Abo
Skandale und gescheiterte Projekte

Der Thron der Beraterkönige McKinsey & Co. wackelt

Bei der einst ­welt­besten Unternehmensberatung McKinsey ist nichts mehr, wie es jahrzehntelang war.

Marc Kowalsky

McKinsey

Seit jeher umgibt McKinsey der Ruf des Elitären. Doch nun bröckelt der Mythos.

Diego Riggenbach für BILANZ

Werbung

Es war ein Schaulaufen der besonderen Art, das in den letzten März-Tagen am UBS-Hauptsitz an der Zürcher Bahnhofstrasse stattfand. Bei einem halben Dutzend Pitches prallten die Schwergewichte der Beraterbranche aufeinander: Das Team des Beratungsunternehmens Oliver Wyman wurde angeführt vom globalen CEO Nick Studer, ihm standen Vize-Chairman Huw van Steenis, früherer Berater von UBS-Chef Sergio Ermotti, Europa-Chef Christian Edelmann sowie Schweiz-Leiter Joris D’Incà zur Seite. Insgesamt über 20 Personen waren involviert. Die Boston Consulting Group (BCG) schickte Daniel Kessler, den ehemaligen Schweiz-Chef und Leiter der Financial Practices, unterstützt von Bankenexperten aus den USA und London (Axel Weber, langjähriger UBS-Chairman und inzwischen Senior Advisor bei BCG, spielte interessanterweise keine Rolle). Für Bain & Company stieg der Frankfurter Partner Dirk Vater ins Rennen, der europaweit die Praxisgruppe Financial Services leitet, unterstützt auch von Zürcher Kräften. Bei McKinsey & Company dürften die Senior Partner Marcus Sieberer, Felix Wenger und Stephanie Hauser, weltweite Co-Leaderin des Banken- und Versicherungsgeschäfts, gepitcht haben.

Partner-Inhalte

Grosse Namen, aber schliesslich ging es auch um einen grossen Auftrag. Um genau zu sein, um das «atemberaubendste Beratungsprojekt, das in den letzten 20 Jahren vergeben wurde», wie es Consultingexperte Dietmar Fink ausdrückt, Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg: die Zusammenführung von CS und UBS. Atemberaubend, weil es eigentlich drei Megaprojekte in einem sind: die Restrukturierung der CS, deren Integration in die UBS und die Ausarbeitung einer neuen Strategie für die neu entstehende Grossbank – und das alles gleichzeitig.

Jubeln durften nach dem Pitchmarathon zwei Delegationen: Oliver Wyman stellt das zentrale Integrationsteam und kümmert sich zudem um die Sparten Investmentbanking und Asset Management. BCG berät die beiden grössten Divisionen, das Private Banking und das Schweiz-Geschäft. Leer ging Bain aus, weil, so hört man, die Präsentation nicht überzeugte und weil die Beratung noch nicht so tief im Bereich Financial Services verankert ist wie bei den anderen Playern. Und leer ging – für viele überraschend – auch McKinsey aus, seit Jahren der Haus-und-Hof-Berater beider Banken.

Werbung

McKinsey

Leicht erkennbar: Auch mit seinem strengen Dresscode setzte McKinsey jahrzehntelang Massstäbe (Symbolbild).

Oliver Nanzig
McKinsey

Leicht erkennbar: Auch mit seinem strengen Dresscode setzte McKinsey jahrzehntelang Massstäbe (Symbolbild).

