhotoDie meisten Spin-offs der ETH nehmen hier – oder im Pendant auf dem Hönggerberg – ihren Anfang. Auch Jonas Wüst und seine Kommilitonen entwarfen hier die ersten Modelle ihrer Tauchroboter, bevor sie später Professor Roland Siegwart vom Autonomous Systems Lab unter seine Fittiche nahm. Jeder zehnte der mehr als 25'000 Studenten und Doktoranden nutzt den Maker Space in Teams von maximal zehn Personen, 180 tauchen im Schnitt jeden Tag hier auf. Derzeit betreuen die 19 Angestellten 340 sogenannte Fokus-Projekte – die Anzahl verdoppelt sich jedes Jahr. «Alle Ideen sind willkommen», sagt Lucie Rejman, Leiterin des Student Project House, aber sehr bald, das ist absehbar, wird man hier ein ernstes Platzproblem bekommen.
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Jedes Projekt dauert ein Jahr, unterstützt durch einen Coach, der mit den Teilnehmern den kompletten Business Case durchgeht, inklusive Vermarktung, Kalkulation, Kommunikation. Aber um das Projekt geht es dabei nur in zweiter Linie. Hauptziel ist das Erlernen des Innovator- und Maker-Mindsets: «Wenn man einmal den Innovationsprozess komplett durchmacht, kann man ihn auf jedes andere Projekt anwenden», so Rejman.
Den Prozess komplett durchgemacht haben auch David Taylor und Anetta Platek-Mielczarek. Sie haben eine Flüssigbatterie entwickelt, mit der sich auf kleinem Raum deutlich mehr Energie speichern lässt als bei bisherigen Batterien und die nicht brennbar ist. Theoretisch gibt es die Technologie seit den 60er Jahren, doch niemand konnte sie bisher skalierbar auf den Markt bringen. Taylor, gebürtiger Franke, und Platek-Mielczarek, gebürtige Polin, sind die Ersten. Zusammen mit zwei Kommilitonen ersannen sie einen radikal simplen Designansatz, um die Investitionskosten zu senken und auf seltene Erden verzichten zu können. «Die ersten zwei Jahre im Student Project House waren unschätzbar wertvoll», sagt Taylor. Und das nicht nur, weil die vier hier einen Platz zum Tüfteln hatten: «Unsere Coaches haben uns ständig den Spiegel vorgehalten, auch was Projektmanagement, die Website oder das Pitching angeht.
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Vor allem haben sie uns dazu gebracht, potenzielle Kunden wie das EWZ oder das EKZ anzugehen. Ohne das hätten wir jetzt nur eine nette Batterie, die aber niemanden interessiert.» Rund 5,5 Millionen Franken an Fördergeldern, unter anderem vom Migros-Pionierfonds, kann das Projekt inzwischen vorweisen. Das Patent ist angemeldet, die Firma mit Namen Unbound Potential gegründet, Ende Jahr wird in einem Tenniscenter in Thalwil ZH die erste Pilotbatterie installiert. «Dann wollen wir skalieren, um die Beschaffungskosten für die nötigen Chemikalien zu senken», sagt Taylor.
David Taylor und Anetta Platek-Mielczarek haben an der ETH eine Superbatterie entwickelt.
Dan Cermak für BILANZDavid Taylor und Anetta Platek-Mielczarek haben an der ETH eine Superbatterie entwickelt.
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Kordian Caplazi ist da schon ein bisschen weiter. 14 Firmen kann er bereits als Kunden verzeichnen. Er hat mit vier Kollegen eine Anwendung für Augmented-Reality-Brillen entwickelt, mit der die Ausbildung an Maschinen trainiert und deren Inspektion erleichtert werden kann. Das Projekt stammt aus einer Masterarbeit und wurde ebenfalls im Student Project House entwickelt. Drei Jahre sind die Junggründer – ihre Firma heisst Rimon – nun schon dran. «Als Nächstes machen wir eine Pre-Seed-Finanzierungsrunde», sagt Caplazi.
Kordian Caplazi entwickelte mit seinen Kommilitonen Augmented-Reality-Software für Maschinen.
Dan Cermak für BILANZKordian Caplazi entwickelte mit seinen Kommilitonen Augmented-Reality-Software für Maschinen.