Oliver Nanzig

Damit entgeht McKinsey viel Geld: 50 bis 60 Millionen Franken soll die UBS für die Fusionsberatung budgetiert haben – pro Jahr! Bankintern rechnet man mit einer Projektdauer von vier Jahren. «Es wäre sensationell, wenn es so schnell ginge, aber realistischerweise wird es über fünf Jahre dauern», sagt Fink. Mindestens eine Viertelmilliarde Franken an Honoraren gehen McKinsey also durch die Lappen. Schwer wiegt aber auch der Reputationsschaden. Denn eigentlich wäre die Traditionsberatung (gegründet 1926) prädestiniert gewesen für das Projekt: Schliesslich hatte McKinsey 2017 die Übernahme der CS im Auftrag der UBS bereits einmal durchgespielt – eine Vorarbeit, die die schnelle Abwicklung des Deals nun überhaupt erst ermöglichte. Doch das reichte nicht: Sergio Ermotti war in jenen Tagen Ende März zwar noch nicht CEO der fusionierenden Banken, die Vergabe lief daher offiziell über Mike Dargan, COO und CTO, sowie Michelle Bereaux, Group Integration Officer der UBS. Dennoch soll Ermotti bei der Vergabe ein entscheidendes Wort mitgesprochen haben. Und er hält, so hört man aus der Bankenspitze, BCG und Oliver Wyman schlicht und einfach für besser als McKinsey.

Werbung

Grenadiere im Gilet

Welch eine Schmach. Denn seit jeher umgibt die Firma der Ruf des Elitären. Seit der Gründung bezeichnet sie sich als «firm» und nicht als «company», den Auftraggeber als «client» und nicht als «customer» – schliesslich sieht man die Arbeit in einer Beratungskanzlei als Berufung und nicht als schnöden Job. Die strenge Kleiderordnung galt als legendär. McKinsey positioniert sich seit je als jene Beratung, die die komplexesten und schwierigsten Probleme angeht. Und dafür kompromisslos nur die besten Kräfte anheuert: Grenadiere im Gilet. Stolz ist man auf die Tatsache, dass sich letztes Jahr auf 10'000 offene Jobs eine Million Kandidaten beworben haben. Dass man von den weltweit 100 grössten Konzernen 90 berät, von den global 50 grössten Banken 45. Dass sich der Umsatz in den letzten zehn Jahren auf über 15 Milliarden Dollar verdoppelt hat, die Anzahl der Mitarbeiter innert acht Jahren auf 45'000. Macht pro Angestellten über 333'000 Dollar Umsatz, und das bei Branchenmargen von 40 bis 60 Prozent. Wo sonst auf der Welt gibt es das?

Werbung

Und jetzt: Machs gut, Mythos McKinsey?

«McKinsey als the one and only, die über allem steht: Die Wahrnehmung auf dem Markt ist heute eine andere», sagt Eva-Maria Manger-Wiemann, die mit ihrer Meta-Consulting-Firma Cardea Unternehmen hilft, den richtigen Berater für ein Projekt zu finden. «Eine tolle Firma mit smarten Leuten, aber sie hat ihren Glanz verloren», urteilt ein hochrangiger Konkurrent. «Es sind zu viele Dinge über die letzten Jahre zusammengekommen, die einer Nummer eins nicht passieren dürfen», pflichtet ein anderer bei.

Auch in der Schweiz ist McKinsey Marktführer unter den klassischen Strategieberatern mit 560 Mitarbeitern, davon über 400 Consultants. Aktuell sind sie bei der Fusion DSM–Firmenich am Werk, leisten bei der Versicherung Mobiliar Unterstützung, seit Juli versuchen sie Logitech wieder auf Kurs zu bringen, sie entrümpeln die Migros, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Tagessätze bis zu 14'000 Franken verrechnen die Senior Partner, eine Grössenordnung, in deren Nähe nur noch die Berater von BCG kommen. Doch in jüngster Zeit werden die Leistungen der «Meckies», wie man sie flapsig gerne nennt, zunehmend kritisch gesehen.

Werbung

Auch bei den beiden fusionierten Banken. Bei der CS kann McKinsey auf eine lange Geschichte zurückblicken. Gleich mehrere frühere CEOs stammten aus dem Beratungshaus: Lukas Mühlemann, dessen gescheiterte Allfinanzstrategie vor der Jahrtausendwende der Bank schwer schadete, durchgezogen von seinem Buddy Thomas Wellauer, ebenfalls zuvor bei McKinsey. Tidjane Thiam, der die Bank – und damit das Risikomanagement – regionalisierte, was sich als strategische Fehlentscheidung erwies und mit ein Grund war für die Milliardenverluste um Archegos und Greensill. Und zuletzt Ulrich Körner, der die Strategie von Thiam grossteils wieder kassierte, aber die CS ebenfalls nicht vor dem Untergang retten konnte: Als er im Oktober letzten Jahres seine neue Strategie präsentierte, tauchte die Aktie um 14 Prozent. Während eines Vierteljahrhunderts verdiente sich McKinsey eine goldene Nase bei der CS: Insgesamt einen sehr hohen dreistelligen Millionenbetrag dürfte das Team unter Senior Partner Felix Wenger aus der Bank geschleppt haben. Denn die CS verliess sich traditionell stark auf Unterstützung von aussen: Allein im Jahr 2021 bezahlte sie für 16 430 Berater, Auftragnehmer und externe Mitarbeiter insgesamt zwei Milliarden Franken.

Werbung

Resultate enttäuschten

Bei der UBS kann McKinsey ebenfalls auf eine intensive Zusammenarbeit zurückblicken. Gerade der letzte CEO Ralph Hamers setzte stark auf die Dienste der Berater, besonders im Private Banking. Senior Partner Marcus Sieberer gilt als enger Buddy von Hamers, wurde zum Machtfaktor bei der UBS, hatte sogar ein eigenes Office nahe dem Büro von Hamers («Das hätte ich auch gerne!», seufzt ein Konkurrent). Doch die Resultate enttäuschten bisweilen. Etwa beim Projekt «Oaktree» 2021: Eine Milliarde Franken an Kosten herauszunehmen, versprachen die Berater. Geschafft wurde davon nur rund ein Drittel – weshalb McKinsey nach Abschluss des Projekts auf einen guten Teil des Honorars verzichten musste. Ein weiterer Auftrag zur agilen Transformation trug auch nicht die erhofften Früchte. Und auch das Strategieprogramm «Letzi» (später umbenannt in «Leap») der UBS Schweiz vor zwei Jahren gilt intern als Misserfolg. In der Branche ist man daher nicht wirklich überrascht darüber, dass McKinsey bei der Fusion nicht mehr zum Zuge kommt. «Das wäre ein Witz gewesen, dann hätte ich die Welt nicht mehr verstanden», ätzt einer aus der Branche.

Werbung

Strafzettel

Straf- und Vergleichszahlungen von McKinsey, in Dollar.

574 Mio.

an 49 US-Bundesstaaten wegen des US-Opioid-Skandals.

110 Mio.

an staatliche Kunden in Südafrika wegen Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe.

40 Mio.

an Pensionäre wegen Verletzung der Anlagerichtlinien durch die Pensionskasse.

18 Mio.

Strafe für das McKinsey Investment Office durch die US-Börsenaufsicht SEC wegen Compliance-Verstössen.

15 Mio.

an das US-Justizdepartment wegen Interessenkonflikten bei Firmensanierungen.

8 Mio.

an den staatlichen belgischen Mischkonzern Nethys wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder.

Und McKinsey war ja nicht nur bei CS und UBS gescheitert. 2014 etwa machte die Zürcher Kantonalbank das im Jahr zuvor von den Beratern aufgesetzte Umbauprogramm «Simplex» wieder rückgängig: Als zu bedenklich für das Risikomanagement hatte sich die Unterstellung des Fund Research unter das Asset Management erwiesen. Oder zwei Jahre später, als der neue Zurich-Chef Mario Greco – selber ein Ex-Meckie – mit den Worten «Wir kennen unsere Industrie viel besser als die Berater» den zahllosen McKinsey-Consultants, die dort über Jahre mit bescheidenem Erfolg gewirkt hatten, beim Versicherer die Tür wies.