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Besonders chancenreiche Firmenideen fördert die ETH durch ein eigenes Accelerator-Programm. Seit 2010 werden sogenannte Pioneer Fellowships vergeben, insgesamt bisher 122-mal. Ausgewählte Gründerteams erhalten dann von der Hochschule 150'000 Franken Startkapital, Coaching und ein Dach über dem Kopf im Innovation und Entrepreneurship Lab.
«So können sie ihren Business Case schärfen», sagt Silvio Bonaccio, seit fast zwei Jahrzehnten Leiter ETH Technologietransfer. Auch Thetys konnte ein Jahr lang vom Pioneer Fellowship Program profitieren. Als dieses Ende August auslief, übernahm Wyss Zurich.
Die Stiftung von Medizinaltechnik-Pionier Hansjörg Wyss unterstützt Thetys nun für drei Jahre mit insgesamt drei Millionen Franken, hilft mit Büroräumlichkeiten, einer Vermittlungsplattform und Marktexpertise. Insgesamt hat Wyss Zurich bislang 25 Projekte in den Bereichen Robotik, Medtech und regenerativer Medizin unterstützt. Auch die Gebert Rüf Stiftung, Venture Kick und Innosuisse fördern Jonas Wüst und seine Mitstreiter beim Aufbau ihrer Firma: «Es ist ein cooles Environment hier, in dem wir dank der ETH die richtigen Schnittstellen gefunden haben», sagt Wüst.
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Wichtig für gründungswillige Absolventen sind auch die hochschuleigene Unternehmensberatung ETH Juniors (siehe BILANZ 8/22) und das Studentennetzwerk ETH Entrepreneur Club: «Beide haben die Start-up-Szene enorm beflügelt, auch in Sachen Bewusstseinsbildung», sagt Bonaccio. Doch vieles ist organisch gewachsen, entsprechend unkoordiniert sind die Angebote für die Studenten. Und formelle Absprachen der externen Anbieter mit der ETH gibt es kaum: «Die Commmunity ist so eng, die Leute wissen, wohin sie gehen müssen», sagt Bonaccio.
Insgesamt also beste Voraussetzungen, um Milliardenfirmen zu produzieren? «Wir müssen uns international nicht verstecken», sagt zumindest Bonaccio. So zeichnen sich ETH-Start-ups durch eine hohe Langlebigkeit aus: 93 Prozent sind nach fünf Jahren noch aktiv, deutlich mehr als der schweizweite Durchschnitt, darauf ist man stolz an der Rämistrasse. Doch leider ist es das falsche Kriterium. «Das bedeutet lediglich, dass es die Firmen noch gibt. Aber die meisten haben zwischen zwei und fünf Mitarbeiter, wachsen organisch und kommen nur sehr langsam vorwärts.
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Die sind nicht interessant für einen VC», sagt Alex Fries, der als Investor zwischen der Schweiz und dem Silicon Valley pendelt. Philipp Stauffer, Schweizer VC mit Sitz in San Francisco, sieht es ähnlich: «Als Start-up zu überleben, bedeutet zu scheitern. Man muss florieren, eine Kategorie auf dem Weltmarkt anführen. Gemessen daran liegt die Schweiz weit zurück!»
In der Tat: Aus der Stanford University im Silicon Valley kamen Giganten wie Google, Yahoo, HP oder Cisco. Aus der Harvard University in Boston kamen Facebook, die heutige Roche-Tochter Genentech oder der Impfstoffhersteller Moderna. Aus dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) gleich nebenan immerhin noch iRobot oder Dropbox. Die Firmen, die aus der ETH kamen, kennt – vielleicht mit Ausnahme von GetYourGuide – auf der Strasse kaum jemand. Nicht in Zürich, erst recht nicht im Rest der Welt.
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Und dass es von den 545 Start-ups made in Zurich erst vier an die Börse schafften, will auch etwas heissen. «Das ist eine Frage der Zeit, ein paar Jährchen müssen Sie uns noch geben», sagt Bonaccio. Schliesslich würden die Benchmark-Unis MIT und Stanford systematischen Technologietransfer bereits seit den 50er bzw. 70er Jahren praktizieren, die ETH erst seit 2005.