Werbung

Die Mutter aller Misserfolge ist schon über 20 Jahre alt, aber sie wirkt bis heute nach: der Niedergang der Swissair. 1997 hatte McKinsey unter Länderchef Thomas Knecht und Senior Partner Nils Hagander die Hunter-Strategie erarbeitet, nach der die Schweizer Fluggesellschaft durch Beteiligungen an anderen Airlines zur vierten Kraft in Europa wachsen sollte. Doch die Strategie schlug fehl: Die übernommenen Fluglinien wie Sabena, Air Liberté oder LOT erwiesen sich als Fass ohne Boden und brachten keine Synergien. Bis die Swissair im Frühling 2001 McKinsey vor die Tür stellte, soll sie rund 100 Millionen Franken Beraterhonorar bezahlt haben. Ein Dreivierteljahr später war sie pleite. McKinsey stellt sich auf den Standpunkt, dass die Strategie richtig gewesen, aber vom damaligen Management unter Philippe Bruggisser falsch umgesetzt worden sei, indem man sich an drittklassigen Verlustbringern beteiligt habe statt an profitablen Premium-Airlines. Das Desaster haftet der Marke McKinsey noch immer an: «Da sind nach wie vor Schleifspuren vorhanden», so HSG-Professor Christoph Lechner Anfang Jahr in der «NZZ».

Werbung

Klar ist: Bei jedem Misserfolg ist auch der jeweilige Auftraggeber mitschuldig. Er muss den Consultants die richtigen Daten liefern und die Empfehlungen richtig umsetzen – was nicht selten am stillen, manchmal auch weniger stillen Widerstand der Angestellten scheitert. Denn gerade McKinsey, gross geworden in der Welt der Fortune-500-Konzerne, ist gut darin, Veränderung top down zu initiieren, aber weniger gut, dabei die Organisation mitzunehmen. Und natürlich wird die Mehrzahl der Mandate erfolgreich abgeschlossen, sonst würde die Firma nicht seit Jahren wachsen. Nur redet keiner über Erfolge: McKinsey nicht wegen ihrer Verschwiegenheit über Kundenprojekte, einer der höchsten Firmenwerte. Die Klienten nicht, weil sie die Lorbeeren für die neue Strategie, die erfolgreiche Restrukturierung oder die gelungene Expansion nicht mit den Consultants teilen wollen.

Werbung

Keine Schönfärberei

Wobei man da durchaus differenzieren muss. Das mittlere Management ist häufig nicht glücklich, wenn McKinsey in der Firma einrückt, weil es sich von den Beratern nicht nach oben vertreten fühlt. «Wenn McKinsey ihre Ergebnisse in der Konzernleitung präsentiert, weiss ich nicht, ob ich nachher meinen Job noch habe», nennt es Fink. Im Lauf der Karriere dreht das Bild: «Selbst die kritischsten McKinsey-Feinde werden die grössten Fans, sobald sie selber in der Konzernleitung ankommen», so Fink. Denn dann erhielten sie keine schöngefärbten Bilder, sondern würden von McKinsey klar darüber informiert, was im Unternehmen wirklich passiert: «Andere Beratungen sind da längst nicht so schonungslos.» Zudem gilt nach wie vor: «Nobody ever gets fired for hiring McKinsey.» Nicht selten heuert man die Consultants an, um mit dem klingenden Absender die eigenen Ideen besser durchzusetzen.

Werbung

Doch die Diskussion um den Return on Consulting tobt schon lange. Vor allem, weil die Kosten immer wieder aus dem Ruder laufen, sich häufig Projekt an Projekt reiht – sogenannte Kettenaufträge. «Drängen Sie sich rein, und breiten Sie sich aus wie eine Amöbe. (...) Wenn Sie einmal drinnen sind, sollten Sie sich in der Organisation ausbreiten und bereit sein, alles zu tun.» Dieses Zitat stammt aus einem internen Leitfaden für McKinsey-Mitarbeiter. Ausfindig gemacht haben es die renommierten «New York Times»-Journalisten Walt Bogdanich und Michael Forsythe in einem international viel beachteten Buch, das letzten Herbst erschienen ist («When McKinsey Comes to Town», deutsch: «Schwarzbuch McKinsey»).

Eine gängige Praxis in der Branche: Erstaufträge werden gerne niedriger bepreist, oder die Berater gehen mit Studien erst einmal ohne Entgelt in die Vorleistung, um einen Fuss in die Tür zu kriegen. Später wird die Rechnung umso gesalzener. Welche Ausmasse das annehmen kann, zeigt ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages über die Vorkommnisse im Berliner Verteidigungsministerium, die 2019 als «Berateraffäre» Schlagzeilen machten: Der 745 Seiten starke Bericht zeigt, dass die 18 engagierten McKinsey-Berater bald selbstständig agierten, irgendwann losgelöst von jeglicher amtlichen Kontrolle ein administratives Eigenleben führten, in Vergabefragen autonom operierten, sich gegenseitig lukrative Aufträge vermittelten und sich teilweise selbst die Voraussetzungen für Folgeaufträge schufen – auch an McKinsey-Töchter. Insgesamt geht es wohl um einen dreistelligen Millionenbetrag. Dass zwei Söhne der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, heute EU-Kommissions-Präsidentin, bei McKinsey arbeiteten und dass die zuständige Staatssekretärin – und Auftraggeberin – sowie der nationalen Rüstungsbeauftragte zuvor ebenfalls bei The Firm tätig waren, macht die Sache noch schlimmer. «McKinsey setzt sich fest, das können sie sehr gut», nennt es Fink.

Werbung

Eine tragende Rolle spielt dabei das Netzwerk der Ex-Mitarbeiter. Über 50'000 gibt es inzwischen weltweit, gefördert durch das firmeneigene Alumni Center. Weil eine Karrierestation bei McKinsey seit jeher bei Konzernen und Behörden als Türöffner gilt, besetzen viele Ex-Meckies dort inzwischen obere und oberste Positionen. Und ziehen häufig ihresgleichen nach. In der Schweiz können neben Zurich-CEO Mario Greco Post-Chef Roberto Cirillo, Novartis-Boss Vas Narasimhan, Logitech-Präsidentin Wendy Becker, Sabine Keller-Busse von der UBS, Hotelplan-Chefin Laura Meyer oder ZKB-Leiter Urs Baumann auf eine McKinsey-Vergangenheit zurückblicken, um nur ein paar zu nennen. Von den Ehemaligen in Entscheiderpositionen erwartet McKinsey Dankbarkeit für die ermöglichte Karriere – in Form von Aufträgen. Als Gegenleistung für ein Projekt lockt dann die weitere Förderung durch das Alumni-Netzwerk. «Es ist eine Grauzone zwischen Begünstigung und Nötigung», sagt jemand aus der Branche.

Werbung

Normalerweise würden all diese Vorwürfe an der starken Marke McKinsey abperlen, abgebucht unter Neid auf den Erfolg. Doch im Lauf der letzten Jahre ist auch noch eine Reihe von Skandalen ans Licht gekommen, die dem Renommee der Firma massiv geschadet haben. Walt Bogdanich und Michael Forsythe haben sie in ihrem Schwarzbuch minutiös dokumentiert.

Am dramatischsten ist die Rolle von McKinsey im Opioid-Skandal: Dort hatte man die Pharmafirma Purdue massgeblich dabei unterstützt, bei ihrer Vertriebsmaschine für Schmerzmittel «den Turbo zu zünden». Als Folge der aggressiven Vertriebsstrategie von Purdue und anderen Firmen verbreitete sich eine Schmerzmittelsucht über das ganze Land und forderte Hunderttausende von Drogentoten. Zwei Senior Partner wurden überführt, die Vernichtung von Beweismitteln diskutiert zu haben. McKinsey hat sich später für seine Rolle öffentlich entschuldigt und 574 Millionen Dollar in aussergerichtlichen Vergleichen bezahlt. Dass die Firma gleichzeitig verschiedene US-Bundesstaaten beriet, wie sie auf die Opioidwelle reagieren sollten, also auf beiden Seiten die Hand aufhielt, macht die Sache noch unappetitlicher.

Werbung

Viel Geld, nämlich 110 Millionen Dollar, musste McKinsey auch in Südafrika zurückzahlen. Dort hatte man sich lukrative Aufträge durch Bestechung gesichert. In Belgien flossen vor drei Jahren 7 der erhaltenen 20 Millionen Euro Honorar zurück. Hier hatte The Firm beim staatlichen Mischkonzern Nethys mit unseriösen Wertgutachten mitgeholfen, Staatseigentum unter Wert zu verschleudern. Gleich nebenan, in Frankreich, liess die Justiz letztes Jahr die Büros von McKinsey durchsuchen: Die Firma soll dort über mindestens zehn Jahre keine Steuern gezahlt haben. Zudem steht der Verdacht im Raum, sie sei bei der Vergabe von Beratungsaufträgen von der Regierung Macron begünstigt worden und habe im Gegenzug bei Macrons Wahlkampf mitgewirkt.