Wahr ist aber eben auch: Strategische Priorität an der ETH haben Forschung und Lehre, dann erst folgt der Technologietransfer. Und unter den 1140 Organisationen, die im letzten Jahr dazu Verträge mit der ETH unterzeichnet haben, sind nur 54 ETH-Spin-offs, weniger als fünf Prozent. Vielleicht auch, weil die Vorlesungsinhalte nicht auf die Bedürfnisse der Jungfirmen, sprich die Marktchancen, ausgerichtet sind. «Wir passen die Inhalte ständig an, aber wir sind nicht reaktiv, sondern proaktiv», sagt Mesot: «Wir zielen weiter als nur für die nächsten Jahre.» Zur künstlichen Intelligenz (KI) etwa wird seit 20 Jahren geforscht und unterrichtet, letztes Jahr, als das Thema plötzlich heiss wurde, waren 800 Studenten in dem Fach eingeschrieben.
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Ein Glückstreffer, morgen passiert das Gleiche vielleicht mit Quantentechnologie. Oder auch nicht. «Wer weiss schon, welche Technologie sich durchsetzt in 20 Jahren?», sagt Mesot: «Die Studierenden müssen die Tools haben, um das ganze Leben erfolgreich sein zu können.»
Dazu gehören für Firmengründer als Erstes vertiefte BWL-Kenntnisse. Und genau daran hapert es bei vielen ETH-Absolventen. «Technologisch sind sie top – aber man muss ihnen Kaufleute an die Seite stellen», hat Klaus Hommels festgestellt. Der erfolgreiche VC hat in mehrere Start-ups made by ETH investiert. Dabei bietet die Hochschule durchaus BWL-Vorlesungen an. Diesen Herbst wird der Hauptkurs Technology Entrepreneurship von rund 200 Studenten belegt. Hinzu kommen Spezialvorlesungen in Themen wie Markttests von Prototypen oder Team Building.
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Auch ein Certificate of Advanced Study (CAS) für Postgraduates ist im Angebot. Rund 20 Firmengründer bilden sich derzeit in «Entrepreneurial Leadership in Technology Ventures» weiter. Die Hälfte davon sind Pioneer Fellows.
Verbleibende Lücken füllen Organisationen wie das Institut für Jungunternehmer (IFJ), Venturelab und Venture Kick. Letztgenannte hat in den vergangenen 16 Jahren rund 1000 Projekte unterstützt, 30 Prozent davon stammten aus der ETH: «Die ETH ist ein Gravitationszentrum der Schweizer Start-up-Szene», hat Beat Schillig festgestellt, Co-Managing Director von Venture Kick und Gründer von Venturelab. Am wichtigsten aber ist noch immer Learning by doing. «Wir müssen aufpassen, dass wir das Unternehmertum nicht zu sehr verakademisieren», sagt Silvio Bonaccio: «Das ist ein Strassenkampf, man muss rausgehen und lernen.» Das ist auch die Devise von Jonas Wüst und seinen Mitstreitern: «Wir lernen in der Praxis.»
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Dass so wenige ETH-Start-ups richtig gross skalieren, hat auch viel mit der Finanzierungssituation hierzulande zu tun. Für grosse Runden müssen Schweizer Gründer noch immer im angelsächsischen Raum nach Geld suchen, allenfalls noch in Asien oder Israel. Nur sehr langsam beginnt sich die Situation zu bessern: Letztes Jahr wurden immerhin 3,9 Milliarden Franken in Schweizer Start-ups investiert. 1,2 Milliarden davon gingen in ETH-Start-ups, davon wiederum 600 Millionen in Climeworks – die umfangreichste Schweizer Finanzierungsrunde aller Zeiten! Aber Peanuts im Vergleich etwa mit dem Silicon Valley.
Dort, wo die weltgrösste Konzentration an Risikokapitalgebern sitzt, ist die ETH kaum bekannt: «In selektiven Kreisen, etwa wenn es um Drohnen geht oder um Kryptografie, hat die ETH einen exzellenten Ruf», sagt VC Philipp Stauffer. «Aber generell kennt man sie nicht. Jeder redet von Stanford, Berkeley, dem MIT etc.» An zweiter Stelle, hat Alex Fries festgestellt, kämen die britischen Unis. «Wenn überhaupt, dann ist ‹ETH-Spin-off› nur ein sehr kleines Qualitätsmerkmal im Silicon Valley», sagt auch Pascal Unger, der mit der Beteiligungsgesellschaft Focal dort und in Florida aktiv ist. Das Problem: Die US-Start-ups promoten sich viel besser, erhalten viel mehr Aufmerksamkeit und folglich auch mehr Geld.
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«Wir müssen die Marke ETH vermarkten wie Sauerbier – denn die Amerikaner tun das mit ihren Unis ja auch», sagt Hommels. «Und wenn unsere Unis es schon nicht selbst machen, dann sollten wir Investoren es tun.»
Bewertung: Einhorn (April 2022), Mitarbeiter: 380
Gleich am ersten Studientag trafen sich zwei, die den gleichen Traum hatten: Christoph Gebald und Jan Wurzbacher wollten schon immer eine Firma gründen. Als sie gegen Ende des Studiums nach einer konkreten Geschäftsidee suchten, wurden sie bei Professor Aldo Steinfeld fündig: Er stellt mit Synhelion, ebenfalls einem ETH-Spin-out, Treibstoff aus konzentrierter Solarenergie her. Und benötigt dafür CO2. «Wir haben dann nach einem neuem Prozess gesucht, um CO2 mit wenig Energie effizient und skalierbar aus der Luft zu gewinnen.» Der Deal: Die ETH bezahlte beiden jeweils eine halbe Stelle als Doktorand, so konnten sie 2009 die Firma aufbauen und gleichzeitig die Infrastruktur der Hochschule nutzen. «Das war der entscheidende Baustein. Wir hatten nicht die nötigen Millionen, um Messinstrumente zu kaufen und ein Labor einzurichten», so Wurzbacher. Das BWL-Wissen holten sie sich in Kursen des IFJ. «Ich hätte mir an der ETH aber ein besser koordiniertes Programm gewünscht», sagt Wurzbacher: «Ich würde versuchen, das mehr zu strukturieren.» Nach vier Jahren hatte die Firma genug Eigenmittel, um sich von der ETH abzunabeln. 2022 sammelte Climeworks 600 Millionen ein – absoluter Schweizer Rekord!
Christoph Gebald (links) und Jan Wurzbacher haben das Verfahren entwickelt.
Julia Dunlop / ZVGChristoph Gebald (links) und Jan Wurzbacher haben das Verfahren entwickelt.
Julia Dunlop / ZVGUnter den Investoren kaum dabei ist die ETH selbst. Bis 2005 war das gesetzlich gar nicht möglich, «jetzt machen wir es, noch nicht sehr stark, aber in Zukunft vermehrt», so Mesot. 30 Beteiligungen hält die Hochschule derzeit, 15 weitere indirekt über Optionen. Sie nimmt nur Gründeraktien zum Nominalpreis (häufig anstelle einer Lizenzgebühr für die verwendete Technologie) und beteiligt sich nicht an zusätzlichen Finanzierungsrunden. Magere zwei bis sieben Prozent beträgt der ETH-Anteil typischerweise nach der Gründung: «Als öffentliche Institution sollte man Abstand davon nehmen, eine Firma zu dominieren», erklärt Bonaccio.
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Wird eine Beteiligung später verkauft, gehen ein Drittel der Erträge an das Institut, wo die Technologie entstanden ist, ein Drittel an den Erfinder, das letzte Drittel fliesst in die allgemeine Kasse. Noch spielen die Beteiligungsgewinne keine Rolle bei der Finanzierung des 1,85-Milliarden-Budgets der ETH. Anders als bei manchen angelsächsischen Hochschulen, die sich häufig selbst finanzieren müssen: Oxford Science Enterprise (OSE) etwa, der Fund der gleichnamigen englischen Universität, ist inzwischen über zwei Milliarden Pfund schwer, hält Beteiligungen an über 40 Firmen und verzeichnete zwei Börsengänge an der Nasdaq sowie sieben Exits. Der Wert der Anteile, die Unis wie Stanford oder Harvard an ihren Spin-offs halten, wird auf jeweils mehrere Milliarden Dollar geschätzt.