Vernichtend

Als es Anfang 2021 in Moskau schwere Proteste gab gegen die Behandlung des Kreml-Kritikers und Vergiftungsopfers Alexei Nawalny durch die russische Regierung, befahl der russische McKinsey-Chef Vitaly Klintsov seinen Beratern, sich weder an dem Demos zu beteiligen noch Posts in sozialen Medien zu platzieren – offenbar aus Angst um russische Staatsaufträge. Es kam, wie es kommen musste: Klintsovs Mail ging durch die Weltpresse, ein US-Senator schaltete sich ein, und wenige Tage später ruderte McKinsey unter massivem öffentlichem Druck zurück: «Wir bedauern diesen schweren Fehler.» Gleichzeitig arbeitete man aber für russische Unternehmen, die wegen der Krim-Annexion vom Westen mit Sanktionen belegt sind. Auch mit den diktatorischen Regierungen in Saudi-Arabien oder China hat McKinsey keine Berührungsängste.

Werbung

Die Schlussfolgerung von Bogdanich und Forsythe ist vernichtend: «Eines der einflussreichsten Unternehmen der Welt – und eines der skrupellosesten», heisst es schon auf der Rückseite des Buchs, «eine Firma, die die Welt oft ungleicher, korrupter und gefährlicher gemacht hat», im Klappentext. Die Vorwürfe sind brandgefährlich auf gleich mehreren Ebenen. Die Straf- und Vergleichszahlungen von bisher bekannt gewordenen 765 Millionen Dollar (siehe «Strafzettel» auf Seite 38) lassen sich noch relativ gut verkraften angesichts der Margen – die Senior Partner verdienen dann halt mal weniger als die üblichen drei bis fünf Millionen Dollar pro Jahr. Viel bedrohlicher ist, dass sich Kunden angewidert abwenden oder McKinsey gar nicht mehr erst zu Ausschreibungen zugelassen wird in diesen Zeiten, in denen Corporate Responsibility immer wichtiger wird. Und ihre Premium-Preise kann The Firm nur dank ihres Mythos kassieren – unmöglich aber bei einem «Unternehmen, das in scharfem Widerspruch zu seinem öffentlichen Image steht» (Bogdanich/Forsythe). Auch gefährdet das Geschehene die Rekrutierung von Talenten der Generation Z, die bei der Stellenwahl besonders viel Wert auf den Purpose des Arbeitgebers legt.

Werbung

Entsprechend heftig reagierte 2019 der damalige weltweite McKinsey-Chef Kevin Sneader: Er investierte über 700 Millionen Dollar und verfünffachte die Anzahl Mitarbeiter im Bereich Compliance, interne Risikokontrolle, Ethik und Recht. Er setzte einen erfahrenen Chief Ethics & Compliance Officer ein. Und soeben hat McKinsey die Stelle eines Ethik-Direktors ausgeschrieben, einer Position, die «sicherstellt, dass wir eine ausgeprägte Kultur der Integrität und des ethischen Verhaltens in unserem gesamten Unternehmen aufrechterhalten», wie es in der Stellenbeschreibung heisst. Gehalt: zwischen 235'000 und 314'000 Dollar. Auch eine Whistleblower-Hotline gibt es inzwischen.

Werbung

Vor allem aber installierte Sneader ein Risikokomitee, das neue Klienten unter die Lupe nimmt. Mehr als 2000 pro Jahr prüft es, die Ablehnungsquote soll 15 Prozent betragen. Das ging der Mehrheit der 2700 Senior Partner von McKinsey dann doch zu weit, sie fürchteten ein ständiges Hineinregieren aus der Firmenzentrale in New York: Als erstem CEO seit den siebziger Jahren verweigerten sie Sneader eine zweite Amtszeit und wählten 2021 stattdessen die langjährige Nummer zwei Bob Sternfels zum Chef. Der war angetreten mit dem Versprechen, eine Balance zwischen Kontinuität und Veränderung zu finden.