Bei der ETH ist er nahe null, weil die Beteiligungen zum Nennwert bilanziert werden. Immerhin ist ein ETH-Spin off-Fonds ein Thema.
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Einen grossen Schritt voraus sind andere Unis auch, wenn es um die Einbindung jener Alumni geht, die als Gründer erfolgreich waren: Sam Altman, CEO von OpenAI – der Firma hinter ChatGPT – gibt etwa regelmässig Vorlesungen an seiner Alma Mater Stanford, Mark Zuckerberg hält Gastlesungen in Harvard. An der ETH gibt es immerhin das Spin-off-Dinner: Anfang September trafen sich 220 Gründer in Zürich zu einem Networking-Anlass. «Es inspiriert die Studenten, wenn sie sehen, was ihre Vorgänger erreicht haben», sagt Vanessa Wood: «Dafür schaffen wir jetzt die formalen Strukturen.»
Überhaupt ändert sich gerade sehr viel. Die Einrichtung der Vizepräsidenten-Position für Wissenstransfer vor zwei Jahren war ein erster Schritt, jetzt will Vanessa Wood von dort aus den ganzen Spin-off-Bereich neu aufstellen. «Die ETH soll die gründerfreundlichste Universität der Welt werden», so ihr Ziel. Wie sie das tun will und was sich dabei ändern soll, will sie nicht sagen, solange die Schulleitung ihr Programm noch nicht abgesegnet hat. Aber Ansatzpunkte gibt es viele. Dass sich etwa von den 10 584 ETH-Angestellten gerade einmal zehn Vollzeitstellen um die Belange der Spin-offs kümmern, ist extrem schmürzelig.
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Wohl auch deshalb leistet die ETH bisher keine juristische oder administrative Unterstützung bei der Firmengründung. «Wir wissen, dass hier Bedarf besteht, und werden das in Zukunft sicher anschauen», sagt Silvio Bonaccio.
Fehlanzeige auch, wenn es darum geht, für die Jungunternehmen Topmanager zu rekrutieren, wie es etwa das Imperial College in London tut. «ETH-Teams werden als technisch führend erkannt, aber auf der Businessseite könnte man noch grösser denken und risikofreudiger werden», sagt Toni Schneider, der als Schweizer VC seit Jahrzehnten im Silicon Valley aktiv ist. Doch unternehmerische Erfahrung ist bislang kein Einstellungskriterium für Professoren: «Kernkompetenzen sind Lehre und Forschung, weil 70 Prozent der Studierenden in die Industrie gehen», sagt Joël Mesot.
Immerhin rekrutiert man jetzt vermehrt Professoren aus den USA, um den amerikanischen Can-do-Spirit auch an die ETH zu bringen: Vanessa Wood war früher selbst Unternehmerin, aber speziell die Berufung von Thomas Zurbuchen, dem langjährigen Forschungsdirektor der NASA (BILANZ 9/2018), sorgte für Aufsehen. «Wir ermutigen die jungen Leute, gross zu denken», sagt Mesot und tut es gleich selbst: «Manchmal träume ich schon davon, dass aus der ETH die nächste Apple entsteht!»
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Von einem Grosserfolg träumt auch Jonas Wüst, als er Proteus aus dem Wasser zieht. Im Januar soll der nächste Prototyp fertig sein, er wird zehn Kilo leichter sein und mit einem Greifarm auch einfache Unterwasserarbeiten durchführen können. Bis Ende Jahr soll Wüsts Firma gegründet sein, dann bekommt auch seine Alma Mater Aktien, als Ausgleich für die Nutzung der dort entwickelten Drohnentechnologie. Zahlende Kunden erwartet Wüst für kommendes Jahr, danach soll die erste kleine Finanzierungsrunde den Weg zu etwas Grösserem vorbereiten.
Als Firmennamen haben sich die Gründer «Tethys» ausgesucht, benannt nach einer griechischen Unterwassergöttin und einem erdhistorischen Ozean vor 250 Millionen Jahren. «Und der Name enthält die Buchstabenfolge ETH», schmunzelt Wüst.
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