War McKinsey schlicht zu lange zu erfolgreich und hat deshalb die Bodenhaftung verloren? Das zumindest glaubt Laura Empson, Professorin an der Bayes Business School in London. Der Aufstieg von McKinsey habe zu «organisatorischem Narzissmus» geführt: «Sie glauben sehr stark an ihren eigenen Erfolg. Wenn sie Informationen erhalten, die diese Selbstüberzeugung in Frage stellen, wird das Feedback als falsch angesehen», argumentiert sie. «Eine gewisse Selbstgefälligkeit» hat auch Berater-Beraterin Manger-Wieman bei den Schweizer Truppen festgestellt.

Werbung

Die Buchautoren orten die Ursache für die Häufung der Skandale dagegen im Wertekanon von McKinsey: Erst kommt der Klient, dann die Firma, dann der Mitarbeiter. Was fehlt, ist die Gesellschaft. Und weil die Höhe des Honorars häufig vom finanziellen Erfolg des Kunden abhängt, empfehlen die Consultants auch mal Einsparungen, wenn das auf Kosten der Sicherheit geht. In Disneyland in Kalifornien oder der Stahlfabrik U.S. Steel im Bundesstaat Indiana kam es zu Unfällen mit tödlichen Folgen, nachdem McKinsey dort die Ausgaben für Personal, Fortbildung und Wartung massiv reduziert hatte. «Es besteht eine totale Verpflichtung gegenüber dem Klienten, es besteht keinerlei Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft», zitieren die Buchautoren den ehemaligen McKinsey-Berater Seth Green, heute Dekan an der University of Chicago. Michael Steinmann, Schweizer Chef von McKinsey, widerspricht: «Unsere Arbeit hat nachweislich gesellschaftlichen Nutzen!», sagt er und zählt auf: «2022 haben unsere Klienten weltweit eine Million Arbeitsplätze und 20 Prozent des BIP generiert und 80 Prozent der CO2-Reduktion getragen.»

Werbung

Umsatzdruck

Dabei hatte Marvin Bower, Co-Gründer von McKinsey und 2003 verstorben, Mitte des vorigen Jahrhunderts der Firma ein enges Wertekorsett angelegt: Integrität geht vor Geschäft. Damit ist man jahrzehntelang gut gefahren. Doch in den letzten zwei Dekaden ist The Firm wohl viel zu schnell gewachsen, als dass sie diese Werte erfolgreich bei allen Neuzugängen einpflanzen konnte. Von einem Partner werden pro Jahr sieben bis zehn Millionen Dollar an Einnahmen erwartet. 90 Prozent der Honorare stammen traditionellerweise von Fortune-500-Unternehmen. Deren Anzahl ist begrenzt (eben auf 500) und damit auch die dort zu vergebenden Mandate. Ist die Topkundschaft abgedeckt, muss die ständig wachsende Anzahl der Partner zwangsläufig woanders nach Klienten suchen – und gerät in zweiter und dritter Reihe dann an Problemfälle wie Purdue.

Werbung

So rüttelt die Aufarbeitung der Geschehnisse auch an einem Grundpfeiler der Firma: der Organisation als Partnerschaft. Diese Gesellschaftsform wurde einst für Kanzleien entwickelt und basiert fundamental auf Vertrauen. Doch wie viele Partnerkollegen kennt man gut genug, um ihnen wirklich vertrauen zu können? Im besten Fall ein paar Dutzend, aber sicher nicht 2700. «Manche Kunden sagen, McKinsey sei im Grunde ein grosses Franchiseunternehmen: Da baut jeder Partner sein eigenes Geschäft auf», nennt es Fink. In solch einer Struktur kann ein Fehlverhalten weniger gut verhindert werden wie bei einer Kapitalgesellschaft mit ihrer Corporate Governance. Müsste McKinsey nicht den Weg des IT-Dienstleisters Accenture oder der Investmentbank Goldman Sachs gehen, die sich an der Börse kotieren liessen? Auch Oliver Wyman als Tochter des an der NYSE gelisteten Dienstleistungskonzerns Marsh McLennan muss die Ansprüche der Aktionäre an saubere Unternehmensführung befriedigen. «Das ist für uns kein Thema», stellt Steinmann klar.

Werbung

Dass McKinsey zu schnell gewachsen ist, zeigt auch das Projekt «Magnolia». Es war mal wieder ein Stellenabbauprogramm, das McKinsey da im Mai durchzog – aber dieses Mal bei sich selber! 1400 Mitarbeiter im Backoffice mussten gehen, in der Schweiz war es rund ein Dutzend. «Zum ersten Mal seit einer Dekade redesignen wir die Art, wie unsere Teams ohne Kundenkontakt arbeiten, sodass sie unsere Firma effizient unterstützen und mit ihr skalieren können», so die offizielle Verlautbarung. Jene Firma also, die viel Geld mit der Entwicklung der richtigen Strukturen für andere Firmen verdient, versäumt es zehn Jahre lang, die eigene Organisation anzupassen? «McKinsey sucht Strategie», ätzte das deutsche «Handelsblatt». «Wir haben aus einer Position der Stärke agiert», widerspricht Michael Steinmann: «Unsere Firma hat sich im letzten Jahrzehnt verdreifacht in Sachen Grösse und Impact. Wo nötig haben wir die Strukturen unserer Teams ohne Klientenkontakt daher optimiert. Parallel investieren wir weiter strategisch.»

Werbung

Dreck am Stecken egal

Nun sind 1400 von 45'000 Mitarbeitern keine dramatische Zahl, und wahr ist auch: Dieses Jahr wird McKinsey 8000 neue Berater einstellen. Denn allen Skandalen zum Trotz ist The Firm bei den Auftraggebern noch immer sehr beliebt: «Den Kunden ist durchaus bewusst, dass McKinsey manchmal nicht so handelt, wie sie es erwarten würden. Aber letztendlich ist das zweitrangig», sagt Professor Fink: «Sie wollen denjenigen, der ihr Problem am besten löst. Wenn dessen Kollegen irgendwo auf der Welt Dreck am Stecken haben, ist ihnen das egal.» So landete McKinsey im letzten Consulting-Rating von BILANZ in der Kategorie «Allgemeines Ansehen» auf Platz eins (siehe BILANZ 7/22), eine ähnliche Erhebung in Deutschland bestätigt gerade dieses Bild. Messias McKinsey – der Glaube lebt auf vielen Teppichetagen weiter.

Werbung

Und die Aussichten für die Berater sind positiv: Während der Pandemie ist der Markt zweieinhalb Jahre lang regelrecht explodiert. In der Schweiz, so erwartet Professor Fink, hat er vergangenes Jahr ein Volumen von 2,4 Milliarden Franken erreicht. Das stürmische Wachstum ist zwar nun vorbei, doch für robuste 15 Prozent sollte es auch heuer noch reichen, schätzt Fink. Denn geopolitische Fragestellungen sind wichtiger denn je, und die Herausforderungen bei Lieferketten, in Sachen Digitalisierung und KI, bei der Nachhaltigkeit und der Inflation sind nicht kleiner geworden. Auch im Rest Europas, in Asien und dem Mittleren Osten sind die Aussichten weiterhin gut, lediglich in den USA flacht die Nachfrage ab.

So rechnet McKinsey für das laufende Jahr erneut mit einem Rekordergebnis. «Im ersten Quartal 2023 sind wir stärker gewachsen als in den ersten drei Monaten des Vorjahres. Neue Technologien und das veränderte politische Umfeld verlangen neue Antworten. Und die suchen unsere Klienten bei und mit uns», so CEO Bob Sternfels kürzlich in einem Interview.

Werbung

Das Renommee von McKinsey mag in der Öffentlichkeit bergab gehen. Der Reibach tut es nicht.

Über die Autoren
Marc Kowalsky

Marc Kowalsky

Marc Kowalsky

Auch interessant

Werbung